„Pfarrers Kinder, Lehrers Vieh geraten selten oder nie" -

Udo Hombach. Köln

Oder ist es umgekehrt? Wie auch immer - mehr als ein Lied kann ich davon singen! Geboren wurde ich im Hunsrückdorf Buch als Sohn eines Volksschullehrers und einer Frau, die selbst als Tochter eines Volksschullehrers in der Gegend groß geworden war. Ich teilte das Schicksal meiner Mutter: so wie sie bei ihrem eigenen Vater zur Schule gegangen war, wurde auch mein Vater vier Jahre lang mein Lehrer, zunächst noch im Hunsrück, ab 1954 dann in Gerolstein.

Meine Geburt ereignete sich an einem Sonntagmorgen im Zimmer eines Bauernhauses direkt gegenüber der Kirche; unterhalb des Zimmers im 1. Stock lag der Misthaufen. Wenn meine Eltern damals schon geahnt hätten, welch missratenes Kind einmal aus mir werden würde -sie hätten mich am besten gleich am ersten Tag aus dem Fenster geworfen! Gelandet wäre ich weich und warm, und durchaus nicht übel, sondern wohlig riechend. Der Geruch von Kuhfladen aus der (wenn auch teils bereits wiedergekäuten) Verdauung frischen Grases und unbehandelten Heus ist nicht unangenehm, jedenfalls für ein Kind vom Lande. Schon in den ersten Stunden auf dieser Welt habe ich zusammen mit dem Duft frischen Kuhdungs schon den Klang von Kirchenglocken genossen. Dass die in dem Fall katholisch waren, bemerkte ich natürlich noch nicht; denn ich war ja noch nicht (evangelisch) getauft, also noch überkonfessionell, ja sogar präreligiös überhaupt. Die Taufe war dann in der Kirche des benachbarten Dörfchens Bell. Im dazugehörigen Pfarrhaus waren wir als Evakuierte untergekommen. Der Tagesrhythmus meiner ersten Lebensjahre wurde bestimmt vom wiederkehrenden Geläut der Kirchenglocken. Im Schatten des Kirchturms gelegen, leitete das Pfarrhaus mit seinem alten Gemäuer die obertonreichen Klänge geradezu in mein Kinderzimmer hinein. Der Jahresrhythmus wurde strukturiert durch regelmäßigen Kirchgang, der Pflicht war. Erst zum Kindergottesdienst, anfangs noch in Bell, später in Gerolstein zum Schul- und Hauptgottesdienst.

Manchmal fungierte mein Vater dabei sogar selber als Pfarrer; er hielt sog. Lesegottesdienste. Das waren Gottesdienste, zu denen der hauptamtliche Pfarrer, der aufgrund der Diaspora-Situation woanders predigte, den Text geschrieben hatte (so dass wohl an solchen Sonntagen an zwei Orten in der Eifel die gleiche Predigt zu hören war). Natürlich war ich im Inneren der Erlöserkirche beeindruckt von den großen Flächen gleißenden, glitzernden Goldmosaiks, mit welchem die Wände weitgehend bedeckt sind. Gold - war das nicht das begehrteste Element in den Wunschträumen der Menschheit? Im Märchen war es mir begegnet, in der Sagenwelt der Nibelungen, in Geschichtserzählungen über die Eroberungen der Spanier in Amerika... Nun sah ich es zum Greifen nahe -und an einigen Stellen konnte man es tatsächlich auch als „Kurzer" erreichen und berühren. Weihnachten 1954, ich war 7 Jahre alt, schenkten mir meine Eltern die Spielzeugvariante vom Handwerkszeug eines Maurers: Zange, Spachtel, Hammer... Gingen nicht in der Gerolsteiner Kalkmulde die Geologen spazieren und schlugen mit ihren Hämmern Fossilien aus den Felsen? Wie man Versteinerungen gewinnt - konnte man so nicht auch an die Mosaiksteine herankommen?! So entstand, zunächst in der Phantasie, der jugendkriminelle Impuls. Es dauerte nicht lange, und die Idee wurde in die Tat umgesetzt. Es erfolgte kein Gottesdienstbesuch, ohne dass ich meine kleinen Werkzeuge dabei gehabt hätte. Vorher oder nachher - wann immer sich die Gelegenheit bot, versuchte ich es. Das größte Problem dabei waren die hörbaren Nebeneffekte, gerade in diesem überakustischen Kirchenraum mit seinem so langen Nachhall. Doch irgendwie schaffte ich es immer wieder mal - natürlich mit großem Herzklopfen, aus Angst davor erwischt zu werden.

Das nächste Problem bestand darin zu verbergen, wenn hier und da mal wieder ein Stein fehlte. Selbstverständlich konnte der damalige Pfarrer, auch mit Gottes Hilfe, nicht täglich kontrollieren, ob noch alle 12 Millionen Steine vorhanden waren. Doch galt es auch, einer zufälligen Entdeckung fehlender Steine vorzubeugen. Was bot sich da als Ausweg an? Katzengold! Diese dunkel goldenen, leider sehr zerbrechlichen Scheibchen waren ja im Lavagestein, das bei Gerolstein herumlag, häufig zu finden. Und, einmal in die Öffnung eines entnommenen Steins eingepasst, konnte man sie, vor allem aus größerer Entfernung, in ihrer das Licht widerspiegelnden, funkelnden Wirkung kaum von den echten Goldgläsern unterscheiden. Neun Jahre lang setzte der jugendliche Übeltäter seine Untaten fort, bis seine Eltern entschieden, dass ab sofort zum Gottesdienst nach Prüm gefahren werde. Damit war meine persönliche Diebeskarriere beendet. Die fehlenden Steine wurden über 20 Jahre lang nicht entdeckt. Doch hatte das häufige Klopfen mit dem Hämmerchen bewirkt, dass kleine Flächen von Mosaik sich gelockert hatten und nicht mehr sicher vom Mörtelbett an der Wand gehalten wurden. So wurde denn Anfang der 80er Jahre eine Restaurierung der Mosaiken notwendig. Im Verlauf dieser Arbeiten wurden auch die mit Katzengold überdeckten Lücken im Originalmaterial entdeckt und natürlich auch wieder geschlossen.

PS: Apropos Katzengold: Karl-Heinz Böffgen, selber Gerolsteiner Urgestein, empfiehlt angesichts der schwelenden Finanzkrise dringend, sich mit ausreichenden Vorräten an Katzengold einzudecken! Wenn in absehbarer Zeit Geld und Gold dramatisch an Wert verlieren sollten, wird sich Katzenjammer nur bei denen einstellen, die dann nicht über genug Reserven an Katzengold verfügen.