Grünen und Blühen auf dem Hochkelberg

Alfons Poss

Die vor einigen Jahren errichtete Funkanlage der Deutschen Bundesbahn zieht viele Besucher zum Gipfel des Hochkelberges. Der Besucher nimmt die Gelegenheit wahr, von der Plattform des Turmes (65 m) aus eine Aussicht zu genießen, die sich von anderen Höhen der Eifel kaum herrlicher bietet. — Schon immer aber lohnte sich eine Wanderung zum Hochkelberg. Den Naturfreund lockten die zahlreichen Kostbarkeiten der Pflanzenwelt, die an den Hängen und auf dem Gipfel des Vulkankegels anzutreffen sind.

Das Schneeglöckchen im Garten hat den Frühling eingeläutet. Da lugen am Gipfelhang des Hochkelberges alsbald azurblaue Äuglein zum sonnigen Himmel empor. Es sind die Blüten der Zweiblättrigen Meerzwiebel (Scilla bifolia). Die beiden Laubblätter der etwa 15 cm hohen Zwiebelstaude umschließen bis zur Hälfte den runden Schaft, der zwei bis fünf blaue Blütensterne trägt, denen das sehr anmutige Pflänzchen auch den Namen „Blaustern" verdankt.

Mit dem zierlichen Blausternchen kündet an gleicher Stelle das Lungenkraut (Pulmonaria officinalis) das Winterende. Die bis zu 30 cm hochsprießende Pflanze fällt besonders durch die wechselnden Farben ihrer Blüten auf. Diese sind zuerst rot, dann violett und schließlich blau. Die Verfärbung erfolgt nach der Bestäubung und beruht auf dem dann abnehmenden Gehalt der Blüte an Säure. Es ist interessant zu beobachten, daß die Hummeln immer nur die roten Blüten anfliegen. Ein besonderes Merkmal der Pflanze sind auch die rauhbehaarten Stengel und Blätter. Ehemals wurde die Pflanze gegen Krankheiten der Lunge gebraucht, daher auch ihr Name.

Hinter einem dicken Basaltbrocken will sich der Seidelbast (Daphne Mezereum) verstekken. Aber der starke Blütenduft hat uns die Nähe dieses meterhohen Strauches schon verraten. Die Zweige sind dicht übersät mit rosaroten, sehr wohlriechenden Blüten. Gerne möchten wir ein paar Zweiglein für die Blumenvase abbrechen. Wir besinnen uns aber, daß der Strauch ein scharfes Gift enthält, das auf die Haut eine blasenziehende Wirkung ausübt. Der Geruch der Blüten ist betäubend und ungesund. Zur Zeit der Heidelbeerreife leuchten an den Zweigen die scharlachroten Früchte. Sie sind nicht weniger prächtig als der Blütenschmuck des Vorfrühlings. Etwa zehn Beeren genügen, um den Tod des Menschen herbeizuführen. Das Gift des Seidelbastes wird in der Medizin als hautreizendes Mittel in Pflastern und Salben verwandt.

Der Hochkelberg, aufgenommen vor der Errichtung der Funkanlage

Über Steingeröll erklettern wir nun die Gipfelhöhe. Wir stehen 674,5 m über dem Meeresspiegel. Der Blick gleitet rundum über die Eifellandschaft mit ihren Bergen und Tälern, Wäldern und Ackerfluren. Geruhsam eingebettet in die reizvolle Landschaft grüßen zahlreiche Dörfer nah und fern. — Während einer kurzen Rast eilen unsere Gedanken weit in die Vergangenheit zurück.

In seinem Namen hält der Hochkelberg das Andenken an die Kelten wach, die vor zwei bis drei Jahrtausenden die Bewohner unserer Heimat waren, „kel" ist nämlich die keltische Bezeichnung für „Höhe". Die Kelten waren es auch, die den nördlichen Gipfel, auf dem wir uns befinden, mit einem steinernen Ringwall krönten. Die einstige keltische Fliehburg kennzeichnet sich noch in drei auffallenden Steinterrassen. Ob die eiserne Krone auf dem wenige Meter tieferliegenden Südgipfel auch zwei Jahrtausende überdauern wird? — Nach den Kelten kamen die Römer. Sie errichteten auf dem Hochkelberg einen Wachtturm aus Basalt und Grauwacke. Tonscherben und der dem umherliegenden Gestein anhaftende Kalkmörtel beweisen die Befestigungsanlage der Römerzeit. Am Hochkelberg stießen die römischen Provinzen Belgica, Ober- und Niedergermanien zusammen. Über den Westabhang verlief eine römische Straße nach Norden zur Colonia Agrippinensis, nördlich vorbei führte die berühmte Cäsarstraße Lüttich—Andernach. Ebenfalls eine östliche Straßenführung der Kelten- und Römerzeit querte den Südhang. Auch das ganze Mittelalter hindurch bis zur Franzosenzeit war der Hochkelberg „Dreiländerecke". Die Grafschaft Virneburg grenzte hier an kurtrierisches Gebiet und an die kurköinische Exklave „Usse" (Uess). Als historische Stätte steht der Hochkelberg verständlicherweise unter Denkmalschutz.

Die einstige menschliche Besiedlung des Berggipfels zeigen auch einige Unkräuter an. Auffallend ist besonders die Große Brennessel (Urtica dioica), die zwar nicht ganz so sehr an die Stätten menschlicher Kultur gebunden ist wie ihre kleinere Schwester. Es ist wenig ratsam, die dichten, über meterhohen Bestände zu durchqueren. Lieber machen wir einen kleinen Umweg, wenn wir zur Sommerzeit einmal nach Herzenslust Waldbeeren naschen wollen. Sie reifen unterhalb der hohen Tannen am Nordhang. In den Dörfern ringsum lebt noch die Sage vom goldenen Wagen auf dem Hochkelberg.

Die letzten Sucher des Schatzes haben die Vertiefung auf dem Gipfel hinterlassen. Verrät nicht das Christophskraut (Actaea spi-cata), welches wir da und dort entdecken, das Geheimnis des Berges? Die Pflanze trägt doch den Namen des Heiligen, den die Schatzgräber als Patron verehren. Im Juni öffnen sich die blaßvioletten, unangenehm riechenden Blüten. Die zuerst roten, dann tiefschwarzen glänzenden Beeren sind giftig. Ein besonderes Kennzeichen der Pflanze, die zu den Hahnenfußgewächsen gehört, sind die doppelt dreiteiligen, langgestielten Blätter.

Vergeblich suchen wir im Mai noch die Stellen, wo bald nach der Schneeschmelze das Blausternchen geblüht hat. Seine oberirdischen Teile sind verwelkt und vergangen. Erst nach dem nächsten Winterende werden neue Blätter und Blüten aus der dunklen, fruchtbaren Vulkanerde sprießen. — Ja, die blühenden Pflanzen des Waldes haben zumeist große Eile. Gar bald hat sich das grüne Blätterdach über ihnen geschlossen, welches die bestäubenden Insekten fernhält und die lebenspendenden Sonnenstrahlen für sich allein beansprucht. Die Spätlinge müssen sehr bescheiden sein.

Aber auch dann, wenn das jugendfrische Grün der Laubbäume uns volle Frühlingsfreude beschert, finden wir auf dem Waldboden noch manche hübsche Blumenpflanze. Bemerkenswert ist zunächst das Salomonssiegel (Polygonatum officinale), ein Liliengewächs, das eine Höhe von 50 cm erreicht. Die wechselständigen Blätter sind seitwärts gerichtet. Glöckchenhaft hängen die grünlichweißen Blüten in den Blattachseln.

In dichten sattgrünen Beständen beherrscht das ausdauernde Bingelkraut (Merkurialis perennis) stellenweise das Bodenfeld. Die eingeschlechtlichen Blüten dieser Pflanze sind unscheinbar. Das Bingelkraut, das etwa 30 cm hoch wird, gehört zu den Wolfsmilchgewächsen. Es enthält ein betäubend scharfes Gift.

Bevor noch das Vergißmeinnicht drunten im Wiesengrund seine Blauäuglein geöffnet hat, blüht auf dem Hochkelberg das Waldvergißmeinnicht (Myosotis silvatica). Nicht nur durch das dunklere Blau, sondern auch durch größere Blüten unterscheidet es sich vom Sumpfvergißmeinnicht. Dazu fällt die starke Behaarung auf.

Unter dichtem Buschwerk drängen sich die breiten pfeilförmigen Laubblätter des Aronstabes (Arum maculatum). Der Blütenstand der seltsamen Pflanze ist von einem großen, tütenförmigen Hüllblatt eingeschlossen. Aus diesem ragt ein violetter Kolben, der durch Farbe und Geruch die Insekten anlockt. Narben und Staubblätter sitzen tief unten im geschlossenen Teil des Hüllblattes. Darüber befinden sich abwärts gerichtete Drüsenhaare, die den Blütenstand zu einer reusenartigen Falle für die Insekten machen. Die Reusenhaare gestatten den Fliegen, die an dem glatten Kolben nach unten abrutschen, zwar den Zugang zur Blüte, versperren ihnen aber für einige Tage den Rückweg. Nach der Betäubung verwelken nämlich die Borsten, so daß die Insekten wieder ins Freie gelangen können. Vielleicht geraten sie dann in die Kesselfalle einer benachbarten Pflanze und erleben dort wieder das gleiche Abenteuer. Nach der Blüte fällt der obere Teil des Kolbens ab. Die Blätter verwelken; aber noch lange ist die Pflanze an dem scharlachroten Beerenstand zu erkennen.

Unser Weg führt uns nun den steilen Ostabhang hinunter und dann am Waldrand vorbei südwärts. An den Buchenwald schließt sich dunkler Tannenforst. Bevor wir den Weg erreichen, der von Sassen zum Hochkelberg führt, biegen wir nach rechts in lichtes Buschgelände ein. Hier wächst das Kleine Immergrün (Vinca minor). Lang ranken die Stengel am Boden hin. Die Äste, welchen die anmutigen hellblauen Blüten entspringen, sind aufwärts gerichtet. Sehr wohl wissen die Sassener, daß man aus den Ranken mit den wintergrünen Blättern prächtige Kränze winden kann. Der Kranz aus Immergrün schmückt am Allerheiligen- und Allerseelentage die Gräber der toten Angehörigen auf dem Pfarrfriedhof in Uess. Das Immergrün findet sich mit Vorliebe in der Nähe verlassener menschlicher Wohnstätten. Es ist sehr gut anzunehmen, daß die Pflanze hier den Ort einer römischen Siedlung anzeigt. Die Tonscherben, welche auf den Äckern am Waldrand gefunden wurden, beweisen die römische Ansiedlung in unmittelbarer Nähe.

Im Schatten des Buchenwaldes treffen wir am Südabhang des Hochkelberges auch das Maiglöckchen (Convallaria majalis) an. Seine wohlriechenden und zierlichen Blütenglöckchen machen das Pflänzchen allgemein beliebt. Es muß aber darauf aufmerksam gemacht werden, daß alle Teile des Maiglöckchens sehr giftig sind. Die Giftstoffe finden als Herzmittel Verwendung. Die getrockneten Blüten erregen Nießen. Sie bilden den Hauptbestandteil des Nießpulvers und des Schnupftabaks.

Wenig unterhalb des Südgipfels ragen zur Sommerzeit die zuweilen mannshohen Stauden des Roten Fingerhutes (Digitalis purpurea) empor vom Weiß über zartes Rosa bis zum Purpur die Blütentrauben, je nachdem sie die Sonnenstrahlen erreichen. Der blühende Fingerhut bietet ein Bild geheimnisvoller, bezaubernder Märchenschönheit. Blätter und Samen enthalten das Digitalis, ein Gift, welches eines der wichtigsten Herzmittel unseres Arzneischatzes ist. Das Pflanzen- und Blütenkleid ist sehr bedeutungsvoll für den Reiz einer Landschaft.

Wie immer im Leben, so ist auch hier das Schöne und Seltene Begehrenswert. Das Begehren besteht leider allzuoft im Zerstören. Mutwilliges oder unbesonnenes Vernichten beeinträchtigt die Schönheit der Natur, die Schönheit der Heimat. Gewiß, es gibt ein Gesetz, das den Pflanzenarten, die sich durch Schönheit, ihre Seltenheit oder durch ihre wissenschaftliche Bedeutung auszeichnen, besonderen Schutz gewährt. Von den genannten Pflanzen stehen Seidelbast gänzlich, Blaustern und Maiglöckchen teilweise unter Naturschutz. Schützenswert sind jedoch auch Lungenkraut, Salomonssiegel, Aronstab, Immergrün und Roter Fingerhut. Nicht die Androhung der Strafe soll uns aber zum Schütze der Natur anhalten, unser Naturschutz sei vielmehr Ausdruck unserer Natur- und Heimatliebe.