Die Synodalstatuten in der Mädchenhose

P. Josef Böffgen SAC

1. Wie es kam

Der Anfang der Geschichte ist fast alltäglich; schon weniger das, was daraus wurde:

Monika war mit ihrem Jahrgang nach bestandenem Abitur 1974 in Prag, der ,,Goldenen Stadt". Und wie eine dankbare Tochter nun einmal ist, sie sann nach über ein Mitbringsel für die Eltern. Bei der Mutter war sie sich schon im klaren. In einem der Antiquariate der Stadt würde sie schon etwas finden, wovon sie wußte, daß es der Mutter Freude bereiten würde. Die Auslagen eines Buchladens lockten; hier könnte sie wohl etwas finden, um die Reihe alter Bücher ihrer Mutter um eines zu vermehren; damit würde sie sicher nicht danebengreifen. Sie betritt den Laden, findet ein äußerlich gut aussehendes 'Werk, auf dessen Rücken oben ein rotes Schildchen, das zu lesen sie sich nicht einmal die Mühe machte; unten ein weißes mit der Zahl 56, offenbar Numerierung aus irgendeiner — wer weiß welcher Bibliothek, zahlt den verlangten geringen Preis und schlendert langsam dem Hotel zu. Dort erst öffnet sie den Band, liest den Anfang des Titels, ganz in Majuskeln geschrieben: Synodus Archidioeceisana Pragensis .. ., merkt aber, daß sie damit nichts anzufangen weiß, entziffert eben noch eine Jahreszahl: MDCV - 1605, blättert um, findet noch eine ganze Seite Titel, wobei ihre Augen allerdings wie von magischer Kraft angezogen werden von den Namen „Manderscheid-Blankenheim & Geroldstein ... Jünkerath . .. Daun" — eine ganze Eifelgeographie im Titel, dann noch ein bischöfliches Wappen, eine halbe Seite groß; und auch hier nochmals eine Jahreszahl: MDCCLXII - 1762. Obige Namen allein sind es, die sie trösten als sie feststellen muß, daß der ganze Band kein einziges deutsches Wort enthält — nur Latein. Wer das Buch einmal lesen soll, darüber macht sie sich zunächst keine Gedanken; diese gehen in andere Richtung, nämlich wie sie es nach Hause bringen, wie sie die Grenze damit passieren soll. Die erste Probe eines geeigneten Verstecks ist nach dem Urteil ihrer Kameradinnen durchaus erfolgversprechend. Daß das Buch für bestimmte Fälle streng einzuhaltende Anordnungen trifft, weiß Monika nicht, Anordnungen „De cohabitatione clericorum et mulierum" — über das Zusammenleben von Klerikern mit Frauen. Um Kleriker handelt es sich zwar hier nicht gerade, aber immerhin um klerikale Bestimmungen, wie es ja Synodalstatuten sind.

Da wird nach anderen Versuchen, das ehrbare Leben zu sichern, bei negativem Ausgang ein letztes Mittel angeordnet: „Quos demum eorum malitia exigente, ipsi Superiores carcerum poenas afficiant", „wenn aber deren Bosheit es verlangt, dann sollen die Vorgesetzten selbst sie in den Kerker werfen". Hier kommen nun, da mit Leibesvisitation beim Grenzübergang nicht zu rechnen ist, die Synodalstatuten in den Kerker, den weichen, gerundeten Kerker im rückwärtigen Teil von Mädchen-bluejeans. Der enge Bund gibt festen Halt, ein weicher, wärmender Pullover verdeckt alle Spuren. So übersteht das Buch nach sinngemäß angewandten erzbischöflichen Bestimmungen alle Gefahren eines deutsch-tschechoslowakischen Grenzübertritts anno millesimo nongentesimo septuagesimo quarto, MCMLII IV - 1974.

Übersetzung: „Synode der Erzdiözese Prag, gehalten vom edlen und Hochwürdigen Herrn, Herrn Sbigneus Berka, durch Gottes und des Apostolischen Stuhles Gnade Erzbischof von Prag, Fürst, Legatus Natus etc. im Jahre 1605 nach Christi Geburt, am Fest des hl. Wenzeslaus, Fürst, Märtyrer und Patron des Reiches, samt Provinzialstatuten des ersten Erzbischofs von Prag, Ernst, mit einem neuen und reichhaltigen Inhaltsverzeichnis".

1. Synode — Synodalstatuten

Synode stammt aus dem Griechischen und heißt gemeinsamer Weg. In der katholischen Kirche ist Synode eine Kirchenversammlung, ähnlich wie Konzil; in der evangelischen Kirche das Organ einer Selbstverwaltung; in der orthodoxen Kirche das höchste Organ der Kirchenleitung.

Wenn es sich bei unserem Buch um die Prager Synodalstatuten handelt, dann sind es die Anordnungen der Diözesansynode, die nach dem kirchlichen Rechtsbuch (CJC 356—362) etwa alle zehn Jahre vom Bischof einberufen werden soll und bei der unter Mitwirkung der Synodalen, die Fragen besprochen werden, die „für Klerus und Volk einer bestimmten Diözese notwendig oder nützlich sind" (CJC, 356).

Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis des Bandes sagt deutlicher als theoretische Erörterungen, welche Bereiche des kirchlichen Lebens von den Diözesen in Eigenverantwortung zu ordnen sind, sei es auch nur durch Ergänzung jener Vorschriften, die von der obersten Kirchenleitung in Rom für die ganze Kirche gegeben werden. So werden Bestimmungen erlassen über die Ablegung des Glaubensbekenntnisses, über die Predigt, über den Umgang mit Reliquien und Heiligenbildern, über die Einrichtung der Kirche und der Sakristei wie über kirchliche Pfründe und die Klöster.

Die im gleichen Bande enthaltenen Provinzialstatuten geben eher Rechtsbestimmungen und Verordnungen, die das moralisch einwandfreie Leben betreffen.

Das Buch umfaßt 234 Seiten und 71 Seiten Sachindex (Index rerum et verborum) der eine große Hilfe ist, wenn man sich über die Bestimmungen bzgl. eines bestimmten Gebietes informieren will; so gibt es z. B. 29 Bestimmungen über den Altar.

Was hier am meisten interessiert, sind die beiden Titelseiten, besonders die zweite (s. Abb. 1). Der Text der zweiten Titelseite lautet in der Übersetzung (Abb. 2):

„Herausgegeben im besonderen Auftrag des Hochwürdigsten und erhabenen Herrn, des Heiligen Römischen Reiches Fürsten, unseres Herrn Johann Moritz Gustav, des Apostolischen Stuhles Legatus Natus, Graf von Manderscheid, Blankenheim und Geroldstein, Freier Baron zu Jünckerath, Herr von Bettingen, Daun und Erp, Wirklicher Geheimer Rat sowohl des Heiligen Kaiserreiches wie auch der Königlichen Majestät von Deutschland, Ungarn und Böhmen, Primas des erhabenen Böhmischen Reiches, Propst bzw. Schatzkanzler und Senior der Metropolitankirche von Köln und der Kathedrale von Straßburg, gleichfalls Propst der berühmten Kollegiatkirche St. Gereon in Köln, wie auch für ewige Zeiten Kanzler, Protektor etc. der Karl-Ferdinand-Universität von Prag. Wiedergedruckt in Aula Regia bei Jakob Schwaiger, Erzbischöflicher Drucker 1762".

Zwei Ausdrücke, bei denen eine wörtliche Übersetzung nicht genügt, bedürfen hier der Erklärung:

1. Legatur Natus = Geborener Legat ist ein Titel für kirchliche Würdenträger bei denen die Legation, d. h. der Auftrag als Gesandter mit dem Amte, das sie bekleiden, dauernd verbunden ist.

2. Aula Regia heißt Königssaal, bezeichnet hier aber ein Zisterzienserkloster in Böhmen in der Diözese Prag.

3. Wer war Johann Moritz Gustav?

Das Geschlecht der Dynasten und Grafen von Blankenheim-Manderscheid-Gerolstein läßt sich zurückverfolgen bis 1115. 1131 wird der Hof Blankenheim als dem Cassiusstift in Bonn zugehörig bezeichnet. Gerhard l. ist 1115 Herr von Blankenheim, Schleiden, Gerhardstein und Castelburg. Gerhard VII. (1376 — 1406) erreichte es, daß die Herren von Blankenheim in den Grafenstand erhoben wurden, zugleich aber starb mit ihm die Linie im Mannesstamme aus. Sein Bruder Friedrich, Bischof von Utrecht, (der im übrigen 1413 den Verfasser der weltberühmten „Nachfolge Christi" zum Priester weihte) sorgte dafür, daß seine Nichte Elisabeth, Gerhards Tochter, 1415 den Grafen Wilhelm von Loen heiratete. Aber schon unter deren Enkel Wilhelm (1441 bis 68) starb die Linie zum zweiten Male im Mannesstamme aus. Wilhelm fiel 1468 in der Schlacht bei Wichterich im Krieg gegen Truppen des Kurfürsten von Köln. Seine Tante Elisabeth hatte sich 1443 vermählt mit Diederich IM. von Manderscheid. Als dieser durch seine Gemahlin die Grafschaften Blankenheim und Gerolstein erbte, war er einer der mächtigsten Dynasten der Eifel, bei Papst und Kaiser hoch angesehen. Am 17. 1. 1488 legte er in einem Teilungsvertrag mit seinen Söhnen die künftige Regentschaft fest: Johann erhielt Blankenheim, Gerolstein und Jünkerath, Cuno sollte in Schleiden, Manderscheid, Neuenstein und Casselburg regieren, Wilhelm mußte sich mit Kayl begnügen. Als Graf Carl-Ferdinand, Präsident des Reichskammergerichts in Wetzlar 1697 kinderlos starb, folgte ihm als Erbe der Manderscheid-Blankenheim-Gerolstein'schen Linie Salentin Ernst, Graf von Manderscheid-Blankenheim-Jünkerath, Herr zu Daun; in erster Ehe war er verheiratet mit Ernestine von Sayn-Wittgenstein (gest. 1658), nach deren Tod in zweiter Ehe mit Christina Elisabeth, Gräfin von Erpach. Eines der 18 Kinder war Johann Moritz Gustav (geb. 1674), Erzbischof von Prag (1733-63). Geistliche waren nicht selten in diesem Grafengeschlecht. Wenn auch einige Domherrenstellen, vor allem in Köln und Straßburg schon feste Tradition in der Familie waren, so daß man zuerst an eine Versorgungsstätte für nachgeborene Söhne denkt, so waren sicherlich auch echte Berufungen dabei. Mehrere Male hören wir aber auch, daß von den Verpflichtungen des geistlichen Standes („ab ordine diaconatus") dispensiert wurde und der betreffende „in die Welt" zurückkehrte, um die Familie fortzuführen. Unter den unmittelbaren Vorfahren unseres Erzbischofs finden wir drei, die zunächst einmal Domherren in Köln waren. Das auffallendste Beispiel kirchlicher Berufe ist die Familie des Großvaters des Erzbischofs Moritz Gustav, nämlich Johann Arnold, Graf von Blankenheim . . .; er heiratatete die ehemalige Stiftsdame von St. Ursula in Köln, Antonia Elisabeth von Manderscheidt-Gerolstein. Von ihren elf Kindern starben vier im kindlichen Alter, die anderen sieben lebten im geistlichen Stande, darunter die heiligmäßige Dulderin Clara-Elisabeth (gest. 1688), Kanonisse von Thorn in Holiän-disch-Limburg. Ihr Bruder Salentin Ernst gab den geistlichen Stand auf, um die Familie weiterzuführen

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.4. Die deutsche Kleinstaaterei

Die Behörden der gräflichen Verwaltung scheinen ein beachtliches Selbstbewußtsein entwickelt zu haben, vor allem in den Grenzgebieten, also dort, wo infolge der Kleinstaaterei ein sog. „Hof", der zum „Grafenland" (Schroweland) gehörte, wie ein Pfahl im Fleische in das Gebiet des Nachbarfürsten hineinragte. Im Raum Gerolstein kam das klar und hart zum Ausdruck. Es ist schon vielsagend, daß sich hier, d. h. in den Dörfern zwischen Gerolstein und Prüm der Ausdruck „Grafenland" bildete und bis in unser Jahrhundert hinein erhalten hat. Er diente dazu, die Grafschaft Gerolstein mit ihren „Höfen" (Gerolstein mit 5 Dörfern, Roth mit 6, Stadtkyll mit 5 und Lissendorf mit 6) klar abzutrennen vom „Land Prüm", in dem die Abtei 1298 nach harten Kämpfen mit den Vögten in den „Höfen" des Landes volle Gerichtsbarkeit erworben hatte, andererseits aber auch schon seit dem 9. Jhd. ein bestimmtes Kontingent zum Reichsheerstellen mußte. — Nicht genug mit der Grenze zum „Lande Prüm", auch das Kurfürstentum Trier reichte in unsere Gegend hinein; seit 1353 hatte es in Hillesheim einen Vorposten seiner aufstrebenden Macht. Aber auch die mächtigen Grafen von Aremberg waren darauf bedacht, ihre Rechte hier zu wahren und sie durch einen Amtmann in Fleringen zu schützen. Wenn die Abwehr von Übergriffen auch nicht zu deren „täglichem Brot" gehörte, so liegt doch ein Schreiben von 1775 vor, in dem ein Heinrich Bauer von Scheuren den „Hochedelgebohrenen, Hochgelehrten Gepietenden Herrn Amtmann" in einem „Unterthänigen Memorial und Bitt umb Obrigkeitlichen Beystand und schütz gegen eine von seithin der Gräflich Gerolsteiner Einnnehmerey angedrohte execution und pfandung" ersucht, (s. Abb. 3)

Nach Schannat-Bärsch gehörte Scheuren teils zum Aremberg'schen Hofe Fleringen, teils zum Hofe Gerolstein.

5. Klammer der Einheit

War so einerseits jeder Fürst darauf bedacht, seine Rechte zu wahren und sein Herrschaftsgebiet — damit auch seine Einnahmen zu vergrößern, so fehlte nicht die große Klammer, die die „tausend" Territorien zu einer großen Einheit zusammenfaßte: Das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation". Mit den Landesgrenzen kann es für den Einzelnen in diesem Staatengebilde, „in dem die Sonne nicht unterging" nicht so schlimm gewesen sein. Ein paar, gerade den Eifeler interessierende Beispiele zeigen dies: Sebastian Münzer liefert (1489—1552) in seiner „Cosmographia universalis" Kartenskizzen der damaligen Welt, meist nach eigener Anschauung gestaltet; ein Sohn der Eifel wird Erzbischof von Prag, ein anderer Bischof von Lüttich; Johann Friedrich Schannat (1683—1739) schreibt die Geschichte des Klosters Fulda, der Bistümer Worms und Speyer, der Adelsgeschlechter der Eifel, bereiste zu historischen Studien Frankreich, Österreich und Italien. Ganz gewiß war Reisen in damaliger Zeit beschwerlich, aber die geringste Schwierigkeit scheint doch dabei das Überschreiten der Grenzen gewesen zu sein. Selbst das werdende Europa unserer Tage hat wohl noch nicht jene Freizügigkeit, derer man sich damals erfreute.

1806 war es damit zu Ende. Die Grenzen in Deutschland wurden von Napoleons Gnaden neu gezogen, ein neues Königkreich gar für seinen Bruder eingerichtet. „Das Reich löste sich auf. Der letzte Kaiser, der sich seit 1804 Kaiser von Östereich nannte, legte die Krone des Heiligen Römischen Reiches auf Verlangen von Napoleon nieder — es war der würdelose Abschluß einer Kette von tief beschämenden Vorgängen" (Valentin, Weltgeschichte S. 912). Die Französische Revolution und die sich daran anschließende Umwälzung aller bestehenden Territorialverhältnisse in ganz Europa brachte auch der Eifel grundlegende Umwälzungen. Schon 1794 besetzten französische Truppen die Rheinlande. Im Frieden von Campoformio (1797) wurde der Rhein als Ostgrenze Frankreichs anerkannt. Die letzte regierende Gräfin von Manderscheid-Blankenheim-Gerolstein, Augusta, floh 1794 mit ihrem Gemahl, Christian von Sternberg auf dessen Güter nach Böhmen. „Der Eifel, die durch die neue Länderverteilung von ihren Hinterländern, mit denen sie bisher Handel und Wandel verband, von Luxemburg, Lothringen und Belgien, getrennt war, erstarben die seit den Römern bestehenden ständigen Wechselbeziehungen des Verkehrs, was sie der Vereinigung und Verarmung für solange entgegenführte, bis die preußische Staatsregierung durch Anlage von Straßenzügen und Eisenbahnen sie vom Rhein aus neuem Verkehr zugänglich machte und durch Aufforstungen und Meliorationen, wie Fürsorge aller Art, Wohlstand und Volksbildung erneut hervorrief" (Prof. Dr. Ernst aus'm Weerth in „Gerolstein und seine Umgebung" Gerolstein ca. 1920, S. 10).

Das Grafenland war zunächst einmal verwaist. Als Symbol möchte es uns erscheinen, daß die Gräfin auch den größten Teil des Archivs von Blankenheim nach Böhmen mitführte, so daß schließlich auch das Manuskript der „Eiflia illustrata" von J. F. Schannat aus einem Prager Museum zur ersten Veröffentlichung i. J. 1854 ausgegraben werden mußte.

Literatur:

Dohm, Gerolstein 1953; Schug, Geschichte . . . Trier 1956;

F. J. Faas, Prüm i. d. Eitel Köln 1976.