Gotteshaus unter dem goldenen Engel

Die neue Heilig-Kreuz-Kirche in Darscheid

 

Hans Mühlhaus

 

„. . . Herrgott, trotz aller Schwachheit wagten wir zu bauen für Dich, Unendlicher, ein irdisch Haus! ..."

(aus den Richtsprüchen am 24. 7. 1970)

Nach langjähriger Überlegung und Planung verbunden mit Landerwerb und Umsiedlung, war es endlich soweit: Mitte Mai 1969 begann Bauunternehmer Meerfeld, Daun, mit dem Neubau der Heilig-Kreuz-Kirche in Darscheid. Die Baustelle „Auf dem Garten" liegt in einem Südhang, mitten im Dorf, zwischen Schule, Pfarrhaus und Friedhof. Sie gehörte 20 Eigentümern und bestand aus 100 Kleinstparzellen. Zwei Althäuser, unzulänglich und baufällig, mußten entfernt und die Familien umgesiedelt werden. So stand am Anfang des Unternehemns eine soziale Tat! Das Werk schritt zügig voran. Am 5. Oktober 1969 erfolgte die Grundsteinlegung. Seitdem kündet ein Eckstein aus Basaltlava:

„Dein heilig Kreuz, o Herr, verehren wir, und Deine Auferstehung preisen und rühmen wir. 1969"

Als am 24. Juli 1970 die bunten Bänder des Richtstraußes vom Dachfirst im Winde flatterten, standen „Im Ollen", dem alten Hohlweg, viele Männer, Frauen und Kinder. Sie wollten das seltene Brauchtum eines Kirchen-Richtfestes miterleben. Zwei Männer, die aus schwindelnder Höhe Richtsprüche aufsagten, ernteten reichen, freudigen Applaus. Eine frohe Stimmung griff um sich, kein Wunder; denn die sinnigen Sprüche waren gut angekommen, und ein formschönes Bauwerk stand im Rohbau fertig da und lud ein zum ersten Rundgang. Drei Bauteile fügten sich zu sinnvoller Einheit zusammen: Der Kirchenraum, der Nebenraum und der Turm. Unter dem Kirchenraum war eine Krypta vorgesehen. Der Nebenraum war dazu bestimmt Marienkapelle und Sakristei zu werden. Von der Marienkapelle, die mit der Kirche verbunden war, führte eine Treppe hinunter in die darunter liegende Totenkapelle. Der Turm stand frei vor der Kirche und war erst im Sockel vorhanden. Viel Bewunderung fand das stattliche Mauerwerk. Kantiges, fossilienreiches Grauwackengestein bildet Mosaikwände von besonderem Reiz! Die glückliche Mischung von Schicht- und Zyklopenbauweise lassen die Mauern erscheinen wie herausgewachsen aus devonischem Untergrund. Architekt Laux, Wittlich, hat durch die Drehung des quadratischen Grundrisses mit der Spitze zur Straße dem Raum außen wie innen eine faszinierende Wirkung verliehen. Von der Straße aus gesehen erhebt sich die Spitze zum Bug eines majestätischen Schiffes.

In den Frühlingstagen 1971 bot sich vor der Kirche ein ungewöhnliches Schauspiel: die Aufrichtung des Glockenturms. Die 25 m lange Turmpyramide lag fertig gezimmert auf dem Kirchplatz. Ein Baukran hob sie, den 17 Tonnen-Koloß, langsam hoch und hievte sie auf den Eisenbetonsockel. Bald darauf krönte die Spitze eine aus Kupfer getriebene Weltkugel, und darüber glänzte ein schwebender Posaunen-Engel in den Strahlen der Frühlingssonne. Der goldene Engel richtet seine Posaune immer gegen den Wind und schaut aus 35 m Höhe über die Kirche, die Häuser und weit hinaus über den Dorfbann.

Beim Aufsetzen der Turmpyramide

Am Sonntag Lätare, dem Sonntag der Freude, war der Tag des feierlichen Einzugs in die neue Kirche gekommen. Es war am 21. März 1971. Die beiden Portale mit den wuchtigen Hörnergriffen (cornu = Hörn, d. i. Attribut des Kirchenpatrons Kornelius) standen weit offen, und die Pfarrgemeinde zog ein in den lichtvollen, festlich geschmückten Raum, den keine Säule stört und keine hohe Empore trennt.

Alles in ihm ist zum Altare ausgerichtet: drei Bankreihen auf hellem Juraboden, zahlreiche von der Holzdecke herabhängende Leuchten, die breiten Dreiecksfenster, die zum Halbdunkel des Chorraums hinführen und sich steigern zu einem gigantischen Licht-Krescendo. Auch die Heiligenstatuen aus der alten Kirche: Erasmus, Patron des 1852 ausgewanderten Dorfes Allscheid, Quirinus mit dem Neußer Schild, Brigida, die Irländerin und Antonius der Einsiedler, reihen sich ein als Weiser zur Mitte, zum Altar, dem Herzstück des Hauses. Auf der schlichten Backsteinwand mit ihrer Baumrindenstruktur kommt die Figurenreihe in ihrer dezenten Farbigkeit ganz besonders zur Wirkung.

Die altehrwürdige Pieta, die „Herzergreifende", seit 1761 in Darscheid verehrte Schmerzhafte Gottesmutter, hat in der Marienkapelle endlich einen guten Platz gefunden. Zu dem Gnadenbild an der Stirnwand gehören die alten Altarbilder (01-berg, Geißelung, Dornenkrönung, Kreuztragung, Kreuzigung) an der Seitenwand und die Statue des hl. Josef über der Treppe, die zur Totenkapelle führt. Am Tage des Einzugs brannten vor dem Gnadenbild viele Kerzen!

In einer Rundbogennische der rechten Chorraumwand, die mit roten Fliesen ausgelegt ist, steht im Glutschein einer indirekten Beleuchtung das goldene Reliquiar. Nach dem Lagerbuch von 1822 enthält es eine authentische Partikel vom hl. Kreuz und u. a. auch Reliquien von Kornelius, dem 21. Nachfolger Petri auf dem römischen Bischofsstuhl.

Eine erfreuliche Gewißheit brachte der festliche Tag: Der neue Raum hat eine tadellose Akustik! So konnte dem Einbau der erweiterten Seifert-Orgel zuversichtlich entgegengesehen werden.

Im weiteren Verlauf des Jahres erhielt Darscheid seine vier Glocken, erneuert und aufeinander abgestimmt, aus der Glockengießerei in Brockscheid zurück. Am stählernen Glockenstuhl in der Turmpyramide fanden sie, untereinander gehängt, eine gemeinsame Stube. Zum ersten Male vereinigten sich am Tage des Ewigen Gebets ihre ehernen Stimmen im kraftvollen Peromnia-Motiv (f-as-b-c); Per omnia saecula saeculorum — Von Ewigkeit zu Ewigkeit sei Dir, Gott, Preis und Ehr!

Das Jahr 1972 brachte den endgültigen Ausbau der Kirche zu einem Gotteshaus unserer Zeit.

Nach vielen Gesprächen, Orientierungsfahrten, Versuchen und Beratungen entschied man sich für einen sechseckigen Block-Altar aus hellem Kordeler Sandstein. Man hatte erkannt, daß der Standort des Altars seine Form und Farbe weitgehend bestimmt. Die gedrungene Sechseck-Säule, ein hexagonales Prisma, paßt in die sich verjüngende, fensterlose Apsis, zu der von drei Seiten Stufen hinaufführen und wird durch die helle Farbe betont hervorgehoben. Im oberen Drittel der sechs quadratischen Seitenflächen ist ein Relief eingemeißelt, das in zwölf Bildern die Mosesgeschichte erzählt und dem Altar eine dekorative Fernwirkung verleiht. So ist der monumentale Altarblock die bestimmende Mitte des sakralen Raumes. Er ist aber auch würdevolle Opferstatt, Zeichen und Sinnbild des Herrn!

Im Triumpfkreuz, das über dem Altar hängt, ist das Symbol der Opferstätte sichtbar: Christus Jesus. Das ergreifende Kunstwerk ist eine Nachbildung eines mittelalterlichen Kruzifixes vom Steinfelder Hof bei Maria Laach. Der Bildschnitzer ist unbekannt, doch ist nicht von der Hand zu weisen, daß die Darstellung an die Kunstform von Tilman Riemenschneider, dem vielleicht größten Bildhauer des Mittelalters, erinnert. Das vollendete Werk hat nichts Erschreckendes an sich, vielmehr ist es von einem Hauch anziehender Schönheit überstrahlt und kündet in einem einzigartigen Zauber den Triumph über Leben, Leiden und Tod!

Die Großfenster der Kirche gewähren künstlerischen Entwürfen auch dann noch viel Spielraum, wenn bereits einheitliche Bildthemen für jede Fensterseite festgelegt sind. In der Grundsteinbeschriftung ist die Thematik der Kirche grundgelegt: Kreuz und Auferstehung. Sie sollte auch in den Buntfenster-Bildern zum Ausdruck kommen. Für eine Seite waren Bilder zu wählen aus Christi Leben und Leiden, für die andere Seite aus der Zeit der Auferstehung und Verherrlichung. Viel Zustimmung fand der „Medaillon-Entwurf" von Paul Weigmann aus Leverkusen, der von der Fa. Kaschenbach, Trier, ausgeführt wurde. Dabei handelt es sich um jeweils eine Reihe gleichgroßer, quadratischer Bilder, die Szenen aus der gestellten Thematik in zeitlicher Folge darstellen. Es sind feinsinnige, liebenswerte Schmuckstücke! Klar und einfach gezeichnete Gestalten auf pastellfarbigem Hintergrund eingerahmt in schmalem Weiß mit zierlichen Rundungen. Die Eigenartigkeit der ideenreichen Kompositionen, die zum Gespräch geradezu herausfordern, verdienen Bewunderung! Wie auf einem Band laufen die Bilder, von links wie von rechts kommend, auf das Triumphkreuz zu. Hier treffen sich Tod und Auferstehung in einem Zeichen. Die Medaillon-Fenster verleihen belebenden Schwung und lassen schauen, was das Evangelium in Worten verkündet.

Das Tabernakel, ein Wandgehäuse aus weißem Kalkstein, entworfen und ausgeführt von Bildhauer Hahn, Trier, ragt wie ein turmförmiger Erker, für alle in der Kirche sichtbar, aus der Wandfläche hervor. In der Mitte liegt hinter Glaswänden, der vom Ewigen Licht durchleuchtete Raum für das Ziborium mit dem heiligen Brot. Alle Wände des steinernen Gehäuses sind angefüllt mit anbetenden Engeln, die sich mit ausgebreiteten Flügeln berühren. Jede Materie zwischen den Lichtgestalten ist entfernt. Damit wird der kleine Gottestempel zu einem lebendigen Sanktus.

Der Patronatsherr, der hl. Papst Kornelius, eine Statue, war in den beiden ersten Darscheider Kirchen vorhanden, sie ging leider verloren — ist nun wieder in einer neuzeitlichen Plastik aufgestellt. Ein junger Bildhauer der neuen Kölner Schule, Theo Heiermann, hat ihn eigens für die Darscheider Kirche geschaffen. Die farbenfrohe, an bäuerliche Volkskunst erinnernde Darstellung ist nicht Nachbildung alter Kunstform, sondern echte Neuschöpfung. Sie will nicht modern aktuell sein, sondern nach verbindlicher Tradition eine Gestalt vergegenwärtigen, die in schwerster Zeit der Herde Gottes ein gütiger Hirt und der Kirche ein sicherer Steuermann war. Sein Pontifikat währte von 251—253. Er starb in der Verbannung und liegt in der Calixtus-Katakombe begraben. Für das christliche Volk ist er der große Fürsprecher, der Erste unter den Marschällen Gottes! Lange bevor der Kirchenbau begann, am 12. Oktober 1968, schrieb Pastor Hermann-Josef Hellinghausen im Pfarrbrief: „Die Kirche soll im Dorf stehen wie der Christ in der Welt: einfach und bescheiden, frei von Schnörkeln, echt und wahr, nicht ärmlich, vielmehr voll stiller Größe, nicht kahl und kalt, sondern Geborgenheit ausstrahlend, nicht gefühlsdusselig, sondern besonnen. Ich glaube, daß die neue Kirche diese Anforderungen erfüllen wird."

Die gesamte Pfarrgemeinde weiß, daß die neue Kirche die Anforderungen mehr als erfüllt hat. Sie weiß auch, daß sie sehr großen Dank schuldet für das Gotteshaus unter dem goldenen Engel, das alle Liebe verdient!

Heilig-Kreuz-Kirche in Darscheid