Von der Eifel nach Nord-Amerika

Josef Mergen

 

Im vorigen Jahrhundert haben tausende von Eifelbewohnern ihre Heimat verlassen, um sich in fernen Ländern: Brasilien, Algerien und besonders in den Vereinigten Staaten von Nord-Amerika eine neue Existenz zu gründen. So war es denn eine dankbare, wenn auch recht mühsame Aufgabe u. a. den Gründen jenes Geschehens nachzuspüren, dessen Umfang zu ermitteln und den personellen Bestand jener „Europamüden" möglichst genau zu erfassen.

Jede Auswanderung bedeutet — im Gegensatz zur Ausweisung oder Emigration — eine freiwillige Preisgabe der Heimat. Das zu überwindende starke Heimatgefühl, das jeden Menschen, besonders aber den Bauern bindet, konnte nur durch außergewöhnliche Kräfte verdrängt werden. Das hat der Dauner Landrat bereits 1843 klar erkannt, indem er schreibt (Bericht vom 29. 9. an die Bezirksregierung):

„Zieht man die progressive Vermehrung der Auswanderungslustigen, sowie die Individualität einer großen Anzahl derselben in nähere Betrachtung, beobachtet man deren Kampf, bevor ihr Entschluß zur Reife gedeiht, ist man Zeuge der tiefen Trauer im Augenblick ihres Scheidens aus der Heimat, dann muß sich vollends die Überzeugung aufdringen, daß hier nicht mehr von einer momentanen Sucht durch äußerliche Anreizungen irgendwelcher Art und von irgend einer Seite her erweckt, die Rede sein kann, sondern daß wirkliche Verhältnisse obwalten müssen, die vermöge ihres Drucks auf mögliche Erlangung einer erträglichen Existenz vor allem Ändern einwirken".

Nach Ansicht des Landrats veranlassen also Existenzsorgen die Auswanderungen, und damit hat er einen der Hauptgründe für diese Auswanderungen aufgedeckt.

Gründe für die Auswanderungen

Im weiteren Verlauf seines sehr ausführlichen Berichts schreibt der Landrat über die wirtschaftliche Lage seines Kreisgebietes u. a.: „Es ergibt sich zur Genüge, daß der Wohlstand des Kreises sich nur auf geringer Stufe befinden kann, wie er es denn bekanntlich auch nur ist. Die Masse der Bevölkerung besteht aus kleinen Grundbesitzern, die teils — und das auch nur in günstigen Jahren — ihren notdürftigen Bedarf an Gemüse zu ziehen vermögen, zum anderen Teil daneben für mehr oder weniger Monate ihr Brotkorn durch eigenen Bau gewinnen, dagegen ihren Bedarf für die übrige Zeit des Jahres durch Verwertung der wenigen unentbehrlichen sonstigen Produkte ihres Ackerbaues oder durch Verdienst als Tagelöhner sich zu beschaffen suchen müssen. Lesteres ist aber bei der großen Zahl dieser Volksklasse im Allgemeinen von weniger Bedeutung. Die wohlhabenden Grundeigentümer bedürfen der Tagelöhner nur zu gewissen Zeiten des Jahres. Die öffentlichen Bauten sind in der Regel unerheblich, und so ist denn die Klage über die Verdienstlosigkeit ebenso allgemein wie begründet.

Ein großer Teil der arbeitenden Klasse sieht sich daher gezwungen, in weiter Ferne ihre Beschäftigung zu suchen. Unter solchen Verhältnissen erzeugt schon ein minder ergiebiges Jahr Teuerung und Mangel, wirklicher Mißwuchs treibt aber den Notstand gleich auf eine furchtbare Höhe, wie dies jüngst noch die Erfahrung bewiesen hat" usw.

Am 20. 5. 1846 berichtet der Oberpräsident der Rheinprovinz nach Berlin: „Hinsichtlich der Eifel scheinen die Unergiebigkeit der Ernten der Mißjahre 1817, 1843 und 1845, ferner die Schwierigkeiten, ländliche Produkte: Kartoffeln, Hafer, Milch und Butter auf den Markt zu bringen und in bares Geld umzusetzen, sowie die hohen Holzpreise die vornehmlichsten Gründe zu der Auswanderung zu sein". In seinem Bericht an den Innenminister (22. 1. 1847) erwähnt der Oberpräsident als Auswanderungsgrund abermals „die hohen Holzpreise, welche von vielen Familien kaum mehr erschwinglich sind, und die Strenge, mit der die Holzdiebstähle verfolgt werden". Im gleichen Jahr schreibt ein Bürgermeister aus der Eifel seinem Landrat: „Alle Ermahnungen sind bei diesen Leuten fruchtlos. Ihr Vorsatz zur Auswanderung steht fest, und alle haben einstimmig erklärt, daß Mangel an Lebensmittel, gänzliche Verdienstlosigkeit, besonders aber das harte Holzdiebstahlgesetz und die unerbittliche Strenge der benachbarten und einheimischen Forstschutzbeamten, sowie deren wahre Sucht, wegen des geringsten Schadens, selbst noch unter einem Silbergroschen, die Strafe der Wiederholungsfälle zu provozieren, die Eingesessenen zur Auswanderung nötigten".

Zu diesem Thema äußert sich der Dauner Landrat in seinem bereits erwähnten Bericht wie folgt: „Die Gemeindeverwaltungen sind infolge früher bestandener und zum Teil nicht beseitigter Schuldverhältnisse, ferner durch den bedeutenden Kostenaufwand für Schul- und Kirchenneubauten derart herunter gekommen, daß sie den gewöhnlichen Brennholzbedarf auch zur Notdurft nicht mehr zu decken vermögen, und der Schwachbemittelte bei den stets steigenden Holzpreisen sich zum Freveln gezwungen sieht", über das Ausmaß der Holzfrevel in früheren Zeiten (und auch der Schulversäumnisse, d. V.) unterrichtet die „Tabelle über die Gattungen der bei den Friedensgerichten bestraften Polizei-Vergehen und Contraventionen", gültig für den Regierungsbezirk Trier:

Jahr

Holzdiebstähle

Sonst. Holzfrevel

Schulversäumnisse

1824/25

6307

2552

keine Angaben

1825/26

6325

3726

220

1826/27

8526

2809

315

1827/28

7391

2528

840

1828/29

9049

2964

770

Diese aus dem Selbsterhaltungstrieb der Eifelbauern begangenen Holzfrevel und deren Bestrafung im Wiederholungsfalle mit Gefängnis und Zuchthaus stellen naturgemäß nur einen Teil der sozialen Mißstände dar, die damals in der Eifel und überhaupt zur Auswanderung führten.

Im Jahre 1846 waren 5805 Personen aus dem Regierungsbezirk Trier ausgewandert. Als Gründe für diese Auswanderungen führt der Oberpräsident auf Grund der ihm von den Regierungspräsidenten zugegangenen Unterlagen an:

1. Die Mißernten, 2. die schlechten Aussichten der heranwachsenden Kinder auf eine sichere Existenz, 3. das rauhe Klima der Eifel und die Unergiebigkeit der dortigen Ernten, 4. die Schwierigkeit, ländliche Produkte auf den Markt zu bringen, 5. die hohen Holzpreise und die Strenge, mit der Holzdiebstähle geahndet werden und 6. in einzelnen Gemeinden die Höhe der Steuern und Gemeinde-Abgaben.

Im Frühjahr 1852 werden die Landräte von der Bezirksregierung aufgefordert, über „Die Hauptursachen der zur Zeit sich mehrenden Auswanderungen zu berichten".

In der Antwort des Dauner Landrats vom 19. 3. 1852 heißt es u. a.: „Auch im hiesigen Kreis mehren sich die diesjährigen Auswanderungen in sehr bedeutender Weise, und die besten Arbeitskräfte mit dem mitgenommenen Vermögen drohen zu absorbieren, da die Auswandernden meist die kräftigsten jungen Leute der Bevölkerung ausmachen. Seit dem Jahre 1846, wo die Auswanderungslust, begünstigt durch die damalige Teuerung, ebenfalls im hiesigen Kreis einen sehr hohen Grad erreicht und an die 790—800 Personen, also mehr als 3 % der ganzen Bevölkerung fortgeführt hatte, sind bis zum Schluß des Jahres 1851 jährlich im Durchschnitt ca. 23 Personen nach den betreffenden Anzeigen der Bürgermeister ausgewandert. — Der allgemein und überall angegebenen Gründe der Auswanderung sind drei:

1. Die häufig wiederkehrende Teuerung der Lebensmittel

2. Der allgemeine Mangel an Arbeit und Verdienst und die durch die beiden Punkte genährte Furcht vor endlicher gänzlicher Verarmung und

3. Der Druck der zu hohen Abgaben und Steuern.

Es kann mit Bestimmtheit angeführt werden, daß die politischen Verhältnisse hierbei nicht mitwirken".

Auswandererschiff „Hammonia",

gebaut 1854,

BRT: 2026,

Längs: 86 m, Breite: 12 m,

Tiefgang: 8 m,

Passagiereinrichtungen:

l. Kl.: 54, II. Kl.: 146, Zwischendeck: 310 Personen

(Archiv der Hapag)

Ich erblicke die Grundursachen der jetzt wieder in größter Ausdehnung auftretenden Auswanderungen", so der Prümer Landrat (24. 3. 52), „zum größten Teil in den trügerischen Vorspielungen, welche den Leuten über Amerika und den guten Arbeitsverdienst dort gemacht werden. Eines Teils sind es die früher Ausgewanderten, welche, da sie dort Arbeitskräfte zu ihrem Ackerbau oder sonstigem Gewerbe brauchen, entweder ihren zurückgebliebenen Angehörigen brieflich die dortigen Verhältnisse als glänzend schildern, oder persönlich wieder in der Heimat erscheinen, um Verwandte und Freunde gleich mitzunehmen".

Der Wittlicher Landrat schreibt u. a.: „Durch den herrschenden Geldmangel stockt aller Handel und Verkehr, und die Aussicht auf ausreichenden Arbeitsverdienst liegt darnieder, so daß die Notverhältnisse bis in den Mittelstand eingreifen und bei Manchem den Entschluß zur Auswanderung zur Reife bringt in der Hoffnung, der gänzlichen Verarmung zu entgehen und sich jenseits des Meeres eine bessere Existenz zu begründen". Auch er weist darauf hin, daß Viele „durch einseitige Nachrichten zur Auswanderung bewogen werden, und da es allenthalben Leute gibt, die mit ihrem Los nicht zufrieden sind, so finden solche Schilderungen nur allzu leicht Eingang" (Bericht vom 26. 3. 1852).

Hier sei darauf hingewiesen, daß sämtliche Behördenleiter in jenen Jahren und auch später noch davon überzeugt sind, daß die aus Amerika eintreffenden Nachrichten Verlockungen und Vorspiegelungen darstellen. Das war jedoch keineswegs der Fall. In diesen Briefen berichten die Neu-Amerikaner über Arbeitslöhne, Vollbeschäftigung, billigen Landerwerb usw. Wie sehr die von drüben eintreffenden Briefe geeignet waren, die Auswanderungen zu fördern, sei an dem Schreiben gezeigt, das der 1845 von Dedenborn ausgewanderte Hermes seinem Bruder zukommen ließ:

 

Milwaukee, den 25. 1. 1846

„Lieber Bruder!

Gott führt mein Gewissen, und meine Hand treibt die Feder zur Wahrheit. Gott sei Dank bin ich noch gesund. Agnes ist munter, sie läuft auf die Straße und singt: 'Heidi, heida, Kartoffeln sind in Amerika' und springt auf einem Bein herum. Die Eva ist wie in Deutschland. Wir sind am 4. 11. in unser Haus eingezogen. Da haben wir uns einen Ofen gekauft mit 5 Töpfen, 5 Pfannen, 2 Kaffeekesseln, 2 Löffeln, ferner eine Wasserschleppe und einen Backofen, in dem wir alle 14 Tage Brot backen, wie in Deutschland zur Kirmes.

Das Weizenmehl kostet 4 Taler die 196 Pfund. Das Roggenmehl kostet l Cent, das Welschkorn ebenfalls l Cent. Der Backofen hat 15 Taler gekostet. Nun sind wir verproviantiert für das ganze Jahr 1846. Wir haben uns gekauft 4 Malter Kartoffeln, sie kosten 8 Taler und 4 Malter Welschkorn für 71/2 Taler, 4 Viertel Bohnen für l Taler und 4 Schilling, 140 Pfund Fleisch. Für 4 Zentner Weizenmehl haben wir bezahlt 7 Taler. Wir haben auch 2 Schweine gekauft, die werden im Frühjahr sich vermehren und haben gekostet 2 Taler 4 Schilling. Wir sind gesonnen, uns in Kurzem 2 Ochsen mit den nötigen Wagen zu kaufen. —

Eine Säge scharf zu machen kostet 6 Cents, die Kürdsäge l Schilling. Für einen Arbeitslohn von 5 Schilling pro Tag braucht man nicht zu danken, denn er ist auf mehr als 10 oder 20 Plätzen zu haben. Gott sei Dank! Wir haben die Christenreligion wie in Deutschland. Die Schule haben wir 5 Minuten von uns. Sie ist deutsch. Hier wohnen wir Deutsche zusammen: von Hürtgen, Brandenberg, Bergstein, Pleushütte und Vossenack. Der Nikolaus Classen wohnt 25 Meilen von hier. Der Martin Jansen ist abwesend. Seine Tante wohnt in der Stadt, sie verdient1 1/2 Schilling und die Kost. Der Hubert Jansen und der Hülsbeck, denen fehlt nichts.

Es ist ein freies Land für diejenigen, die Handel und Wandel treiben. Lieber Bruder! Laß Dein Herz nicht an der Wickelsäge verzehren! Es ist zwar eine traurige Reise aber ein fröhliches Ankommen. Wir singen: „Vivat, Vereinigte Staaten von Amerika!" Liebe Schwester! Laß Dir Dein Blut nicht von anderen Leuten austreiben! Wenn Du hier wärst, so würdest Du von Kummer und Sorgen entlastet sein. — Der Priesterstand verhält sich so: Sie leben von demjenigen, was die Leute ihnen geben. Sie haben kein fixes Gehalt. Von dem Taufen, Copulieren und Begraben, von dem Weiber aussegnen, sie fragen nichts, man gibt, was man will. Sie leben wie in der Apostelzeit. Wenn freie Unterstützung nicht hinreicht, so sendet der Bischof seine Bedienten aus, um die noch fehlenden Lebensmittel des Jahres zusammen zu bekommen. Sie predigen nicht wegen des Geldes sondern um des Seelenheiles willen. — Wir sind gesonnen, eine Kirche zu bauen, der unseren haben sich 38 unterschrieben, sie verfertigen zu helfen. In diesem Jahr soll sie zustande kommen. —

Der Hubert Breuer hat mit uns gekauft, und wir wohnen auch zusammen. Sie sind froh, daß sie hier sind und wünschen nicht mehr nach Deutschland. Wer sich und seine Familie aus der Armut reißen will, der komme nach Amerika. Wer noch arbeiten kann, der komme, das hilft hier noch".

Diese gekürzten Ausführungen sind keine Vorspiegelungen sondern ein Beweis für die Überlegenheit der amerikanischen wirtschaftlichen Verhältnisse im Vergleich zu denen in der alten Heimat, besonders aber auch in der gesamten Eifel. „Die ganze besitzlose Arbeiterklasse in der Eifel ist jetzt nur ein Bettelstand", schreibt Beck, und das galt für die Mitte des vorigen Jahrhunderts. In Amerika hingegen war das anders, besser. So teilt der Bürgermeister von Röhl mit Schreiben vom 19. 2. 1855 dem Landrat Sprenger mit:

„Die in diesem Amtsbezirk neuerdings aufgetauchte Lust zur Auswanderung nach Nord-Amerika findet wohl mehr ihren Grund darin, daß vor einigen, resp. 2 Jahren dorthin ausgewanderte fleißige junge Leute, namentlich von Idenheim, Sülm und Röhl von Amerika herüber ihren Angehörigen ansehnliche' Geld-Sümmchen zur Unterstützung übersandt haben, unter anderm 180, 130, 40 und 36 Taler Geld". Im gleichen Jahr wird berichtet: „Aus Echternach sind allein 90 Personen größten Teils schon fort, dieandern zur Reise fertig. Namentlich sind viele junge Leute darunter. Zum Teil verdankt diese Auswanderungslust ihr Entstehen dem Umstand, daß fast alle, die vor l, 2 oder 3 Jahren fort sind, schöne Summen Geld ihren Verwandten geschickt haben".

Die vom Röhler Bürgermeister erwähnten „Geld-Sümmchen" bekommen erst Gewicht, wenn sie mit den damals in der Eifel gezahlten Löhnen in Vergleich gesetzt werden.

Hier hilft eine Tabelle, gültig für das Jahr 1868. „Die gewöhnlichen Lohnsätze für Tagelöhner bei täglich 10—12stündiger Arbeitszeit einschließlich Kost und Logis betragen jährlich:

Kreis:

Knecht

Magd

Junge

Prüm

40—60

24—36

18—30

Daun

24—60

20—30

15—20

Bitburg

30—80

16—24

12—16

Wittlich

40—60

20—30

10—30

Trier-Land

24—60

15—30

12—24

(jeweils Taler)

Die oben erwähnten 180 Taler, die ein junger Mann augenscheinlich seinen armen Eltern überwiesen hatte, entsprechen demnach einem Lohn, für den ein Knecht in der Eifel 3 volle Jahre arbeiten muß. Und das ist natürlich für junge Leute ein gewaltiger Anreiz zur Auswanderung. Hierzu einige konkrete Beispiele:

Der Tagelöhner Mathias Maier aus Niederpierscheid, ausgewandert 1861, gibt als Auswanderungsgrund an, „daß er einen Schwager dort habe, welcher ihm 150 Taler zur überfahrt geschickt hat, und der sich seiner annehme, und da er selbst keine Kinder habe, ihn mit seiner Familie auf sein Landgut setze". Der Nagelschmied Johann Krämer von Dasburg, ausgewandert 1867, gibt an: „Im Frühjahr ist mein Bruder Anton Krämer nach Nord-Amerika ausgewandert und wohnt jetzt in Chicago. Vor einiger Zeit hat derselbe an meine Eltern geschrieben und die Erwerbsverhältnisse so glänzend geschildert, daß ich ebenfalls den Entschluß gefaßt habe, auszuwandern, um mich bei meinem Bruder in Chicago niederzulassen. Zum Zweck der Übersiedlung hat mein Bruder mir 100 Taler gesandt".

Außer diesen Geldbeträgen werden von Amerika Freifahrtscheine an Angehörige in der alten Heimat geschickt, die ebenso die Überlegenheit der wirtschaftlichen Verhältnisse in der Neuen Welt dokumentieren wie die Geldsendungen. So begründet der Ackerer Nikolaus Leufgen aus Watzerath, ausgewandert 1878, seinen Entschluß damit, „daß er einen Bruder in Amerika habe, welcher Freikarten für 2 Brüder geschickt und immer nur geschrieben habe, sie sollten dorthin kommen". Begründungen dieser Art kommen als Auswanderungsmotiv sehr häufig vor. Die schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse in der Heimat, die besseren in den Vereinigten Staaten sind also die Hauptgründe für jene Massenbewegung im 19. Jahrhundert. Religiöse und politische Gründe spielen als Auswanderungsgrund für das untersuchte Eifelgebiet keine Rolle. Daneben liegen die persönlichen Auswanderungsgründe. Sie sind so mannigfaltig wie das Leben selbst.

Der Umfang der Auswanderungen

In der Zeit von 1828 bis 1884 sind ausgewandert aus dem Amt Binsfeld 374 Personen. Davon 1828: 39 nach Brasilien, 1845: 8 nach Brasilien, 1847:insgesamt 38 Personen, davon 16 nach Nord-Amerika, 22 nach Algerien. Im Jahre 1872: 88 Personen, davon 68 nach Nord-Amerika und 20 nach Brasilien. In dieser Aufstellung sind 116 Personen ohne Consens ausgewandert. Die 20 Brasilien-Fahrer des Jahres 1872 stammten restlos aus Spangdahlem. Die Algerien-Auswanderer von 1847 verteilen sich auf verschiedene Orte des Amtes. Es stellen Landscheid: 5 Personen, Burg: 7, Arenrath: 5 und Spangdahlem 5 Personen. Diese waren ohne Consens ausgewandert.

Die Zahl der illegalen Auswanderer liegt höher als bisher angenommen wurde. Der Grund dieser Erscheinung ist meist Entziehung der Wehrpflicht und Furcht vor zu erwartender Strafe, etwa wegen Holzfrevels. Die folgende Aufstellung zeigt das Ausmaß der illegalen Auswanderung für den

Kreis Bitburg

Jahr

Legale

Illegale

Insgesamt

1861

57

62

119

1862

38

161

199

1863

56

35

91

1864

57

134

191

1865

50

157

207

1866

107

173

280

1867

135

189

324

1868

116

231

347

1869

63

147

210

1870

26

44

70

1871

47

170

217

Summe

732

1 503

2255

Im Besitz einer Entlassungs-Urkunde war also nur 1/3 der in jenen Jahren ausgewanderten Bitburger. Die Zahl der illegalen Auswanderer beträgt demnach 2/3, und das ist eine recht beachtenswerte Feststeilung. Es sind ferner erfaßt

Kreis Wittlich

Jahr

Zahl der Personen

Bemerkungen

1843

68

in der 1. Hälfte des Jahres

1844

2

von März 1846 bis Dezember 1846

1846

324

1847

167

vom 1. 10. 1846 bis 30. 9.1847

1852

238

1853

100

vom 1. Januar 1854 bis 15.März 1854

1854

200

1870

32

davon 9 illegal

1871

127

davon 31 illegal

1873

47

6 Familien und 15 Alleinstehende im 1. Halbjahr

1881

Summe

141

 1 763

In dem Jahrzehnt von 1851—1860 sind nach amtlichen Unterlagen, die aber augenscheinlich für die Jahre 1858—1860 unvollständig sind, ausgewandert aus dem

Jahr

Kreis

Personen

Daun

Jahr

Personen

1851

153

1856

112

1852

219

1857

334

1853

212

1858

19

1854

42

1859

2

1855

64

1860

4

Erfaßt sind für diesen Zeitraum also 1161 Personen.

Zahl der Auswanderer, denen Entlassungsurkunden erteilt worden sind:

Jahr 1852

a) Regierungsbezirk Trier:

Kreis

Zahl der Personen

Bernkastel

342

Bitburg

323

Daun 293
Ottweiler 154
Prüm 130
Saarburg 152
Trier - Land 386
Trier - Stadt keine Ang.
Wittlich 238
Insgesamt 2 280

b) Regierungsbezirk Koblenz:

Kreis

Zahl der Personen

Adenau

249

Ahrweiler

120

Altenkirchen

164

Koblenz

198

Kochern

1 098

St.Goar

244

Kreuznach

152

Mayen

311

Simmern

506

Wetzlar

400

Zell

1 211

Insgesamt

4917

c) Regierungsbezirk Köln:

Kreis

Zahl der Personen

Bonn

98

Köln-Stadt

68

Rheinbach

17

Gummersbach

1

Sieg

363

Wipperfürth

1

Köln-Land

117

Bergheim

283

Mülheim

37

Waldbroel

11

Euskirchen

106

Insgesamt

1 108

d) Regierungsbezirk Aachen

Kreis

Zahl der Personen

Aachen-Stadt

34

Aachen-Land

—

Geilenkirchen

—

Heinsberg

10

Erkelenz

4

Jülich

14

Düren

60

Eupen

—

Montjoie

37

Schleiden

197

Malmedy

207

Insgesamt

563

Innenaufnahme eines Auswandererschiffes, Archiv Hapag/Hamburg

Es folgt die Zahl der Auswanderer aus der ehemaligen Rheinprovinz für die Jahre 1853 bis 1859.

Regierungsbezirk

1859

1858

1857

1856

1855

1854

1853

Trier

2610

4595

2435

2285

3980

685

513

Koblenz

1 874

3854

1605

1 580

2677

775

579

Köln

503

1 313

539

580

718

171

86

Aachen

278

387

275

252

392

211

223

Düsseldorf

784

1 325

524

586

1 273

648

542

Insgesamt

6022

11 474

5468

5283

9040

2490

1943

Von den 26 Regierungsbezirken des damaligen Landes Preußen stellt Trier in der Zeit von 1845 bis 1859 die meisten Auswanderer, ein Tatbestand, an dem die Eife!kreise, wie wir gesehen haben, in starkem Maße beteiligt waren.

Hauptaufnahmegebiete der nach den Zielorten erfaßten Eifel-Auswanderer waren die Staaten: Illinois, Minnesota, New-York (mit Stadt), Ohio und Pennsylvanien. Im Jahre 1890 war jeder 9. Einwohner der USA direkter deutscher Abstammung. Und das sollte nicht vergessen werden hüben wie drüben.