Der gefleckte Aronstab

Arum maculatum

Leben und Aufbau eines anspruchsvollen Frühjahrsblühers

Werner Schwind

In der freien Natur begegnen wir im Frühjahr und Sommer vielen blühenden Pflanzen, von denen wir oft nur den Namen kennen, nichts dagegen von der Eigenart ihres Lebens, ihrem speziellen Aufbau und ihrem raffinierten Bestäubungsmechanismus, mit dem die Natur den Fortbestand der Pflanze sichert. Viele dieser Pflanzen hatten für unsere Vorfahren — vor allem im ländlichen Raum — wegen ihrer Heilwirkung oder anderer Eigenschaften eine besondere Bedeutung, die heute in Vergessenheit geraten ist. Der Aronstab ist eine solche Pflanze, bei der sich Tradition und Besonderheit im Leben und Aufbau vereinigen.

Ein Anzeiger guter Waldböden

Der Aronstab ist eine hinsichtlich der Bodengüte und Bodenfrische anspruchsvolle Pflanze. Im Kreis Daun wächst Arum bevorzugt im Gebiet der Kalkmulden in frischen Buchenwäldern auf Rendzinen und reichen Braunerden, in Bachauen auf calciumcarbonathaltigen Auelehmen, aber auch in Hecken und Gebüschen. Gute Bedingungen findet die Pflanze ebenfalls auf frischen bis feuchten Verwitterungsböden von Vulkangesteinen. Oft sieht man den Aronstab, der zu der Familie der Araceen gehört, vergesellschaftet mit anderen Frühjahrsblühern. Wo die Bodenverhältnisse besser (basenreicher) sind, wächst der Aronstab zusammen mit der gelben Anemone (Anemone ra-nunculoides), dem Waldgelbstern (Gagea lutea), Lerchensporn, im Kreisgebiet hauptsächlich dem festen Lerchensporn (Corydalis solida), Bärlauch (Allium ursinum), Märzenbecher (Leucojum vernum) und dem Schuppenwurz (Lathraea squamaria).

Diese Pflanzengesellschaft mit den sehr seltenen Arten Märzenbecher (= Frühlings-Knotenblume), Schuppenwurz, Gelbe Anemone und Waldgelbstern, die fruchtbarste und zumindest im Frühjahr frische bis feuchte, aber nicht nasse Böden bezeichnen, gibt es im Kreis Daun nur an wenigen Standorten. Besonders ausgeprägt ist sie auf einem kurzen schützenswerten Stück Bachaue in der Gerolsteiner Kalkmulde, wo der anstehende sehr sandige Auelehm tiefgründig und kalkhaltig ist.

Wie verschiedene andere Frühjahrsblüher, z. B. Wald-Bingelkraut und Scharbockskraut, ist der Aronstab hinsichtlich seiner Standortansprüche eine etwas flexiblere Pflanze als die oben genannten Arten. Er besitzt im begrenzten Maße die Fähigkeit, das Zurücktreten eines Bodenfaktors durch ein besonders reichhaltiges Angebot eines ändern Faktors zu kompensieren. So wächst der Aronstab bei einem nicht überreichlichen Vorhandensein von Bodennährstoffen nur auf betont frischen Standorten, während auf Kalkstein seine Forderungen an die Feuchtigkeit des Bodens etwas geringer sind.

Der Aronstab blüht. Der Fuchtstand des Aronstabs im Sommer.

Aronstabblüte mit aufgeschnittenem Kessel—erkennbar sind neben dem Kolben, der Reuse und den männlichen Blüten (von oben nach unten) viele Fliegen, die den Weg aus ihrem Zwangshotel in die Freiheit suchen.

 

Frühjahrsgeophyt

Viele Frühjahrs- und fast alle Vorfrühjahrsblüher sind Geophyten. Es sind mehrjährige Pflanzen, die ausschließlich mit unterirdischen Organen überwintern, während die oberirdischen absterben. Eine Anpassung an die geophytischen Lebensverhältnisse stellen z. B. die Zwiebeln dar (bei Schneeglöckchen, Märzenbecher, Gelbstern usw.). Andere Frühjahrsblüher wie z. B. die Schlüsselblume besitzen einen Wurzelstock, dessen oberes Ende — dort, wo die Blätter entspringen — sich jedes Jahr um ein Stück verlängert, während das andere Ende allmählich abstirbt.

Schließlich existiert eine dritte Gruppe von Frühjahrsblühern, die als Vorratsspeicher Wurzelknollen besitzen, aus denen die junge Pflanze die Stoffe für ihren Aufbau entnimmt. Zu dieser Gruppe gehören u. a. der Lerchensporn und bedingt der Aronstab, der an sich einen knollig verdickten Wurzelstock besitzt. Während der Vegetationszeit entwickeln die Blätter neue Baustoffe, die dann in den Wurzelknollen für das nächste Jahr angesammelt werden. Daher erscheinen diese Geophyten wie auch die der anderen beiden Gruppen im darauffolgenden Frühling immer wieder an etwa derselben Stelle.

Ein Merkmal der typischen Frühjahrsgeophyten ist, daß sie bereits erscheinen, wenn die Waldbäume und Sträucher ihr Laub noch nicht entfaltet haben. So kann das Licht fast ungehindert durch die noch unbelaubten Kronen auf den Boden einfallen. Die starke Sonneneinstrahlung unter dem Windschutz der Bäume und Sträucher führt zu einer raschen Erwärmung des Bodens, so daß sich hier oft bereits im Februar die ersten Zeichen des erwachenden Lebens in der Natur in Form von Blättern und vereinzelten Blüten bemerkbar machen.

Durch die aufgezeigten Formen der Vorratsspeicher für ihre Aufbaustoffe können einige Frühjahrsblüher bereits nach wenigen Tagen mit günstigem Wetter zur blühenden Pflanze heranwachsen. Arum maculatum allerdings besitzt eine bedeutend längere, für unsere Frühjahrsgeophyten eigentlich untypische Entwicklungsphase. Meist Mitte bis Ende März erscheinen die ersten zarten Blattspitzen des Aronstabs, die sich ziemlich rasch zu ausgewachsenen — gefleckten oder ungefleckten — Blättern entwickeln. (1980 erschienen sie nach dem ungewöhnlich milden Winter sogar schon Ende Februar.) Diese Blätter, die meist zu zweit aus dem Rhizom entspringen, sind zunächst auf den noch weitgehend vegetationslosen Waldböden nicht zu übersehen. In ihrer Mitte erhebt sich später der kolbenförmige Blütenstand, der bis zur endgültigen Entwicklung der Blüte in ganzer Länge von einem tütenförmigen Blatt, der Spatha, eingehüllt wird.

Erst Ende April bis Mitte Mai öffnet der Aronstab seine ungewöhnliche Blüte. Zu dieser Zeit sind dann schon viele andere Pflanzen hochgewachsen, so daß der Aronstab oft nur noch schwer auffindbar ist, was ihn vielleicht vor dem Abpflücken allzu eifriger Blumenfreunde schützt. Wie gesagt bestimmen im Frühling und Vorfrühling bis zur Entfaltung des Laubdaches Geophyten das Bild der Böden in frischen Kalk- und eutrophen (= nährstoffreichen) Braunerde-Buchenwäldern. Im Kreisgebiet gibt es hiervon schöne — wenn auch nicht allzu viele — Beispiele. Nach der vollen Entwicklung des Buchenlaubes, wenn das Buchendach sommerdunkel geworden ist, sterben die meisten Geophyten schnell ab, nachdem ihre Blätter in kurzer Zeit vergilbt sind. Viele Frühjahrsblüher verschwinden ebenso rasch, wie sie aufgetaucht sind. Entscheidend hierfür ist vor allem der nun herrschende Lichtmangel, nach Ellerberg (1978) aber auch die zunehmende Erwärmung der bodennahen Schichten. In den zwei Monaten (bei extremen Frühjahrsblühern wie dem Märzenbecher und Wald-Gelbstern) bzw. den drei Monaten (wie beim Aronstab) aktiven Lebens müssen die Geophyten Blätter und Blüten ausbilden und ausreichend Nährstoffe ansammeln, um im nächsten Frühling für ihr Wachstum ^ wieder den kurzen Spielraum ausnutzen zu können, den die Natur ihnen überläßt.

Aus diesem Grunde sind die Geophyten auf die fruchtbaren Böden angewiesen. Daher läßt ihrAuftreten auch einen Schluß auf die Leistungskraft der Böden in Bezug auf den aufstockenden Baumbestand zu. Ein eutropher Braunerde-Buchenwald in der Hillesheimer Kalkmulde, in dem der Aronstab ein zahlreiches Vorkommen besitzt, weist Buchen, Eschen und Eichen bester Ertragsklasse auf. Rund 120jährige Buchen erreichen Höhen bis zu 38 Metern. So eindrucksvoll, wie der Aronstab geblüht hat, so eindrucksvoll erscheinen auch im Sommer seine Früchte. Aus den Fruchtknoten entwickeln sich zunächst grüne Beeren, die im August bis September schließlich zu korallenroten, rings um den ährenähnlichen Fruchtstand angeordneten Früchten heranreifen.

Aufbau der Aronstab-Blüte

Die Blüte des Aronstabs besteht aus einem fleischigen Kolben, dessen oberes, violettbraunes, immer sichtbares Ende als Keule bezeichnet wird. Am unteren Ende des Kolbens befinden sich die gelben weiblichen Blüten, darüber die braunen männlichen und darüber wiederum die gelbliche Reuse (das sind zu Sperrhaken umgewandelte Blüten). Der Kolben wird von einem tütenförmigen Hüllblatt umschlossen, das zur Zeit der höchsten Blütenentfaltung oberhalb einer taillenhaften Einschnürung weit auseinanderklafft.

Die Fliegenkesselfalle

Der Blütenstand des Aronstabs bildet eine sogenannte Fliegenkesselfalle. (Daher wird Arum auch Gleitfallenblume genannt.) Durch den für das menschliche Empfinden widerlichen, für Insekten aber wohl anziehenden Aasgeruch der Keule angelockte Fliegen können sich an der Innenseite des glatten Hüllblatts nicht halten und rutschen nach unten auf dessen Boden, also in das Innere des Kessels. Aufgrund eines Ringes von Sperrborsten, der sogenannten Reuse, werden sie am Verlassen des Kessels gehindert. Wer aber glaubt, daß die Fliegen nun sterben müßten, der irrt sich gewaltig. Am Grunde des Kessels bildet sich nektarhaltiges Wasser, das den Insekten Nahrung bietet. Wenn man während der Bestäubungszeit das Hüllblatt aufschneidet, findet man am Kesselgrund eine gewaltige Menge von Fliegen, die dort zur Durchführung der Bestäubung vorübergehend gefangen sind. Bis zu 4 000 wurden schon in einer einzigen Aronstabblüte gezählt. Alle Fliegen finden hier gute Lebensbedingungen. Durch den intensiven Stoffwechsel im Bereich der Blüten herrschen im Innern des Kessels Temperaturen, die um mehrere Grade über denen der Außentemperatur liegen. Der Boden des Hüllblatts wirkt also wie eine beheizte Wohnung. Nach Nöldner (1939) hat man zur Zeit der höchsten Blütenentfaltung im Innern des Kessels Temperaturen gemessen, die rund 15° C über den Außentemperaturen lagen. Der gesamte Stärkevorrat, den die Pflanze vor dem Blühen in den Geweben des Kolbens aufgespeichert hat, wird während dieser Zeit zu Kohlensäure und Wasser verbrannt. Wenn alle weiblichen Blüten bestäubt sind, welkt das Hüllblatt und die Fliegen werden wieder in die Freiheit entlassen. Das Ergebnis dieser faszinierenden Einrichtung der Natur kann man im Spätsommer bewundern, wenn die befruchteten weiblichen Blüten zu korallenroten Beeren herangereift sind.

Heil- und Zaubermittel

Der Aronstab ist eine der giftigsten Pflanzen unserer gesamten Flora. An ihm ist von der Wurzel über die Blätter bis zu den Früchten so gut wie jedes Teil giftig. Trotzdem dienten bestimmte Teile dieser Pflanze in früheren Zeiten als Nahrungsmittel. Der stärkehaltige, knollenförmig verdickte Wurzelstock wurde solange gekocht, bis das Gift zerstört und die Wurzel genießbar war. Besonders als Heilkraut war Arum sehr beliebt, wie in alten und neuen Büchern über die Heilwirkung von Krautern nachlesbar ist. Der Wurzelstock gilt als vorzügliches Magenmittel, und »Aronstab-Tee« wurde gegen Lungenleiden verwendet. In vergangenen Jahrhunderten, als der Aberglaube blühte, diente der Aronstab teilweise auch als Zaubermittel gegen angsterfüllten Schlaf und als Abwehrmittel gegen böse Geister. Es ist fast selbstverständlich, daß eine so seltsame Pflanze wie der Aronstab der Phantasie reichlich Nahrung bot. In dieser Zeit wurde der Aronstab auch zum Erntepropheten erhoben. Die Ausbildung des Kolbens prophezeite die Getreideernte, die der Reuse die Heuernte und die der männlichen Blüten die Obsternte. Während in unseren Landstrichen der Bauer an den weiblichen Blüten die bevorstehende Erbsenernte abzulesen glaubte, dienten die Fruchtblüten dem Weinbauern als Prophet der kommenden Traubenernte. Im Kreis Daun wachsen noch eine Reihe von Pflanzen, von denen es mehr zu berichten gäbe, als nur über deren Biologie und deren ökologisches und pflanzensoziologisches Verhalten, aber der Aronstab dürfte in dieser Beziehung unerreicht sein.

Literatur: Aichele, D. 1975: »Was blüht denn da?« Stuttgart; Ellenberg, H. 1978: »Vegetation Mitteleuropas mit den Alpen«. Stuttgart; Hartmann, F. K.; Rühl, A. 1965: »Unsere Waldblumen und Farngewächse«; Heidelberg; Nöldner, W. 1937: »Aus Wald und Feld«. Leipzig.