Die Bibelexegese

Alois Mayer

Zwanzig oder dreißig Jahre mag es her sein, daß der Pastor von Hilgerath, dieser einsamen, stolzen Kirche hoch auf dem Gipfel inmitten der Struth, einen Hausbesuch bei Kättenami machte, einer einfachen und durch des Lebens Sorge ergrauten Bauersfrau.

Als der geistliche Herr durch die offene Haustüre in die Küche trat, sah- er die Frau weinend und elendig auf dem wackligen braunen Stuhl vor dem noch heißen Herd sitzen. Mitleid ergriff den Pastor, und mit beruhigender Stimme freundlich grüßend, erkundigte er sich nach der Ursache ihres großen Schmerzes.

Nun erst gewahrte unsere Bauersfrau den hohen Besuch, wischte sich mit der blauen Schürze die Tränen aus den Augen, bot ihm Platz an und begann mit schluchzender Stimme ihr Leid zu berichten. Sie erzählte, anfangs noch stokkend, von dem Pech, das über sie, ihren Hausstand und Hof gekommen; von dem Bein, das ihr Mann, der Kobbes, sich brach, als er im Hofe ausrutschte; von dem kürzlichen Unwetter, das ausgerechnet ihr bestes Weizenfeld verhagelte; von der Muttersau, die statt der erhofften acht Ferkel nur zwei warf und sich auch anschließend noch so dumm auf diese legte, daß sie bald aufhörten zu atmen.

Das Erzählen tat Kättenami sicherlich gut, denn ihr großer Tränenstrom versiegte und die Worte von ihrem harten Schicksal kamen bereits viel schneller und klarer, das Schlucken und Schniefen ließ nach, als sie von dem Kummer berichtete, den sie mit ihrem Ältesten in der Schule hatte, welcher sitzenblieb, von dem Kummer im Stall mit dem Kalb, welches tot geboren wurde, und der braunen Kuh, der Frieda, die anschließend an Milchfieber zugrunde ging, obwohl die vielen Spritzen des Tierarztes so teuer waren. Und justament eben sei ihr auch noch die gute Porzellanschüssel, das Geschenk von Schosters Bäb, auf den Boden gefallen, die Scherben lägen ja noch unter dem Stuhl vom Pastor.

Dieser war jetzt, wo Kättenami kopfschüttelnd und seufzend mit ihrem Bericht innehielt, gerührt von der Not und dem Elend, das geballt einen Menschen bis an die seelischen Grundfesten und zu Tränen aufwühlen kann. Und so wollte er nun dieser Bauersfrau Mut zusprechen. Mit der Kraft seines Glaubens zitierte er einen Bibelvers, der ihm gerade durch den Kopf ging: »Ja, gute Frau, wen Gott liebt, den züchtigt er auch!«

Da aber flackerte ein Leuchten über das abgehärmte Gesicht der Bauersfrau, und mit kraftvoller Stimme bat Kättenami dann den Pastor um Verständnis: »Wenn dat esu ös, Herr Pastur, dann wollt ech, oosen Herrgott hätt oos Familisch e' weijlen es net jerad su jär!«

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