Vom alten Betzberhaus in Darscheid

Hans Mühlhaus

 

Das Haus, die Heimat, die Beschränkung, die sind das Glück.

Theodor Fontane

Als Baumeister Krähe im Jahre 1909 unter dem Kastanienbaum im Darscheider Unterdorf seine Staffelei aufstellte, um das alte Betzberhaus zu malen, war die Zeit der Strohdächer längst vorbei. Schon seit den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hatte sich in der Eifel das Steinhaus immer mehr durchgesetzt. Fachwerkbauten wurden von Jahr zu Jahr seltener. Da fand der kunstsinnige Baumeister aus Gerolstein es an der Zeit, im Bilde zu erhalten, was der Fortschritt auszulöschen drohte. Er, der den Kreis Daun genau kannte, wählte als Modell „der guten alten Zeit" das Betzberhaus mit dem moosfleckigen Strohdach, dem zur Straße vorspringenden Anbau und den kantigen Eichenbalken, die die Hauswände aufteilten in lauter helle Felder.

Nach dem erfolgten Abbruch des Hauses in Darscheid hing das Bild jahrzehntelang in der Kraheschen Wohnung in Gerolstein, geachtet und behütet, in bester Gesellschaft von vielen altertümlichen Dingen. — Erst lange nach dem Tode des Vaters, als die Bomben des zweiten Weltkrieges das Haus Krähe arg demoliert hatten, entdeckten die Töchter, die inzwischen ihr Domizil in Darscheid gefunden hatten, daß das Bild ausgerechnet in Darscheid entstanden war. Sie brachten das beachtliche, historisch wertvolle Stück mit in den Ort seiner Entstehung, wo es ein frohes Wiedersehen gab und eine frohe Erinnerung an die Menschen jener Zeit: an ihre Eigenart, ihre Mühen und ihr stilles Glück.

Man kannte es gleich wieder, das alte Betzberhaus, das dort gestanden hat, wo heute das neue Betzberhaus steht. Seinen Namen bekam es von dem Erbauer, der aus Pützborn (Betzber) nach Darscheid gekommen war. Das mag im 17. Jahrhundert gewesen sein. Seitdem bot das Haus vielen Familien Obdach, Herd und Heimat. Zuletzt waren es drei Hausgemeinschaften, die zusammen unter einem Dach wohnten: Nikolaus Johann, Matthias Schmilz und Philipp G ö d e n. Im Dorf nannte man sie nach dem Hausnamen: Betzber Klaschen, Betzber Mattes und Kate Ihm Philipp. Einen Namen hat der Maler mit Berufsangaben auf der Rückseite seines Gemäldes eigenhändig aufgeschrieben:

Nikolaus Johann

Ackerer, Händler, Strohdecker und Lumpensammler in Darscheid.

Betzberhaus m Darscheid, nach einem Gemälde von Krähe

Dieser vielseitige Mann muß demnach sehr fleißig und geschickt, aber auch sehr strebsam gewesen sein, sonst hätte er das alles nicht tun können. Zwar war sein Acker nicht groß, zu einer Kuh reichte es nicht, aber seine Geiß konnte sich sehen lassen; „sie stand immer gut im Futter", und das Geißenstallchen unter dem Hausanbau bot genügend Platz für das Tier und sein Winterfutter. Strohdecker war damals sicher ein vielgefragtes Handwerk, aber es genügte ihm offenbar nicht, und weil er auch noch Lumpenhändler war, also „aus Lumpen Geld machte", hatte er den Spitznamen Lumpenklaschen bekommen. Auf dem Bilde sieht man ihn. Er sitzt vor seiner Haustür und dengelt die Sense. Seine Frau ist zu sehen, wie sie mit einem gefüllten Sack auf der Schulter in gebückter Haltung zum Hause schlurft. Von ihm geht die Mär, daß er sehr sparsam gewesen sei, daß es aber gespauzt habe, wenn sein Käätchen leichtfertig Geld ausgegeben hatte. Dennoch, so sagt man weiter von ihm, habe er in der Kirche nie rotes Geld geopfert, sondern stets weißes, was wiederum beweist, daß er nicht geizig gewesen war. Seinen Hauseingang hatte er bereits mit Hasselsteinen ummauert, und in seiner Küche hebt sich aus dem dürftigen Inventar ein Schrankofen hervor, eine besondere Errungenschaft damaliger Zeit! In der Kammer nebenan standen seine Handelswaren: bunter Kleinkram und süße Zuckerpfeifchen. Für alle Dorfkinder war es die Schatzkammer, in die nur der hineindurfte, der draußen die gesammelten Lumpen und Knochen abgegeben hatte. Die Dachkammer konnte nur mittels einer Leiter von der Küche aus erreicht werden. Man rühmte ihr nach, sie sei im Sommer kühl und im Winter warm gewesen. Es ist jedoch einwandfrei bezeugt, daß an vielen Wintertagen der pulverige Schnee Bett und Fußboden bedeckte Schließlich sei noch des Kellers gedacht, „et wor en Krauch", eine Vertiefung unter dem Hause, in der man nicht aufrecht stehen konnte.

An der rechten Giebelseite wohnte Matthias Schmitz — Betzber Mattes. Die zweigeteilte Haustür stand im Sommer halb offen und ließ Licht und Sonne durch ihre obere Hälfte m das Zimmer hinein. Der Raum diente als Wohnküche und Schlafzimmer zugleich. Die Mohn Susann, die kleine freundliche Hausfrau, hielt ihn trotz seines gestampften Lehmbodens blitzsauber. Im anliegenden Hausgarten blühten hinter dem Holzzaun die Tausendschönchen, wuchsen „Buhne, Murre un de Kiehl". Mattes schaffte viel im Garten und ließ dabei sein Pfeifchen nicht ausgehen, was ihm den Zunamen Flämpmattes einbrachte. Aber das Pfeifchen paßte zu ihm, zu seiner leutseligen, gemütlichen und hilfsbereiten Art. Mohn Susann war Handarbeitslehrerin des Dorfes. Wenn sie zur Schule kam, freuten sich die Mädchen sehr. Sie spürten, ein Stück Sonnenschein war zu ihnen gekommen. Das Sticken und Stopfen der Strümpfe ging unter ihrer Anleitung mit Eifer und Liebe voran.

Im unteren Teile des Hauses wohnte „Kätte Ihm Philipp", auch Äschephilipp genannt, weil er Holzasche aufkaufte. Er bewohnte den größten Teil des Hauses. Seine Küche war mit Steinplatten ausgelegt. Die durch drei Stufen erreichbare Schlafkammer hatte einen Holzfußboden. „Ihm Philipp" stand sich, wie man so sagt, am besten. Er, der Kuhbauer, war fundierter als die anderen Hausbewohner. Auffallend ist es, wie klein die Stallungen waren, aber es gab damals weniger Vieh und Futter als heute. Im „Pasch" standen seine Bienenkörbe. Im Herbst wurden die schwersten Völker abgeschwefelt, die Waben aus den Körben herausgeschnitten, durch ein Tuch gepreßt, und was dabei herausquoll, war Honig voller Kraft und Saft. Kätte Ihm Philipp, der früh Witwer geworden war, lebte ganz allein mit seinen Tieren. Sicher war die melancholische Stimmung seines Gemütes mit Anlaß, daß man ihn allein ließ und von ihm sagte, er könne „die Hankäsch erus losse." Damit waren die Dasselfliegen gemeint, deren Summen bereits genügt, um das Weidevieh „beisen", d. h. wie toll fortlaufen zu lassen. Vielleicht waren aber auch seine Bienen an dem Aberglauben mit schuld. Sicher ist, daß manches Glas Honig für Kranke bei ihm zu haben war.

Welche Fülle von guten Erinnerungen vermochte das Gemälde des alten Betzberhauses im Gedächtnis des Dorfes zu wekken! Es stammt aus einer armen und dürftigen Zeit, die niemand zurückwünschen möchte. Aber die Genügsamkeit der Menschen war ihr großer Reichtum. Ob man das auch einmal uns nachsagen wird?