Anekdoten aus dem Kreishaus

Franz Josef Ferber

Beamte sind auch Menschen! Zugegeben, diese Aussage ist spöttisch gemeint; sie hat dennoch einen Kern Ernsthaftigkeit zum Inhalt. Gewiß sehen die meisten Bürger die Beamten als das an, was sie sind: Diener der Bürger; zu Recht werden sie auch als Staatsdiener bezeichnet, denn wir alle sind ja der Staat. Beamte sind also Menschen. Sie heben sich, so gesehen, in keiner Weise von ihren Mitmenschen ab. Daß dem so ist, sollen wahre Geschichten zeigen. Dabei ist der Beamtenbegriff nicht juristisch zu verstehen, sondern damit sind gleichermaßen alle Bediensteten der Kreisverwaltung, also Beamte, Angestellte und Arbeiter, gemeint. In den lustigen Erzählungen haben wir Namen von Personen zwar nicht immer, jedoch dort geändert, wo dies sinnvoll erschien. Schließlich soll niemandem wehgetan werden, und Humor würzt den Alltag.

Ein seltsamer Hausiergang

Fränzjen war noch jung an Jahren, als er, nicht sehr lange nach dem letzten Krieg, in die »Schräiwa«-Lehre beim Landratsamt kam. Die trockene Büroluft machte ihm, wie vielen seiner Kollegen, gehörig zu schaffen. Wie wohltuend war es darob für ihn, daß ein hoher Feiertag der Eifeler, nämlich der Weiberdonnerstag, nahte. Viele fanden sich an diesem bis heute — nicht nur bei Franz — unvergessenen Tag in einem abseits gelegenen Amtszimmer ein. Unter ihnen war auch der im Kreisgebiet und darüber hinaus sehr geachtete alte Amtmann, der, wie es sich an einem solchen Tage für einen Chef gehörte, Schnaps zum besten gab. Auch versorgte er die fröhliche Gesellschaft mit »Bosco«-Zigaretten; sie kamen aus derselben Quelle wie der Schnaps, nämlich aus dem früheren »Franzosenlager«. Fränzjen sah nun seine Stunde kommen; er langte kräftig zu. Jedoch, Branntwein und schwarze Zigaretten, das war für den Anfang doch zuviel des Guten. Und so dauerte es nicht lange, da machten sich die Folgen des kostenlosen Alkohol- und Nikotingenusses deutlich bemerkbar. Fränzjen sank plötzlich, still und leise seiner fürsorglichen Kollegin in die Arme und schickte sich an, dort einzuschlafen. Von nun an verließen ihn weniger seine Beine, wohl aber alle guten Geister. Er spielte nicht mehr mit. Der besorgten Kollegin konnte man es schwerlich verübeln, daß sie von Fränzjens Busenschlummer nicht viel hielt. Sie raffte in aller Eile auf dem Speicher aus den Flüchtlingsbeständen Wolldecken zusammen und bettete ihren unglücklichen Kollegen nebenan im Büro zu wohlverdientem Schlaf. Das Fräulein hatte sich gerade in die fröhliche Runde zurückbegeben, da erschien auch Fränzjen wieder. Es war ihm scheinbar doch zu dumm, eine Außenseiterrolle zu spielen. Aber seine Eingliederung in die lustige Gesellschaft wollte nicht mehr gelingen. Ohne zu murren, folgte er dem Rat der Feiernden, sich nach Hause bringen zu lassen. Also ließ er sich in die Prunkkalesche des Herrn Landrats, einen pechschwarzen Mercedes (einziges Dienstfahrzeug des Amtes), einladen, ohne dabei den geringsten Stolz zu empfinden. Chauffeur und Beifahrer waren Karel und Klähß. Sie fuhren Fränzjen in dem vornehmen Gefährt, im Schneesturm und im Dunkel der Nacht, gegen Norden, in das Heimatdorf des »Schräiwa« -Lehrlings. Zwischen den vorderen und hinteren Sitzen kauernd, entledigte Fränzjen sich zwischenzeitlich all' des Guten, das sein ungeübter, jugendlicher Magen gehortet hatte. Und so kam das Triumvirat glücklich in Dorfesmitte an. Fränzjen allerdings sah, verglichen mit Tagesbeginn, merklich verändert aus. Sein Gesicht hatte das Aussehen frischgebleichter Wäsche, die langen Haare hingen ihm bis zum Kinn im Gesicht, die beiden Krawatten (eine Alltags- und eine Fastnachtskrawatte) zeigten in die verschiedensten Himmelsrichtungen. Karel und Klähß zottelten Fränzjen unsanft aus dem Automobil (halb zogen sie ihn, halb sank er hin). Danach schleiften sie ihn ins erste beste Haus. Auf das verwunderte Dreinschauen der Bauersleute, die gemütlich in ihrer behaglichen »Stuff« saßen, trugen Karel und Klähß: »Öß däh Eua?« Als die Leute, die sich das Lachen nur mit größter Anstrengung verkneifen konnten, verneinten, zog der »Spähtrupp« kurzentschlossen ins nächste Haus. Dort wiederholte sich die Frage. Auch hier war, außer starkem Gelächter der Stubenhocker, nur ein entschiedenes »Nein« zu ernten. Aber Karel und Klähß ließen sich nicht entmutigen. Einmal mußte es ihnen schließlich gelingen, das Elternhaus ihres Schützlings zu erwischen. Und es gelang ihnen auch, allerdings erst, als sie Fränzjen überall im Dorfe vorgezeigt hatten . . .

Franzosenhühner und Beamteneier

In der schweren Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Eifeler geplagt. Die französische Besatzungsmacht forderte ihren Tribut. Sie nahm weitgehend alles, was brauchbar war: holzte die Wälder ab, beschlagnahmte den Bauern das Vieh und Erntevorräte und auch Fahrräder. Ihre Bedürfnisse schienen schier unersättlich. In dieser unseligen Zeit waren das Kreishaus, seine Keller und seine Nebengebäude oftmals mit Gütern gefüllt, die man auf Geheiß der Besatzer irgendwem weggenommen hatte. Einmal war es Moselwein, den man durchfahrenden Schiebern beschlagnahmt hatte, ein anderes Mal standen Möbel dort, die mit Gewalt dem Eigentümer entrissen worden waren.

Diesmal jedoch handelte es sich um Lebewesen, die in die Obhut der landrätlichen Verwaltung genommen werden mußten. Gutgenährte und legefreudige Hühner gackerten in dem Lagerschuppen hinter dem alten Landratsamt. Das wußten einige — im wahrsten Wortsinne — hungrige Beamte. Und sie sannen im stillen, jeder für sich, wie sie unbemerkt die Ernte davontragen könnten. »Not macht erfinderisch«, was sich damals hundertfach bewahrheitete. In aller Herrgottsfrühe also machte man sich, ohne Rücksicht auf Alter, Rang und Namen, wiederum ein jeder für sich, heimlich auf zum Hühnerhof, um die des Nachts gelegten Eier für den eigenen Bedarf einzuheimsen. Es ging dabei ganz nach dem Motto zu: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Natürlich konnten die fleißigen Tiere nicht alle Beamten ernähren; dafür waren es entweder zu wenig Hühner oder zu viele Beamte. Diejenigen Beamten, die, wie man so sagt, das Pulver nicht erfunden hatten, hatten das Nachsehen. Und die Franzosen? Sicher werden sie die vermeintlich miserable Legemoral des braven Federviehes gerügt haben. Den begehrten Eiern jedenfalls mußten die französischen Mußjöh's — ob es ihnen paßte oder nicht — »adjöh« sagen.

Ein Schelm gibt Auskunft

Sie, die ältere, biedere Bäuerin aus einem Dorf im Hinterbüsch, war in einer Zeit groß geworden, in der Gehorsam und Obrigkeitsdenken in unserem Vaterland sozusagen zu den Angeltugenden gehörten. Wen wundert es da, daß sie sich schwertat mit dem Gang zum Amt; vielleicht war er ihr ein Greuel. Sicher war sie schon mal in ihrem Leben auf der Amtsbürgermeisterei gewesen. Jedoch einen Besuch in der Landratur hätte sie freiwillig wohl niemals gewagt.

Aber eines guten Tages mußte es wohl doch sein; denn sie hatte eine schriftliche »Vorladung« bekommen. Alles andere hätte sie lieber gemacht, sei es nun den früher üblichen langen Fußweg nach Gerolstein oder auch den weiten Marsch zur Beichte in ihren entfernten Pfarrort. Nun denn, was blieb ihr anders übrig, als dem Ruf des obersten Kreis-Chefs zu folgen, lag doch das »Schräiwes« mit der Aufschrift »Der Landrat« auf dem stets blankgescheuerten Backmuldentisch. Also raffte sich die geplagte Frau nach einer schlaflosen Nacht auf und fuhr, züchtig gekleidet, in die Kreisstadt.

Klopfenden Herzens betrat sie das große Haus in der Leopoldstraße. Etwas unbeholfen hielt sie Ausschau nach dem »Birroh«, in dem die freundliche Amtsfrau auf sie wartete. Schließlich war sie am Ende des langen Hausganges angelangt. Dort, an einer schmalen, weißlakkierten Tür, an der verschnörkelt die Buchstaben »WC« hafteten, blieb sie unvermittelt stehen. In diesem Augenblick nahm sie den Postboten des Hauses, den »Schänte Juhsepp«, wahr, der auf den knarrenden Dielen daherstolziert kam. Ihn frug sie, ängstlich dreinschauend und auf die WC-Tür weisend: »Soaht eeß, setzt häi daat Fräilein Miehla?« Juhsepp, als Schelm bekannt, überlegte nicht lange; er hatte immer eine treffende Antwort parat: »Jaah . . . sicha . . . manchmal!« Und ohne ein weiteres Wort zu sagen, ging er seines Weges.