Der schreibende Pater von Gerolstein

P. Josef Böffgen, SAC — 1981: 40 Jahre Priester

Prof. Matthias Weber

»Die großen Gedanken kommen von Herzen«, sagt Pascal. Bei unserm Pater wird man nicht selten daran erinnert. Auf dem Neujahrsempfang 1980 überreichte ihm der Bürgermeister seiner Heimatstadt die neu gestiftete goldene Ehrennadel mit Urkunde: »Das erste Exemplar« und »für besondere Publikationen heimatbezogener Art«. Auch der Brunnenstadt Gerolstein kann man dazu gratulieren.

Am 29. März 1981 wird Pater Josef Böffgen 40 Jahre Priester sein; ein Jubiläum also feiern können, das ihm gewiß viele Freunde und Verehrer von Herzen wünschen. Seine ungewöhnlichen heimatkundlichen Leistungen seit der Mitte der 70er Jahre würden schon einem gesunden Menschen zur Ehre gereichen, unsern schreibenden Pater aber plagt eine Krankheit. Er erträgt sie mit schier endloser Geduld und meistert sie durch einen tätigen Humor, der ändern viel zu geben vermag. P. Böffgen fühlt sich »in Gottes Hand«. Er ist kein Kind von Traurigkeit. Den Pater sieht man ihm nicht an. Eine Kutte trägt er nicht. Sein Orden, die SOCIETAS APOSTOLATUS CATHOLICI mit dem Kürzel SAC, die »Gesellschaft vom katholischen Apostolat« des hl. Vincenz Pallotti, schreibt solche Kleidung nicht vor. Auch lebt unser Pater J. B., wie er in aller Schlichtheit seinen Namen abkürzt, nicht wie Mönche abgeschieden in einem Kloster. Er wohnt mitten unter uns, erlebt unsere Hektik und unsern Alltag täglich durch eigene Erfahrung. Sein Domizil in Gerolstein ist keineswegs eine ungewöhnliche oder gar üppige Wohnung, wenngleich eine schöne. Auch keine Mönchszelle, sondern durchaus mit Räumen ausgestattet, die der Pflege mit Staubsauger bedürfen. Das besorgt der liebenswürdige gute Hausgeist, Fräulein Cornelia Gerhards. Einen besonderen Reiz hat diese Wohnung allerdings: den langen Balkon mit dem herrlichen Blick auf Auburg und Munterley, Gerolsteins weltbekannte Dolomiten. »Daran habe ich lange gesucht«, sagte mir Pater J. B. wie einer, dem ein großer Wunsch in Erfüllung ging. Wenn er vom Schreibtisch seines kleinen Arbeitszimmers aufblickt, grüßen gleichsam die vertrauten Gerolsteiner Berge herüber. Kaum aber, wenn J. B., was die letzten Jahre fast zum Dauerzustand wurde, an dem über Eck stehenden Schreibmaschinentischchen seine Manuskripte tippt. Bei Gelegenheit sperrt Fräulein Cornelia schon mal die Türen weit auf, »um etwas von dem schönen Blick auch in der Küche mitzukriegen.« Sie ist genauso Gerolsteiner Kind und der beste irdische Schutzgeist, den sich unser schreibender Pater nur wünschen kann.

Lebenspole: Gerolstein und Rom

Gerolstein-Bilder und -karten sowie Stiche aus Rom zieren die Wände in Diele und Wohnzimmer. Dem Besucher signalisieren sie die persönliche Note dessen, der hier wohnt. Besser: die Dinge, an denen sein Herz besonders hängt. Dabei vertreten die Bilder nur die eigentliche Sache: Gerolstein, die Brunnenstadt, und Rom, die Ewige Stadt. Wir zögern bei J. B. nicht, die Namen dieser so unvergleichbaren Städte in einem Atemzug zu nennen. Sie sind gleichsam die Pole der Lebensachse dieses ungewöhnlichen Sohnes der Eitel. Das eigenartige und eigenwillige landschaftliche wie geistig-kulturelle Fluidum der heimatlichen Kleinstadt und der berühmten Weltstadt haben das Denken, Fühlen und Handeln unseres Paters nicht nur geprägt und beeinflußt, sondern bestimmt. Ihn, den »Jirrelsteener Jong«, ließ das Heimatstädtchen im Eifeler Kylltal mit seinen Bergen, Wiesen, Bächen und Wäldern nie ganz los, wohin ihn auch immer sein Orden rief. Ob in die Schweiz, ob nach Deutschland zurück, ob nach Südamerika (Chile) oder wieder nach Rom und wieder nach Deutschland. Man merkt dies J. B. an, wenn er zu erzählen beginnt, obwohl er sein Herz alles andere als auf der Zunge trägt. Dazu wirkt der hochgewachsene schlanke Mann zu diszipliniert und zu sehr als derjenige, der sein Leben bewußt einteilt, sich seiner Aufgabe beständig verbunden, ja verpflichtet weiß. Keine Spur je von Renommieren. Hingegen immer ein Aufleuchten in den freundlichen und gütigen Augen, der Glanz heller Entdeckerfreude, wenn er wieder ein vergilbtes Dokument oder ein altes Büchlein in seiner Hand hält, vorzeigt und fast streichelt wie eine sorgsam zu hütende Kostbarkeit. Mißachtung solch' wertvoller Mitteilungen und Lebensäußerungen unserer Altvorderen tut ihm weh.

Sein »Hobby«, die Heimatforschung im Gerolsteiner Raum, hat sich hier längst herumgesprochen, obwohl J. B. noch gar nicht so lange wieder in Gerolstein lebt. Seine Publikationen, die in dichter Folge in den letzten Jahren erscheinen, haben ihn in besonderer Weise ausgewiesen. »Unserm Josef« oder »unserm Pater Böffgen« vertraut man die wertvollen Archivalien an, nicht zuletzt, weil man ihm rundum vertraut; genauer: seiner Selbstlosigkeit und seinem Sachverstand. Trotz seiner feinen, lateinisch geschulten Bildung und Gelehrsamkeit sucht und braucht er den Kontakt zu den Menschen hier, die »Platt schwätze«. Überflüssig zu sagen, wie gerne er's auch tut. »Er steht nicht über ihnen, sondern (mitten) unter ihnen«, wie es eine Bekannte so treffsicher ausdrückte und damit den Kern seines Wesens umriß. Das war für den Gerolsteiner Schusterssohn, dessen Eltern nebenbei noch eine kleine Landwirtschaft betrieben, immer so, und es sieht ganz so aus, als könnte keine Macht der Welt daran je etwas ändern. Die Menschen spüren, daß er ihnen Gutes tut. In diesem Sinne ist er populär.

Traumbild: »... En Wiss un och en Kooh«

In seinem geliebten Gerolstein »tankte« er im kürzeren oder längeren Heimaturlaub immer wieder auf, auch, wenn damit oft Hilfsdienste in der Heimatpfarre verbunden waren. Manche Fremdsprache hat er, durch seinen Beruf veranlaßt, leicht erlernt. »Oos Modtersprooch« ging ihm dabei nicht nur nie verloren, sondern blieb ihm immer Seelenspeise. In Heft Nr. 2 seiner Schriftenreihe »Um Munterley und Löwenburg« setzte er ihr inzwischen ein literarisches Denkmal. Vielen Gerolsteinern, am Ort und in der Ferne, sprach er damit aus der Seele. »Im Internat in Vallendar«, wo er seine Gymnasialzeit absolvierte, so berichtet J. B., »hatte ich einen Mitschüler aus dem Kannebäckerland (Westerwald). Eines Tages — wir waren schon ein paar Jahre da — fragte er mich, ob ich meinen heimatlichen Dialekt noch sprechen könne. »Und ob!« antwortete ich voll Stolz. Er verlangte eine Probe, und zwar den Namen meiner Heimatstadt im Dialekt. Nur zu gerne sagte ich »Jirrelsteen«, denn den Namen der Geliebten kann man nicht oft genug nennen hören und selbst liebend aussprechen.« Was diesen schlichten und großen Eifelsohn zutiefst mit »Jirrelsteen« verbindet, wird besonders deutlich in seinem Mundartgedicht »Et Himmelskond«. Wir zitieren es hier aus dem Heft »Oos Modtersprooch«.

»Als Kond han esch de Keeh jehoot

die hoosche Bläss und fuss;

op Kokeroot do wor esch dok

doch sälen on dr Buss.

Op Lehmen hatte mr en Wiss

un och om Hell'jesten,

de best om Kappesjaade wor,

do wor esch kees alleen.

De Leenebach leef last de Wiss

da wor voll schiener Fesch

un an den Hecke rond-eremm

do joof et Haselness.

Om Jaade wooße Krischele,

dat wor en wahre Staat,

und firr den Honger woren och

de Murren all parat.

Duscht legge ? — nee, dat joof et net,

mir tronken us dr Baach.

De Keeh ze heede soon esch dr

dat wor en herrlich Saach.

Wenn eene froocht, ob mir jet fäällt

firr et Alter, firr meng Rooh,

— esch wößt, wat esch mr wönschen däät:

en Wiss un och en Kooh.

Esch däät se heede jeden Dach,

esch fihr se op de Weet,

op Montrich war net wejtjenooch,

esch jeeng boss op de Heet.

Doo hätt esch dann den Himmel näst

un war och flott dabej,

wenn esch bejm Petrus kloppe mööt.

Esch säät him: Ooser trej — .

Mir hätte jäär e Plätzjen hej,

no-u maach jefällischst opp.

Meng Bläss un och de fuss — meng Keeh,

di ku jelesch eropp.

De Petrus kukt ees schruuß un säät:

Dat sen esch netjewent.

Doch wä sej Veeh 'su estemiert

dän oss en Himmelskond. «

Studium, Priesterweihe, Wirken

In der großen Vatikanstadt durfte der junge Eifeler Jünger in der Nachfolge des hl. Vincenz Pallotti seine ersten theologischen Studien treiben. Das war Ende der 30er Jahre, zur Zeit Papst Plus XII., der einige Jahre vorher unter seinem Familiennamen Eugenio Pacelli noch Nuntius in München und in Berlin gewesen war. J. B. hat damals bei der Papstwahl Pius XII. als junger Mann den weißen Rauch aus dem Konklavekamin vom Petersplatz aus beobachten können. Die Vorlesungen fielen deshalb aus. Wider allgemeines Erwarten erfolgte die Papstwahl sehr schnell. Einige Jahre später konnte er dann in Freiburg/Schweiz sein Studium abschließen. Inzwischen zählte man das Kriegsjahr 1941. Polen und Frankreich waren von den deutschen Truppen besetzt. Der Angriff auf Rußland stand bevor. Im selben Jahr empfing J. B. in der Schweiz auch seine Priesterweihe, deren Wiederkehr sich 1981 zum 40. Male jährt. Zur Feier seiner Primiz konnte er erst 1942 nach Gerolstein kommen. Dann wurde er Soldat. Kriegsdienst leistete der junge Pater bis 1945 als Sanitäter, und zwar längere Zeit in Italien, unweit von Rom.

Nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft (1945) eröffneten sich unserm jungen Pallotiner Wirkungsmöglichkeiten als Lehrer an ordenseigenen Schulen in Deutschland. So in Rheinberg am Niederrhein und in Rheinbach. Danach folgte von 1949 bis 1952 ein dreijähriger Missionsdienst in Südamerika (Chile). Seine älteste Schwester ist heute noch — seit 25 Jahren — als Carmelitin in Kapstadt tätig. Aus gesundheitlichen Gründen mußte J. B. diesen Dienst in Übersee aufgeben. Er übernahm daher für weitere drei Jahre (1953 - 56) eine geistliche Tätigkeit in Rom. An der berühmten Lateranbasilika, der Bischofskirche des Papstes, übte er das Amt des Sakristan aus. Sein Souterrainzimmer im Lateran tapezierte er in Ermangelung einer Tapete mit Eifelmotiven mit einer rheinischen Burgenlandschaft. Ein Godesberger Bekannter hatte, die Tapete besorgt. So war auch in Rom Gerolstein für J. B. nicht gar so fern. Die Tätigkeit am Lateran füllte ihn auf die Dauer nur ungenügend aus. So entschloß er sich, Rom wieder zu verlassen, jedoch keineswegs, um eine »bona carriera« zu machen, wie man dem geschätzten Gerolsteiner Pater bei der Verabschiedung wünschte. Pater J. B. wurde Religionslehrer an einer deutschen Berufsschule. Und zwar in der saarländischen Industriestadt Völklingen, mitten im »Ruhrgebiet an der Saar«. Für nahezu zwei Jahrzehnte (1956 bis 1974). Die Arbeit mit der Jugend hier machte ihm viel Freude. Natürlich war sie auch für die Jugendlichen ein Gewinn. Sicher war die Industriestadt Völklingen dem glanzvollen Rom noch unähnlicher als das reizvoll gelegene Heimatstädtchen Gerolstein. Aber die Wahl des Arbeitsplatzes gerade im Industrierevier mag charakteristisch sein für die Denkweise unseres Paters. Er stammt selber, wie er sagt, aus einfachen Verhältnissen. Sein Werdegang führte ihn über die Weltstadt Rom und viele andere Stationen in der Welt schließlich in die Jugendarbeit an der Saar. Die jungen Leute stammten vorwiegend aus Arbeiterfamilien. Hier war kein Raum für eine große Karriere. Sie hat Pater J. B. auch nie gereizt. Die Seelsorge für die »Geringsten meiner Brüder« (Matth. 25,40) um so mehr.

Ruhestand und Heimatforschung

Vielleicht ist es auch dies mit, was seinen Sinn für die Volkskunde seiner Heimat in ihm so lebendig hielt. Für Sorgen und Nöte, Sinnen und Trachten der »Leute« im Wandel der Zeiten hatte er immer viel übrig. Er war und ist, um mit dem verstorbenen Kardinal Frings zu sprechen, ganz der Typ des »Leutpriesters«, sofern ein Klischee überhaupt erlaubt ist. Das alles beschäftigt ihn jetzt vor allem literarisch, aber aktiv, eben als schreibenden Pater. Seit Herbst 1974 hat ihn Gerolstein wieder und er sein »Jirrelsteen«. Ein Glücksfall für beide. Das Wort »Ruhestand« verdeckt mehr seinen unermüdlichen Fleiß, als daß es erläutert, was Pater J. B. nun treibt und umtreibt. Es ist — formelhaft gesagt — die ganze Breite des Volkstums der engeren Heimat, mit dem er sich in Muttersprache, Heimatgeschichte sowie in Sitten und Bräuchen befaßt. Am Anfang stand aber wieder ein mehr praktischer Dienst am Menschen: die Seniorenbetreuung in Gerolstein. Nun war die »ältere Jugend« an der Reihe. Beide Seiten »profitierten« voneinander.

Anekdoten zum Schmunzeln

Eine feinsinnige literarische Frucht dieser Arbeit ist neben vielen anderen heimatkundlichen Schriften und Beiträgen im Heimatjahrbuch des Kreises Daun das »Gerolsteiner Schmunzelbüchlein« (Verlag Fischer-Büchler, Gerolstein). Es sind nicht frei erfundene Erzählungen, sondern eben Geschichten, die sich um einen wahren Kern ranken. Als solche bilden sie zugleich ein leicht bekömmliches Stück Heimatgeschichte. In diesem schriftstellerischen Wirken hat sich Pater Josef Böffgen um die Brunnenstadt »verdient gemacht«, wie man in Bonn sagen würde. Aber es scheint unserem schreibenden Pater um mehr zu gehen als um persönliche Anerkennung und Verdienste. Wohl um das, was der große Bonner Eifelentdecker Ernst Moritz Arndt vor 140 Jahren in seinem Gedicht »Heimaterde« so formulierte:

»Glücklich, wer nicht kreuz und quer gelenkt,

Wer dir, Heimat, seine Kräfte schenkt,

Daß er wiederum gekräftigt werde

Von dem Liebeshauch der Heimaterde.«

Möge dieser »Liebeshauch der Heimaterde« unsern schreibenden Pater aus Gerolstein noch recht lange »kräftigen«, aber nicht nur, damit er der »Heimat seine Kräfte schenkt«. Pater J. B. in Dankbarkeit und Verehrung alles Gute und herzlichen Glückwunsch.

 

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