Die Beschwerdeschrift; des Kaplan Sicken

Alois Mayer

„Allen Menschen wohlgetan, ist eine Kunst, die keiner kann!" Dieses Sprichwort beinhaltet eine Wahrheit, die alle die bestätigen können, die es mit Menschen zu tun haben. Besonders Lehrer können davon ein Lied singen, ist doch das, was ein Pädagoge tut, und sei es noch so gut gemeint und auch im Sinne der Pädagogik wie auch für den Schüler richtig, doch stets in den Augen einiger Kinder und deren Eltern „falsch, anklagenswert und höchst verwerflich."

Diese Erfahrung mußte auch Herr J. J. Sicken vor 200 Jahren machen. Er war Kaplan in Wollmerath, einem kleinen, schmucken Dorf in der Nähe von Winkel. So wie es damals in der Eifel Brauch war, gab es auf dem Lande nur im Winter Schulunterricht, da im Sommer die Kinder dringend beim Viehhüten oder bei der Feldarbeit gebraucht wurden. Da es zu dieser Zeit auch kaum ausgebildete Lehrer gab, mußten daher die Vikare, die Kapläne, neben der Seelsorge auch die Schule abhalten.

So wurde im Jahre 1774 J. J. Sicken von der Gemeinde Wollmerath im Beisein des Pastors zum Lehrer des Ortes „gemietet", aber mit der Einschränkung, daß ihm nur solange ein zusätzliches „Lehrergehalt zu zahlen sei, wie keine Klagen gegen ihn vorgebracht würden". Eine gute Klausel, denn wo gibt es schon einen Lehrer, über den nichts zu klagen ist!?

Und so kam es, wie es kommen mußte, denn auch damals gab es flegelhafte Schüler und unvernünftige Eltern, die das Fehlverhalten ihrer Kinder voll deckten und diese schützten. Herr Peter Thomashausen und seine Frau, deren Kind vom Kaplan Sicken in der Schule den Hintern versohlt bekam, erhoben Klage gegen den Vikar und beschimpften ihn mit gemeinen Worten in aller Öffentlichkeit. Diese An- und Beschuldigungen konnte J. J. Sicken nicht auf sich beruhen lassen, denn seine Ehre und auch sein Gehalt schienen nun verlustig zu gehen. Kurzentschlossen griff er zu Tinte und Feder und verfaßte folgende Verteidigungsschrift mit der Bitte um Genugtuung an den Gerichtsjunker, der für solche Rechts- und Streitfälle zuständig war; doch leider ist in den Quellen nicht auffindbar, wie dieser letztlich entschieden hat:

 

„Hoch Edel Gebohrner Hochgelehrter, Hochgeehrter Herr usw. Gerichtsherr Dahn ich J. J. Sicken Kaplan 22. Dezembr. 1779 Ew. Hoch-Edelgebohrnen eine Klagschrift gegen P. Thomashausen von Wollmerath eingeschickt wegen schmähe, schandt und ausgestreuter Calumnien als nemblich:

primo Dahn ich alß ein schullehrer meinem Amt, pflicht meiner Schuldigkeit und meinem gewissen genug thate, der schon 8 jare schullehrer, sowohl herrschaftliche als gräfliche Jugend instruiret, so glaube auch im Stande zu seyn, wie schon etliche jar angenehmet ein Bauren Kind zu unterrichten und wie bekennt, sobaldt der schullehrer das Kind in der schule hat, so ist solches ihme ganz übergeben usw. Es erkühnet sich das weib des gegners mich als einen schinder auszurufenund hielte ihr Kind zu Hause usw. und wollte selbes bey keinem schinder in die schule schicken usw. bei allem diesem presens fuit dominus phase ex schmitt qua testis. Si requiratur, aparebit."

„secund: Sagte auch P. Thomashausen mit Herbringung folgender Worte: „Du schlechter Schulmeister, du Kerl, du Hundsfoth, ich will mein Kind bey einem Ehrlichen Schulmeister schicken usw."

Hieraus Kan man ja genugsam ersehen, wie weit fromme Eltern gehen mit der Zucht der Kinder; etc. verba movent exempla trahunt, ein solcher Vater soll wissen was der hl. Geist sagt, strafe dein Kind mit der ruthe, so wirst du dessen seele von der Höllen erretten, da aber nicht ein jeder bauer diesen spruch verstehen will, so muß doch ein geistlicher schullehrer denselben weißen und auch nach Kommen ... ich erkläre ihnen als einen schlechten Christen, und weil mir mein Ehr, und geistlichen Nähme nicht feil Vor die gantze Welt, folglich begehre von Ewer Hoch-Edel geboren plenam satisfactionem in reparanda fama, und endurtheilt.

So bin Ew. Hochedel-gebohren, Hochgelehrten Hochgeehrtesten Herrn Ergebenster Diener

J. J. Sicken"

 

Freie Übersetzung:

Hochedelgeborener, Hochgelehrter, Hochgeehrter Herr usw. Gerichtsherr. Ich, J. J. Sicken, Kaplan, habe am 22. 12. 1779 an Euer Hoch-edelgeborenen eine Klageschrift gegen P. Thomashausen aus Wollmerath wegen Schmach, Schande und ausgestreuten Ehrabschneidungen abgeschickt. Sie lautet:

Erstens, da ich als Schullehrer meinem Amt, meiner Pflicht und Schuldigkeit und meinem Gewissen Genüge getan, der ich schon acht Jahre lang als Schullehrer sowohl herrschaftliche als auch gräfliche Jugend istruiert habe, glaube ich daher auch im Stande zu sein, ein Bauernkind zu unterrichten, wie ich ja auch schon etliche Jahre tue. Es ist auch allgemein bekannt, daß, sobald ein Schullehrer das Kind in der Schule hat, dieses ihm ganz übergeben ist usw. Es erkühnte sich aber das Weib des Gegners mich als einen Schinder auszurufen. Sie hielt ihr Kind zu Hause usw. und wollte es — so wie sie sagte — zu keinem Schinder in die Schule schicken. Bei all diesen Äußerungen war Herr Phase aus Schmitt gegenwärtig. Er wird auch als Zeuge erscheinen, falls dies erforderlich ist." Zweitens: P. Thomashausen sagte wörtlich: ,,Du schlechter Schulmeister, du Kerl, du Hundsfott, ich will mein Kind zu einem ehrlichen Schulmeister schicken usw." Hieraus kann man schon genügend erkennen, wie weit .fromme Eltern' in der Erziehung ihrer Kinder gehen! Und so wie das Sprichwort sagt: Worte regen an, aber Beispiele reißen mit, sollte auch ein solcher Vater wissen, was der Hl. Geist sagt: Strafe dein Kind mit der Rute, und du wirst dessen Seele vor der Hölle erretten. Da aber nicht ein jeder Bauer diesen Spruch verstehen will, so muß doch ein geistlicher Schullehrer auf denselben hinweisen und diesem auch nachkommen ... Ich erkläre diese Eltern für schlechte Christen, und weil mir meine Ehre und mein geistlicher Name zu schade sind, um vor aller Welt beschmutzt zu werden, begehre ich von Eurer Hochedelgeboren volle Genugtuung zur Wiederherstellung meiner Ehre und ein Endurteil.

So bin ich Euer Hochedelgeboren, Hochgelehrten, Hochgeehrtesten Herrn ergebenster Diener

J. J. Sicken