Von Ostern zu Ostern

Das Leid birgt Wahrheit

Wir hören und lesen Worte zum Tag, vernehmen Worte zum Sonntag, verweilen gelegentlich beim Spruch des Monats. Wir halten inne, wenn unser Blick vom Alltäglichen nach innen gerichtet wird. Immer befinden wir uns auf der Suche nach Wahrheit. Worte, die jahrüber gültig bleiben, fand die Jahrbuchredaktion in einer Predigt von Studiendirektor Hugo Finken, Religionslehrer in Daun, dessen zeitnaher Betrachtung die Lesung Offenbarung 21,1 — 5 a und das Evangelium Johannes 13, 31 — 35 vorangestellt sind.

Liebe Mitchristen,

sicher haben Sie voll Empörung die Nachricht gehört: Araber töten heimtückisch und hinterhältig Kinder und Jugendliche, die sich vor einem Heim versammelt haben. Die Getöteten sind in den Rücken geschossen worden. Empört sind wir über immer noch andauernde Geiselnahmen in der Welt.

Waren Sie auch empört, als Sie in die Kirche kamen? Warum? Weil in der Mitte der Altarwand Ihnen bildlich die Grausamkeit vorgestellt wird, die Jesus erlitt. Unschuldig, voll Liebe und Güte zu den Menschen wird er von einem seiner Jünger verraten, grausam gefoltert und schließlich noch grausamer getötet.

Ich fürchtete, wir waren von diesem Bild des Kreuzes alle nicht mehr betroffen. Es ist zu lange her, es ist zu gewohnt, wir haben vergessen, worum es ging. Geht es uns mit den ermordeten Kindern nicht auch so? Sind die Geiseln in der Welt nicht auch schnell vergessen?

Leid darf aber nicht vergessen werden! Weil sich im Leid die Wahrheit offenbart. Die Wahrheit des einzelnen menschlichen Lebens, die Wahrheit des menschlichen Zusammenlebens; die Wahrheit, um die es in der Geschichte geht: Welchen Sinn hat das Leid?

Alles Leid erscheint uns sinnlos, widermenschlich. Darum müssen wir alles tun, um das Leiden der Menschen so gering wie möglich zuhalten, um es so weit wie möglich aus dem Leben der Menschen zu verbannen.

Aber was ist mit dem Leid, das wir nicht beseitigen können? Was ist mit dem grausamen, durch Menschen an Menschen immer neuverschuldeten Leid?

Hier setzt die Botschaft unseres Evangeliums ein. Als Judas losgegangen war, um Jesus zu verraten, als das Räderwerk der grausamen Folterjustiz unaufhaltsam ins Rollen gebracht war, sagte Jesus: Jetzt ist der Menschensohn verherrlicht und Gott ist in ihm verherrlicht.

Jetzt, wo man endgültig zum Leid Stellung beziehen mußte, nahm Jesus dieses Leid an aus Liebe zu uns Menschen, um uns zu erlösen von der Sinnlosigkeit des Leides, um uns Hoffnung zu ermöglichen angesichts des sinnlosen Leidens. Hier verwirklicht sich, was Jesus vor Pilatus gesagt hat: Ich bin gekommen, um für die Wahrheit Zeugnis abzulegen.

Jesus steht zu uns, er hält uns, er richtet uns auf, macht uns Mut, läßt uns nicht allein, wo wir in Krankheit, der Einsamkeit, der Schmerzen und des Todes allein sind.

Das ist die Wahrheit des Glaubens: Lieben, indem man Geduld hat, zuhört, verzeiht, aufmuntert, vertraut, tröstet.

Heute schaut die Welt auf uns Christen. Von uns erwarten alle, daß wir Gott offenbaren und die Wahrheit deutlich machen und den Sinn des Lebens zeigen mitten im Leid. Es gibt keine andere Möglichkeit, als zu lieben wie Jesus. »Daran wird man erkennen, daß ihr meine Jünger seid, daß ihr zueinander habt« (1 Joh).

Geduld, zuhören, ruhig reden miteinander, ertragen, trösten, die Fehler nicht vergrößern, Ehrfurcht voreinander haben, einander vergeben. Miteinander Fragen beantworten, Probleme besprechen, nach Wegen suchen, miteinander und füreinander beten. Tun Sie das als Eltern? Tut Ihr das als Kinder? Tun Sie das als Verliebte und Eheleute?

Wenn man die hohe Zahl der Scheidungen erfährt, wenn man von den nichtigen Anlässen zur Ehescheidung hört, wenn man die Oberflächlichkeit der Ehevorbereitung wahrnimmt und die Leichtfertigkeit sieht, mit der junge Leute miteinander umgehen, dazu muß man sagen: von Liebe ist hier nicht zu sprechen. Nicht unterm Weihnachtsbaum, nicht am Muttertag, nicht in der Hochphase des Verliebtseins und der erotischen Erregung ist die Liebe am intensivsten, sondern dort, wo wir Leid erfahren, Kummer, Sorge, Mißverstehen, und wir gefordert sind, füreinander da zu sein und einander zu helfen. Wenn wir in der Leiderfahrung ich-süchtig sind, zerbricht jedes Familienleben, zerbricht jede Ehe, verlieren wir uns selbst. Wo wir aber im Leid für den ändern da sind, retten wir uns.

Darum laßt uns lieben, denn wenn ich mit Menschen- und Engelszungen redete, alle Habe hingäbe und einen Leib zum Verbrennen, aber die Liebe nicht hätte, so wäre ich nichts.