Die Sage vom »Spitzen Kreuz«

Heinrich Schmitz

Es war im Hochsommer des Jahres 1639. In Deutschland wütete der 30jährige Krieg mit seinen Bundesgenossen, dem Hunger und der Pest. Besonders der Ort Bodenbach, der damals noch zur Pfarrei Kelberg gehörte, hatte unter der Pest schrecklich zu leiden. Schon die Hälfte der Dorfbewohner hatte sie als Opfer gefordert, und noch immer war das Ende des Schreckens nicht in Sicht. Manche Nacht hatte den Pestwagen gesehen, der sich einsam nach Kelberg bewegte, wo dann die Todesopfer vor Anbruch des neuen Tages begraben sein mußten. Heute war „Pitzen Hannes" mit dieser Todesfahrt betraut, und sein trauriges Gefährt hatte eben den letzten Höhenzug im Suhrbösch erreicht. Seine Ochsen, denen die Hungerkur der letzten Jahre fast alle Kraft geraubt hatte, hielten plötzlich inne. Hannes gönnte ihnen gern etwas Rast, zumal der Restweg bis Kelberg nur noch wenige Minuten betrug. Ihm selbst versagten die Beine auch fast den Dienst. Mit einem tiefen Seufzer ließ er sich im Waldmoos nieder. Den Kopf in die schwielige Hand gestützt, überdachte er das Elend der Zeit. Auf einmal lenkte er seinen Blick nach den über ihm funkelnden Sternen. Seine Lippen fingen an sich zu bewegen, und aus innerstem Herzen sprach er: „Herrgott im Himmel, hilf doch! 'Nimm die Pest hinweg! Sollte dies der letzte Tote sein, den Du aus unserem Dorfe forderst, so verspreche ich Dir, an dieser Stelle ein Kreuz errichten zu lassen." Getröstet fuhr Hannes weiter. Auf dem Rückweg wiederholte er sein Versprechen. Einige Tage später ging die Krankheit zurück. Der Herrgott hatte den Hannes erhört. Getreu seinem Wort ließ der dankbare Pitzen Hannes ein rotes Steinkreuz an der Stelle errichten, dessen Kopfstück zu einem spitzen Dach ausgearbeitet ist und dem Kreuz den Namen gibt. Lange Zeit hatten die umstehenden Fichten das Kreuz den Blicken des Wanderers entzogen. Heute steht es frei, ein Erinnerungszeichen an Gottes Hilfe in schwerer Zeit.