„Einkehr zur Freude"

mit Fritz von Wille

Prof. Matthias Weber

„Wenn ich ab und zu 'mal frische Luft und eine andere Tapete (Umwelt, Landschaft) brauche, setze ich mich am Südbahnhof (in Köln) auf den Zug nach Gerolstein." Der Pastor von Köln-Bayenthal sprach's. Und es besteht kein Anlaß, ihm dies nicht abzunehmen.

Kürzlich schenkte ihm ein Gratulant zu seinem 60. Geburtstag Pater Böffgens „Gerolsteiner Schmunzelbüchlein". Für Gelegenheiten, wo es ihm versagt sei, den geliebten Zug in die Eifel zu besteigen. Die köstlichen Anekdoten aus der Zeit des Eisenbahnbaus sind gewiß kein Ersatz für den Blick von der Munterley und auf die Löwenburg „Gerhardsteins" gegenüber, der Körper und Seele erfrischt. Von denen Ludwig Mathar in den 30er Jahren schrieb, daß sie unser Eifelmaler Fritz von Wille „wie ein Jäger . . . gleichsam aus dem Hinterhalt belauscht... das Tal von Gerolstein verschweigt ....... von der Bergseite auf Schloß und Leyen schaut."

Die Eisenbahn Köln—Trier hat also unserem Bayenthaler Pastor, wie vielen Eifelfreunden vor und mit ihm, diese geliebte Landschaft „erschlossen", verkehrsmäßig; macht's ihm möglich, bequem und schnell, wenn auch heute nicht mehr ganz so billig, hinzukommen. Und das schon seit den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts, als auch unsere deutsche Industrie erst richtig in Schwung kam. Fritz von Wille war damals ein Junge von 10! 1860 wurde er in der ehemaligen Goethestadt Weimar geboren. 3 Jahre später zogen seine Eltern an den Rhein, in die Malerstadt Düsseldorf.

Vorsicht also mit dem Klischee! Haben wirklich Historiker, Schriftsteller und Maler für Besucher und Erholung Suchende die Eifel „erschlossen", geöffnet? Haben Sie das Tabu und Vorurteil vom „Rheinischen Sibirien" endgültig durchbrochen, mit ihm für alle Zeiten aufgeräumt?

Wie wäre heute ein Zweitwohnsitzinhaber aus Düsseldorf, Bochum, Köln arg aufgeschmissen ohne die erstklassigen Straßen der Eifel? Wurden sie nicht im Schneewinter 1978/79 schneller und besser geräumt als diejenigen mancher Rheinmetropole? Wie beschwerlich wäre für einen „halben Eifeler" die Fahrt in sein Eifelrefugium bei all seiner Unabhängigkeit von der Eifel-Bahn durch seinen völlig andersartigen „fahrbaren Untersatz"?

Fritz von Wille hat wahrscheinlich schon Autobahnen gekannt. Diejenige von Düsseldorf nach Oberhausen war zu seiner Zeit schon da. Keineswegs aber eine Eifelautobahn, deren Fertigstellung zwischen Köln und Daun die heutigen Düsseldorfer, Kölner usw. sehnsüchtig erwarten, vielleicht sind's nur noch

Monate! Etwa zum häufigeren und rascheren „Tapetenwechsel". Zum Erlebnis der „plutonischen Landschaft" der VULKANEIFEL. Zum sonntäglichen Besuch der Wille-Ausstellung in Daun gar. Die Eifel mit Autobahnen, erstklassigen Straßen, abgebautem Steffeln-Berg, verschwindendem Goßberg, dem Kerpen mit im Dorfwettbewerb errungener Siegerplakette ..., es ist sicher nicht mehr die Eifel, so wie unser Maler sie mit 20 Jahren vorfand und mit 81 für immer verließ (gest. 1941). Ist sie auch nicht mehr diejenige, die er gemalt hat? Gewiß, manches seiner Bilder ist selbst längst Zeitdokument. Aber, haben sich die dräuenden Eifelwolken, die Verlassenheit der Maare, das Gold des Ginsters an ihren Hängen, das Violett des Heidekrauts, der „besonnte Schnee" (Mathar) gegenüber den Zeiten Fritz von Willes heute mit perfektem Straßenbau, gesteigerter und noch steigender Besucherzahl, überfliegenden Starfightern prinzipiell geändert?

Ist das Hohe Venn am nördlichen Westrand der Eifel, das Jahr um Jahr tausende Wanderer und Besucher anlockt, nicht mehr das urwüchsige Hochmoor geblieben gegenüber einer Zeit, als noch die Gehpisten fehlten und man hier und da Wegekreuze errichtete?

„Die Eifel mit den Augen des Malers Fritz von Wille geschaut!" Wurde solch ein — langes — Aufsatzthema in deutschen Schulen je gestellt, von Schülern bearbeitet, die eigene Phantasie zu bilden, zu weiten, sehtüchtig zu machen? Im Ballungsgebiet der rheinischen Großstädte wie in den kleineren oder großen Schulen der Eifel? In Zeiten, wo noch Clara Viebigs klassische Beschreibung des Totenmaars zu den selbstverständlichen Stücken in deutschen Lesebüchern gehörte? Vermutlich geschah dies allenfalls dort, wo der „gute alte", heimatverbundene Schullehrer so viel für die Heimatforschung getan hat, bevor die Gelehrten kamen.

Was wäre ein Frankfurter Senckenberg-lnstitut ohne die unermüdliche Forschungsarbeit eines Gerolsteiner Rektors Stephan Dohm? Und waren nicht die „Geognosten" — wie sich die Geologen früher nannten — die eigentlichen Entdecker der Eifel? War nicht der Engländer „Hamilton der erste", wie Batti Dohm in einem der letzten Aufsätze seines 80 Jahre währenden Eifeler-Lebens schreibt?

Mühle bei Daun, Öl auf Leinwand, Prof. Fitz von Wille (1911)

Vermutlich wurden solche Erwägungen über die Zusammenhänge von Eifel und der Malkunst Fritz von Willes schriftlich allenfalls da angestellt, wo der damals noch weniger gut besoldete „Schulmeister", dem fast nur Schusters Rappen statt üppiger PS-Zahlen zur Verfügung standen, selber Eifel- und Wille-Liebhaber war. Zugleich „Fan" und Kenner, ja sogar - wie hervorragende Beispiele zeigen — Wille-Forscher und -Biograph.

War das Beschäftigung aus Not oder „Einkehr zur Freude" aus tieferen Gründen?

Besteht in unserem flotten „Run" auf das Jahr 2000 überhaupt noch die Aussicht, daß ein solches Thema in unseren Schulen je behandelt wird? Gehört es dort nach heutiger Auffassung überhaupt hin? Gibt es für den derzeitigen Sachkunde- statt des traditionellen Heimatkundeunterrichts überhaupt Wissensnotwendiges und wichtige Information her? Etwa bei der Frage des immer wichtiger werdenden Landschafts- und Denkmalschutzes (auch Umweltschutz!)? Hat unsere „Wegwerfgesellschaft" im Zeitalter der Mikroprozessoren und sogenannten „dritten industriellen Revolution" für solche „romantische" Wille-Schwärmerei überhaupt noch eine Ecke frei in ihrem Bewußtsein und Verhalten? Widerspricht nicht die Beschäftigung mit solchen Gegenständen der Devise von ,,time is money"? Behindert sie nicht das Basteln an der eigenen Karriere? Ist dieser ganze „Wille-Kult" nicht eine naive oder auch raffinierte Geschäftsmasche solcher, die sich goldene Nasen damit stoßen oder zumindest dadurch selbst darstellen wollen? Sozusagen im Sonnenglanz einer anerkannten Berühmtheit?

Was besagt schon ein Maler, der nur Landschaftsbilder gemalt hat, und noch dazu — mit den Jahren — nur noch solche der Eifel? Einer nahegelegenen Landschaft, wo man im Alter immer noch hinfahren oder gar Urlaub machen kann. Da doch heute die Reisebüros sich fast überschlagen, „billige" Urlaubserlebnisse am Sonnenstrand Spaniens (mit garantierter Sonne!), des Schwarzen Meeres, ja sogar in Afrika anzupreisen! In einem Zeitalter, wo die rasche und billige Flugreise für eine Woche nach Mallorca den Gedanken an die „Blaue Blume" eines Fritz von Wille, für die Kaiser Wilhelm II. schwärmen mochte soviel er wollte, völlig verdrängt. Duftet nicht die solchermaßen durch die Bilder eines Fritz von Wille neu angefachte Naturschwärmerei etwas merkwürdig nach längst abgestandener, überwunden geglaubter „Blut-und-Boden-Romantik", die sich allzu leicht über Heimattümelei schnell auch zur Deutschtümelei und Schlimmerem auswachsen kann? Wählten wir nicht 1979 erstmals ein Europa-Parlament, das unsern Blick über den „Zaun" nationaler Grenzen weiten soll? Sind nicht die Eifeljahr-zehnte eines Malers Fritz von Wille überhaupt passee und sollen es auch bleiben? Haben wir nicht schließlich andere gute Eifelmaler genug, deren Bilder nicht gar so viel kosten?

Fragen über Fragen! Naive, ursprüngliche, hintergründige, oberflächliche, überflüssige, notwendige?

Gibt es Antworten? Bündige, befriedigende, überzeugende, durchsichtige? Wieviel biblische Gabe der Unterscheidung erfordern solche Fragen immer noch und gerade heute und in Zukunft? Leben wir nicht in einer zunehmenden Bildungs- und Freizeitgesellschaft? Sind solche Fragen nur für den „gelernten" und am Objekt „Fritz von Wille" wissenschaftlich, das heißt methodisch, geschulten Kunsthistoriker von Belang oder gerade für den noch am wenigsten? Welchen Sinn kann, soll schließlich eine Wille-Ausstellung 1979,1980 — können deren mehrere — haben? Schließlich werden heutzutage solche kulturellen Veranstaltungen ja auch „mit den sauer verdienten Steuergroschen des kleinen Mannes", den es immer noch gibt, bezuschußt! Direkt oder im Wege des Finanzausgleichs. Was interessiert ihn, den „Mann von der Straße", die Bilder eines Eifelmalers, die zu kaufen er sich nie leisten konnte? Die zu besitzen immer ein „Vorrecht" wohlhabender „besserer Leute" war? Das Fragen hört nicht auf, wenn wir's nicht bremsen. Und ist dies nicht gut so? Bleibt so nicht das fertige Urteil, gar das Vor-Urteil, offen? Aber werden nicht zugleich Meinungen gebildet, Vorstellungen in Gang gesetzt und geformt, für die im Alltag (Werktag) kaum Zeit vorhanden zu sein scheint?

Fritz von Wille verließ schließlich das künstlerisch sehr aufgeschlossene Düsseldorf des vergangenen Jahrhunderts. Erzog — und es zog ihn — in das weit abgelegene Kerpen, nach einer Zwischenstation in Reifferscheid bei Schleiden. Er zog auch das Leben und Wohnen in der Abgeschiedenheit der Eifel von damals dem geselligeren in der pulsierenden Rheinstadt vor. Er blieb allerdings in Kontakt mit Düsseldorf. Sein letztes, fertig gewordenes Bild, betitelte er „Frühling in Kerpen". Das Bild, bei dem ihn der Tod — in Düsseldorf — erreichte, war eine Variation des „Totenmaars". Eine seiner vielen davon!

Konnte dieser Professor Fritz von Wille denn gar nichts anderes malen oder zeichnen? Menschen — Eifeler — sind auf diesen dauernden Landschaftsbildern ja kaum zu sehen. Bestenfalls sehr klein, fast unerkenntlich, dargestellt. War ihm der eifeler Mensch so klein erschienen? Porträts von Eifelgestalten fehlen ganz. Oder schaffte unser Maler-Professor dieses Metier nicht? Interessierte er sich nicht für „Land und Leute"? Natur hin, Natur her! Wille malte doch auch von Menschen Gebautes: Burgen — siehe Manderscheid —, Kapellen, Klöster — vorzüglich Ruinen. Man denke nur an das Bild der lange Zeit verfallenen Abtei Himmerod. Ihren Wiederaufbau hat er nicht mehr erlebt. Das waren doch inmitten herrlicher Natur hochgradige Schöpfungen menschlicher Kultur. Von Menschengeist ersonnen, konstruiert, ihrer Hände Werk. Eine Parallele der eigenen, mit Pinsel, Farbe und Palette geschaffenen, wenn auch in anderen Stoffen und Proportionen. Gestalten der Eifel also sucht man bei Wille vergebens. Gab es sie nicht in Fülle genug? Hatte die Landschaft sie nicht im Wandel der Zeiten gerade mit ihrer herben Schönheit und Verschlossenheit in besonderer Weise geprägt? Blieb diese Sparte unserem Malkünstler unzugänglich?

Genügte es ihm, daß klassische Eifelschriftsteller vom Format einer Clara Viebig („Kinder der Eifel", „Weiberdorf") oder eines Ludwig Mathar („Die Monschäuer", „Herr Johannes") sich der Darstellung des Eifelers annahmen? Er hatte doch einen guten „Draht" (Kontakt) zu seinen Nachbarn. Auch wenn er immer auf der Burg wohnte, deren teilweisen Wiederaufbau er veranlaßt, finanziert hatte. Als der Kaiser in die Eifel kam, stellten ihn die Verwaltungschefs sicherlich gerne vor. War das Porträt des Eifelers — nach Willes Verständnis — Aufgabe der sich rasch entwickelnden Photographie? Fragen an die Wille-Forschung, die einem heute einfallen. War Wille der genial einseitig begabte Landschaftsmaler, der hierin alle übertraf, sich aber auch ganz darin erschöpfte? Trotz aller sondierender Fragen bleibt festzuhalten: Keiner hat je die Eifel so gemalt wie er. Keiner als Maler sich je in diese vielgestaltige und viel gesichtige Landschaft zwischen Rhein und Deutschlands Westgrenze so vertieft, ja so verliebt (!), wie er, der Sproß einer mitteldeutschen Malerfamilie. War er ,,in seinem dunklen Drange sich des rechten Weges wohl bewußt"? An Willes Bilder mag der Kenner der Kunstszene, der mit wissenschaftlicher Genauigkeit Vergleichende, dies oder jenes kritisieren, er kann an der Gesamtleistung, die ohne Beispiel in unserem Eifelraum dasteht, nicht vorbei. Den eindrucksvollen Wechsel der Landschaftsbilder dieses urwüchsigen Raumes hat im Rhythmus der Tages- und Jahreszeiten keiner außer ihm so in Farbe gefaßt. Kein noch so raffiniertes Buntfoto unserer technisch perfekten Zeit vermag seinen die Landschaftsstimmung offenbarenden Bildern ihren Platz in der Welt künstlerischer Darstellung streitig zu machen. Seine Meisterschaft hierin blieb unübertroffen. Willes Bilder von den Eifelbergen bis ins Moseltal sprechen, ja werben für Künstler und die satte Fülle seiner Motive. Fritz von Wille war offensichtlich von der Eifel begeistert und vermochte immer wieder auch andere für diese Landschaft zu begeistern, bis heute. Seine Bilder sind nicht verfälschende „Schönfärberei", sondern machen die eigenartige Schönheit der Eifel erst richtig deutlich, zum bewußten Erlebnis. Ob es sich dabei um „Die goldenen Berge am Eifelmaar", „Burg Kerpen im Frühling", den „Leuchtenden Mohn auf Eifelfluren", den „Mondschein bei Schuld" oder die „Winterstille im Eifeldorf" handelt. Die Palette seiner Eifelmotive ist schier unbegrenzt.

Fritz von Willes Eifelbilder wurden gewissermaßen zum künstlerischen Markenzeichen dieses variantenreichen erd- und kulturgeschichtlich bedeutenden altdeutschen Raumes. Ein Gütesiegel sind sie ohnehin. Auf den Eifelliebhaber wirken sie immer wieder von magnetischer Anziehung wie Ur-Bilder, die auch Einkehr zu sich selbst bewirken, gleichsam in schauender Zwiesprache mit einer Landschaft, die dies noch ermöglicht und durch das Mittel des Bildes erleichtert. Willes Bilder erinnern an Gottfried Keller: „Trinkt, o Augen, was die Wimper hält, von dem gold'nen Überfluß der Welt!"