Kulturkampf in Niederbettingen um 1875

Von Prof. Matthias Weber, Köln

 

Im Jahre 1897, also vor 90 Jahren wurde die prächtige Pfarrkirche in Niederbettingen erbaut und im Jahr darauf geweiht. Ihre Vorgängerin war bald nach der Erweiterung von 1828 als Zentralkirche für die zur Pfarrei gehörenden Orte Niederbettingen, Oberbettingen, Dohm, Lammersdorf und Bewingen zu klein. Heute erscheint die neuromanische Basilika, die der Volksmund liebevoll »Eifel-Dom« nennt, beim normalen Sonntagsgottesdienst eher zu groß. Die vorderen Bankreihen bleiben dann gewöhnlich »frei«. Liegt es am bundesrepublikanischen Trend? Im Mai 1987 gab die deutsche Bischofskonferenz aufschlußreiche Zahlen bekannt. Deren letztes Bezugsjahr ist 1985. Hier die wichtigsten: Zahl der bundesdeutschen Katholiken (einschließlich West-Berlin) 26,3 Millionen, kirchliche Eheschließungen 113000, Kirchenaustritte 75 000 (bisheriger Höchststand), durchschnittliche Besucher des Sonntagsgottesdienstes 6,8 Millionen bzw. 25,8 Prozent (Tendenz: weiter abnehmend). Die regionalen Unterschiede seien jedoch beachtlich1) Ein Bild des Wandels im Verhältnis der Katholiken zur Kirche, das nachdenklich stimmt.

Warum Kulturkampf?

Haben unsere Vorfahren eine solche Entwicklung bereits geahnt, als sie sich in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts eindrucksvoll kirchentreu verhielten? Im preußisch regierten Rheinland kam die katholische Kirche damals in arge Bedrängnis durch den Staat. Auch im Bistum Trier, dessen damaliger Oberhirte, Bischof Matthias Eberhard, besonderem staatlichen Druck ausgesetzt war. Worum ging es? Die Vorgeschichte ist nicht ganz einfach. Sie begann spätestens mit der entschiedenen Ablehnung etlicher zeitgenössischer Geistesströmungen, die als Frucht der Verweltlichung des geistigen und politischen Lebens den Zeitgeist zu prägen versuchten, durch die sogenannte neu-römische Bewegung unter Papst Pius IX. (1846-1878). In seiner Enzyklika (Rundschreiben) vom 8. Dezember 1864 hatte der Papst ein Verzeichnis von 80 »Zeitirrtümern« (lat. »Syllabus errorum«) veröffentlicht. Gegenstände der Verwerfung durch den Heiligen Stuhl waren Zeitströmungen wie der Pantheismus, Naturalismus, Rationalismus, Kommunismus, und Irrtümer des Liberalismus wie Fehlauffassungen über die Rechte der Kirche, die Moral, christliche Ehe. Jedoch gilt der Syllabus nicht als unfehlbare Lehrentscheidung des Papstes gemäß dem Unfehlbarkeitsdogma von 18702) Den Ton in der liberalistischen (Gegen-)Bewe-gung gab einer der bekanntesten deutschen Ärzte des 19. Jahrhunderts an, Rudolf von Virchow. Als Führer der damals im preußischen Landtag einflußreichen und von Bismarck stark beachteten Fortschrittspartei prägte er die zentralen Kampfbegriffe im Verhältnis von Staat und Kirche: »Ultramontanismus« und »Kulturkampf«.

Mit dem Reizwort »Ultramontanismus« (von lat. jenseits der Berge, sprich Alpen) meinte Virchow, den deutschen Katholiken vorwerfen zu können, sie ließen sich auch in politischen und kulturellen Dingen Weisungen von Rom erteilen und gäben dafür vaterländische Interessen auf. Er kritisierte in einer Landtagsrede die damalige fast ausschließliche Zusammensetzung des römischen Kardinalskollegiums durch Italiener ebenso, wie die Häufung italienischer Päpste. Mit »Kulturkampf« sollte zum Ausdruck kommen, daß es letztlich um geistige Werte zur Lebensgestaltung gehe. Der Kirche warf er vor, sie kenne nur noch ein Denken inDogmen (Lehr- und Glaubenssätzen) und Hierarchie (Rangordnung). So führte er in der Landtagsdebatte über den Gesetzentwurf über die »Vorbildung und Anstellung der Geistlichen« am 17. Januar 1873 u.a. aus: »Die Kirche hat ihren Wert dadurch erlangt, daß sie wirklich die Trägerin der ganzen humanen Entwicklung war, nicht als Trägerin der dogmatischen Entwicklung. Nach und nach ist es durch diese Tätigkeit der humanen Kirche, durch Klöster, Klosterschulen, durch die Geistlichen dahin gekommen, daß eine größere Menge von Personen an dem Wissen teilnahm, die Laien als gleichberechtigte Träger der Kultur sich erheben konnten, und ... von diesem Augenblik-ke an beginnt nicht nur die Ketzerei, sondern eben auch die einseitige dogmatische Entwicklung der Kirche und des Papsttums ... und ich sage Ihnen das nicht bloß, um hier mit einem Stück Gelehrsamkeit zu glänzen, sondern weil ich die Überzeugung habe, es handelt sich hier um einen großen Kulturkampf«.3)

Kirchenfeindliche Gesetze

Solche betont liberalen Ansichten fanden durchaus auch Sympathisanten im kirchlichen Lager. Im Bistum Trier waren dessen Hauptvertreter der Dompropst Karl Josef Holzer, Abgeordneter im preußischen Landtag, und der Kirchenhistoriker Franz Xaver Kraus. Gegen die gleichsam vom »Gift des Liberalismus« überzeugte Mehrheit konnten sie sich jedoch nicht halten 4) Trier war kirchen- und papsttreu. Die preußischen Bischöfe und der Klerus, hier vor allem die jungen Pastöre und Kapläne, sowie nicht zuletzt die Landbevölkerung identifizierten sich ganz »mit der kämpfenden und leidenden Kirche ... getragen von einem wachen Bewußtsein, Kirche und Gesellschaft vor dem Liberalismus schützen zu müssen.« 5)

Dieser geschlossene Block von Abwehr und Widerstand wird vollends verständlich vor dem wahren »Trommelfeuer« kirchenfeindlicher preußischer Gesetze in den frühen 70er Jahren. Hier die wichtigsten: Juli 1871 Aufhebung der katholischen Abteilung im preußischen Kultusministerium, November 1871 Kanzelparagraph (dem Strafgesetzbuch eingefügter § 130 a, der eine den öffentlichen Frieden bedrohende Erörterung staatlicher Angelegenheiten durch Geistliche in Ausübung ihres Berufs mit Gefängnis bis zu 2 Jahren bedrohte, er wurde erst 1953 in der Bundesrepublik aufgehoben), März 1872 Schulaufsichtsgesetz (nicht mehr kirchliche, sondern staatliche Schulinspektion), Juni 1872 Verbot des Jesuitenordens im Reichsgebiet, Mai 1873 (»Maigesetze«) Kulturexamen (Staatsexamen) der Priester, Verstärkung des staatlichen Aufsichtsrechts bei der Priesterausbildung, staatliches Einspruchsrecht bei der Anstellung von Geistlichen (Anzeigepflicht für die Ernannten beim Oberpräsidenten), Mai 1874 Expatriierungsgesetz (Ausweisungsgesetz aus dem Vaterland), April 1875 Sperr- und Brotkorbgesetz (Berufsverbot und Gehaltsentzug), Mai 1875 Auflösung aller kirchlichen Orden, ausgenommen reine Krankenpflegeorden6)

Kulturkampf in der Eifel

Hier gaben das Signal zum Widerstand das Jesuitengesetz vom Juli 1872 und das Gesetz über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen vom Mai 1873. Die Jesuiten mußten nun ihr Kloster Maria Laach verlassen und sich im Ausland (Diözese Roermond) eine neue Wirkungsstätte suchen und aufbauen7) Das Vorbildungs- und Anstellungsgesetz tastete in provozierender Weise die bisherige Autonomie (Selbstbestimmung) kirchlicher Ausbildung und Verwaltung an durch Unterwerfung unter staatliche Kontrolle. Bischöfe und Klerus konnten das keinesfalls hinnehmen, ihr Kampf forderte schwere Opfer. »Im Trierer Bistum haben 250 Pfarrer, Geistliche und Kapläne ihren Widerstand gegen die Maigesetze mit ein- oder mehrmaligen Geldstrafen gebüßt, etwa 100 von ihnen verbüßten zusätzlich eine oder mehrere Gefängnisstrafen von meist einigen Monaten. Die kämpferischsten unter ihnen ließen sich von dem Verbot der Amtsausübung (»Sperrung«) wenig schrecken und kehrten auf offenen oder geheimen Wegen immer wieder in ihre Pfarreien zurück. Es erinnerte an die frühe Christenverfolgung, wenn »gesperrte« Priester verkleidet durch Eifel und Hunsrückwanderten, um in ihre Pfarreien zu gelangen und die Sakramente zu spenden, von wachsamen Gendarmen und Denunzianten verfolgt, von Gläubigen versteckt, verpflegt und finanziell unterstützt. Etliche Gläubige büßten das mit Geld- und Gefängnisstrafen. Um die Kräfte des jungen Klerus nicht zu früh zu erschöpfen, verzichtete Bischof Eberhard nach 1875 auf größeren Widerstand und riet seinen »gesperrten« Priestern die Auswanderung an8)

Im Kreis Daun war die Pfarrei Niederbettingen neben Wiesbaum und Neunkirchen9' ein Schwerpunkt im Kulturkampf. Wie kam es dazu?

Maringer, ein kämpferischer Priester

Anfang Dezember 1872 hatte der 80jährige Niederbettinger Pastor Peter Heinzen nach 47jähriger Amtszeit am Ort sein Amt aufgegeben. Wegen Augenschwäche, heißt es auf seinem Totenzettel10) Nach einer Vakanz der Pfarrstelle von einem % Jahr ernannte der Trierer Bischof Eberhard den 30jährigen Priester Peter Maringer, der seit seiner Weihe im Jahr 1869 Kaplan an der Liebfrauenkirche zu Trier war, zum neuen Pastor von Niederbettingen. Die Ernennung Maringers geschah, ohne sie - wie eins der Maigesetze von 1873 bestimmte - dem preußischen Oberpräsidenten der Rheinprovinz in Koblenz anzuzeigen. Maringer stammte aus Merzig an der Saar. Hier war er am 21. April 1843 als Sohn des Schuhmachermeisters Nikolaus Maringer geboren. Bereits einen Tag nach seiner Ernennung traf Pastor Maringer in Niederbettingen ein, um die Pfarrei kennenzulernen und in der Pfarrkirche eine Messe zu feiern. Tags darauf, am 8. Oktober, schloß der Gendarm aus Hillesheim das Niederbettinger Pfarrhaus. Maringer zog bei seiner Einführung in Niederbettingen am 28. Oktober buchstäblich durch die Hintertür in seinen Amtssitz ein. Am 3. November suchte ihn hier der Hillesheimer Gendarm auf, um ihn zur Rede zu stellen.

Der Erfolg war offenbar sehr bescheiden. Zwei Tage später erschienen der Hillesheimer Bürgermeister Krämer mit dem Gendarm und vier

Feldschützen im Niederbettinger Pfarrhaus. Sie zwangen den neuen Pastor, das Haus zu verlassen. Das war ein glatter Hinauswurf aus einem Gebäude, das der Niederbettinger Pfarrgemeinde und nicht dem Staat gehörte. Ein Kirchenvorstandsmitglied aus dem Nachbarort Oberbettingen gewährte dem nun obdachlosen Pastor Unterkunft in seinem Bauernhaus. Für die erforderliche Verpflegung sorgten die Pfarrkinder. Das verlief reibungslos bis zum 23. November 1873. Da erschien aus Daun der königliche Landrat Eich. Vier Stunden war er zu Pferd geritten, um in Niederbettingen den widerspenstigen Pastor zu »sperren«, das heißt, ihm die Amtsausübung als Pfarrer zu verbieten. Zwischen den beiden ungleichen Würdenträgern kam es zu einem lebhaften Wortwechsel11) Der Trierer »Paulinus« berichtet darüber in seinem ersten Jahrgang 1875 (Ausgabe vom 14. 3.) u.a.: »Als der Landrat von Daun zur Sperrung nach Niederbettingen geritten war, erklärte ihm Herr Maringer, daß er nicht begreife, wie er mit Gewalt aus dem Pfarrhaus habe ausgewiesen werden können, da dasselbe doch reinstes Eigentum der Gemeinde sei und es auch der innigste Wunsch der Gemeindemitglieder wäre, daß er als Pastor in ihrem Pfarrhause wohne. Er habe schon deshalb eine Beschwerdeschrift an das Königliche Landratsamt richten wollen. - Da antwortete der Landrat: »Das hätte nichts genützt, die Schrift wäre in den Papierkorb gewandert.« »Wieso? Ist die Gemeinde nicht Herr über ihr Eigentum?« fragte Herr Maringer. »Das muß ich besser wissen, wie sich das verhält, denn die Sachen habe ich studiert«, war die Antwort. - »Nun die katholischen Bischöfe und Priester haben auch ihre Sachen studiert, darum müssen auch sie besser als andere wissen, was katholischer Glaube ist, und was sie zu tun und zu lassen haben«, erwiderte Herr Maringer12)

Erste Haft und Rückkehr

Zwei Tage später wurde Pastor Maringer zum Bürgermeisteramt nach Hillesheim bestellt; »wegen Einbruch ins Pfarrhaus«, hieß es in derVorladung12) Maringer ging einfach nicht hin. Danach folgten Vorladungen aus und nach Trier, Verurteilungen zu Geldstrafen und schließlich zu Gefängnishaft. Vom 9. bis 15. Februar 1874 saß Pfarrer Maringer erstmals in Trier im Gefängnis, in dem alten Dominikaner-Kloster St. Domingo. Maringers Treue zu seinem Bischof und seiner Kirche sollten hier gebrochen werden. Es wurde nichts daraus. Als der Pastor ungebeugt in die Eitel zurückkehrte, bereiteten ihm sein Bettinger Pfarrkinder einen regelrechten »großen Bahnhof«. Ein unbekannter Zeitgenosse, vermutlich Pfarrkind Maringers, berichtet darüber in recht anschaulicher Sprache wie folgt: . . .

Donnerstag, den 19. Februar, Tag nach Aschermittwoch, kehrte Herr Pastor Maringer von Niederbettingen aus seiner ersten, 6tägi-gen Haft zurück. Tag und Stunde waren den Pfarrkindern bekannt, nicht aber, wie es schien, den Behörden. An diesem Donnerstag war großer Viehmarkt im benachbarten Hilles-heim und die Gendarmen von Hillesheim und Gerolstein waren löblich bemüht, die Ordnung auf dem Viehmarkt aufrechtzuerhalten. Als nun gegen 10 (Uhr) aus der Remise eines Gasthofgebäudes eine Kutsche fuhr, geputzt aufs Beste, die Pferde mit farbigen Bändern geschmückt und die Kutsche den Weg zum Bahnhofe Hillesheim (Bahnhof Oberbettingen) einschlug, ward der Herr Bürgermeister Kraemer von Hillesheim stutzig, er sah die bunt geschmückten Pferde und fragte nach deren Zweck. - Eine innere Stimme sagte ihm, daß wahrscheinlich der Pastor von N. mit dieser Kutsche vom Bahnhof abgeholt werden solle. Die Gendarmen suchen und sie stehenden Fußes auf den Bahnhof schicken, war das Werk eines Augenblicks. Die beiden Gendarmen von Hillesheim und Gerolstein lassen die Käufer und Verkäufer und deren liebes Vieh stehen, und laufen eilig dem 1/2 Stunde entfernten Bahnhofe zu; es war die höchste Zeit, denn der Zug nahte. Der Pastor stieg aus und fand zu seiner Begrüßung auf dem Perron des Bahnhofes die beiden Gendarmen. Jedermann war das Betreten des Perron's verboten; die Pfarrkinder standen zu Hunderten auf der benachbarten Wiese. Alle Schulkinder, die Kommunikanten in ihren Festkleidern waren mit Guirlan-den erschienen. Der Gendarm erklärte sogleich, daß er das Bilden einer Prozession als gegen das Vereinsgesetz verstoßend betrachte, der Pastor erließ deshalb die Weisung, ruhig und still vor oder neben der Kutsche zu gehen. Er selbst stieg in den Wagen, die beiden Gendarmen dahinter. Da, von der Höhe des Gebirges ein Schuß, ein zweiter, ein dritter, die Gendarmen setzten sich in Attaque gegen diese Batterie. Die tapfern Schützen aber nahmen ihre kleinen Kanonen auf die Schultern und flüchteten in's Gebirge. Man kam zur Kirche. Dort wurde der Herr Pastor von den Kindern mit einem Gedicht begrüßt und mit dem Lied »Großer Gott« zog man in die Kirche ein. Die kleine Anrede des Pastors hatte zur Einleitung das Wort des heiligen Chrysostomus, als dieser aus der Verbannung kam, »Wir danken Gott für Alles« und schloß mit dem Gedanken »So fest die Eifelberge stehen in ihren Festen, so fest wollen und werden wir stehen in unserm Glauben14)'«.

 Ausschnitt aus dem »Dauner Kreisblatt« von 1874.

Repro: Foto Pusch in Köln

Zweite Haft und Ausweisung

Diese Ansprache in der Kirche trug Pfarrer Maringer abermals eine Vorladung nach Hillesheim ein: »wegen Verletzung des Kanzelparagraphen«. Die zehn Böllerschützen erhielten je eine Woche Gefängnis in Trier. Vom 18. März bis zum 18. April 1874 mußte auch Pastor Maringer wieder ins Gefängnis nach Trier. Bei diesem zweiten Aufenthalt war Bischof Eberhard sein Zellennachbar. Maringer begleitete seinen Bischof auch beim »Hofgang«15) Nach seiner Rückkehr nach Niederbettingen, pfändete man hier seine Habe. Kirchentreue Pfarrkinder ersteigerten sie jedoch und überließen sie wieder »leihweise« ihrem Pastor. Im Juni 1874 gab ein Hillesheimer Polizeidiener in Niederbettingen bekannt, in Hillesheim finde die Wahl eines neuen Niederbettinger Pastors statt, »und daß alle Pfarrkinder sich zur Wahl einfinden sollten«16) Am Sonntag darauf, es war der 5. Juli, hielt der »rechtmäßige Pfarrer eine passende Christenlehre über das Autoritätsprinzip in der katholischen Kirche, besonders über die Frage: »Wer ernennt die Priester?«17) Bei der Wahl in Hillesheim kam nichts heraus, es fehlten die Wähler. Die Reaktion der Behörden ließ jedoch nicht lange auf sich warten. Am 22. Juli 1874 teilte der Hillesheimer Bürgermeister Krämer dem Niederbettinger Pastor mit, er sei aus dem Regierungsbezirk Trier ausgewiesen. Nun begann Maringers »Nomadenleben«. Ständig war er auf der Flucht. Bald nach Stadtkyll und Jünkerath, bald nach Linz und Mayen, nach Adenau, Remagen und Bonn, nach Koblenz, Oberwesel und Rheinböllen. Der Wald war ihm ein lieber Freund und Schützer, alle Trachten, die tragbar waren, mußten ihm helfen18)

Dennoch wurde er noch einige Male verhaftet. So am 29. August, gleich nach dem Hochamt in Niederbettingen. Seine neue Ausweisungsroute verlief über Hillesheim, Daun, Manderscheid, Wittlich, Bernkastel nach Rhaunen, mit kurzen Aufenthalten im jeweiligen örtlichen Gefängnis. Allerheiligen weilte Maringer wieder bei seinen Pfarrkindern in Niederbettingen, nachmittags mußte er in den Wald flüchten. Beichte hörte er meistens nachts. Am 14. November ergriff ihn der Hillesheimer Gendarm auf dem Trierer Bahnhof und brachte ihn nach Kirn. Von dort aus wandte sich der gehetzte Priester nach Sevenich. Hier übergab ihm der Bürgermeister von Castellaun auch seine Ausweisung aus dem Regierungsbezirk Koblenz. Dennoch tauchte Maringer Weihnachten wieder in Niederbettingen auf, mußte sich jedoch schnell verstecken und entfernen. Diesmal ging er nach Blankenheim. Kurze Zeit später war er in Montigny bei Metz. Am 8. Januar 1875 erreichte ihn schließlich die Ausweisung aus dem Deutschen Reich.

Totenzettel für Priester Maringer, aus dem Pfarrarchiv Niederbettingen.

Repro: Foto Pusch in Köln

Auswanderung und Exil

Nun blieb dem Verbannten nichts anderes übrig, als auszuwandern. Sein erstes Exil wurde für drei Monate Luxemburg. Von dort ging er nach Frankreich. Hier blieb er zwei Jahre und bekleidete am College S. Caprais in Agen eine Dozentenstelle 20) Aus Agen schrieb er am 7. Mai 1876 einen vierseitigen Brief an die »lieben Erstkommunikanten seiner Pfarrei Niederbettingen«. Darin heißt es zu Anfang: »Als ich vor 2 Jahren zum ersten Male das Glück hatte und die Freude, am hl. Pfingstfeste Pfarrkinder des Jahres 1874 zur ersten hl. Kommunion zu führen, und Ihr werdet Euch der Feierlichkeit noch erinnern, da hatte ich für meine Predigt den Vorspruch »Und die beiden Jünger fragten Jesus, Meister, wo wohnest du? Jesus aber sprach: Kommet und sehet.« Und sie blieben die ganze Nacht bei ihm. - Meine lieben Erstkommunikanten. Welche Freude und welche himmlische Begeisterung haben die beiden Jünger in dieser Nach in diesem Gespräch mit Jesus gehabt. In ihrem ganzen Leben haben sie diese Nacht nicht mehr vergessen, sie verließen Alles und folgten Jesus nach. ... Meine lieben Erstkommunikanten, hat denn Jesus in diesem Jahre nicht auch mit Euch so gethan? Von Jugend auf habt Ihr diese Liebe Gotts kennen gelernt. Er gab Euch zwar nicht reiche Paläste, Eure Eltern sind keine hohe reiche Fürsten oder Grafen, nein sie sind einfache Landleute, aber er gab Euch Etwas, was mehr ist als ein Fürstenkind oder Königskind zu sein; er gab Euch katholische Eltern und Euch den kathol. Glauben, und dadurch seid Ihr Kinder Gottes, ihr seid auch Königskinder, nämlich die Kinder des höchsten Königs im Himmel und auf Erden. ...« 21)

Auf die Exiltätigkeit in Frankreich folgten sieben Jahre Arbeit (1877-1884) als Missionsgeistlicher in England. Zunächst in Bolton, dann in Westhoughton in der Diözese Salford 22)

Begnadigung, Wende und Ende

Im Oktober 1884 wurde Pastor Maringer nach Hjähriger Verfolgung durch die preußischen Behörden im Rheinland begnadigt. Seine Verbannung war damit zu Ende. Er kehrte bald nach Deutschland zurück. Allerdings nicht in die preußische Eifel, nach Niederbettingen, wo seine Pfarrstelle bis dahin vakant geblieben war, sondern in das weitgehend katholische Königreich Bayern 23)

In der Diözese Regensburg wirkte er einige Monate als Kaplan. In Niederbettingen wurde die Pfarrstelle im gleichen Jahr (1884) durch Pastor Dr. Karl Georg Graacher besetzt 24) Er war der unmittelbare Vorgänger des legendären Niederbettinger Kirchenerbauers, Pfarrer Joseph Pfeifer 25)

Pastor Maringer konnte die allmähliche Entwicklung des neuen Kirchenfriedens auf deutschem Boden unbehelligt, aber doch gesundheitlich schwer angeschlagen, mitbeobachten. Was er etwa darüber gedacht hat, als er in der Zeitung lesen konnte, daß der protestantische Reichskanzler Fürst Bismarck den katholischen Papst Leo XIII. zum außenpolitischen Schiedsrichter im sogenannten Karolinenstreit zwischen Deutschland und Spanien machte und der Papst gleichsam im Gegenzug Bismarck mit dem Christusorden auszeichnete 29) wissen wir leider nicht. Pfarrer Maringer war ab 1885 wieder als Seelsorger im Rheinland tätig. Zunächst in Neustadt an der Wied (1885-1889), dann in Niederspay (1889-1898) und schließlich in dem Dorf Franken (1898-1905). Am 12. November 1905 starb er im Dominikanerinnenkloster Moselweiß, wo er Stärkung seiner Gesundheit gesucht hatte, im Alter von 62 Jahren.

Anmerkungen

1) o. Vf., Höchste Zahl von Kirchenaustritten, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Ausgabe v. 21. 5. 1987, S. 4

2) Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Band 23, Mannheim 1978, S 86

3) zit. n. Franz-Willing, Georg, Kulturkampf gestern und heute, Eine Säkularbetrachtung 1871-1971, München 1971,  S. 9

4) Rothenberger, Karl-Heinz, Der Kulturkampf im Trierer Land, in: Beiträge zur trierischen Landeskunde, ..., Trier 1979, S. 226

5) Ders., a.a.O. S. 227

6) Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Band 14, Mannheim 1975, S. 440

7) Rothenberger, a.a.O. S. 227

8) Ders., a.a.O. S. 228

9) Blum, Peter, Entwicklung des Kreises Daun,..., Daun 1925, S. 270

10) Pfarrarchiv Niederbettingen, Totenzettel v. Pfarrer Peter Heinzen

11) Kammer, Karl, Trierer Kulturkampfpriester,..., Trier 1926, S. 114 f

12) zit. n. Pfarrbrief Niederbettingen, Nr. 17/18, Niederbettingen 1976

13) Kammer, a.a.O. S. 115

14) Pfarrarchiv Niederbettingen, handschriftlicher Bericht v. 12.3.(1874?), o.Vf.

15) Kammer, a.a.O. S. 115

16) Ders., a.a.O. S. 116

17) Ders., a.a.O. S. 116

18) Ders., a.a.O. S. 116

19) Ders., a.a.O. S. 117

20) Ders., a.a.O. S. 117 a3

21) Pfarrarchiv Niederbettingen, Brief, v. Pfr. Peter Maringer v. 7.5.1876

22) Pfarrarchiv Niederbettingen, Brief d. Neffen v. Pfr. Maringer an • Pastor Friedrich Billen, aus Beilstein/Mosel, o. J. (um 1935?)

23) Kammer, a.a.O. S. 117

24) Schug, Peter, Geschichte der zum ehemaligen kölnischen Eifelde-kanat gehörenden Pfarreien der Dekanate Adenau, Daun, Gerol-stein, Hillesheim und Kelberg, ..., Trier 1956, S. 378

25) Weber, Matthias, Pastor Pfeifer - der Niederbettinger Kirchenbauer, in: Jahrbuch des Kreises Daun 1977, S. 46 ff.