Das Unternehmen »Kildare«

Hermann Maas, Neichen

 

1981 weihte Neichen seine kleine Dorfkapelle nach einem Jahr gründlicher Renovierung erneut ein. Dieses kleine Gotteshaus in der Struth weist ein hohes Alter auf, denn es ist bereits auf der Karte des Amtes Daun von 1683 eingezeichnet. Nun erstrahlt es in neuem Glanz und weist darüber noch Kostbarkeiten auf, die für die Eifel nicht alltäglich sind. Da ist einmal ein wertvolles Altarkreuz aus dem 17. Jahrhundert mit der ergreifenden Darstellung des toten Heilandes und zum anderen ein neues dreiteiliges Altarbild, gestiftet von der Neichener Bevölkerung. Dieses Altarbild ist nach der Vorlage eines spätmittelalterlichen Ikonenbildes gestaltet worden und zeigt im Mittelteil die Bewirtungsszene bei Abraham, auf dem rechten Flügel den Schutzpatron der Pfarrkirche Hilgerath, den hl. Hubertus, und links die Schutzpatronin der Neichener Dorfkapelle, die hl. Brigida.

Diese irische Heilige, deren Gedenktag am 1. Februar begangen wird, lebte von 453 bis 521 in Irland, gründete dort das Kloster Kildare und wurde die erste Äbtissin dieser Frauengemeinschaft. Von ihrem Leben ist nicht allzuviel bekannt: Sagen und Legenden künden aber in bewegten Worten von den vielen Guttaten der Heiligen und berichten von ihrer Hilfe bei der Heilung des Viehs und der Haustiere. 

Im 15. Jahrhundert wird sie als Äbtissin mit Stab und Buch (Symbol der Klosterregel) oder auch mit Palme (ihren himmlischen Lohn andeutend) und einer Kuh dargestellt. Brigida ist die Patronin der Stadt Essen, von Irland und Kildare. Sie schützt die Kinder und Wöchnerinnen. Ihre Hilfe wird gegen Unglück und Verfolgung erfleht. - Nun gibt es noch eine Gemeinsamkeit zwischen Neichen und dem irischen Kloster Kildare, die im Ursprung der Namen begründet ist: Neichen, hergeleitet aus der mittelalterlichen Bezeichnung »Hof bei den Eichen« und Kildare, was im irischen bedeutet: »Cill Dara, die Zelle oder Kirche bei den Eichen.

Diese Gemeinsamkeiten in den Namen und den Ortsheiligen waren der Anlaß, das »Unternehmen Kildare« durchzuführen, dessen geistiger Vater Pastor Ockenfels war. Als Ziel stellten sich alle Beteiligten, in Irland das ehemalige Kloster der hl. Brigida aufzusuchen und wenn möglich, von dort ein Kreuz mit nach Neichen zu bringen als sichtbares äußeres Zeichen der engen geistigen Beziehung des kleinen Struthdorfes mit dem fernen Irland. Über dem Unternehmen am 7. Oktober 1984 lag, möglicherweise von jedem Teilnehmer unterschiedlich empfunden, ein Gefühl der Ungewißheit. Der Grund dafür war weniger die Route in Staaten mit Linksverkehr, schon eher, daß wir ein gewisses Unbehagen im Hinblick auf die möglichen Beschwerlichkeiten bei den zur Reise gehörenden »Seefahrten« empfanden; der wahre Grund für die Ungewißheit war die Frage, ob wir das Brigidenkloster überhaupt finden und in welchem Zustand wir es antreffen würden? Immerhin war es bereits vor etwa 1 500 Jahren erbaut worden, und es war fraglich, ob wir ein geeignetes und transportierbares Brigidenkreuz würden mitbringen können nach Neichen.

Zum anderen bewegte uns ganz tief im Inneren die Erwartung und Ehrfurcht vor der Begegnung mit der Stätte, an der die im 5. Jhd. lebende Heilige, die inzwischen von den Iren zur Nationalheiligen erklärt worden war, ein Kloster gegründet hatte. Die Route führte mit dem Auto des Pastors Ockenfels durch Belgien und Frankreich zum Hafen von Calais. Bei ruhiger See setzten wir mit der Fähre nach Dover über, was ca. zwei Stunden dauerte. Mit Beginn der Abenddämmerung ging es dann in einer langen Nachtfahrt in nordwestlicher Richtung quer durch England bis zu dem Hafenstädtchen Feschgard, welches wir gegen 23 Uhr erreichten. Vorgesehen war, daß wir noch in der Nacht mit der Fähre nach Rosslear - in der Nähe von Dublin - übersetzen würden. Daraus wurde leider nichts, weil der Fährbetrieb im Winterfahrplan diese Fahrt nicht mehr vorsah. Wir waren also gezwungen, knapp zwölf Stunden einen unfreiwilligen Aufenthalt in Feschgard einzulegen: Erst gegen Mittag des 8. 10. konnten wir mit der Fähre nach Rosslear übersetzen. Diese Überfahrt durch die rauhe irische See dauerte vier Stunden und forderte von fast allen von uns ihren Tribut. Wir standen an der Reeling und opferten Neptun, was der Magen hergab.

Brigida-Kreuz an der Kapelle in Neichen.

Foto: Franz-Josef Ferber

An Land ging die Fahrt am Spätnachmittag weiter durch Irland Richtung Kildare, wo wir kurz vor 22 Uhr eintrafen. Die Übernachtung in einem Hotel in dem Orte brachte nicht für alle die ersehnte Erholung. Am frühen Morgen des 9. 10. 1984 machten wir uns auf die Suche nach dem Brigidenkloster. Endlich fanden wir ein Hinweisschild: »Zur Brigidenquelle«. Wir waren erleichtert und wußten nun, daß das Kloster selbst nicht mehr erhalten sein konnte. Schließlich entdeckten wir dann auch einen . Teil der Mauern des ehemaligen Klosters. Vieles von diesem einst so mächtigen Gebäude war mit Gras und Gestrüpp überwuchert. So war es nicht leicht, zwischen den Trümmern und unter dem Wildwuchs ein unseren Vorstellungen entsprechendes Steinkreuz zu finden. Nach geraumer Zeit des Suchens entdeckten wir dann aber dennoch ein geeignetes Kreuz. An der Brigidenquelle füllten wir abschließend noch alle vorhandenen Gefäße und leere Flaschen mit dem segenbringenden Quellwasser. Nachdem alles im Auto verstaut war, fuhren wir - nicht ohne wehmütige Blicke auf die Ruinen des Brigidenklosters zu werfen - von Kildare in Richtung Dublin ab.

Auf der Heimfahrt hatten wir hinreichend Gelegenheit, die eigenwillige irische Landschaft auf uns wirken zu lassen. In Dublin machten wir einen Stadtbummel, wobei wir das Leben und Treiben der dortigen Bevölkerung beobachteten. Gegen Abend setzten wir dann von Rosslear mit der Fähre Richtung Heimat über. Diesmal war die See ruhig und ohne Seekranken trafen wir gegen 22 Uhr in Feschgard ein. Eine erneute Nachtfahrt Richtung London lag nun vor uns. Diese war für uns alle eine mehr oder weniger große »Härteübung«, sowohl für den Pastor als »Lotser« als auch für den hervorragenden »Linksfahrer«. Wir ließen es uns auch trotz unserer großen Müdigkeit nicht nehmen, eine zweistündige Stadtrundfahrt zu unternehmen, wobei wir die schönsten Sehenswürdigkeiten von London gezeigt und erklärt bekamen. Von der Hauptstadt Englands fuhren wir so zeitig ab, daß wir mit der Fähre gegen 15 Uhr von Dover nach Calais übersetzen konnten. Gegen 22 Uhr trafen wir nach einer erneuten Nonstopfahrt von Calais nach Kelberg/Neichen müde aber siegreich zu Hause ein. Knappe 3 000 Kilometer wurden bei diesem Unternehmen gefahren. Ein Kompliment und ein herzliches Danke an alle Beteiligten.

Wir benötigten mehrere Tage, um in jeder Hinsicht wieder »ins Lot« zu kommen. Eine nicht alltägliche, erlebnisreiche »Expedition« lag hinter uns und keiner von uns wird diese Reise je vergessen. Anfang November 1984 wurde das Brigidenkreuz aus dem fernen irischen »Neichen« (Kildare) außen am Eingang der Neichener Dorfkapelle - mit einem neuen Sockeluntersatz - aufgestellt. Am 1. Februar 1985, dem Namensfest der hl. Brigida wurde es feierlich eingewiehen.

Möge es allzeit Dorf und Leuten Glück und Segen bringen.