Erinnerung

Den »Nachbar Matthias«, der ihn bei seinen Wanderungen auf steinigen Pfaden um die Munterley oder am Saum der Kyll entlang insgeheim begleitete, haben die Gerolsteiner und viele Eifelfreunde fast besser gekannt als den Autor vieler lehrreicher Schriften und heimatkundlicher Essays in der Lokalpresse der fünfziger Jahre. Denn Matthias, der Nachbar, war eines jeden Bruder, mehr noch: sein Gewissen. Er war das personifizierte Herz des Schriftstellers, dessen Augen die Natur jeden Tag neu entdeckten. Etwas Nostalgie mochte mitwandern, aber sie war nicht der Kern dessen, was im Zwiegespräch den Wanderer und Matthias bewegte. Der Kern ihrer Unterhaltung lag tiefer, irgendwo im Bereich des Gespürs für Wunder, die Mutter Natur am Wegesrand ausbreitet, oder im Garten, wo großflächig gepflegter Rasen sie hintansetzt in der Menschen Gunst und — unbeobachtet läßt.

Was immer der stille Wanderer tagsüber beobachtete und erlebte, im Umgang mit eigenen sieben und anderer Leute Kindern, mit freundlichen und weniger lieben Nachbarn, mit zarten Blumen und Lämmern, mit zwitschernden Vögeln, gehörntem Rindvieh und jeglicher Kreatur, all das ordnete er ein in das Schöpfungswerk Gottes, als sei es ihm alleine geschenkt und er habe die Pflicht, dies seinen Mitmenschen kundzutun. Er tat das unverdrossen, mit flüssiger Feder und in feinsinniger Sprache, die miterleben läßt und fesselt. Die Erinnerung gilt Hans Bartmann, von dem seine Freunde vor zwanzig Jahren, im März 1961, auf dem Friedhof in Gerolstein Abschied nahmen.

Als junger Mann war er noch zum Frontdienst beordert worden, da der Erste Weltkrieg zu Ende ging. Katholische Theologie, Botanik, Zoologie und Mathematik studierte er in München und Münster, kam 1928 als Studienassessor nach Gerolstein und mußte 1953 nach 25jähriger fruchtbarer pädagogischer Arbeit als Studienrat am St.-Matthias-Progymnasium aus Krankheitsgründen vorzeitig in den Ruhestand treten. Im Zweiten Weltkrieg war er als Sanitäter eingezogen, dieweil in Gerolstein sein Heim durch Bomben zerstört wurde. Er schuf der leidgeprüften Familie ein neues Heim, doch ging sein großer Schatz an Literatur verloren. Schon nach 1930 hatte er zur Feder gegriffen, und im folgenden Jahrzehnt, als Abwendung von Gott und Kirche zum »guten Ton« erhoben wurde, wagte er in seinen Erzählungen und aus dem Leben gegriffenen Geschichten, wie in den Büchern »Glied in der Kette bist Du« und »Kämpfende Schöpfung«, dem verrohenden Geist der Zeit entgegenzuwirken. Daneben füllten viele Jahre lang seine naturwissenschaftlichen Studien die Schriftenreihe »Mutter Natur«, während nach dem Zweiten Weltkrieg seine pädagogischen Erfahrungen in zahlreichen Veröffentlichungen zu psychologisch ausgefeilten Lehrstücken reiften.

Noch auf dem Krankenbett ließen sein mitteilsamer Geist und die Liebe zu Kindern ihm keine Ruhe. Im Ernst-Klett-Verlag in Stuttgart erschien 1960 ein Büchlein »Kleine Kinder beten« in der von Prof. Spieler herausgegebenen Heilpädagogischen Schriftenreihe »Bedrohte Jugend — Drohende Jugend«. Da erinnert »Eueres jungen Sohnes Großvater« seine verheirateten Töchter und Söhne an ihre Kinderjahre in der Familie und wirkt durch sie auf seine Enkelkinder.

»Obschon er so vielseitig und tiefschürfend arbeitete, war er von fast übergroßer Bescheidenheit und bestrickender Liebenswürdigkeit gegenüber anderen, für deren Anliegen und Beschwerden er immer Zeit, Verständnis, Hilfe und Trost hatte.« So deutete Hubert Rahm die Charakterzüge seines langjährigen Kollegen am Gymnasium. Das Gottvertrauen, das ihn in Freude wie im Schmerz begleitete, ziert den Inhalt seiner Schriften. Es wäre eine dankenswerte Aufgabe, vor allem den nur einem kleinen Kreis bekannten Nachlaß seines literarischen Wirkens nach dem Zweiten Weltkriege zu sammeln, um diesen gebündelt in die Heimatliteratur einzufügen. Er hätte das verdient: Hans Bartmann. ns.

Stammbuchvers

 

So, sage ich, nimm die Sonne.

Scheint sie nicht? Doch, sie scheint.

Bist du gesund? Dann lebe!

Wie 's dich auch plagt und peint.

Was alles unvollkommen, Welt,

wie verworren sie ist.

Hasse nicht. Leide nicht, Liebe.

Denk, daß du sterblich bist.