Briefe Eifeler Amerika-Auswanderer

Josef Mergen

Im vergangenen Jahr haben die Bürger der USA die 200. Wiederkehr ihrer Unabhängigkeit (Declaration of Indepence, Kongreßsitzung vom 4. Juli 1776) festlich begangen. Diese Feierlichkeiten, die ja auch hierzulande durch die Massenmedien ausreichend zur Kenntnis gebracht worden sind, weckten Erinnerungen an unsere im vorigen Jahrhundert ausgewanderten Landsleute. Dies war Anlaß genug, um die im Eifel-Jahrbuch 1973 gebrachten allgemein gehaltenen Angaben über Gründe und Umfang der Eifel-Auswanderungen im 19. Jahrhundert nunmehr durch Schilderungen von Erlebnissen, persönlichen Erfahrungen, den wirtschaftlichen Verhältnissen in der Neuen Welt usw. wirksam zu ergänzen. Dies geschieht durch Briefe, die im vorigen Jahrhundert von jenseits des Ozeans an Verwandte und Bekannte in der alten Heimat gerichtet wurden. Diese Schreiben sind sehr aufschlußreich, sie sind Zeitdokumente, sehr selten und auch deshalb wertvoll. Dabei handelt es sich um Briefe von

1. Johann Franz Chavet

Da war am 15. Mai 1846 Johann Franz Chavet nach den USA ausgewandert. Er war geboren am 14. 11. 1812 in Ondenval, Gemeinde Weismes, verheiratet mit Josefa Maria Lejoly, geb. 8. 3. 1821 in Faymonville.

Urgroßvater Johann Franz Chavet, ausgewandert am 15. Mai 1846, Aufnahme um 1875

Urgroßmutter Chavet-Lejoly, Frau von Johann Franz Chavet, Aufnahme um 1875

Das Ehepaar nahm seine 3 Kinder mit auf die große Reise: Julie, Mina und Jules. Kaum in New York angekommen, schrieb Chavet einen Brief an seine Eltern. Das waren Peter Franz Chavet, geb. 12. 10. 1774 in Malmedy, Königl. Steuer-Empfänger in Weismes und Bütgenbach, sowie seine Stiefmutter. Die leibliche Mutter, aus Laudesfeld stammend, war am 15. 6. 1816 gestorben. Der nun folgende Brief, frei aus dem Französischen übersetzt, zeigt u. a., daß der Schreiber seine Erlebnisse mit übersteigertem Sohnesstolz schildert:

New York, den 26. Juni 1846

Lieber Vater, liebe Mutter!

Meinem Versprechen folgend werde ich hiermit meine Kindespflicht erfüllen. Ich beginne damit, Euch mit dem bekannt zu machen, was Euer Interesse wohl am meisten in Anspruch nimmt. Am 26. um 5 Uhr abends sind unsere Familie und ebenso Marquet Gott sei Dank gesund und wohlbehalten in New York angekommen.

Weil mir die Zeit fehlt, da ich heute abend um 8 Uhr nach Albany weiter reisen will und unser Gepäck noch kontrolliert werden muß, will ich mich nicht in lange Einzelheiten verlieren und nur erwähnen, daß man hier für 24 Stunden pro Person 22 Mark und 6 Pfg. zahlen muß, ausgenommen hiervon die kleinen Kinder, die Logis und Kost frei haben. Unser Quartier ist gut, das Essen ebenso, aber der Preis ist übertrieben.

Am 15. Mai abends hat man uns zum Schiff geführt, um in der Mitte der Scheide die Anker zu lichten, und am 18. Mai abends hat man die Segel gesetzt. Gegen 7 Uhr ankerte man noch einmal, weil der Wind verkehrt stand und deshalb die Weiterfahrt gefährlich gewesen wäre für Schiffe, die ebenso schwer waren wie die „Victoria", das ist der Name des Schiffes.

Am folgenden Tag war der Wind stark und günstig. Gegen 6 Uhr abends ließen wir Holland und Belgien hinter uns, um in den Ärmelkanal einzufahren. Ich habe dieses Manöver vom Mastkorb aus beobachtet, und in diesem Augenblick kam die ganze Belegschaft an Deck, um das Meer in seiner Größe zu sehen, und Europa verschwand hinter uns. Aber das dauerte kaum länger als einen Augenblick. Der Wind wurde stark und günstig, große Wellen rollten gegeneinander, das Schiff hing schief wie ein Dach und schwankte von vorne nach hinten. Wer nun das Schauspiel betrachtete, das wenig darauf folgte, konnte aus vollem Herzen lachen, als er auf einmal mehr als 200 Personen sah, die Schreie ausstießen, die so gellend und durchdringend waren, daß diejenigen, die bis dahin glaubten, sich untrüglich in der Gewalt zu haben, nun binnen kurzem in den gleichen Zustand verfielen (seekrank). Nichts ist komischer als der Anblick von Mutigen, die den Mund richtig voll haben und trotzdem lächeln. Sie lächelten sich gegenseitig an, einer den anderen. Dieses Schauspiel hat nicht länger gedauert als 1/4 Stunde nach der ersten „Explosion". Man bemerkte fast niemand auf dem Schiff, außer wenigen, unter anderem Marquet und mir. Sonst war alles im Bett. Während der Nacht hörte man klagende Stimmen und das Geräusch von Nachttöpfen. Am Morgen war der Spuck vorbei, und während des folgenden Morgens war der Tod von allen Gesichtern gewichen, während an den folgenden Tagen die Tische, an denen man aß, nur mit wenigen Teekannen und leichten Lebensmitteln gedeckt waren. Dies aus dem Grund, weil der Wind oft stark war und das Schiff sehr schwankte, mal oben, mal unten, mindestens 15 bis 20 Fuß, und es war nicht selten, daß die Wellen das Schiff in einer erschreckenden Weise 17 Fuß über dem Meeresspiegel überfluteten.

Während der ersten drei Tage hatten Marquet und ich mit der Seekrankheit nichts zu tun. Ich fragte Matrosen, ob jedermann davon verschont bliebe. Aber Marquet und ich waren nicht eine einzige Minute von diesem Übel befallen, sondern wir hatten stets guten Appetit. Wir waren zu vier Mann, die von dieser Krankheit verschont geblieben sind, ein junger Mann aus Eschfeld, die Frau des kleinen Grothenrath von Recht, Marquet und ich, die Kinder zwischen 4 und 5 Jahren ausgenommen.

Was uns am meisten bedrückt hat, war meine liebe Frau, die kaum eine Fahrt mit dem Wagen vertragen kann und sich während der Überfahrt den Magen fast vollkommen verdorben hatte. Unsere kleine Juli hat uns Sorgen bereitet. Wir wußten das Kind von 4 Monaten kaum zu ernähren, ohne Milch, und die Mutter war nur noch ein Skelett. Sonst fühlten sich Julie und Mina wohl. Julius ist gut gewachsen, er ist dick und fett. Meine Frau nimmt nun auch jeden Tag an Gewicht zu. Die von Recht und Born sind ebenfalls bei guter Gesundheit. Zwei Schiffe sind bereits 13 Tage vor uns ausgelaufen, kamen aber bis jetzt noch nicht an. Zwei andere Schiffe haben Schiffbruch erlitten, wobei nur wenige Menschen aus den Fluten gerettet werden konnten, von dem ersten Schiff nur ein einziger Matrose, von dem andern Schiff wurden alle Matrosen gerettet. Bis zur Ankunft am Zielort haben wir ungefähr noch 400 Meilen. Ich werde Euch dann die wichtigsten Begebenheiten mitteilen. Die Unterkünfte hier sind sehr teuer.

Also, nun reise ich ab, adieu liebe Eltern und alle Bekannte. Vor Ankunft des Winters werde ich Euch soviele Neuigkeiten wie möglich schreiben und Euch die nötigen Auskünfte für zukünftige Auswanderer mitteilen.

Lebewohl also, lieber Vater und liebe Mutter, empfanget die besten Grüße von Eurem ergebenen Sohn

J. Chavet.

P.S. Zwei der Kinder, das eine von 2 Monaten, das andere von 4 Monaten und ein 60jähriger Mann haben in den Wellen ihr Grab gefunden.

Soweit der Brief, der über die Gefahren der Seereise in jenen Jahren berichtet. Ergänzend sei erwähnt: Es wanderte noch 1850 nach den USA aus Franz Chavet, geb. 3. 9. 1802 in Malmedy, der am 9. 11. 1829 die Witwe Anna Catharina Ducomble geheiratet hatte. Sie war am 1. 12. 1789 geboren.

2. Johann Fuhs

Der Verfasser des folgenden Briefes stammte aus Niederdrees, Kreis Rheinbach. Er schreibt:

Milwaukee, den 20. Februar 1846

Teuerster, von uns vielgeliebter Hochwürdiger Herr Vikar Dohmen!

Um nun Euer Verlangen und Eure Wünsche von uns zu beruhigen, will ich nach Eurem Begehren und unserem Versprechen hier von Amerika aus schreiben.

Wie Ihr wißt, sind wir am 28. April von Niederdrees weggefahren und am 19. von Dürren aus mit der Eisenbahn abends um 10 Uhr in Antwerpen angekommen. Am 15. Mai sind wir von Antwerpen abgesegelt und am 1. Juli in New York angefahren, am 2. Juli von New York mit Dampfschiffen nach Albany. Am 3. Juli fuhren wir mit der Eisenbahn nach Busjalve(?) und von dort mit dem Dampfschiff nach Milwaukee, wo wir am 10. Juli ankamen.

Und nun könnt Ihr Euch denken, was wir für Freude hatten, als wir alle unsere Kinder gesund bei uns fanden! Wir haben uns 5 mal 80 Acker = 675 Morgen Wald gekauft, wovon 73 Acker =122 Morgen geklärt sind, mit 2 Häusern, 2 Scheunen, Stallungen, Früchten und das ganze Acker- und Hausgerät als Ochsen, Kühe, Rinder, Schafe, Schweine für 2300 Dollar. Dazu haben wir noch 2 Pferde gekauft für 60 Dollar und eine Dreschmaschine für 90 Dollar. Diese wird mit 2 Pferden gezogen, und damit haben wir 7 Tage Weizen gedroschen, jeden Tag 100 Büschel oder 25 Malter und 4 Tage Hafer, jeden Tag 50 Malter. Es sind größere hier (d. h. Dreschmaschinen), womit sie alle Tage 100 Malter dreschen können. Ebenso werden auch die Früchte mit Maschinen abgemacht, da wo keine Stöcke (Baumstümpfe) mehr stehen.

Hier in Amerika geben die Früchte reichliche Ernte, besser als in Deutschland. Und das Land ist so gut, man braucht es in 30 und 40 Jahren nicht zu düngen, und man kann es jedes Jahr bepflanzen oder besäen, es wird nur einmal umgepflügt und sodann eingesät und einmal geeggt, dann ist es gut. Alle Produkte, die hier gezogen werden, kann man hier gut verkaufen wie in Deutschland gegen bares Geld oder Waren. Das Malter Weizen kostet hier 6 Dollar, das Korn 3'/2 Dollar, der Hafer 2 und die Kartoffeln 1 bis 2 Dollar.

Es werden hier alle Gattungen Früchte gezogen: Weizen, Korn, Gerste, Hafer, Welschkorn, Kartoffeln, deutsche Rüben, amerikanische Rüben. Im Ganzen genommen wächst hier alles. Der Boden ist hier einen halben Fuß schwarzer Grund und danach Mergel. Jetzt im Februar, März und April machen wir Zucker-Syrup und Essig von den Ahornbäumen. Jeder Farmer oder Bauer macht sich 100 bis 1 000 Liter. Man kann so viel Vieh halten wie man will. Man braucht kein Futter dafür zu haben, nur im Winter morgens und abends, sonst gehen sie das ganze Jahr hindurch in den Busch. Dort holen sie ihr Futter selbst. Jeder Bauer hat hier 20 bis 30 Schweine, wenn er erst ein Jahr hier gewesen ist, und diese gehen auch alle in den Busch ihr Futter selbst holen.

Hier kosten 80 Acker = 135 Magdeburger Morgen vom Staate 100 Dollar, und 80 Akker vom Privatmann, wovon 20 Acker klar, mit Haus, Scheune und Stallungen sowie Acker- und Hausgeräten 500—1 000 Dollar, und es wird alle Jahre teurer (1 Dollar = 1 Taler, 13 sgr.).

Es ist noch Land genug zu kaufen von Privatleuten. Denjenigen ist Amerika anzuraten, welche große Kinder haben, und die müssen fleißig sein. Wenn die Leute nur die Überfahrt bezahlen können, dann sind sie geborgen. Haben sie mehr Geld, desto besser. Wer aber nicht arbeiten will, tut besser, wenn er in Deutschland bleibt, oder er muß ziemlich Geld haben. Und wenn jemand nach Amerika kommt und ist anfangs fleißig, bis er sein Geschäft in Ordnung hat, der ist sicher glücklich, sich von den Fesseln Deutschlands los gerissen zu haben und hier in der Freiheit zu leben, welches eine große Freude für den Menschen ist. Es ist nicht wie in Deutschland, daß man dasjenige, was man im Schweiße seines Angesichts gewonnen hat, an Steuern und Beischlägen bezahlen muß. Hier ist der Bauer auch ein Herr!

Milwaukee ist jetzt noch die Hauptstadt von ganz Wisconsin und liegt direkt am Michigan-See. Der Hafen läuft mitten durch die Stadt, und da steht eine Menge von Maschinen. Es wird hier meist alles mit Maschinen betrieben. Dieses Jahr wird auch eine Eisenbahn gebaut von Milwaukee bis an den Mississippi-Fluß. Wisconsin ist das reichste Land an schiffbaren Flüssen. Voriges Jahr sind in Milwaukee 285 neue Häuser gebaut worden.

Die Jagd ist in Amerika für jedermann frei. Hier gibt es viele Wildarten: Hirsche, Rehe, Hasen, Kaninchen, Füchse, Buschhühner, Feldhühner, Tauben, Enten, Gänse; auch Ottern und Eichhörnchen, und von allen Gattungen Vögel: Kanarienvögel, Distelfinken usw.

Alle Handwerker und Tagelöhner finden hier guten Verdienst. Und ich muß das noch bemerken, daß im vorigen Jahr viele Familien aus unserer Gegend nach Süd-Amerika gefahren sind in die heiße Gegend, wo das gelbe Fieber herrscht. Viele von ihnen sind gestorben, und diese sind von Oberdrees, Rheinbach und Eifel. Aber das Klima in Amerika, wo wir wohnen, das ist ein gesundes Land.

Teuerster Herr Vikar!

Wir sind 10 Meilen oder 3 Stunden von Milwaukee entfernt, und es ist uns unmöglich, nach Vorschrift der Kirche jeden Sonntag in der Kirche unserem Gebete Genüge zu leisten, deshalb aber nicht weniger in den Häusern. Um nun unser Gewissen in Ruhe zu stellen, bitten wir mit unseren Familien zu Gott, unserem Wirken nach seinem Willen Kraft und Beistand zu geben.

Dieses Frühjahr kommt wieder einer von Amerika nach Deutschland, und der ist von Ramershoven bei Rheinbach und heißt Klein. Bei dem können sich diejenigen erkundigen, welche gerne nach Amerika reisen wollen, und dann können sie mit ihm abfahren. Im vorigen Jahr sind 5 300 Menschen in Wisconsin eingewandert, und wieviel mehr sind in andre Staaten gereist!

Was ich noch erinnern muß. Unser Hochwürdiger Herr Bischof wünscht zu wissen, ob vom Antonius Einsiedler auch eine Bruderschaft bestünde, und darüber sollen Sie uns Auskunft geben. Und dann sollen Sie von der Güte sein, uns eine Abbildung von dem hl. Antonius Einsiedler zu schicken, denn wir wollen ihn zu unserem hl. Patron in unserer Kirche machen.

Einen herzlichen Gruß von unserer ganzen Familie gezeichnet

Johann Fuhs.

Die Adresse ist so:

An Johann Fuhs, Fawns 8

Stadt Milwaukee,

Territorium Wisconsin in den USA.

Vielgeliebter Herr Vicar!

Ich muß Euch noch bemerken unsere Zufriedenheit und Freude hier in den USA und können Gott nicht genug danken, daß er uns in ein so segensreiches und sorgenfreies Land geführt hat.

Zu diesem Brief bemerkt der Landrat von Rheinbach am 15. 3. 1847:

„Von dem angeführten Brief des Johann Fuhs hat hier im Kreise niemand etwas erfahren. Nach den eingezogenen Erkundigungen ist es kaum zu bezweifeln, daß der J. Fuhs Verfasser desselben ist, wenigstens soll er die Fähigkeit haben, sich in der vorliegenden Weise schriftlich auszudrücken. Der Fuhs ist hier nichts anders als ein braver, fleißiger und bemittelter Bürger bekannt, und man setzt in seine Angaben kein Mißtrauen ein. Andre zuverlässige Briefe aus Milwaukee von dortigen Auswanderern schildern die dasigen Verhältnisse in gleich günstiger Weise".

Und noch ein Brief aus Milwaukee. Der Schreiber stammte aus Dedenborn.

3. Johann Schroeder

Milwaukee, Dezember 1846

Liebe Vettern, Brüder und Schwiegerinnen!

Weil wir so weit voneinander entfernt sind, daß wir mündlich nicht mehr miteinander sprechen können, habe ich mich entschlossen, einige Worte schriftlich an Euch zu richten und Euch meine Reise beschreiben, meinen jetzigen Aufenthalt, wie das Land beschaffen ist, das Wachstum, wie die Häuser gebaut sind, um Euch alles begreiflich zu machen, wie es in meinen Kräften steht. Ich werde Euch das Angenehme sagen wie das Unangenehme, gerade wie ich es angetroffen habe.

Wir sind am 21. 5. 1846 von Antwerpen abgefahren und fuhren bis Vlissingen. Dort wurde geankert und ein Aufenthalt gemacht. Von hier aus konnte nicht mehr geankert werden wegen der Tiefe des Wassers. Du lieber Gott, was für ein ungeheures Wasser!

Am 30. Mai hatten wir einen schönen Tag. Da haben wir einen Haifisch gefangen, und ich hatte viel Spaß. Aber mein Spaß hörte auf, denn vom 1. bis 6. Juni war Sturm. Das Schiff fing an zu schwanken, die Kisten mußten festgebunden werden, die Töpfe rollten von einer Ecke in die andere, die Bettstellen fielen zusammen, man konnte nicht mehr gehen. Die ungeheuren Wasserberge drohten uns zu verschlingen. Da wurden wir alle krank. Deinem Bruder Josef hat nichts gefehlt. Er hat uns auf See müssen aufwarten und kochen.

Am 1. Juli haben wir zuerst Land von Amerika gesehen. Die Freude, die ich damals hatte, kann ich Euch nicht beschreiben. Als ich aus dem Schiff kam und über Land gehen wollte, da meinte ich, die Erde hätte sich immer bewegt, ich meinte, Amerika hätte geschaukelt.

Wir befinden uns jetzt in New York, in einer großen und schönen Stadt, in der mehr Handel ist als in ganz Preußen. Am 21. sind wir mit dem Dampfschiff von New York abgefahren. Am 3. kamen wir in Albany an. Von dort fuhren wir mit der Eisenbahn bis Buffallo. Am 6. sind wir von da wieder mit dem Dampfboot über den Erie- und Michigan-See bis nach Milwaukee gefahren. Nun hatten wir unser Ziel erreicht und begaben uns gleich zu unseren Landsleuten.

Als wir in den Busch kamen, begegnete uns der Hubert Jansen und führte uns in sein Haus. Da kamen die Dedenborner alle zusammen. Wir freuten uns und waren munter. Jetzt wurden die Ochsen angeschirrt und unsere Kisten geholt. Dann sind wir bei Hermes eingezogen.

Aber jetzt war guter Rat teuer. Alles konnte mir nicht gefallen, und ich ging den ganzen Tag mit traurigem Herzen umher. Wenn ich allein war, weinte ich bitterlich. Ich durfte es mir aber nicht anmerken lassen. Jetzt wurde mir gleich Land zum Kaufen angeboten. Als ich einmal durch das Land gegangen war, fing ich an, besseren Mut zu bekommen. Ich kaufte mir gleich ein Landgut von 40 Acker, das sind 55 preußische Morgen. Darauf stand ein Wohnhaus und zwei Schweineställe. Wir bekamen dazu zwei schöne Ochsen, eine Kuh, ein Rind, acht Schweine, acht Hühner, den Ofen, worauf wir kochen und Brot backen, eine Bettlade, einen Schrank und alle Ackergerätschaften. Sechs Acker waren bestellt mit Hafer, Weizen, Buchweizen und Welschkorn. Außerdem haben wir einen sehr schönen Garten mit allerlei Gewächs, das ich in meinem Leben noch nicht gesehen habe. Die Melonen machten mir besondere Freude. Das alles kostete mich 600 amerikanische Taler (= Dollar, d. V.)

In diesem Sommer war es hier sehr trokken, doch hat kein Gewächs darunter gelitten. Wir haben 30 Malter Früchte geerntet. So viel hätte ich in Deutschland in 3 Jahren nicht ernten können auf demselben Lande. Wir haben hier zu leben im Überfluß. Es ist ein ruhiges und zufriedenes Leben. Hier kommt kein Empfänger (= Fteuer-Empfänger, d. V.), hier bekommt man kein Rechnungsblättchen, hier kommt kein Gemeinderat einem ins Haus, kurzum: hier hört aller Bettel auf!

Wir haben auch einen schönen Zuckerbusch und 150 Zuckertröge, worin wir den Saft sammeln. Wir haben hier wenigstens 800 Zuckerbäume. Die Bäume werden angebohrt, dann wird ein Pfeifchen hineingesteckt, und der Saft läuft von selbst aus. Dann wird er gekocht, bis es Zucker ist. Man kann auch den besten Sirup davon machen. Nun, lieber Vetter, grüße mir den Lehrer Küpper von Kesternich und sage ihm, er solle ruhig glauben, daß es Zuckerbäume hier gibt, denn ich allein kann 1 000 Pfund Zucker machen in einem Busch, wenn ich will.

Lieber Vetter! Dein Bruder ist jetzt Fuhrmann geworden. Er fährt mit zwei Ochsen, er pflügt und eggt. Jetzt fährt er Holz in die Stadt und bekommt von jeder Fahrt 10 bis 14 Schilling. Wir haben so viel Holz, es geht im Leben nicht aus. Da gibt es Buchen, Eichen, Eschen, Ulmen, Linden, Nußbäume, kurz: Wir haben hier mehr Holz als ganz Dedenborn. Wir haben gutes Land und guten schwarzen Boden. Hier wachsen die schönsten Früchte.

Lieber Vetter, liebe Brüder! Ich wollte, Ihr wäret zur Zeit der Ernte einmal hier, damit Ihr die Früchte einmal sehen könntet. Ihr würdet nie mehr nach Deutschland gehen wollen! Vielleicht werdet Ihr sagen, daß sei etwas übertrieben. Aber ich sage Euch: Das ist die Wahrheit!

Die Stadt Milwaukee hat einen Umfang von 16 Meilen und liegt am Michigan-See. Der River fließt mitten durch. Über dem River sind Brücken gebaut, die sich mitten auseinander teilen, damit die Schiffe durchkommen können. Es sind 20 Kirchen, davon 2 katholische, dort. Jeden Sonntag werden 4 Messen gelesen. Um 9 Uhr ist eine für uns Deutsche mit deutscher Predigt. Dann ist die Kirche so voll, daß keiner dem anderen ausweichen kann. Als ich das erste Mal in die Kirche kam, hatte ich das Vergnügen, den Bischof zu sehen.

Am Maria-Himmelfahrtstag hielt er ein Hohes Amt. Die Zierde, die ich damals in der Kirche gesehen habe, kann ich Euch nicht beschreiben. Ich habe die ganze Messe geweint und konnte nicht beten. Gott sei Dank, daß ich hier bin! Wenn man in Dedenborn glaubt, wir hätten die Welt bereist der Habsucht wegen und uns um die Religion nicht bekümmert, so täuscht man sich, denn wir sind in ein wahres Christentum eingezogen. Unser Bischof hat in der Stadt einen Platz gekauft für 500 Taler. Im Frühjahr wird damit der Anfang gemacht (sicher: Kirchenneubau, d. V.). Wir wohnen 5 Meilen, das sind 3/4 Stunden von der Stadt und gehen alle Sonntage mit Freunden dahin zur Kirche. Und wenn wir nicht gehen wollen, dann spannen wir die Ochsen vor den Wagen und fahren.

Der Hülsbeck, der Faust aus der Gei und Stolz von Hürtgen sind meine nächsten Nachbarn. Zuerst wohnt der Hansen Hubert, dann Hülsbeck, dann Faust, dann wir, dann Löhrer, dann Hermes, dann Brauer. Der Peter Jansen, der Schweizer und Görres wohnen noch 2 Meilen weiter. Wir alle haben urbares Land gekauft, die anderen Buschland. Sie haben sich alle ein Haus gebaut, wohnen darin und sind recht zufrieden. Dein Nachbar Josef wohnt noch bei mir und geht jetzt in den Busch Klafterholz hauen und verdient sich am Tag einen preußischen Taler.

Dem Löhrer sein Trinchen wohnt in der Stadt als Kindermädchen. Sie bekommt 18 Taler, ist erst 9 Jahre alt (!), dem Jansen sein Tillchen ist ebenfalls da und bekommt 65 Taler, ist 20 Jahre alt. Dem Breuer sein Evchen 24 Taler. Du, mein lieber Bruder Hubert, wärst Du doch mit Deinen Kindern hier, so könntest Du sagen: Ich bin ein gemachter Mann! Wenn Deine Mädchen alle so verdienten, so brauchtest Du und Deine Frau nicht mehr zu arbeiten, und Du könntest leben wie eine reiche Herrschaft.

Aber was hilft das alles!

Ich rufe keinen, Wer kommen will, der komme! Es ist gerade so, wie ich es sage. Ach, wäre ich nur eine halbe Stunde bei Euch, damit ich Euch alles erzählen und begreiflich machen könnte!

Amerika ist ein reiches Land. Hier sind Maschinen, die alles anfertigen. Hier sind Maschinen, die Wagen machen. Es wird ein Stück Holz hineingesteckt, und wenn es herauskommt, ist eine Speiche, eine Felge oder was sonst es werden soll, fertig. Hier sind Maschinen, die Früchte mähen, sie dreschen, sie reinigen und in die Säcke tun. Dann kommen die Leute und laden sie auf und fahren sie nach Hause. Das Merkwürdigste ist, daß Schuhmacherleisten auf der Maschine gemacht werden. Man steckt ein Stück Holz hinein, der Leisten kommt heraus und ist fertig.

Du lieber Gott! Ich könnte Euch noch vieles sagen, wenn ich, wie ich eben gesagt habe, nur eine halbe Stunde bei Euch sein könnte. Ihr würdet Euch wundern. Ich habe Vieles gesehen, ich habe vernommen und eingesehen, wie allmächtig Gott ist, wie kunstreich er die Welt eingerichtet hat. Das würde mir nie so bekannt geworden sein, wenn ich zu Hause geblieben wäre.

Ich muß schließen. Die Augen stehen mir voll Tränen. Ich sage Euch, daß alles wahr ist, was ich Euch schreibe, kein Wörtchen Unwahres ist daran. Wenn ich wüßte, daß Ihr mir nicht glauben wollet, so täte ich noch lieber diesen Brief in den Ofen werden, als ihn Euch schicken. Schließlich grüße ich Euch alle vieltausendmal und wünsche, Ihr wäret nur alle bei uns, nur eine einzige halbe Stunde!

Ach, lieber Ferdinand, sobald Du meine Worte wirst vernommen haben, schreibe mir gleich Antwort zurück und alle Neuigkeiten, die bei Euch vorgefallen sind, und ob unser Dorf noch steht, wie es gestanden hat. Grüße auch meinen Nachbarn und seine Frau, den alten Josef! Ach Gott, könnten wir doch noch einmal miteinander reden, aber nicht hier, sondern zu Hause, wie würden wir uns freuen!

Nochmals viele Grüße an alle Bekannte und Freunde! Zum Schluß noch meine Adresse:

Johann Schroeder, Milwaukee,

Territorium Wisconsin, N. A.

4. Maria Gertrud Dreis

Hierzu scheint eine Vorbemerkung dienlich: Das Dorf Allscheid — 18 Häuser mit 80 Einwohnern — zum Gemeindeverband Steiningen gehörend, wurde durch Gemeinderatsbeschluß vom 22. 5. 1852 aufgegeben. Die Familien Jungen, Heinz und Demerath ließen sich in Steiningen nieder, die übrigen Allscheider wanderten geschlossen nach den USA aus. Darunter befanden sich: Der Tüncher Peter Josef Dreis, geb. 7. 1. 1820, mit seiner Frau Maria Gertrud Neis, geb. 22. 1. 1818 in Weiersbach, und den Kindern: Anna Maria, geb. 7. 11. 1844; Magdalena, geb. 23. 9. 1846; Margarethe, geb. 28. 11. 1848 und Martin, geb. 14. 2. 1851, sowie den Kinder der Maria Gertrud aus 1. Ehe mit dem am 21. 2. 1843 verstorbenen Tüncher Johann Dreis namens Johann Dreis, geb. 16. 7. 1840, gefallen in den USA am 4. 8. 1864. Der Brief hat folgenden Wortlaut:

Mrs. P. Giesen

— Dealer in —

Theatrical and Masquerade Costumes

— AND MASKS —

13 1/2 Third Street

St. Paul, Minn. May 11 1890

Herrn Hubert Weber!

Lieber Freund!

Als meine Tochter Maria Giesen von ihrer Reise von Deutschland kam, erzählte sie mir von Ihnen, und es freute mich sehr, daß Sie noch am Leben waren, und sich meiner erinnerten. Ich glaubte, daß Ihr alle tot wäret. Ich wollte schon oft an Euch schreiben, aber es ist mir nie eingefallen, daß Sie sich Weber schreiben. Die Großmutter, die schon lange tot ist, schrieb sich auch Weber. Wir sind sehr froh, daß wir nach Amerika gegangen sind und haben uns hier besser geholfen als wir es in Deutschland hätten tun können.

Der Vater starb im 96. Jahr und die Großmutter im 85. Jahr, und sie freute sich so sehr, nach Amerika gegangen zu sein. Oft, wenn sie fertig war mit dem Essen, sagte sie: „Daß alle armen Leute in Deutschland so satt wären wie wir"!

Mein Mann starb in St. Paul, Minnesota, im Jahre 1859, am 14. September. Mein ältester Sohn Johann starb hier im Krieg, am 4. August 1864 im Süden*). Ehe der Vater starb, hatten wir etwas zusammen gespart und pachteten ein Stück Land. Da kamen die Heuschrecken und fraßen alles auf. So war wieder alles verloren und mußten wieder von vorne anfangen, aber die Kinder haben gut verdient, so ging es doch wieder gut. Die Kinder sind alle verheiratet und haben ein gutes Auskommen. Die Maria wird Euch in zwei Jahren wieder besuchen und hoffe, daß Ihr bis dahin noch alle am Leben seid. Schreibe mir bitte, ob Deine zwei Schwestern noch am Leben sind und der Margarethe ihre Goth, und auch ob von Schangen noch einige am Leben sind. Wir sind bis jetzt noch alle recht gesund.

Bitte schreiben Sie mir auf diesen Brief und grüßen Sie mir alle Bekannten im Ort. Wenn Sie mir antworten, will ich Ihnen noch mehr schreiben. Das Fräulein Knoth in Mehren, wo die Kinder logiert haben, lasse ich freundlich grüßen.

Ich möchte doch wieder auf ein paar Tage bei Euch sein, um Euch wiederum zu sehen, um von alten Zeiten zu sprechen. Mit herzlichem Gruß von mir und meinen Kindern verbleibe ich

Achtungsvoll

Ihre Freundin Maria Gertrud Dreis.

*) s. hierzu: Josef Mergen, „Was aus ihnen geworden ist", in Neues Trierisches Jahrbuch 1975, S. 45 ff. Es handelt sich u. a. um General Koltes, gefallen in der Schlacht von Bull Run II am 29. August 1862 und um Kapitän Neustädter, der ebenfalls am amerikanischen Bürgerkrieg teilgenommen hatte. Er zählte „zu den tüchtigsten Offizieren der westlichen Heere". Josef Mergen, „Trierer kämpften unter dem Sternenbanner", in „Mosella" Nr. 9, November 1959. Darin werden erwähnt als Teilnehmer an diesem Krieg: Peter Thome aus Dockweiler und Mathias Diesch aus Bitburg. Er war Offizier.

Auszug aus einem Brief von Maria Gertrud Dreis

Fragen Sie doch einmal nach, ob nicht Reinhard Saenger von Demerath noch am Leben ist. Lassen Sie ihn von mir freundlich grüßen, und er möchte doch einmal schreiben. —

Chavet konnte über die Verhältnisse in den USA — mit Ausnahme der teuren Quartiere — nichts berichten, da er ja soeben erst in New York gelandet war. Um so aufschlußreicher sind die Briefe Fuhs und Schroeder — Beide enthalten ausführliche Angaben über günstigen Land- und Hauskauf, ertragsreiche Böden, gute Ernten, reichlichen Viehbestand, Holzreichtum und Löhne, wie sie in der alten Heimat unerreichbar waren. In beiden Briefen werden zudem die religiösen Verhältnisse eingehend geschildert, was bei der religiösen Einstellung der Eifelbewohner von großer Bedeutung war. Das alles dokumentiert die Zufriedenheit und den Wohlstand der Neusiedler. Schroeder's Angaben über ländwirtschaftliche Maschinen und solche anderer Art ließen die Empfänger in Dedenborn Amerika als ein Wunderland erscheinen.

Diese Briefe, 70 Jahre nach der Unabhängigkeits-Erklärung der USA geschrieben, zeigen die überlegene Lebensweise der Ausgewanderten. Auch der Brief Dreis erwähnt die Freude, nach Amerika gegangen zu sein. Heimweh haben sie alle, aber sie sind glücklich. Briefe der Art, wie sie Fuhs und Schroeder geschrieben haben, waren eine zugkräftige Propaganda für die Amerika-Auswanderung und haben tausende unserer Landsleute veranlaßt, ihre Heimat zu verlassen, um sich in den USA eine neue und bessere Existenz zu gründen.