Eifelstraßen

Dr. Batti Dohm

Für mich?" ruft die kleine, schwarzhaarige Claudia und wirft jauchzend ihrem Schatz, dem Kelto-Romanen Sincor, den sie Flavus — tien Blonden — nennen, die Arme um den Hals.

Dann dreht und wendet sie zwei kunstvoll geschnittene, reich mit Figuren geschmückte Haarpfeile bewundernd nach allen Seiten. „Oh, wie schön! Echt Hirschhorn! Daß es in diesem barbarischen Gallien und der schaurigen Suva arduenna so kunstvolle ..." Lachend wehrt der große, sommersprossige Sincor ab — „Langsam, Parvula-Puppe! Den kapitalen Sechszehnender habe ich selbst erlegt ..." „Du selbst?!"

Sincor nickt. „AD NONAM LAPIDEM — Am Kilometerstein 9", sagt er, „hoch oben in der Suva arduenna."

„Und von wem hast du aus dem kapitalen Geweih diese schönen Pfeile schneiden und verzieren lassen?"

„Hab' ich selber gemacht."

„Du! Daß du das kannst! Habt ihr in der Legion da oben denn dazu Zeit?"

Meinst du!" Sincor nimmt sie in den Arm. „Sitz mal einen Winter lang auf dem Wachtturm in AUSAVA . . ."

Die kleine Römerin schüttelt sich. „Puh! Flavus! Hör auf! Mich friert, wenn ich's schon höre: Winter in der Suva arduenna ..."

Es ist lange her, seit sich das kleine, verliebte Mädchen das Geschenk ihres heimgekehrten Legionärs ins schwarze Haar stecken ließ — an die 1600 Jahre wenigstens — doch aus dem AD NONAM LAPIDEM ist das Dorf Nohn im Kreise Daun geworden — und der Wachtturm von AUSAVA steht auch noch. Er ist der viereckige Turm des kleinen Kirchleins von Oos, ebenfalls im Kreise Daun, das aus Ausava geworden ist.

Als Teil des römischen Weltreiches wurde die Eifel zu einem wichtigen Durchgangsgebiet zwischen dem gallischen Süden am Mittelmeer und dem germanischen Norden. Die reichen Mittel der Weltmacht und die Notwendigkeit guter Verkehrsmöglichkeiten führten zur Anlage großer Herrstraßen, den Autobahnen von heute vergleichbar. Sie hatten, im Gegensatz zu den vorher schon bestehenden Wegen, einen festen Unterbau, entweder Pflaster oder Packlage mit Grob-und Kleinschlag. Trier, nicht nur Mittelpunkt römischer Kultur und Verwaltung, sondern seit 286 n. Ch. kaiserliche Residenz, wurde mit Bonn und Köln, dem Verwaltungssitz des Niederrheingebietes, verbunden. Die Straßen, die sich an die Siedlungsräume hielten, führten über die Eifelhöhen. Etwa von Blankenheim ging die Abzweigung nach Bonn. Eine andere Hauptstraße führte von Trier nach Kaisersesch in die Voreifel und nach Mayen. Auch die große Verbindungsstraße von Reims nach Köln ging durch das Schleidener Tal und hatte Anschluß an die Kölner Straße.

Auf einer einsamen Eifelstraße

Zwangsläufig ergaben sich an diesen Straßen Bauten, teils zur Sicherung, d. h. Postenhäuser, teils dienten sie dem Verkehr selbst, waren Pferdewechsel- und Nachrichten-Stationen und Tavernen, d. h. Herbergen. So kam es zu neuen Ansiedlungen mit ganz anderem als bäuerlichem Charakter. Kaufleute und Händler sowie Gewerbetreibende ließen sich nieder. Aus BEDA entstand Bitburg, AUSAVA, schon genannt, wurde Oos, ICORI-GIUM Jünkerath im Kreise Daun, MARCO-MAGUS Marmagen im Kreise Schleiden u. a. Die Ausgrabungen zeigten Häuserzeilen an beiden Straßenseiten, modern ausgedrückt eine Geschäftspassage. Sie sind uns sogar durch das antike Städte- und Hotel-Adreßbuch ITINERARIUM ANTONII bekannt, das 300 n. Chr. neu bearbeitet wurde. So trugen die Römerstraßen als Lebensadern der alten Welt nicht nur zur Erschließung, sondern auch zur Besiedlung der Eifel bei und ließen Handel und Gewerbe in ungeahntem Maße aufblühen. Was an den großen Straßen Trier — Köln und Aachen an Städten und Dörfern liegt, ist fast ausschließlich römischen Ursprungs.

Um die Wende des 5. Jahrhunderts wurde die Eifel fränkisch und um die Suva arduenna entstanden die Stammlande der Karolinger und die Gaueinteilung. Innerhalb des Ardenner Waldes wurde der Eifelgau geschaffen. Mit ihm taucht zum ersten Male der Name EIFEL auf. Er umfaßte im N noch das Quellgebiet der Erft, reichte im O bis zur mittleren Ahr, im S bis an die Wasserscheide zur Mosel und im Westen an die Ardennen. Erst später hat sich der Name auf das heute als Eifel bezeichnete Gebiet ausgedehnt. Durch die engen Beziehungen zu dem mächtigen Königshause begann die große Zeit der Eifel. In großer Zahl lagen in ihrem Gebiet die Königshöfe, von denen reger Verkehr zur Kaiserstadt Aachen bestand. Karl der Große selbst jagte oft in den Eifelwäldern. Das Straßenbild erfuhr kaum eine Veränderung, man zehrte vom römischen Erbe, doch nun waren es friedliche Passanten und Züge oder Wallfahrer, die landauf- und -ab zogen. Die großen Klöster der Eifel, die im Mittelalter fast zu kleinen, reichsunmittelbaren Stadtstaaten wurden, beherrschten das Straßenbild. Vor allem ist die Abtei Prüm zu nennen, der Karl seine besondere Gunst schenkte und mit reichem Besitz ausstattete. Als die neuerbaute Kirche 799 eingeweiht wurde, war er selbst zugegen und soll Papst Leo III. veranlaßt haben, die Konsekration vorzunehmen. Aus der Zeit der großen Abteien stammt der WEINWEG, die Verbindung von Stablo-Malmedy-Prüm nach Bernkastel, auf dem die Klöster ihre Weine von der Mosel heraufbeförderten. Ein Blick auf die Eifelkarte zeigt, daß er, wenn auch nur streckenweise, bis heute unter dem alten Namen erhalten ist.

Doch das Mittelalter ließ, wie überall, auch in der Eifel die Wege verkommen, die alten Römerstraßen waren unter dem Tritt der die Jahrhunderte durchwandernden Völker verfallen, die Kleinstaaterei tat das Letzte dazu. Unglaublich klingt, wie lange der als Gesandter des Kaisers nach England reisende Landgraf von Leuchtenberg, brauchte. Die Reise ging von Gerolstein, dem Schloß seines Schwiegervaters, aus und begann — es waren 114 Personen und 100 Pferde — am 14. Juni 1605. Am ersten Tage kam man bis Prüm. d. h. legte eine Strecke von 20 km zurück. Bis Calais benötigte man 19 Tage. Unzureichend wie die Straßen waren die Unterkunftsmöglichkeiten, sodaß in Prüm z. B. in der Abtei Nachtquartier bezogen werden mußte.

Noch schlechter wurden die Verhältnisse gegen Ausgang des Mittelalters. Fast zwei Jahrhunderte lang spielten sich in den Eifelbergen wilde Kämpfe ab und brachten nur Elend und Not, vielerorts völlige Vernichtung und Ausrottung. Wenn auch 1721 im ehemaligen Kurtrier, zu dem große Teile der Eifel gehörten, ein einigermaßen planmäßiger Wegebau einsetzte, um die Postverbindung nach Paris — Koblenz zu ermöglichen, so war 1752 die Poststraße durch die Eifel so schlecht, daß sie nur mit doppelter bis dreifacher Bespannung befahren werden konnte. Als die Franzosen 1795 in Trier einrückten, war sie unpassierbar. Erst der Besuch Napoleons 1804 brachte eine Wende und nach 1400 Jahren begann wieder eine zielbewußte, großzügige Straßenbautätigkeit. — Die „Napoleonstraßen" haben noch heute guten Namen im Eifelland. Und in einigen der alten Hotels kann man im „Kaiserzimmer" wohnen. Als aber Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen, nachdem die Rheinlande an das Haus Hohenzollern gefallen waren, auf seiner ersten Eifelreise von Malmedy über Losheim in den ersten Novembertagen 1833 nach Daun fuhr, war die Straße so ausgefahren, daß die Stränge der Pferdegeschirre mehrmals rissen — und noch 1850 waren die Wege so schlecht, daß sie nur bei trockenem Wetter befahren werden konnten.

Thurn und Taxis'scher Postwagen

Den Anschluß an die Moderne verlor die Eifel dann sozusagen völlig, als die Landstraßen begannen, zu den veralteten Verkehrsmitteln zu rechnen und zugunsten der Eisenbahnbauten zurückgestellt wurden. Statt Straßen begann man 1862 mit dem Bau der ersten Eisenbahn ab Köln, die 1867 bis Kali, 1870 bis Gerolstein fertig wurde — und am 25. März 1871 befuhr als erster die ganze Linie Trier-Köln ein Zug heimkehrender deutscher Sieger!

Erst die allerjüngste Vergangenheit hat die Eifel bis in den letzten Winkel erschlossen. Dadurch, daß die meisten Straßen sich, wie so oft in der Eifelgeschichte schon, durch den letzten Krieg wieder in einem trostlosen Zustand befanden, mußte etwas getan werden — und die zunehmende Motorisierung verlangte nach weiterem Ausbau, da auch die Eisenbahnlinien zerstört waren.

So ist es streng genommen, erst heute, nach dem Kriege möglich, sei es per Bahn, Bus, Motor oder Rad, all das aufzusuchen, was jahrhundertelang, trotz unmittelbarer Nachbarschaft der Großstädte und der Verkehrsader Rhein ein völlig abgeschlossenes Dasein führte.