Daun - Leopoldstraße 9

Nico Sastges

Über den Kurstaat Trier und zwanzigjährige Besetzung durch französische Revolutionstruppen formte sich nach dem Wiener Kongreß 1814/15 die Rheinprovinz mit den Regierungsbezirken Trier, Koblenz, Aachen, Köln und Düsseldorf. Darin als Verwaltungseinheit der Kreis Daun mit 98 Gemeinden und damals, in der Geburtsstunde des Kreises 1816, rd. 17600 Einwohnern. Die seither verflossenen 165 Jahre Kreisgeschichte sind geprägt von Reformen und einer wirtschaftlichen Entwicklung, die vor allem in den jüngsten Jahrzehnten die Früchte über 100jähriger Bemühungen zur Überwindung einstmaliger Not und Abwanderung reifen ließ. Diesen Abschnitt der Entwicklung des Kreises Daun aufzuzeichnen, erscheint um so zwingender, da in der Hektik des Tages der Blick für Vergangenes allzu leicht getrübt wird und manche für die Gegenwart brauchbare Erkenntnisse verlorengehen. Just zu dem Zeitpunkt, da schon 15 Jahre seit der Grundsteinlegung zum Neubau des Landratsamtes in Daun an der Bitburger Straße vergangen sind, ist es sinnvoll, rückzublicken zur Leopoldstraße 9, dem 150jährigen Sitz der Kreisverwaltung, vor dem der gußeiserne Bacchus noch getreulich über vergilbte Aktenbündel bewegter Zeiten wacht. Doch schon spitzen die Architekten den Stift, um das alte Kreishaus in zeitgemäße Planungen zur Stadterneuerung einzubeziehen. Der Bacchus aber wird sein angestammtes Postament wohl noch lange behaupten.

Furchen der Geschichte

Von 1816 bis 1981 ist ein weiter Weg, an dessen Meilensteinen nicht nur Mahnungen zum Völkerfrieden geschrieben stehen, sondern zahlreiche Hinweise zu finden sind, wie schwer die Loslösung vom Herkömmlichen und Traditionellen den Bewohnern der Vulkaneifel zu allen Zeiten gefallen ist. So mag ein Rückblick für die Gegenwart von Nutzen sein, um Verständnis zu wecken für Reformen, die gerade in unseren Tagen in einem schnell dahineilenden Zeitenwandel die Menschen in Stadt und Dorf bewegen: im religiösen, kulturellen, schulischen und wirtschaftlichen Bereich. Aber auch in den Institutionen der Verwaltungszweige, deren Aufgaben sich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt wandeln.

Daun — Südansicht aus dem vorigen Jahrhundert — mit dem baulich verschachtelten Ortsteil um den Burgberg (links) und dem Bering um die katholische St.-Nikolaus-Pfarrkirche (rechts). Im Hintergrund das damals unbebaute Gelände »In den Leyen«, einem heute noch jungen Stadtteil mit etwa 1 500 Einwohnern.

In diesem Umbruch, der schon kurz nach der Kreisgründung einsetzte, fällt dem persönlichen Wirken des jeweiligen Landrats besondere Bedeutung zu. Das überregionale Zeitgeschehen, die Weltpolitik, hat im Kreise Daun tiefe Furchen hinterlassen. Sie mußten von Jahrzehnt zu Jahrzehnt geglättet werden. Der Vorfahren Werk erscheint daher nachbetrachtet da und dort vielleicht in einem bedeutsameren Licht, als es die Zeitgefährten sahen, und manches Vorurteil, das uns im gegenwärtigen Alltag beschwert, wird im Rückblick leichter überwindbar erscheinen. Die Zukunft gehört zu allen Zeiten der Jugend. Ihr heute ausgeprägter Sinn für weiträumiges Denken in größeren Dimensionen kann und darf nicht übersehen oder falsch gedeutet werden. Jugend muß vorwärts streben.

Positive Bevölkerungsbewegung

Wohl die positivste Entwicklung im Kreise Daun verzeichnet die Bevölkerungsbewegung. Während bei 17 585 Einwohnern im Jahre 1816 die jährliche Abwanderung zu einem Stillstand des Bevölkerungszuwachses führte, löste sich nach 1820 der Bevölkerungsschwund und führte bis 1828 zu einer Erhöhung der Einwohnerzahl auf 20 200. Die Abwanderungswelle um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts wirkte lähmend auf alle Ansätze zur wirtschaftlichen Entfaltung. Es blieb, bedingt durch den Wiederaufbau nach dem 2. Weltkrieg und der damit verbundenen Ansiedlung von Industriezweigen, dem Jahrzehnt nach 1960 vorbehalten, einen jährlichen Bevölkerungszuwachs von rd. 500 Personen im Kreisgebiet zu registrieren. 1966 überschritt die Einwohnerzahl erstmalig 44 000. Die Ausdehnung des Kreisgebietes bei der Reform 1970 erhöhte die Bevölkerungsziffer von 45813 am 31. 10. 1970 auf 58288 Personen. Bis zum 1. Mai 1980 ergab sich eine Erhöhung auf 61 245 Personen bei einer Einwohnerdichte von 67 je qkm.

Fortschreitender Wandel

Zur Gründungszeit umfaßt der Kreis Daun 98 Gemeinden in 14 Bürgermeistereien. Im Jahrbuch 1980 hat Erwin Schaefer »Die preußische Verwaltungseinteilung in den Anfangsjahren des Kreises Daun« dargestellt. Zwischen dem ersten und zweiten Weltkrieg wurden die vier Bürgermeistereien Dockweiler, Sarmersbach, Rockeskyll und Kerpen aufgelöst. Diese waren bis dahin in Personalunion mit anderen Bürgermeistereien, die jetzt in Ämter umbenannt wurden, mitverwaltet worden. Die Bürgermeistereien Üdersdorf und Weidenbach wurden zum Amt Niederstadtfeld zusammengeschlossen. Es bestanden bis 1970 die sechs Ämter Daun, Gerolstein, Hillesheim, Lissendorf, Gillenfeld und Niederstadtfeld.

Die Verwaltungsreform 1970 ordnete die Ämter Gillenfeld und Niederstadtfeld in die neue Verbandsgemeinde Daun ein. Die Kreiserweiterung im Westen fügte das bis dahin zum Kreis Prüm gehörende Amt Birresborn mit der VG Gerolstein zusammen. Im nördlichen Teil des Kreises verwandelte sich das Amt Lissendorf unter Einbeziehung des Amtes Stadtkyll (ehedem Prüm) in die Verbandsgemeinde Obere Kyll mit Verwaltungssitz in Jünkerath. Vom Kreis Mayen wurde das Amt Kelberg als Verbandsgemeinde dem Kreis Daun zugeordnet. Abgesehen von kleineren Korrekturen in Randbereichen des Kreises und der Ämter wurde das Amt Hillesheim von der Reform am schwächsten berührt. Die Eingemeindung von Vororten in die Städte Daun und Gerolstein sowie der Zusammenschluß von kleineren Orten zu einer Gemeinde hat die Zahl der kommunal selbstverwalteten Gemeinden im Kreisgebiet bis Ende 1980 auf 109 in fünf Verbandsgemeinden reduziert.

Landrat

Avenarius (1817 - 1839)

Bei seiner Gründung wurde der Kreis Daun zunächst kurze Zeit durch die Kommissare Rosbach und Catrein in Prüm verwaltet. Als Daun am 29. August 1817 Landratssitz wurde, trat Landrat Avenarius den Dienst an. Er trug die Offiziersuniform mit dem Eisernen Kreuz aus den Befreiungskriegen.

An der Schwelle der preußischen Zeit stand ein Notjahr. Die Mißernten 1815/16 brachten eine entsetzliche Teuerung und öffneten der Hungersnot die Tür. In weiten Landstrichen der Eifel lebten die Menschen, wie mehrere Chronisten bezeugen, teilweise von Wiesenkräutern, die sie mit Hafermehl zur Speise bereiteten. Avenarius hatte als Soldat mit spartanischer Lebensweise Bekanntschaft gemacht. So verzagte er nicht in der Not, sondern lenkte den Blick der Landwirte auf die Urbarmachung von Ödland sowie auf die Entwässerung versumpfter Wiesentäler. Er sah in einigen erwirkten Staatsbeihilfen zur Linderung der Hungersnot keine dauerhafte Überwindung der Armut und lenkte die Aufmerksamkeit des Ministeriums auf die Notwendigkeit von Meliorationen. Sein Einfluß beschleunigte im Kreisgebiet die Gründung von Ent- und Bewässerungsgenossenschaften.

Diese Initiative war die logische Konsequenz der landwirtschaftlichen Bestandsaufnahme, die bei rund 3 000 Haushaltungen im Kreisgebiet (1817) einen für unsere heutigen Begriffe recht ansehnlichen Viehbestand auswies: 1 760 Pferde, 10237 Stück Rindvieh, 19463 Schafe und 1 804 Schweine. Im Nebenerwerb wurden in dieser Zeit im Kreise Daun jährlich zwischen 350 bis 400 Zentner Pottasche hergestellt. Das Pottaschensieden diente zum Teil den Hauswebern zur Aufbereitung des Linnens und einige Mengen wurden wegen des Kaliumgehalts zur Glasherstellung abgesetzt.

1820 schienen Kohlenfunde bei Neichen einen Lichtblick zur Verwertung von Bodenschätzen zu bringen. Allerdings erwiesen sich die Flöze als wenig ergiebig. Die schon 1807 eingeleiteten bergbaulichen Untersuchungen nach Kohle waren ergebnislos. So blieb es beim herkömmlichen Basaltabbau und dem Betrieb der aus der französischen Zeit noch übernommenen vier Hütten und Eisenhämmer in Jünkerath, Ahütte, Müllenborn und Schauerbach. Die vorhandenen Wasserkräfte sowie der Reichtum an Laubwald zur Holzkohlenbereitung sorgten für den Fortbestand der Eisenhämmer.

Das Wirken von Landrat Avenarius erschöpfte sich nicht im Drang zur Verbesserung der Lebensbedingungen, sondern er erkannte die Hemmnisse, welche die Wirren der vorangegangenen Epoche gerade auf dem Sektor des Bildungswesens hinterlassen hatten. Daraus resultierte das zähe Festhalten des Eifelbauern an mittelalterlichen Wirtschaftsformen.

Doch schon nach fünf Jahren seines Wirkens — 1822 — zählte der Kreis Daun 51 Lehrer sowie 17 Hilfslehrer und -Lehrerinnen, die an den Elementarschulen 1 566 Knaben und 1 537 Mädchen unterrichteten. Als der Landrat im November 1833 an zwei Tagen mit Friedrich Wilhelm IV. und dessen Gefolge den Kreis Daun bereiste, deutete sich von Dorf zu Dorf der schulische Fortschritt an. Die sich darin abfärbende preußische Gründlichkeit trug Früchte.

Es muß trotz der damals weiten Entfernung von Daun nach Prüm ein freundschaftliches Verhältnis zwischen dem Dauner Landrat und Landrat Barsch in Prüm bestanden haben, denn als der Prümer Landrat 1824 mit der Drucklegung der »Eiflia Illustrata« begann, entschloß sich der Heimatforscher in einem besonderen Band jedem einzelnen Dorf des Kreises Daun einen geschichtlichen Abriß zu widmen, wozu Avenarius und auch seine beiden Nachfolger von Selasinsky und Dr. Aschenborn wertvolle Beiträge sammelten. Jenes Geschichtswerk erfreut sich bleibenden Wertes und die Neuauflage der vergilbten und vergriffenen Bände in einem Osnabrücker Verlag hat bei vielen Eifelfreunden Freude ausgelöst.

Der preußische Offizier und erste Landrat wurde auch der Erbauer des Dauner Kreishauses, das 1830/31 im Rohbau vom Kreis erstellt, dann aber von der Gemeinde Daun erworben und vertragsgemäß für die Zwecke der »Landratur« eingeräumt wurde. Erst 60 Jahre später — 1892 — vollzog eine vom Kreistag gebildete Kommission den Wiedererwerb des Kreishauses, an dem alle Jahrzehnte die Baumeister bis in unsere Tage zweck- und zeitbedingte Modernisierungen vorgenommen haben.

Das Wirken von Landrat Avenarius wäre nicht hinreichend gedeutet, wenn man am Ende seiner Dienstzeit in Daun 1839 nur auf die Erfolge im schwierigen Bemühen umd die Erhaltung der spärlichen bodenständigen Betriebszweige, um den Fortschritt auf schulischem Gebiet oder etwa seinen unerbittlichen Kampf gegen mittelalterliche Betriebsformen in der Landwirtschaft hinweisen würde. Vielmehr überzeugt das Wachstum der Kreisbevölkerung in den 22 Jahren, daß zu Beginn der preußischen Verwaltung die Weichen für einen neuen Zeitabschnitt gestellt wurden.

23 410 Einwohner zählte der Kreis 1839, also in zwei Jahrzehnten einen Zuwachs von fast 6 000 Personen. Solches Wachstum der Kreisbevölkerung aus dem Geburtenüberschuß ist seither in keinem Jahrzehnt der 165jährigen Kreisgeschichte prozentual erreicht worden. Denn die aufwärtsführende Bevölkerungsbewegung von 1956 bis 1966 war doch zum Teil von industrieller Ansiedlung und dem Zuwachs durch die Garnisonen bestimmt. Das mag uns nachträglich Bewunderung für die damalige Epoche nach der Kreisgründung einflößen.

Landrat

von Selasinsky (1839 - 1851)

Das Erbe, das Landrat von Selasinsky 1839 als Nachfolger von Landrat Avenarius übernahm, gab zu berechtigten Hoffnungen Anlaß, die schlimmste Not in der zentralen Vulkaneifel überwunden zu haben. Doch stand auch von Selasinsky sehr bald den Schwierigkeiten der noch unterentwickelten Landwirtschaft gegenüber. Erneute Mißernten ließen nun im Kreisgebiet 6 000 Menschen mehr hungern als 20 Jahre vorher. Staats- und Provinzialbeihilfen halfen zwar über den Tag hinweg, aber eine grundlegende Wandlung in der Ernährungsgrundlage war auf dem kargen Boden scheinbar nicht zu erreichen. Dafür fehlten die technischen Hilfsmittel.

So wuchs mit der Bevölkerungsziffer die Not von Dorf zu Dorf. Damit aber wurde der Abwanderung die Tür geöffnet, und es begann nach achtjährigem unermüdlichem Ringen um Verbesserungen der Lebensbedingungen 1847 jene Zeit der Abwanderungen, deren Nachwirkungen bis ins 20. Jahrhundert spürbar geblieben sind.

Indes verlief die Revolution des Jahres 1848 im Gegensatz zu der Erstürmung des Zeughauses in Prüm im Kreise Daun ruhig. Doch die Auswanderung von über 800 Kreisbewohnern 1847 nach Amerika schürte in den Dörfern den Drang nach der Ferne, nach besseren Lebensbedingungen, die man in der Heimat schwinden sah. Das machte die Arbeit des klugen Kopfes im Kreishaus nicht leicht. So galt alle Anstrengung der Erhaltung bodenständiger Wirtschaftszweige, wenngleich auch dort nur Fleiß und äußerste Kraftanstrengungen über die Betriebsamkeit unter günstigeren Verhältnissen in anderen Landesteilen der Rheinprovinz hinweghelfen konnten.

1849 waren im Kreise Daun 234 Fabrikarbeiter vorhanden. Der Kreis stand damals industriell an letzter Steile des Bezirks Trier. Die Eisengewinnung war um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert in Schwung. Damals wurde in der Eifel in vielen Bergwerken von Tausenden von Männern, Frauen und Kindern der Braun- und Roteisenstein zu Tage gefördert, in den Hochöfen geschmolzen und in die Hammerwerke gebracht. 1840 bestand das Eisenwerk in Jünkerath aus zwei Hochöfen, drei Frischfeuern; es wurden 30 Arbeiter beschäftigt. Der Eisenhammer Schauerbach hatte ein Frischfeuer; er lieferte bei 5 Arbeitern 2 200 Zentner Stabeisen. Das Hüttenwerk Müllenborn, das seit 1563 bestand, lieferte 1840 aus einem Hochofen und einem Frischfeuer 7 700 Zentner Gußeisen und 2 300 Zentner Stabeisen. 1844 konnte die Eisenproduktion in Müllenborn nicht mehr voll verkauft werden. Zwar brachte der Roheisenzoll von 1844 eine Wiederbelebung, aber 1847 erfolgte ein neuer Preissturz von England aus. Um die gleiche Zeit beschäftigten 6 Lohgerber in Hillesheim 17 Arbeiter. Auch in Daun, Gerolstein, Gillenfeld, Birgel, Mehren und Niederstadtfeld befanden sich zeitweise Gerbereien und Lohmühlen. 1847 hatte der Kreis Daun Kram- und Viehmärkte in Daun, Gerolstein, Gillenfeld, Hillesheim, Kerpen, Mehren und Rockeskyll.

Landrat von Selasinsky bemühte sich, wie das wirtschaftliche Bild der damaligen Zeit verrät, vor allem um wirtschaftliche Belebung. Doch blieb alle Anstrengung ohne jenen Wandel, der auch späteren Generationen noch lange versagt blieb. Die preußische Zeit mochte groß sein in sparsamer Verwaltung, für die Eifel als Vorfeld zum »bösen Nachbar« mußte das Ödland erhalten bleiben. Dieser Schatten ist aus der Geschichte nicht wegzustreichen, mochten die leitenden Männer in der Leopoldstraße in Daun auch besten Willen und Fähigkeiten besitzen. Auch von Selasinskys Wirken litt unter diesem Schatten, wenngleich es nachbetrachtet nicht verblassen kann.

Landrat

Dr. Aschenborn (1851 - 1865)

Landrat Dr. Aschenborn, der im April 1816 gleichsam mit der preußischen Neuordnung der Verwaltungsbezirke geboren wurde, amtierte von 1851 vierzehn Jahre in Daun. Sein Grabmal trägt das Datum vom 9. Mai 1865. Es befindet sich auf dem evangelischen Friedhof seines Amtssitzes in der Obhut der Kreisverwaltung.

Aschenborns Wirken war geprägt vom aufstrebenden Geist, der sich auf kulturellem Gebiet durch die Gründung der ersten Gesangs- und Musikvereinigungen andeutete, und im wirtschaftlichen Bereich durch die Gründung der Kreissparkasse 1855 den Anschluß an die industriell aufblühenden Landstriche an Rhein und Mosel-Saar zu sichern trachtete. Daraus wird verständlich, daß der Kreis Daun im gleichen Jahr der neugegründeten Handelskammer Trier angegliedert wurde.

Nach 1850 bahnte sich im Kreisgebiet auch eine Belebung im sozialen Bereich an. 1854 betrug der Arbeitslohn eines Hüttenmannes, der 12 Stunden am Feuer stand, im Eisenwerk »Portiunkla« am Schäferberg bei Feusdorf und in einem ähnlichen Betrieb bei Bolsdorf 90 Pfennig. In langen Verhandlungen wurde schließlich der Tageslohn auf 1,10 Mark erhöht und stieg einige Jahre später auf 1,50 Mark pro Tag.

Starken Einfluß übte Landrat Dr. Aschenborn auf die Fortentwicklung der Heimarbeit in Neroth aus. Die Herstellung von Drahtwaren wie Maulkörbe für das Vieh, Drahtgeflechte und Mausefallen war in Neroth bereits vor der Wende zum 19. Jahrhundert in hoher Blüte. Die Verarbeitung des Drahts war den Kindern schon in frühester Jugend vertraut — und dazu gehörte die Hausiertätigkeit, welche die Nerother durch alle Landstriche des Reiches brachte. Als sich damals die Industrie an der Ruhr auch dieser Produktionszweige annahm, begann für die Heimindustrie in Neroth eine schwere Zeit.

Landrat Aschenborn gelang es, durch Förderung der Heimarbeit — das galt ebenso für die Tätigkeit vieler Heimweber — die soziale Lage der bedrohten Heimarbeiter zu verbessern und den drohenden Ruin der Heimarbeit aufzuhalten. Er baute damit eine Brücke, um die Heimarbeit im Kreisgebiet zu erhalten. Daß sich in späteren Jahrzehnten die Produktionsform zur Massenfertigung in einheimischen Betrieben entwickeln konnte, ist ein wesentliches Verdienst Aschenborns, dessen Bemühungen zwar nicht die Erhaltung der Heimarbeit im Familienbereich erreichen konnten, aber doch entscheidend als Bremse der Ab- und Auswanderung wirkten.

Daneben widmete sich Dr. Aschenborn dem Aufbau des Feuerlöschwesens und erwirkte dafür verschiedene Beihilfen von der Provinzial-Feuersozietät. Er legte den Grundstein zur Ablösung der Strohdächer, die damals immer wieder Brände und Feuersbrünste begünstigten. Allerdings kämpfte er dabei nicht nur gegen die herkömmliche Dachabdeckung, sondern ebenso zäh um die Einsicht der Bevölkerung zum notwendigen finanziellen Aufwand für feuersichere Bauweise. Wie schwierig derartige Neuerungen einzuführen waren, zeigt sich, daß erst 1882 — also zwei Jahrzehnte später — die Pflicht zur Schornsteinreinigung und das Verbot des Rauchens in Scheunen und Ställen eingeführt werden konnten. Aus diesem Jahre datiert auch das Verbot der Neuauflage von Strohdächern.

Die Sozialfürsorge um 1860 verzeichnet 163 Männer und 127 Frauen, die im Kreisgebiet von der öffentlichen Armenpflege unterstützt wurden. Und im Gesundheitswesen, dem Dr. Aschenborn Aufmerksamkeit zuwandte, wurden Mitte des 19. Jahrhunderts bedeutsame Schritte vorwärts getan. 1861 waren im Kreis Daun ein Kreisphysikus, ein Wundarzt und ein Kreistierarzt tätig. Vor allem die Unterernährung von Mensch und Tier durch die häufigen Mißernten zehrten an der Gesunderhaltung. Allein im Jahre 1860, einem Notjahr, bezog der Kreis Daun zur Sicherung der Ernährung der Bevölkerung aus dem Nachbarkreise Mayen (vom Maifeld) für 50 000 Taler Brotgetreide. Aschenborns Wirken vermittelt aber auch ein Zeitbild, wie schwierig es war, der Jugend in damaliger Zeit den rechten Halt für das Berufsleben zu geben. In vielen Orten fehlten nicht nur Fortbildungs- und Pflegestätten für die Jugend, sondern auch das Verständnis zur Jugendertüchtigung. Erst mit der Gründung von Musik- und Gesangvereinen wurde organisierte Freizeitbetätigung spruchreif.

So wird es verständlich, daß ein Jahr vor seinem Tode Landrat Dr. Aschenborn in einem Aufruf an die Kreisbevölkerung »den sittenverderblichen Unfug des Besuchs von schulpflichtigen Kindern und Jugendlichen in Wirtshäusern und bei Tanzveranstaltungen« geißelt. Sein Bemühen um die Heranführung der Jugend zu geordnetem Berufsleben und zur Pflege kultureller Werte wurde indes belohnt von manchen Vereinsgründungen, unter denen (1863) auch der katholische Handwerker- und Gewerbeverein in dem damals 700 Einwohner zählenden Kreisort Ausdruck einer allgemeinen Erneuerung des gesellschaftlichen Lebens war. Aschenborns zielstrebende Verwaltungsarbeit trug in der Folge reiche Früchte. Er hatte allerdings dazu einen schon beachtlichen Mitarbeiterstab zur Seite. Seit 1861 befanden sich in der allgemeinen Landesverwaltung des Kreises Daun 25 Staatsbeamte und 39 hauptamtliche Kommunalbeamte.

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