Wer die Heimat liebt,

wird nicht schlecht von ihr reden

Theo Pauly. Gerolstein

Vor einigen Jahren hat ein junges Mädchen aus der Struth zum Abschlussexamen der Pflegevorschule eine Jahresarbeit vorgelegt mit dem Titel: "Mein Heimatort Beinhausen mit seiner Umgebung«. Die Arbeit schließt mit folgendem Bekenntnis: "Da ich in Beinhausen aufgewachsen bin, fühle ich mich auch sehr wohl in dem Dorf. Ich freue mich, wenn ich von der Arbeitsstelle nach Hause komme, über den Frieden und die Ruhe, die in Beinhausen herrschen. Manchmal ist es zwar langweilig und einsam, aber ich sehne mich auch danach. Wenn ich den Nachbarn helfen kann, freue ich mich. Wenn ich mir vorstelle, wie einsam doch die Leute in der Stadt leben - neben einem Nachbarn, ohne ihn zu kennen! Man kann die Heimat nicht vergessen, auch wenn man sich in der Ferne wohl fühlt. Wer die Heimat liebt, wird nicht schlecht von ihr reden.«

Als ich das las. stellte sich mir die Frage: Kann man schöner, besser über seine Heimat »reden«, als es das damals sechzehnjährige Mädchen aus Beinhausen in den wenigen Sätzen des Schlusskapitels seiner - Jahresarbeit -getan hat ?! Für mich wird darin die innige Verbundenheit zum Heimatort deutlich, Heimatliebe im wahren und klaren Sinn des Wortes. Aber, verstehen wir alle das gleiche unter dem Begriff »Heimat«? Und schon fällt es mir schwer zu erklären, was der Begriff für mich selbst bedeutet. Natürlich heißt Heimat zunächst einmal Geborgenheit; Geborgenheit in der Familie, in vertrauter Umgebung. Niemand kann sich Eltern, Geschwister, Familie aussuchen; er wird hineingeboren. Und schon entsteht ein kompliziertes Beziehungsgeflecht, das für den Säugling und das Kleinkind zunächst eine gegebene Konstante darstellt. Wir wissen, dass es in stetem Wandel und Wachstum begriffen ist. Der Säugling, das Kleinkind fügt sich mehr oder weniger geschickt und gekonnt in das Geflecht ein und weiß gar nicht, wie sehr er, der zunächst noch orientierungslose, unfertige Mensch, dieses Gefüge beeinflusst. Mit der Zeit lernt er, Regeln zu erkennen und zu beachten, sich an ihnen zu orientieren; er entwickelt Fertigkeiten, die sein Verhalten im Beziehungsgeflecht steuern. Und er richtet sein Verhalten so aus, dass es ihm möglichst wohl ergeht. So entsteht das Gefühl der Geborgenheit, da fühlt sich der Mensch »daheim«. Geborgenheit zunächst im Schoß der Familie, ich denke, das ist die Normalität. Das Umfeld wird weiter, größer. Bald erkennt das Kind »sein« Haus aus allen anderen heraus, das Haus, in dem es mit seiner Familie wohnt, in dem es - daheim - ist. In den anderen Häusern leben und wohnen auch Menschen; die sind dort daheim. Und dennoch sind es nicht Fremde, jedenfalls nicht im überschaubaren Bereich eines kleinen Dorfes. Es wird allmählich insgesamt zur - Heimat -, das Dorf und die Umgebung, in der es existiert. Hier ist dem Kind bald alles so vertraut, dass es jeden und jedes, was ihm je sonst begegnet, damit vergleicht: Menschen, Tiere, Landschaft. Und alles, was anders ist, was anders aussieht, was sich anders verhält, was anderswo zu finden ist - und gliche es dem, was man kennt, wie ein Ei dem anderen -. ist nicht Heimat, ist fremd; Fremde! Demnach muss - Heimat - mehr sein! Zu ihr gehört selbstverständlich die »heimische" Landschaft, gehören Menschen, die dort leben, gehören aber auch ihre Lebensgewohnheiten, ihre Sitten und Bräuche, die Traditionen, das Wissen um die Herkunft, um die Geschichte: zur Heimat gehört immer und in jedem Fall die Kultur.

Ich weiß, dass ich mit diesen wenigen Überlegungen nicht hinter meinen persönlichen Heimatbegriff gekommen bin, dass ich nur weitere Fragen aufgerissen habe. Aber irgendwie ist mir, während ich diese Gedanken niederschreibe, bewusst geworden, dass man -Heimat- einfach nur mit dein Herzen begreifen und erfahren kann, dass der Intellekt zwar eine ganze Menge von Faktoren aufzulisten imstande ist, die alle dem Begriff zuzuordnen sind, dass aber HEIMAT mehr ist, als eine Begriffsdefinition. Dies hat auch das Mädchen aus Beinhausen zumindest gespürt und darum erst gar nicht versucht, den Begriff »Heimat«' zu beschreiben. Aber es hat Dinge ausgesagt, die trefflich beweisen, dass es HEIMAT in seinem Herzen verinnerlicht, und so will ich einzelne seiner Aussagen über das, was es zu seinem "Heimatort Beinhausen mit seiner Umgebung" sagte, mit seiner Einwilligung hier wortgetreu wiedergeben. Mag ein jeder selbst ein Bild dazu und davon machen.

»Struth ist ein Ausdruck, den viele nicht kennen, doch für mich ist es ein Inbegriff, da er doch meine Heimat anspricht." »Die Struth - wie auch fast die gesamte Eifel -war von alters her ein dünn besiedeltes Gebiet, der Boden karg und dürftig. Industrie war kaum vorhanden und das Fremd enge werbe hat erst in den letzten Jahren einen merklichen Aufschwung erlebt.«

»In früheren Jahren war es bitter und hart ( das Leben in der Eifel. Der Verf.); früher mussten die Einwohner meiner Heimat zum Broterwerb in die Industriegebiete oder zu den Großbauern im Maifeld oder Niederrhein. Viele sind dort geblieben und haben eine neue Heimat gefunden. Sie selbst, und vor allem ihre Kinder und Freunde kommen oft und gern in die Heimat zurück. Sie wollen ausspannen und Ruhe finden vor dem Trubel der Stadt; sie wollen neue Kräfte sammeln für den unruhigen und harten Arbeitstag. «

»Die Dörfer unserer Pfarrei, und vor allem ihre Einwohner, waren seit Menschengedenken katholisch. Nicht nur nach dem Buchstaben, oh nein, die Religion bestimmte alles Sein und Denken von früh bis spät.«

"Unsere Pfarrkirche liegt einsam und allein auf dem Berge Hilgerath. Fast könnte man glauben, der Dichter habe unsere Kirche besungen mit dem Lied >Droben steht die Kapelle...'. Stimmt doch alles andere auch, der Hirtenknabe im Tal und die Gräber da droben!«

"Der Friedhof ist ein Spiegelbild der Gläubigkeil der Menschen; denn ohne Glauben an ein Leben nach dem Tod wäre eine Blume, die auf dem Grab blüht, gänzlich ohne Symbol. Es gibt wohl kaum eine Stunde im Sommer, in der nicht irgendein Angehöriger das Grab der Seinen in Ordnung hält. Am Grab wird dann ein stilles Gebet für die Seelenruhe dieser Tölen gesprochen. Der Tod hat für die alten Menschen in meiner Heimat jeden Schrecken verloren. Sie stehen im Leben und warten auf den Tod, der ja alle einmal heimrufen wird.«

»So rufen die Glocken die Gläubigen das ganze Jahr hindurch zu den Gottendiensten verschiedenster Art. Von der Wiege bis zur Bahre rufen sie uns und läuten auch unseren Grabgesang ein.«

»Die auswärts wohnenden Familienmitglieder suchen zur Kirmes das Elternhaus auf; auch liebe Verwandte werden zur Kirmes eingeladen. Der Abend bringt dann für die Jugend bei Tanz und Frohsinn den Höhepunkt des Festes; bei einer solchen Veranstaltung lernt man viele neue Freunde kennen, auch alte Bekannte sieht man nach langer Zeit wieder. Bei Tanz und Fröhlichkeit ist für ein paar Stunden der mehr oder weniger träge Alltag vergessen.«

»Nicht alles, was uns die Neuzeit und die Technik gebracht hat, ist zu verdammen. Die älteren Menschen in meiner Heimat sprechen noch oft von den -Alten Zeiten«. Auch von den alten Sitten und Gebräuchen, welche dem Alltag weichen mussten, erzählen sie noch oft und gerne. Viel altes Kulturgut droht verloren zugehen, weil die heutigen Menschen in anderen Dimensionen denken und zum Teil dazu gezwungen werden.«

»Die Natur ist es auch, welche dem Bewohner der Struth ein besonderes Gesicht gibt, ist doch der Mensch hier ganzjährig von der Natur, ihren Gegebenheiten und ihren Unbilden abhängig. Die harte und rauhe Luft der Eifel hat auch den Eifler zu einem festen und unbeugsamen Charakter geformt, doch freundlich und gutmütig in seinem Wesen.«

"In den frühen Jahren war der Gespensterglaube sehr lebendig. Heute wird dies alles als Aberglaube abgetan und abgelehnt. Man hat schon sehr viel gelernt, auch, nur das zu glauben, was bewiesen ist.«

»Heute kann man in den meisten Fällen den Eifelbauern nicht mehr an der Kleidung erkennen. Woran er zu erkennen ist, und das kann wohl nicht als abträglich gewertet werden, ist sein Fleiß, seine Geradlinigkeit und Treue seinem Arbeitgeber gegenüber.«

Im übrigen haben die Leute hier ihren Lebensstandard verbessert, was aber nicht heißen kann, dass alles getan ist. Es gilt zwar nicht mehr der Slogan vom >dummen Eifelbauern', doch ist das Einkommen pro Kopf noch niedriger als in anderen vergleichbaren Gegenden. Der Mensch in der Eitel, und besonders in der Struth, möchte auch die Heimat nicht aufgeben. Eine starke Verbundenheit zum heimischen Herd und eine tiefe Liebe eben an das Vaterhaus zeichnen ihn aus."