Schwerpunktthema - Kinderspiele

Kinderspiele im Jahreslauf
- früher und heute

Matthias Thömmes, Philippsheim

Frühling und Sommer

Spiele gehören für die Kinder - gleich welcher Generation -zu den fröhlichsten Stunden ihres Daseins. So, wie aber alles dem Wandel der Zeit unterworfen ist, gerieten viele alte Spiele in Vergessenheit oder haben in abgewandelter Form überlebt. Im Gegensatz zum heutigen Spielangebot, wie beispielsweise Fernsehen, Computerspiele, elektronische Spiel- und Musikgeräte, mussten in früheren Zeiten die Spiele durch ideenreiche Einfälle und Kreativität spannend und interessant gestaltet werden.
Viele der jugendlichen Spielbetätigungen richteten sich nach den Jahreszeiten. Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Regen, Schnee und Sonnenschein waren daher bei der Spielauswahl in großem Maße ausschlaggebend. So spiegelten sich in diesen Spielen auch die Jahreszeiten wieder. Es begann im Frühling.
Kaum hatte die warme Märzsonne den nahenden Frühling angekündigt, waren die Kinder draußen und spielten im Sonnenschein, froh, diedunkle Stube verlassen zu können. Die Mädchen übten Seil- springen, die Jungen trieben mit der selbst gebastelten Peitsche ihren Kreisel (Dilldopp. Dudeldopp) über die Straße. Seilspringen konnte man mit einem kurzen Seil alleine, aber auch zu mehreren mit einem längeren. Hier machten dann oft auch die Jungen mit, indem zwei an beiden Enden das Seil schwangen und die anderen hüpften. Wer stolperte, musste ausscheiden. Sehr beliebt war seinerzeit das Hippelhäuschenspiel (Hippelheisjen). Dazu wurde ein bestimmtes Kästchenmuster auf die Straße gezeichnet, das durchhüpft werden musste. Jedes Kästchen erhielt den Namen eines Wochentages.

Nun warf man einen flachen Stein oder eine Keramikscherbe in eins der Kästchen, die dann der Reihe nach durchhüpft wurden. Warf man daneben oder trat auf die Begrenzungslinie, musste man ausscheiden. Letzteres war schneller geschehen als man dachte, denn das Feld, in dem der Stein lag, musste übersprungen werden. Wie die Zeichnungen zeigen, gab es zwei Versionen von Feldmustern:
Man konnte diese Hüpfspiele in zahlreichen Varianten ausüben, beispielsweise, indem man die Scherbe auf den Fuß legte und damit vorsichtig die Häuschen durchschritt (sie durfte nicht herunterfallen) oder sie rückwärts warf usw.Das Spiel war auch unter dem Namen „Himmel und Hölle“ bekannt.
Liebenswert waren auch die Reigenspiele der Mädchen. Die Kleinen spielten ,,Häschen in der Grube“ und sangen dazu:

„Häschen in der Grube saß da und schlief! Armes Häschen bist du krank, dass du nicht mehr hüpfen kannst. Has’ hüpf, Has’ hüpf!”
Oder: Ringel, ringel Rosen,
Butter in die Dose...;
Ringlein, Ringlein, du musst wandern...;

Es tanzt ein Bibabutze-mann...;
Dornröschen war ein schönes Kind...;

Von den Größeren hörte man:

Rote Kirschen ess’ ich gern,
schwarze noch viel lieber.
In die Schule geh’ ich gern,
alle Tage wieder.
Platz gemacht, Platz gemacht
für die jungen Damen.
Saß ein Kuckuck auf dem
Dach, kam der Regen, macht’
ihn nass,
kam der liebe Sonnenschein,
diese, diese muss es sein!
oder: Ist die schwarze Köchin
da...;
Droben im Tiroler Land...;
Dreht euch nicht um, der
Plumpsack geht um...

Man spielte Verstecken und Fangen. Mit Abzählreimen wie „Ich und du, Müllers Kuh, Müllers Esel, das bist du“ wurde bestimmt, wer suchen oder fangen musste. Die Abzählreime wurden auch bei anderen Spielen angewandt. Es wurde „Band geschoben“ (Bandscheiwen) mit eisernen Wagenreifen, Fahrradfelgen oder sogar ausgedienten Autoreifen. Diese wurden mit einem Stock vorwärts getrieben und durch seitliches Anhalten des Stockes gelenkt. Hierzu gehörte einiges Geschick, denn sonst machte sich der Reifen selbstständig und war besonders bei abschüssigen Straßen nicht mehr zu bremsen.
Stand die Natur in voller Blüte und Baum und Strauch in vollem Saft, bot sich eine Fülle weiterer Beschäftigungen an. Löwenzahn und Wiesenschaumkraut ergaben herrliche Blumenkränze, und der hohle Stiel des Löwenzahns wurde zu allerlei Basteleien verarbeitet. So konnte man sie ineinander stecken und Ketten daraus machen. Aufgeschlitzt ergaben sich allerhand Muster oder ein Blasinstrument, „Häp“ genannt. Die Mädchen flochten aus den steifen Binsenhalmen sogenannte Katzenstühlchen: Aus einem armdicken, etwa 30 cm langen Stück Holunderast konnte man einen Schussapparat basteln, indem man das Mark herausbrannte und einen in diese Röhre passenden Stößel aus Eichenholz zurechtschnitt. Vorne wurde

Zeichnungen: Oswald Thömmes, Wallenborn

nun die Öffnung mit einem aus durchnässtem Papier bestehenden Korken luftdicht abgeschlossen. Dieser konnte dann mit dem Stößel von hinten mittels des im Inneren entstehenden Luftdrucks mit lautem Knall abgeschossen werden. Dieses Schießgerät war auch als Wasserspritze zu benutzen.
Das Spiel mit Pfeil, Bogen und Steinschleuder wurde ebenso gepflegt wie die verschiedenen Ballspiele, obwohl nicht immer ein Ball vorhanden war. Doch da wusste man sich zu helfen, indem man sich selbst einen Ball mittels einer Schweinsblase oder eines gefüllten Strumpfes zurechtbastelte. Das Ballspiel der Mädchen hatte viele Varianten. Man warf den Ball mit den Händen gegen ein Scheunentor, von wo er zurücksprang oder köpfte ihn dagegen. Komplizierter waren Würfe hinter dem Rücken durch in Kombination mit Kopfbällen usw. Bei den Jungen war neben dem Fußball- das Schlagballspiel sehr beliebt. Dabei spielten zwei Parteien gegeneinander, eine im Feld, die andere hinter einem Mal. Die hinter dem Mal stehende Partei schlug einen Tennisball ins Feld und schickte anschließend einen Läufer los, der von der im Feld stehenden Gegenpartei abgeworfen werden musste (heutiges Baseball).

Herbst und Winter

Wenn die letzten Felder abgeerntet waren und der Wind über die Stoppelfelder wehte, ließ man - wie auch heute noch - den Drachen steigen. Allerdings gab es diese nicht in der bunten heutigen Formen- und Farbenvielfalt zu kaufen, sondern man musste sie sich selber basteln. Dabei war natürlich die Fantasie der Kinder gefordert, wobei meist auch der Vater noch mithalf. Meistens waren diese Drachen trapezförmig aus buntem Papier gebastelt, eventuell mit einem aufgemalten Gesicht und einem langen Schwanz aus Papierstücken, der für die Stabilität sorgte. Heute gibt es Drachen in vielen Formen und Farben zu kaufen. Da sieht man beispielsweise Flugzeuge, Tiere, Vögel oder auch kastenförmige Drachen am Herbsthimmel schaukeln. Der Spaß am Drachenfliegen aber ist geblieben.
Nicht alle aufzuzählen sind die Spiele beim Viehhüten. Besonders im Herbst, wenn die Felder abgeerntet waren und die Grenzen zum Nachbargrundstück nicht mehr so streng beachtet werden mussten, tat sich ein großer Freiraum auf. An erster Stelle stand natürlich das Feuer, in dem Äpfel, Birnen, Kartoffeln, ja sogar selbst gefangene Kleinfische und Forellen gebraten wurden. Das Fische-fangen ohne Angel war eine besondere Kunst. Die glatten Forellen wurden mit der bloßen Hand geschnappt, eine Fähigkeit die Kenny Lachmann besonders beherrschte. Hüttenbauen aus Ästen und Zweigen waren ebenso beliebt wie das Wasserräderbasteln in der Nähe eines Baches.
Zahlreich waren die Nachlauf- und Fangspiele, worunter das Spiel „Räuber und Gendarm“ besonders beliebt war und in den nahen Wäldern ideal auszuführen war. Diese Spiele konnte man natürlich auch im Heimatdorf durchführen. Dann tobten die Kinder durch alle Straßen, Gassen und in alle Ecken. Bei Regenwetter war es bei den Jungen sehr beliebt, aus Kiefernborke kleine Schiffchen zu schnitzen und diese dann in den mit viel Wasser gefüllten Straßenrinnen bergab flitzen zu lassen. Die selbst gebastelten Wasserräder postierte man in kleine Rinnsale und erfreute sich dann am flinken Drehen des Rades. Nicht nur im Herbst liefen die Jungen auf selbst gebastelten Stelzen. An zwei Stangen -meistens Bohnenstangen -wurden je nach Mut in gewisser Höhe Trittbrettchen angebracht. Auf diese stieg man auf und versuchte sich vorwärts zu bewegen. Man musste dazu schon einiges Geschick aufbringen. Anfänger fertigten sich ein stelzenartiges Gebilde aus zwei Konservendosen, an die Halte-schnüre angebracht wurden. Das war für jüngere Kinder ein gefahrloses Gehen. Musikinstrumente waren rar, und so wurde das Singen wie folgt musikalisch untermalt: Man umwickelte einen Kamm mit Butterbrotpapier o.ä., setzte diesen an die Lippen und summte die Melodie durch den Kamm. Mit welchem Erfindungsgeist damals häusliche Spiele erdacht wurden ist bewundernswert. Nicht nur Vater bastelte Autos, Eisenbahnen, Puppen und die zugehörigen Puppenstuben mit sämtlicher Einrichtung, auch die Kinder erfanden eigene Spiele. Wenn Mutter Äpfel und Birnen schälte, benutzten sie die abgeschnittenen Birnenköpfe mit dem Stiel zum Soldatenspiel, indem sie diese in Reih und Glied aufstellten und marschieren ließen. Die fehlenden Brettspiele wie Mühle und Dame wurden auf Karton gezeichnet und die dazugehörigen Figuren aus Kartoffeln geschnitzt oder durch Knöpfe ersetzt. Ein heute fast vergessenes Brettspiel war die „Wolfsmühle“, das wir seinerzeit in Wallenborn spielten. Zwei aus Kartoffeln geschnitzte oder aus größeren Spielsteinen bestehende „Wölfe“ wurden auf die beiden oberen Ecken des Spielfeldes gesetzt, während 15 aus kleineren Figuren bestehende „Schäfchen“ auf die unteren drei Reihen postiert wurden. Nun musste der Spieler mit den Schäfchen versuchen, durch Züge diese in den oberen dreieckigen Stall zu bringen. Der Spieler mit den Wölfen versuchte nun durch Überspringen, die vorrückenden Schäfchen zu „fressen“. Gelang es dem Spieler mit den Schäfchen, den Stall vollständig zu besetzen, hatte er gewonnen. Konnte der Spieler mit den Wölfen jedoch so viele Schäfchen fressen, dass der Stall nicht mehr vollständig besetzt werden konnte, hatte dieser das Spiel für sich entschieden. Traktoren entstanden aus einer leeren Zwirnrolle, einem Holzstäbchen und einem schmalen Stück Fahrradschlauch. Mit diesen einfachen Spielgeräten konnten sich die Kinder stundenlang die Zeit vertreiben. In den Wintermonaten, wenn Eis und Schnee die Natur in winterliches Weiß verwandelt hatten, gab es für Kinder und Jugendliche kein Halten. Nun kamen - wie auch heute noch - Schlitten, Schlittschuhe und Skier zum Einsatz. Rund um die Dörfer waren dann die Hänge belebt mit Schlitten-und Skifahrern. Beliebt waren auch die Schlittenbahnen auf den Straßen der Ortschaften, wenn diese genug Gefälle hatten und die damals noch autofrei waren. Besonders am Abend herrschte dann Hochbetrieb. In halsbrecherischer Fahrt ging es auf selbst gezimmerten, mehrsitzigen Schlitten (5-6 Sitze) die Dorfstraßen hinunter. Man fuhr einzeln, sitzend oder auf dem Bauch liegend, lieber aber noch mit mehreren auf einem Schlitten, wobei einer vorne mit Schlittschuhen lenkte. Mehrere Schlitten hintereinander als „Bummelzug“ zusammengebunden waren auch sehr beliebt. Das Schliddern auf den überschwemmten und zugefrorenen Wiesen, Weihern und Tümpeln mit und ohne Schlittschuhe war ein besonderer Spaß. Bis in die späte Dunkelheit tummelte man sich auf den Eisflächen. Die Kinder, die Schlittschuhe besaßen, spielten dann auch „Eishockey“. Mit Stöcken wurde auf eine Konservendose (Puck-Ersatz) eingeschlagen, bis diese hinter einer als Torlinie dienende Abgrenzung landete. Nicht immer traf der Stock die Konservendose. Diese winterlichen Spiele waren so spannend, dass Mutter öfters als einmal zum Nachhausekommen rufen musste, wenn es allzu spät und schon dunkel geworden war. Hatte es Neuschnee gegeben, der meistens schön klebte, baute man Schneemänner, lieferte sich Schneeballschlachten oder baute Schneehäuser. Viele dieser Spiele sind heute Vergangenheit, und die meisten können sich nicht mehr daran erinnern. Dabei wäre die Bewegung in freier Natur für die heutigen Kinder so wichtig.