Vom Viehlüften

Franz Josef Färber

Wie schnellebig unsere Zeit doch geworden ist! Wer — außer den betroffenen Landwirten — erinnert sich heute noch der Viehfutterknappheit, die im Jahre 1976 infolge der extremen Trockenheit in der Eitel und auch anderswo vorherrschte? Vollends vergessen scheinen die damit verbundenen Kümmernisse und die Hilfsaktionen beispielsweise der Landräte der Kreise Daun und Bernkastel-Wittlich zu sein. Und dabei liegt dieses Ereignis noch nicht einmal zwei Jahre zurück. Da braucht es nicht wunderzunehmen, daß eine „Hilfsaktion" längst in Vergessenheit geraten ist, die in früheren Zeiten im Falle von Viehfuttermangel in der Eitel eine hervorragende Rolle gespielt hat und der aus heimatkundlicher Sicht eine nicht geringzuachtende Bedeutung beigemessen werden sollte. Dabei ging es allerdings nicht darum, die fehlenden Futtermittel zu beschaffen, sondern es kam darauf an, die Folgen des Futtermangels weitmöglich zu beseitigen oder zu mindern. Gemeint ist das sogenannte Viehlüften. Einige unserer älteren Mitbürger haben es noch miterlebt; sie waren hieran vielfach mittelbar oder unmittelbar beteiligt.

Bauernhof im oberen Tal der Uess um das Jahr 1930

Was ist nun unter „Viehlüften" zu verstehen? Am Beispiel eines kleinen Eifeldorfes im oberen Uessbachtal soll dies erklärt werden: Viehfutterknappheit, besser gesagt Viehfutternot, gab es sicher zu allen Zeiten. Nur wurde man früher mit einer derartigen Notlage eben nicht so gut fertig wie heute, wo man das fehlende Viehfutter „einfach von weit hernimmt", was heutzutage, bedingt durch den Stand der Technik, geradezu wie eine Kleinigkeit anmutet. In früheren Jahren, sogar noch in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts, gab es nicht wenige Bauern, die für ihr Rindvieh im Winter viel zu wenig Futter hatten. Das Vieh, das den wichtigsten Bestandteil ihrer Existenz bildete, bis ins Frühjahr hinein durchzubringen, schien ihnen vielfach schier unmöglich. Dies war nicht nur bei Mißernten, sondern nicht selten auch in normalen Erntejahren so. Der Grund für diesen Übelstand war hauptsächlich der, daß die Anbaufläche einiger Landwirte größenmäßig in einem Mißverhältnis zur Größe ihres Viehbestandes stand, genauer ausgedrückt Die betreffenden Bauern hatten zuwenig Landfläche oder — das mag etwas ironisch klingen — umgekehrt gesagt: sie hatten zuviel Vieh. Dieser Umstand führte dazu, daß das Rindvieh in zunehmendem Maße regelrecht an Unterernährung zu leiden hatte. Es kam oft soweit, daß es nicht mehr mächtig war, auf seinen eigenen Beinen zu stehen, womit gesagt sein soll, daß es im Winter bis zum Frühjahr hin monatelang in den Ställen liegen bleiben mußte. Durch das ständige einseitige Liegen bestand die Gefahr, daß sich an den Viehkörpern Wundstellen bildeten. Um dies zu verhindern, mußten die Tiere hin und wieder gedreht, also in eine andere Liegestellung gebracht werden. Diese Arbeit, die naturgemäß ein gerüttelt Maß an Körperkraft erforderte, besorgten die „Auflüftkommandos", wie sie im Dorf genannt wurden. Hierunter war eine kleine Gruppe starker Bauernburschen zu verstehen. Diese rückte, beauftragt von den geplagten Landwirten, im Schutz der Dunkelheit an und besorgte ihre Arbeit. Man muß hierbei wissen, daß der Notwendigkeit des Auflüftens ein kleiner Hauch von Ehrenrührigkeit anhaftete, galten doch die Bauersleute, deren Vieh gelüftet werden mußte, als arm (was sie wahrscheinlich in aller Regel auch waren). Die Auflüftkommandos hatten nicht nur die Aufgabe, die Liegehaltung der Tiere zu verändern, sondern sie mußten das Vieh im Frühjahr — im wahrsten Sinne des Wortes — wieder auf die Beine stellen; selbst war es hierzu nicht mächtig. Wenn im Frühling das saftige Grünfutter wieder heranwuchs, erholten sich die Tiere verhältnismäßig schnell, soweit es das Jungvieh betraf; bei den älteren Tieren oder bei „frischen" Kühen (Kühe, die kurz zuvor gekalbt hatten) war dies im allgemeinen ungleich schwieriger.

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