Vor 3O Jahren Der frühere Amtsbezirk Stadtkyll

Georg Michaelis

Längst vergessen, so scheint es wenigstens, sind die Sorgen und Nöten, mit denen sich die Menschen vor 30 Jahren, in den größtenteils stark zerstörten Dörfern der ehemaligen „Roten Zone" herumschlagen mußten.

Als „Rote Zone" bezeichnete das deutsche Militär ursprünglich den Landstreifen zwischen der deutschen Grenze gegen Frankreich, Luxemburg und Belgien und den Westwallbefestigungen. Damals, vor 30 Jahren verstand man unter der „Roten Zone" jene Grenzgebiete in der Eifel, die zwischen der Invasion und dem Kriegsende mehrfach den Besitzer wechselten, bereits im September 1944 evakuiert und dann fast völlig zerstört worden sind.

Zur Linderung der größten Not, die der letzte Krieg geschaffen hatte, kam es zunächst auf die Eigeninitiative selbst an. Die Verwaltung der Französischen Zone, zu der auch der Amtsbezirk Stadtkyll gehörte, versuchte ihr Bestes zu tun. Doch es gab auch Härten. So bei der Beschaffung von Baumaterial und in der Viehablieferung, um nur zwei Dinge zu nennen.

Nachdem dann am 18. Mai 1947 das Land Rheinland-Pfalz gegründet worden war, konnten sich die politischen Kräfte wirksamer für das Grenzland einsetzen. Es kam zur Gründung von Aufbauringen und bei der Bezirksregierung Trier wurde ein eigenes Grenzlanddezernat gebildet. Der rheinland-pfälzische Landtag setzte einen Grenzlandausschuß ein, der sich am Donnerstag, dem 6. Januar 1949 im Hotel Eifelbräu in Bitburg konstituierte.

Bereits am Tage darauf, begann dieser Ausschuß mit einer Fahrt durch die Rote Zone, die am 21. Januar 1949 im Amtsbezirk Stadtkyll endete.

Der damalige Amtsbürgermeister Dr. Blum nahm die Gelegenheit wahr, dem Ausschuß einen ausführlichen Bericht über den Amtsbezirk Stadtkyll aus den Jahren von 1945 bis 1948 vorzulegen.

Der Amtsbezirk Stadtkyll war damals rund 8700 Hektar groß. Zu ihm zählten die Gemeinden Stadtkyll, Hallschlag, Reuth, Ormont, Kerschenbach, Schönfeld, Scheid, Steffeln und Schüller. Vor dem Kriege hatte der Bezirk rund 3500 Einwohner und 701 Häuser. Von den 9 Gemeinden des Bezirks lagen 6 in der „Roten Zone".

Stadtkyll, Reuth und Hallschlag waren über 74 Prozent, Ormont 50 Prozent, Kerschenbach 32 Prozent, Schönfeld 28 Prozent, Scheid 23 Prozent, Steffeln und Schüller zu je 5 Prozent kriegszerstört.

133 Häuser und Ökonomiegebäude waren zu 100%, 211 zu 50% und 121 zu 25% zerstört.

Im Kriege fielen 138 Soldaten und 94 Zivilpersonen. Nach dem Kriege kamen bis Ende 1948 noch 31 Einwohner durch Minen und Sprengstoff ums Leben.

Auf Gemeinde- und Ehrenfriedhöfen wurden 629 gefallene Soldaten bestattet.

Anfang 1949 waren noch 41 Einwohner des Bezirks in Kriegsgefangenschaft und 73 Personen wurden noch vermißt. Die Zahl der Kriegsversehrten betrug 92, darunter 18 Schwerbeschädigte. Und an Hinterblieben waren 216 Witwen, Waisen und Eltern im Bezirk.

Die Schulen in den Gemeinden Reuth und Ormont waren zu 100 %, in Stadtkyll zu 75 %, in Hallschlag zu 70% und in Schönfeld zu 20 % zerstört. Das Hauptgebäude des Krankenhauses in Stadtkyll war völlig zerstört. Das frühere alte Krankenhaus wies 50 % Schäden auf.

Auch die Kirchen, Kapellen und Pfarrhäuser waren stark in Mitleidenschaft gezogen worden und waren teilweise nicht mehr benutzbar.

In seinem Bericht führt Amtsbürgermeister Dr. Blum unter anderem weiter aus:

„Die elektrischen Versorgungsnetze waren fast in allen Gemeinden abgebaut, die Masten und Transformatoren zerstört oder stark beschädigt. Die Wasserleitungen waren teilweise so zerstört, daß die Trinkwasserversorgung lange Zeit aus Bächen, Granattrichtern und aus spärlichen Brunnen erfolgen mußte.

Straßen und Wege waren durch Panzergräben, Bombentrichter und Granatlöcher kaum noch passierbar. An Brücken in Hauptverkehrsstraßen und den Gemeindewegen waren 24 vernichtet worden.

In den Feldern und in den großen Gemeinde-und Privatwaldungen hatte der Bunker- und Stellungsbau, der Bau von Panzergräben, Granaten und Bomben, Schäden in kaum feststellbarer Höhe angerichtet. Hinzu kamen dann die noch größeren Schäden durch den Borkenkäfer.

292 Hektar Wald und 389 Hektar Feld waren vermint und konnten noch lange Zeit nicht oder unter Lebensgefahr betreten werden.

Besonders hart hat auch die Landwirtschaft gelitten.

Der Viehbestand betrug im Jahre

 

1937

1945

Rindvieh

3528

2017

Pferde

125

192

Schafe

353

487

Schweine

1 337

442

Ziegen

105

33

Hühner

7786

2340

Unter dem in der Zeit von Mai 1945 bis Dezember 1945 beschafften oder zugewiesenen Rindvieh befand sich aber eine große

Zahl, die in normalen Zeiten sofort dem Schlachthaus zugeführt worden wären. Die erhöhte Zahl der Pferde im Jahre 1945 war auf die zurückgelassenen Militärpferde zurückzuführen, die inzwischen aber zum größten Teil abgeliefert werden mußten.

An landwirtschaftlichen Maschinen und Geräten war besonders in der „Roten Zone" fast alles zerstört, beschädigt oder verschleppt. Es gingen 28 Dreschmaschinen, 188 Pflüge, 34 Mähmaschinen, 13 Heuwender, 134 Eggen, 28 Kultivatoren, 5 Sämaschinen, 3 Düngerstreuer, 67 Ackerwagen, 4 Ackerwalzen, 6 Kartoffelroder, 8 Heugebläse und 26 Jauchepumpen- und fässer verloren.

Trotz dieser Verluste war die Zuteilung an landwirtschaftlichen Maschinen kaum nennenswert, was besonderes Mißfallen erregte. Durch Fehlen von Gespanntieren, Saatgut, Kunstdünger und durch die Verminung der Felder konnte nur langsam mit dem Wiederaufbau der Landwirtschaft bei ganz bescheidenen Erträgen begonnen werden.

Auch Handwerk, Handel und Gewerbe zeigten in den meisten Gemeinden ein betrübliches Bild. Die Werkstätten waren zerstört, die Werkzeuge verschwunden und die Läden leer.

Am trostlosesten waren die Wohnungsverhältnisse. Ställe, Scheunen, Keller, zugige Barakkenreste dienten als notdürftige Behausungen. Entsprechend sah es auch mit Mobilien, Haus-und Küchengeräten, Bekleidung und Bettzeug aus. Menschen und Vieh konnten nur notdürftig ernährt werden.

In den meisten Gemeinden bot sich ein Bild der Verwüstung, des Elendes und der Not, und mit banger Sorge und fast mutlos schaute man 1945 in die Zukunft.

Aber schon bald regten sich überall fleißige Hände. Es wurde geplant, beraten und besonders gearbeitet. Die Liebe zu der von den Vätern ererbten Scholle, die Liebe zur Heimat, der eiserne Lebenswille ließ Hindernisse meistern und trotz aller Bomben- und Granattrichter, trotz Minengefahr und aller Trümmer ging es mit aller Energie an den Wiederaufbau, konnten bis zum Jahresende 1948 trotz vieler Enttäuschungen durch hohe Lieferauflagen (trotz Mangel an Vieh und Saatgut in der „Roten Zone", mußten aus diesen Gemeinden nicht unerhebliche Viehbestände abgeliefert werden. Anm. d. Verf.), Beschlagnahmungen und Preissteigerungen, sichtbare Erfolge erzielt werden."

Höckerlinie des Westwalls in der Nähe von Scheid

Von den 465 zerstörten oder beschädigten Häusern und Ökonomiegebäuden konnten bis Ende 1948 296 wieder aufgebaut beziehungsweise renoviert werden. Dazu wurden elf Wohnungsneubauten erstellt.

Dazu Dr. Blum in seinem Bericht weiter:

„Fast alle Baustoffe mußten vor der Währungsreform (20. Juni 1948. Anm. d. Verf.) auf nicht normalem Wege, teilweise unter großen persönlichen Opfern, beschafft werden. Von den Gemeinden wurde durch die Gestellung von nicht mehr als Nutzholz verwendbarem Splitterholz geholfen. Wenn sich die Wohnverhältnisse im allgemeinen gebessert haben, so wohnen doch besonders in den Gemeinden Hallschlag und Reuth noch eine Reihe von Familien in menschenunwürdigen Unterkünften.

Nach Wiederinstandsetzung des alten Krankenhauses in Stadtkyll konnten die Krankenschwestern im Jahre 1947 ihre Tätigkeit wieder aufnehmen.

An den Kirchen in Stadtkyll und Ormont konnten bereits die Schäden am Turm, Dach und teilweise auch im Inneren beseitigt werden. Besondere Sorge bereiten noch der Wiederaufbau der Kirche in Hallschlag und der Kapelle in Reuth und die Wiederherstellung der Kirche in Stadtkyll. Man ist fest gewillt, im Jahre 1949 auch bei diesen Arbeiten ein erhebliches Stück weiter zu kommen.

Auf sozialem Gebiet haben die bisherigen Lösungen auf dem Gebiet des Lastenausgleiches und der Kriegsopferversorgung die Erwartungen vieler Betroffenen stark enttäuscht. Besonders erwähnt werden müssen die Lohn- und Gehaltsempfänger, die vor und nach der Währungsreform trotz geringem Realeinkommen treu ihre Pflicht taten.

Wegeschäden wurden im Rahmen des Möglichen behoben. Eine neue Schotterdecke erhiel der Ortsverbindungsweg nach Schönfeld. Für die Pflasterung der Dorfstraße in Steffeln wurden die Pflastersteine beschafft. Dringender Instandsetzung bedürfen die Provinzialstraße von Jünkerath über Stadtkyll nach Hallschlag, die Kreisstraße von Hallschlag über Ormont zum Mooshaus, ferner die Gemeindewege von Hallschlag nach Scheid. Hierbei muß erwähnt werden, daß die Schulkinder aus Kerschenbach, die die Schule in Stadtkyll und die aus Scheid, die die Schule in Hallschlag besuchen müssen, täglich die 13 km schlechte Wegestrecke passieren müssen, ebenso wie die übrige Bevölkerung bei Einkäufen und beim Kirchgang.

Große Sorge bereitete die Wiederinstandsetzung der Bahnstrecke Jünkerath — Stadtkyll — Hallschlag, zu deren Ausführung eine erhebliche Zahl von Arbeitskräften aus dem Amtsbezirk Stadtkyll gestellt werden mußte. In der ersten Hälfte des Monats Dezember 1947 konnte der Betrieb auf der Strecke aufgenomen und eine erhebliche Verkehrsverbesserung für das obere Kylltal erreicht werden.

Der in Stadtkyll seit über 50 Jahren bestehende Eifelverein konnte im letzten Jahr wieder seine Tätigkeit aufnehmen und verdient allseitige Unterstützung und Förderung.

Bei der Minenräumung, die im Jahre 1948 als abgeschlossen angesehen werden konnte, und durch Minen kamen leider 31 Minensucher und Zivilpersonen ums Leben. 16 Personen wurden verletzt. Hatte man nun geglaubt, daß das Getöse der Explosionen verstummen würde, so setzten im Jahre 1948 die Bunkersprengungen ein, die wieder ein neues Bild der Verwüstung brachten. Bei den Arbeiten wurden 127 Häuser erheblich beziehungsweise leicht beschädigt und erforderten 76 Hektar Acker- und Wiesenland. Aber auch der Wald wurde hierbei wieder von neuen Schäden heimgesucht.

Durch das Auftreten des Borkenkäfers mußten in den Gemeindeverwaltungen cirka 600 Hektar, teilweise Bestände im besten Wuchs, eingeschlagen werden, sodaß der Wiederaufforstung in allen Gemeinden besondere Sorge geschenkt und bereits 1949 in möglichst großem Umfang damit begonnen werden soll.

Zur Erfüllung der Viehauflagen mußten in den Jahren 1945 bis 1948 aus den Gemeinden des Amtsbezirks 1433 Stück Rindvieh abgeliefert werden. Davon entfielen allein auf die besonders stark zerstörten Gemeinden Stadtkyll 257, Hallschlag 155, Reuth 89 und Ormont 241 Stück.

Nach der Viehzählung von 1947 waren im Amtsbezirk Stadtkyll 2920 Stück Rindvieh, davon 1142 Stück Kühe, 127 Pferde, 58 Ziegen, 687 Schafe, 397 Schweine und 2436 Hühner vorhanden, also noch eine erheblich niedrigere Zahl als 1937 (vor 10 Jahren). Daher wird es als besonders ungerecht empfunden, daß bei der Verteilung der Viehauflage durch höhere Stellen immer nur die Viehzahl zugrunde gelegt, ohne dabei zu berücksichtigen, wie der Rückgang der Zahl der Kühe zeigt, daß es sich bei dem Viehbestand meist nur noch um Tiere mit geringem Gewicht handelt und daher eine Vergrößerung des Viehbestandes durch die große Zahl der Tiere, die zur Erfüllung der Auflage nötig sind, unmöglich ist. Hier muß eine fühlbare Senkung der Viehauflage erfolgen und die Möglichkeit geschaffen werden, Nutzvieh wieder zu tragbaren Preisen zu erwerben. Auch die Preisspanne zwischen den Schlachtviehpreisen und den Preisen in den Metzgereien scheint einer Überprüfung zu bedürfen.

Beim Wiederaufbau

Auf dem Gebiet der Ablieferung der sonstigen landwirtschaftlichen Produkte konnte festgestellt werden, daß der größte Teil der Landwirte sich seiner hohen Verantwortung zur Sicherung der Ernährung bewußt war und seine Ablieferungspflicht nach Kräften erfüllt hat, trotz aller Schwierigkeiten in der Beschaffung von Saatgut, Kunstdünger, Maschinen und Geräte, die noch heute besonders beim Thomasmehl, Düngekalk, Stickstoff, Saathafer und Gerste bestehen.

Ausgefahrener Waldweg in der Schneifel

Die Auflagen an Milch, Butter, Getreide, Heu, Stroh usw. müssen so festgesetzt werden, wie dies der teilweise schlechten Qualität der Kühe, den kargen Bodenverhältnissen und geringen Erträgen tatsächlich entspricht und nicht wie der Rechenstift es für notwendig erscheinen läßt.

Wenig Verständnis bringt die Landwirtschaft der langsamen Bezahlung von geliefertem Schlachtvieh und den sich dabei ergebenden hohen Abzügen entgegen. Starke Ungehaltenheit herrscht darüber, daß Heu-, Hafer und Strohauflagen aus der Zeit vor der Währungsreform bis heute noch nicht reguliert sind. Leider muß aber auch die Feststellung gemacht werden, daß bald nach der Währungsreform die Ablieferung, besonders von Milch und Butter in einzelnen Gemeinden stark zurückging und der aus der Zeit vor der Währungsreform noch zu bekannte Schwarz- und Schleichhandel wieder zunahm. Hier muß alles getan werden, um die Ablieferung wieder in tragbare Rahmen zu bringen, was nur durch harte Maßnahmen gegen den Schwarz- und Schleichhandel und gegen die Schmuggler möglich ist.

In allen Gemeinden sind wieder Freiwillige Feuerwehren vorhanden. Für 1949 gilt die besondere Sorge dem Wiederaufbau der Gerätehäuser.

Die Neuwahlen der Gemeinderäte und Amtsvertretung im letzten Jahre brachte wenig Änderung in der politischen Zusammensetzung, da die Kandidatenaufstellung ja mehr nach persönlichen als politischen Gesichtspunkten erfolgte.

Der Wiederaufbau und Holzeinschlag hat allen Arbeitswilligen gute Beschäftigungs- und Verdienstmöglichkeiten gebracht, ja es war wieder Mangel an Handwerkern und Facharbeitern zu verzeichnen.

So zeigt dieser Rückblick zwar manch erfreuliche Tatsache, aber auch manche Enttäuschungen. Möge das Jahr 1949 auch auf kommunalem Gebiet eine Besserung der Finanzlage bringen und so die Ausführung der geplanten Maßnahmen in greifbare Nähe rücken und eine Preisstabilisierung und ein Preisabbau den Wiederaufbau weiter fördern."

Vor 30 Jahren wurde dieser Bericht verfaßt und dem Grenzlandausschuß am 21. Januar 1949 überreicht. Dieser Bericht aus dem früheren Amtsbezirk Stadtkyll möge als Beispiel für alle anderen Bezirke stehen.

Welche Frage könnte man sich heute stellen, wenn man sich an die Zeit von 1949 erinnert? „Was, schon 30 Jahre her?" oder „Wie, sind seitdem erst 30 Jahre vergangen?"

Quellen: Schrift ,,Rheinland-Pfalz — Ursprung, Gestalt und

Werden eines Landes", Neuausgabe 1969.

Aktenheft „Das hilfesuchende Grenznotamt Bleialf" 1948

bis 1951. (Heimatmuseum Prüm).

,,Trierische Volkszeitung" vom 10. 1. 1949, Nr. 3.