Eifeler Wildblumenstrauß

Gepflückt von Batti Dohm

 

Nicht in Sturzbächen von Farbe wie an Rhein und Mosel hält der Frühling in der Eifel seinen Einzug — das verhindern die Höhenlage und die schneidenden Winde. Auch kommt er viel später und verhalten, wirklich „wie auf leisen Sohlen."

Das Lila der knospenden Buchen an sonnigen Südhängen leitet ihn ein. In geschützten Tälern übernimmt dann die Hasel die Rolle. Bis es goldgelb aus den Kätzchen stäubt, schwingt sie das Frühlingspanier, selbst auf die Gefahr hin, daß der Griff einer eisigen Nacht es ihr entwindet und das Gold der Kätzchen zu traurigem Braun verfärbt.

Ein virtuoses Geigensolo, in Farbe und Duft übertragen, ist der Seidelbast, beglückend immer wieder, wenn man in dieser frühen Zeit des Jahres eines der eifeler Kalkgebiete durchwandert. Dem Vordringen des Nordlandeises vor vielen Jahrtausenden — der Eiszeit — verdanken wir diesen ersten Blütenstrauch unserer Laubwälder. Die Nordlandgletscher brachten auch die Samen der ersten Anemonen, der Kuhschelle, mit. Samtig-tieflila sind die großen, behaarten Glokkenblätter der Blüte, die goldgelbe Staubgefäße schützend umgeben. Wie die zauberhaften Eier des Märchenvogels Rok leuchten sie im Märzlicht aus den grauen Grassoden.

So als gönne die Kraft der Sonne diesen beiden die Rolle nicht mehr allein, gibt sie nun den Chören den Wink zum Einsatz. Betroffen von der Wucht ihrer kaum vorstellbaren Fülle steht der Wanderer vor dem Weiß-Grün der Märzbecher, die einen ganzen Hang bedecken. Fälschlich wird die Blume Schneeglöckchen genannt, doch ist die Blüte becherförmig, wie der Name sagt, mit zart grünem Tupf auf den spitz ausgezogenen Blütenblättchen und strömt einen hauchzarten Duft aus. Kurz auf den Märzbrecher folgt auf den Wiesen um Kalterherberg die wilde Venn-Narzisse.

Kommen nach diesem Blüten-Präludium auch noch, Jahr um Jahr, die bösen Eisheiligen mit den Spätfrösten, so können sie den Überschwang des Zur-Blüte-Drängens zwar zurückdämmen, aber nicht mehr aufhalten: Zartrosa getöntes Weiß des Buschwindröschens umsäumt die Teppiche der großblumigen Waldprimel, deren hohe, biegsame Blütenstengel die niedlichen Blattrosetten überragen. Trotz des Reifs auf der Höhe reckt, wie die Calla, im Mai der Aronstab die Tüte seiner fliegenmörderischen Blüte aus dem Heckenrand am Weg, aus dem im Herbst der korallrote Stab mit den giftigen Beeren leuchtet, welcher der Pflanze den Namen gegeben hat. Gleichzeitig heben sich die mächtigen Blütenschöpfe der Pestwurz in ihrem eigenartigen Braun-Lila sozusagen aus der nackten Ufererde des Baches, da sich die rhabarbergroßen Blätter erst hervorzurecken wagen, wenn keine Gefahr mehr zu befürchten ist.

Langsam und verhalten wird dann auch der Wald maigrün, der Bergahorn setzt einen gelben Akzent darauf, sekundiert vom Berg-holunder, der sich mit zierlichen Blütenbällchen gleicher Farbe schmückt. Und wie kleine, weiß platzende Raketen erhellen die Blüten des Bärenlauchs die Eckchen und Winkel im Unterholz.

Wenn längst im großen Eifeler Naturgarten, kaum irgendwo eingeengt, der große Farbrausch alles ergriffen hat, springt er auch auf die Kulturgewächse über. Doch nur in geschützt liegenden Dörfern spielt die Obstbaumblüte in der eigentlichen Eitel eine Rolle, so daß man sagen muß, nur die „wilde" Farbe regiert. Köstlich ist jedoch zu beobachten, wie „die Wilden" in die geschützten Bezirke der Gärten einbrechen! Am mutigsten, ja verwegensten sind die so scheu und keusch anmutenden Primeln der feuchten Waldhänge. Allenthalben haben sie durch die Hummeln und Bienen — die Postillons d'amour — die hochgezüchteten Artgenossen aus allen Gegenden der Erde bis zum Himalaja herangeholt, liebend grüßen lassen, so daß die buntscheckigsten Primelkinder geboren werden, und der Blumenfreund erstaunt auf die Nachkommenschaft seiner Lieblinge im nächsten Frühjahr herabschaut!

Besondere Erwähnung verdienen die Erdorchideen, die den Primeln folgen. Den Reigen eröffnen im Mai die Knabenkräuter, deren sattes Rot-Lila an vielen Stellen die Hänge koloriert. Ihnen folgen, je weiter das Jahr vorschreitet, die seltenen, ans Wunderbare grenzenden Geschwister: die Fliege, die Biene, die Spinne oder Hummel — und die schönste: der Frauenschuh. Sie sind so kostbar, daß ihre Standorte von dem, der sie kennt, wie ein großes Geheimnis gehütet und niemals verraten werden.

Höhepunkt und Abschluß des Frühjahrs ist die Ginsterblüte. Die bisher vegetationslos wirkenden Halden der dunklen Vulkansande oder des Hasselsteins sind zu einem einzigen Fanal in Gelb geworden und entschädigen in diesen kurzen Wochen des Überschwangs für alle Monate trostlosen Graugrüns.

Ist die Farbkraft der Wildblumen auch verhalten, ringt sie auch schwer mit dem rauhen Ost, dem eisigen Nord, so hat sie doch einen unvergleichlichen Bundesgenossen: das Licht.

Das Licht über der Eifel hat noch die Kraft des Meeres, die Klarheit der Welle, die Brillanz des Tropfens in der Sonne, ist von keinem Staub und keinem Dunst verschleiert, wie Schmelz legt es sich über die Farbe der Blüten.

Ein zweiter Bundesgenosse der Farbe ist die Erde selbst, diese so bunte, satt-braune Scholle der Vulkanböden, des lichten, fleischfarbenen Rots des Sandes, des Lila und Graurot der Grauwacken und des zarten, schmeichelnden Rahmweiß' der Mergel.

Aronstab

Ist das Gewitter über die Berge gezogen, so geben die Wiesen in ihrem weichen Smaragdgrün denen der Niederlande längs der See nichts nach an Farbwirkung und innerem Glanz, die den alten Meistern den Pinsel in die Hand zwangen und sie lehrten, am herrlichsten Rembrandt Harmensz van Rijn, das Licht zu „kanalisieren". Um die Wende vom Mai zum Juni ist die Eifel ein großer Wildblumengarten, und es ist nicht mehr möglich, einzeln anzuführen, was da blüht, leuchtet und duftet. Eine unerschöpfliche Farbpalette sind die Bergwiesen. In Strömen fließt das Wiesenschaumkraut dahin, goldgelb bildet der Löwenzahn Farbbarrikaden gegen Zartflieder und Grün; Sonnenröschen, Fingerkraut und Fetthenne unterstützen ihn — es scheint, als habe der Ginster hier die Mode diktiert, ganze Reigen und Paraden in Gelb füllen die Hänge.

In all dies üppige Geblüh streut dann der Hollunder nach dem Regen seine kleinen Blütensternchen bis auf die Bergpfade und Felstreppchen, daß es geradezu nach Volkslied duftet. Dort, wo man den Wald zurückgedrängt hat, erobern die Farne das Revier und schwingen graziös die zierlichen Wedel im Wind. Felswände im Basalt oder Dolomit sind beliebte Standorte des silberblauen Alpengrases, und der hellblaue Natterkopf auf steiniger Halde stimmte Fritz v. Wille, den großen Eifelmaler, zu einem seiner schönsten Gemälde. Um Johanni feiert feuerrot der Mohn tollste Orgien. Ja, je unfruchtbarer, steiniger und verwahrloster die Raine und Halden sind, um so üppiger umsäumt er die Pfade mit seinem grellen Rot, wie es sich in solcher Verschwendung nur die Gartenmeister altenglischer Könige leisteten, z. B, in Hampton Court, jenem Schloß Heinrichs VIII. vor den Toren Londons, dessen meterdicke Mauern einst die unglückliche Maria Stuart einschlössen.

Zur Mohnzeit fängt im Moor der Sonnentau mit seinen gierigen Blattfallen die unvorsichtigen Mücken und frißt sie, bis auf Flügel und Panzer, auf — und das Wollgras schüttelt, wie Frau Holle, die weichen Flöckchen aus. Auf sonnenheißen Halden brennen mannshohe Königskerzen ihr Blütenfeuerwerk ab, und die kleine Kapuzinernelke durchzieht die Graspolster mit ihren winzigen Blütchen wie ein Filigran aus Rubin.

Am Wegrand ruft die Pechnelke die Bewunderung der Blumenfreunde mit ihrem natürlichen, klebrigen Schutzring gegen Schädlinge hervor. Aus jedem feuchten Graben duftet es erfrischend von der Bachminze her, und himmelblau zieht das Vergißmeinnicht die Ufer entlang. Tiefer im Blau reckt sich aus den Hecken, die den haltenden Stock des Gärtners ersetzen, der Eisenhut, von dem sie sagen, daß unsere Altvorderen damit die Speere vergiftet hätten.

Nach der Heumahd wird es ruhiger, das Früchtetragen und Reifen hat begonnen, alles scheint, ermüdet vom Rausch des Farbtaumels, sich auf eigene Pflicht zu besinnen. Nur der Fingerhut setzt sich darüber hinweg, die steilen Hänge in den schmalen Tälern der Grauwacke galoppiert er hinauf und hinunter wie ein Regiment roter Dragoner in einem Lönslied. Wer aber einmal das Glück hatte, ein bachdurchflossenes, schmales Wiesental zu entdecken, über dessen kurzem Rasenteppich unzählige Herbstzeitlosen blühen, der ist beinahe wie von Sakralem angerührt. Und eines Tages, sanft und bescheiden in der Farbe, wie Vorahnen der großen Stille, blüht die Heide. Doch, bevor die Stille wirklich kommt, faßt der Wald in einem letzten, gigantischen Farbspiel noch einmal alles zusammen, was es seit dem ersten schüchternen Gelb bis zum gellendsten Rot gegeben hat, daß es brennt, leuchtet, schillert, lodert und flackert ohn' Ende. Und dann steht, ganz allein im Weiß, eine kleine Lärche — in hauchzarter, gelber Pracht wie letztes Erinnern an wehendes Gold und duftenden Sommerwind. Erst im klirrenden Frost, um die Jahreswende, rieselt der feine, goldene Nadelschmuck auf den Schnee — das ist dann endgültig das Letzte von Farbe und Pracht.

Die gestrengen Herren von der Botanik werden über diese Zeilen schimpfen — zur Entschuldigung soll aber gesagt sein, daß der Gang durch den Wildblumengarten der Eifel nicht Staubgefäße zählen, sondern wahllosunbekümmert einen bunten Strauß zusammenbinden wollte.