Gerolsteiner Hausnamen

P. Josef ffgen SAC

Es sind jetzt genau 50 Jahre her, seit ich zum ersten Male die Heimat verließ, um auswärts mein Gymnasialstudium zu beginnen. Wenn ich dann in den Ferien voller Stolz mit der bunten Pennälermütze durch die Straßen des Heimatstädtchens ging, kam es nicht selten vor, daß ich von älteren Leuten gefragt wurde, wie ich heiße. Die Antwort „Böffgen" genügte in Gerolstein verständlicherweise nicht, denn es gab damals acht Familien mit diesem Namen. Deshalb auch immer die zweite Frage: von welchem Böffgen denn ein Sohn? Die Antwort: „Maddeline Jakob senge!" Punktum! Damit war alles klar: das war eine eindeutigere Identifikation als es ein Stammbaum bis zurück in Napoleons Zeiten gewesen wäre. Es war der „Hausname" der alles klarstellte.

Ich weiß, Hausnamen gibt es nicht nur in der Eifel. In den Dörfern des Saarlandes z. B. werden sie vielleicht heute noch häufiger gebraucht als bei uns hier. Ist es nicht eine Art geistigen Denkmalschutzes, sie der Vergessenheit zu entreißen? Ich habe heute 30jährige Väter mit ihrem Hausnamen angeredet: sie wußten nicht, daß sie gemeint waren. Ein 5Ojähriger aber sagte mir: einen eigentlichen Spitznamen hatte ich in der Kindheit nicht; so nannten mich die Spielkameraden nach dem Hausnamen meiner Mutter: Döppe Wellern — und darauf war ich ganz stolz.

Wer über Hausnamen in Gerolstein etwas sagen will, kommt nicht vorbei an der grundlegenden Arbeit, die Peter Böffgen geleistet hat. Im Geiste ist er durch das alte Gerolstein — das Gerolstein seiner Kindheit — gewandert, als Hausnamen noch selbstverständlicher Brauch waren. In einer bisher einmaligen Liste hat er festgehalten, wie die Bewohner dieses oder jenes Hauses genannt wurden und hat ebenso vermerkt, was über die Herkunft dieser Namen wie auch des Hauses selbst noch zu erfahren war.

Es ergeben sich zwei Fragen: Wozu dienen die Hausnamen und woher kommen sie?

Wer zum ersten Male von Hausnamen hört, weiß mit dem Begriff nicht viel anzufangen. Frühere Jahrhunderte kannten nur den Vornamen einer Person und wenn der zur Unterscheidung von einer anderen Person nicht genügte, fügte man den Herkunftsnamen hinzu: Erasmus von Rotterdam, Antonius von Padua ... Gerolsteiner Akten nennen beiläufig Cölestine von Berlingen, Peter von Neuendorf u. a. m. Erst geschichtliche Betrachtung und Wertung hat bestimmten Persönlichkeiten andere Unterscheidungen zugelegt wie Karl d. Große oder Richard Löwenherz. Nach und nach entstanden dann die Familiennamen. So mancher wird sich fragen: sollten die nicht ausreichend sein, eine Person von der anderen zu unterscheiden? Offensichtlich nicht! — auch im zivilen Bereich, dem des Standesamtes, nicht. Amtliche Schriftstücke der staatlichen Behörden fügen deswegen, um Verwechslungen zu vermeiden, dem Namen das Geburtsdatum hinzu. Das kann der tägliche Gebrauch nicht. Er fand einen anderen Weg: den Hausnamen. Wären Hausnamen heute noch in lebendigerem Gebrauch, jeder der vier Peter Böffgen, die es z. Z. in Gerolstein gibt, hätte seinen unterscheidenden Namen.

Wie kommen die Hausnamen zustande? Im Grunde genauso wie Familiennamen. Beruf, Herkunft, Lage des Hauses im Ort, Vorname (männlich oder weiblich) eines Ahns der Familie und andere Besonderheiten bilden den Ausgangspunkt für den Hausnamen. Einige Beispiele: Der Beruf, den irgendein Ahn der Familie einmal ausgeübt hat, wird zum Hausnamen, selbst wenn dieser Ahn nicht mehr feststellbar ist oder der Familienname des jetzigen Trägers einen ganz anderen Beruf bezeichnet. So hat heute fast jedes Dorf in der Eifel eine Familie mit dem Hausnamen ,,Koster" (Küster), auch wenn der Inhaber dieses Dienstamtes vielleicht Müller heißt. „Schrengisch" Josef war von Beruf Schlosser mit dem Familiennamen Koch. Ein anderer Koch war Hotelier mit dem Hausnamen ,,O-uermäschich" (Uhrmacher). Das Kreuz am Brunnenplatz, das laut Inschrift von einem „JSF Koch" gestiftet ist, wird dennoch im Volksmund „Schmitze Krejz" genannt, weil sein Stifter in der Lindenstraße eine Sichelschmiede hatte. (NB. Es war Peter Böffgen, der mich darauf aufmerksam machte, daß in Gerolstein alle Männer mit dem Namen Koch ursprünglich einen metallverarbeitenden Beruf hatten.) „Schläßisch" (Schlosser) und „Jewänisch" waren Hausnamen der Familie Raskopp. „Schmittbachs" hatten eine Schmiede am Bach hießen aber Cremer. „Kesselpittisch" Nikla ist von Beruf Dachdecker, sein Familienname ist Daubach. „Schomäschisch", „Schrejwisch" und „Schäwisch" — diese Hausnamen bedürfen keiner Erklärung.

Eine zweite Gruppe von Hausnamen geht zurück auf einen männlichen oder auch — auffallend oft — weiblichen Vornamen. Männer stehen Pate bei „Jusebantens" (Josef-Anton), „Addems" (Adam), ,,Nellesse" (Cornelius), „Thomesse" (Thomas), „Hanspittisch" (Hans Peter), „Bendix" (Benedikt), „Kobbesse" (Jakob), „Arnoldse" (Arnold), „Pantisch" (Pantaleon) u. a. m. Frauennamen erkennen wir in „Rejinne" (Regina), „Barbele" (Barbara), „Maddeline" (Madeleine), „Nett" (Anette), „Mariens" (Maria), „Plonigs" (Apollonia), „Jenewisch" (Genoveva).

Wenn die Lage des Hauses eine Besonderheit aufweist, gibt sie den Hausnamen her: „Kirche", „Berg", „Hiweltjes" (am Hügel), „Sakristeien", „Scheesschrawens" (am Schießgraben), „Hosterts" (Flurname: im Hostert), „Zijelowens" (Flurname: am Ziegelofen), „Halte" (Straße: de Hält), „Schauerbachs" (Name eines Baches), u. a. m. Alex Levy war der erste Jude, der sich nach 1870 in Gerolstein niederließ; wegen der in sein Haus führenden Treppe (wo heute die „Volksbank" steht) hieß das Haus: „Levy's op der Trapp". — In diese Gruppe von Hausnamen gehört auch der Name „Burg", der gleich zwiegeteilt ist: „owe Bursch" und „enne Bursch" (oben und unten Burg). Gleich hinter der 35 m langen und ca. 11 m hohen Schildmauer liegt auf der Vorburg das Haus Horsch (früher Becker, dann Friedrich): „owe Bursch". Eine Stufe tiefer außerhalb der Burgmauern befindet sich das Eigentum Roth-Schäffer-Arimond-Lehnert: „enne Bursch". Das Haus scheint ursprünglich Waschhaus der Burg gewesen zu sein, später war es die Wohnung des gräflichen Forstverwalters.

Eine weitere Gruppe wird gebildet von solchen Namen, die andernorts Familiennamen sind, die man aber in Gerolstein als solche nicht oder nicht mehr kennt. „Messerich" ist in Bitburg heute noch Familienname, in Gerolstein Hausname. Adrian Pfeil von der Mühle hat 1822 eine Theresia Barzen geheiratet. Noch heute gibt es den Hausnamen „Barze", der als Familienname nicht mehr vorkommt. — Spitznamen können zu Hausnamen werden: „Scheeßhäb". — „Muselpittisch" sagt mehr über den Träger dieses Namens als sein Familienname Jakobs: Er kam von der Mosel. — „Menniche" scheint zurückzugehen auf einen „München", der Anfang des vorigen Jahrhunderts in Gerolstein lebte. — Metzger May hatte seinen Familiennamen natürlich gemeinsam mit seinen zwei Brüdern, die in Gerolstein lebten. Den Beruf hatten alle drei gleich wie Krämer und Güth. Der Hausname aber konnte auf beides verzichten, auf den Familiennamen und auf den Beruf: „Kutsch Tunn" war eine eindeutige Bestimmung für Anton May; damit war jede Verwechslung ausgeschlossen. — Schließlich gibt es Hausnamen, die sich einer Erklärung noch entziehen: „Mehles", „Jurys", „Murrensen", „Jeele", „Ohmes", „Kinnen" . . . Kommt „Hommesse" aus dem französischen „hommes"? — ist „Ro-utz" gleich Rautenmacher, Glaser? „Jitschen" könnte „kleiner Jude" heißen, und „Schenis" kommt sicher von „ChaTneux". Wer aber will „Bre-isch" und „Make" erklären? Es ist kaum anzunehmen, daß diese Hausnamen mit „bre-e" = brühen und „make" = schmusen zu tun haben.

Schließlich noch eine Bemerkung zum Wort „Hausname" selbst. Zwar wird es allgemein gebraucht, um diesen zusätzlichen Namen einer Familie vom eigentlichen Familiennamen zu unterscheiden, doch scheint es ein wenig irreführend zu sein. Der Hausname haftet nicht am Haus, wie man meinen könnte, sondern an den Menschen, insbesondere den Männern, aber auch den ledigen Frauen, die aus diesem Hause kommen. Frauen, die in eine andere Familie hinein heiraten, bekommen auch deren Hausnamen. Ein Mann dagegen behält seinen Hausnamen, selbst wenn er sein Stammhaus verläßt und z. B. nach seiner Heirat ins Nachbardorf zieht.

Ganz allgemein aber geht der Gebrauch der Hausnamen zurück. Sie wiederbeleben zu wollen, wäre von vorneherein ein unmögliches Unterfangen: so etwas ist nicht machbar. Der Wandel der Sprache ist ein Lebensvorgang genauso wie Geburt und Tod. Hausnamen aber einfach sterben zu lassen ohne festzuhalten, daß sie ein Teil unseres Lebens waren, wäre undankbar. Es ist schon ein Stück geistigen Denkmalschutzes, daß wir der Nachwelt wenigstens die Namen überliefern. Gerade die Hausnamen führen uns zurück in die Geschichte und sagen uns, daß auch wir in ihrem Fluß stehen. Sie erzählen uns nicht nur etwas über das Werden unserer Stadt, sondern vor allem auch über die Menschen, auf deren Schultern wir stehen.