Lebenslauf eines Dorfschreiners

Werner Schönhofen

In alten Akten fand ich den Lebenslauf des Dorfschreiners Leonhard Michels, der 1858 geboren wurde und seinen Lebenslauf, 83jährig, im Jahre 1941 schrieb. Ich möchte ihn hier mitteilen, da er ein recht aufschlußreiches Zeitdokument ist. Ich habe zwar die Rechtschreibung etwas geändert, nicht jedoch den Stil. Einige Ortsangaben, die ich nicht entziffern konnte, sind durch Punkte gekennzeichnet.

„Als 7tes Kind meiner Eltern wurde ich am 17. Januar 1858 in Steineberg, Kreis Daun, geboren. Meine Kindheit brachte ich in St. bis zum Jahre 1877 herum. Während dieser Zeit habe ich im Elternbetrieb mitgearbeitet. Kein Apfelbaum oder Birnbaum war mir zu hoch, und es gab wohl auch keinen im Dorf, den ich nicht erklommen habe. Dafür hat es auch manchmal Hiebe gegeben. Im Sommer war meine Arbeit das Viehhüten. Dann ging ich 1877, den 15. Juli, nach Ulmen bei einen Schreiner in die Lehre, welche zwei Jahre dauerte.

Als die Lehrzeit vorbei war, ging ich auf Wanderschaft. Am ersten Tag fand ich Arbeit. Anfang November aber war die Arbeit alle. Ich griff zum Wanderstab und wanderte über Trier, Saarbrücken, bayerische Pfalz und kam in Worms an den Rhein. Da ging's den Rhein hinunter, und zwei Tage vor Neujahr bekam ich Arbeit im Dorf . . . unterhalb . . . Am Neujahrstag erlebte ich ein Ereignis, welches ich nie vergesse. Der Rheinstrom war ganz zugefroren, und ich war öfter von einem Ufer auf das andere übers Eis gegangen. In der Neujahrsnacht ist das Eis ins Treiben gekommen. Das war ein Schauspiel, was ich noch nie gesehen. Da kamen Bäume, welche mit Grund und Boden ausgerissen worde, und standen noch ganz aufrecht und wurden mit dem Eis fortgetrieben. Von (dort) wanderte ich den Rhein hinunter bis Duisburg. Habe, wenn das Geld alle war, eine Zeitlang gearbeitet und dann wieder weiter. In Westfalen, Luxemburg, Elsaß-Lothringen und bin dann am 15. Juli 1884 wieder in St. gelandet. Während dieser Zeit habe ich auch sechs Wochen in Hamborn im Krankenhaus zugebracht. Da habe ich auch diese Einrichtung schätzen gelernt.

In St. lebte ich nun mit der Mutter. Wir hatten so viel Land, daß wir zwei Kühe halten konnten. Auch gab es im Handwerk gleich Arbeit genug, so daß ich auch einen Gesellen einstellen konnte. Von 1884—1891 und die Jahre, welche ich auf Wanderschaft war, sind die schönsten meines Lebens gewesen. Ich habe 1891, den 2. Mai, geheiratet, und es wurden uns neun Kinder geschenkt, sechs Jungen und drei Mädchen, von denen zwei in der Kindheit starben. Ein Junge starb im Alter von zwölf Jahren, zwei haben ihr Leben im Krieg 1914—1918 fürs Vaterland gegeben. In dieser Zeit hatte ich viel Kummer und Sorgen zu tragen. An dem Tage, wo es mir zugestellt wurde, daß die Söhne gefallen und an dem Tage, daß eine Schwiegertochter starb, das waren für mich die traurigsten meines Lebens. Gott hat mir Kraft gegeben, und ich habe auch die Zeit überwunden.

Nun noch was aus der Inflationszeit. So ging ich einmal nach Daun. Ich sollte einen Kaffeekessel mitbringen. Ich holte das Geld, das ich mithatte, mit, es waren ein paar Millionen und auch acht Francs. Auf der Kasse habe ich in Daun noch 32 Millionen Mark erhalten. Ich konnte aber keinen Kaffeekessel kaufen, ich hatte zu wenig Geld. Ich fragte, was ein Sägefeil kostete, da sagt der Kaufmann drei Millionen Mark, welche ich immer für 40 Pf. kaufte. Nun ging ich aufs Finanzamt und wollte die Erwerbssteuer zahlen. Ich weiß nicht mehr, wieviel verlangt wurde; ich sagte aber, das bezahle ich nicht. Auf die Frage, was ich denn bezahlen wollte, sagte ich 1000 Mark. Da bekam ich die Antwort, für 1000 Mark kann man keine Quittung schreiben. Ich vergesse das nie.

Wir sind nun in ganz andere Zeiten gerückt und auch unser Dorf. Ich möchte noch gerne auf der Autobahn fahren . . . Wenn es mir auch nichts mehr nützt, so können meine Kinder doch noch den Fortschritt haben. Meine Knochen sind verbraucht. Ich wünschte nur, daß ich 50—60 Jahre später geboren wäre, dann könnte ich an dem Geschehen mithelfen und auch nachher mitgenießen. — Leonhard Michels."