Das Gerolsteiner Burgkreuz und seine Sage

Dr. Baff/ Dohm

Einen guten Steinwurf vor der mächtigen Schildmauer der Löwenburg in Gerolstein erhebt sich an einem altersgrauen Steinaltar ein hohes Kreuz, von den Gerolsteinern Nikodemuskreuz genannt. Es ist das älteste der vielen Wegekreuze um Gerolstein. Während diese fast ausnahmslos dem Barock angehören, also im 18. Jahrhundert errichtet wurden, ist das Burgkreuz gotisch und dürfte aus dem 14. oder 15. Jahrhundert stammen. Außer einer Sakramentsnische weist es keine Bearbeitung auf. In strenger, fast vergeistigter Gotik ragt es wie schwerelos gen Himmel.

Auf das 16. Jahrhundert geht wohl die Sage zurück, die sich an das Burgkreuz knüpft und auf die Reformation Bezug nimmt. Ihren Anfang nahm diese in den Blankenheimischen Landen unter Dietrich IV., der von 1501 bis 1551 lebte. An seinem Hofe in Schleiden lebte als Hofmeister und Erzieher der als Politiker und Geschichtsschreiber berühmt gewordene Johann Philippsen, der sich, der Sitte der Zeit gemäß, nach seinem Heimatort SLEIDANUS nannte, ferner ebenfalls der s. Z. berühmte Humanist und Straßburger Schulmann Johannes Sturm, dessen Vater Rentmeister Dietrich IV. gewesen war. Er wurde mit den Söhnen der gräflichen Familie erzogen und besuchte auch mit ihnen die Universitäten Lüttich und Löwen. Sie brachten die neue Lehre mit. Offiziell führte Dietrich V. im Jahre 1559 die Reformation nach dem Augsburger Bekenntnis in seinen Landen ein. Wie der Chronist zu berichten weiß, wuchs unter seinem Patronat sowohl die Zahl der Calvinisten als auch der Lutheraner stark an. Auch sein Sohn und Nachfolger Dietrich VI. bekannte sich zur lutherischen Konfession. Obgleich die anderen Linien des Hauses Blankenheim-Manderscheid die neue Lehre ablehnten, hatte sich u. a. Orten auch in Gerolstein eine evangelische Gemeinde gebildet. Sie wurde betreut von Pastor Stösser, einem ehemaligen Pater der Abtei Prüm, der auch die neue Lehre angenommen hatte. Auch die Pfarrei Sarresdorf, zu der Gerolstein-Stadt und Schloß gehörten, sollte mit einem Pfarrer dieses Bekenntnisses besetzt werden. In der kleinen mittelalterlichen Stadt selbst war nur eine kleine Kapelle. Heute ist Sarresdorf kein eigener Ort mehr, sondern der kyllabwärts auf der rechten Flußseite gelegene Ortsteil. Lediglich der alte Friedhof und das Pfarrhaus aus dem Jahre 1554/55, als Kreisheimatmuseum eingerichtet, bestehen noch.

Burgkreuz Gerolstein

Nach dem Tode Dietrichs VI. setzte jedoch die Gegenreformation ein und seine Nachfolger kehrten zum Katholizismus zurück. Wie kurz angeführt, mag auf diese Begebenheiten die Sage zurückgehen, die der Volksmund vom Burgkreuz erzählt. Sie lautet: Wie alljährlich kam die Fronleichnamsprozession aus der Stadt den Berg hinauf, wo am Burgkreuz der letzte Segen erteilt wurde. Als der Graf die frommen Lieder und Gebete hörte, trat er mit seiner Gemahlin durch das Schloßtor, umgeben von seinem Gefolge. Eine Wärterin trug den kleinen Junggrafen auf dem Arm, denn er war gelähmt und konnte weder stehen noch gehen. Hochmütig und mit verschränkten Armen stand der Graf, als die Prozession den Altar erreicht hatte. Doch als die Glöckchen der Meßdiener ertönten und die frommen Beter niederknieten, um den Segen zu empfangen, wurde das Kind unruhig, so daß die Amme es zu Boden setzen wollte. Kaum hatte es jedoch mit seinen gelähmten Füßchen das harte Pflaster berührt, da reckte es sich hoch — und stand. Starr von Staunen konnte die Wärterin nicht mehr verhindern, daß es eiligst, gleich einem gesunden Kinde seines Alters, zu laufen begann. Wie von unsichtbarer Hand zur Seite gerückt, öffnete sich ihm zwischen den Knienden eine Gasse und es lief bis zur obersten Altarstufe. Dort kniete es, die fromm gefalteten Händchen hoch erhoben, in dem Augenblick nieder, als der Priester die goldene Monstranz zum Segen erhob. Das gräflich Paar war durch das offenkundige Wunder zutiefst erschüttert. Wie aus einem Munde sang die Menge: Großer Gott wir loben Dich. Gesenkten Hauptes reihten sich Graf und Gräfin samt ihrem Gefolge der Prozession ein und folgten ihr betend zur Pfarrkirche in Sarresdorf. Hier vollzogen sie die Rückkehr zum Väterglauben.