Eechs Ühm-Hannes

Franz Josef Ferber

Fremde hätten ihn für einen Schulmeister (Lehrer) oder gar für einen »Obersten Schreiber« (Beamten) gehalten. Er war hager von Gestalt, hatte ein etwas blasses Gesicht mit auffallend dünnen Lippen und listigen Augen. Seine Sprache war stets bedächtig, selten hektisch. Hervorragend war seine Gescheitheit, gemischt mit einer guten Portion Bauernschläue. Beim Lesen und beim Schreiben trug er einen Kneifer. Man sah ihn ständig kautabakkauend. Faßte er ein Blatt Papier an, dann benäßte er seinen Daumen mit der schwarzen Kautabakbrühe. Und so drückte er seinen amtlichen Schriftstücken immer zwei Stempel auf, das Dienstsiegel des Ortsbürgermeisters und (automatisch) seinen privaten Daumenstempel.

So habe ich ihn in Erinnerung, den »Eechs Ühm-Hannes« (Anmerkung: Die Betonung liegt auf »Ühm«), so benannt nach seinem Hausnamen »Eechs«; sein richtiger Name war Johann Eich. Er war am 23. April 1866 in Hörschhausen geboren und wirkte zeitlebens im elterlichen Hause mit seinen Geschwistern, Nichten und Neffen zusammen. In den heiligen Stand der Ehe zu treten, dazu hatte er sich wohl nicht entschließen können. So ist er also sein Leben lang »lossleddech« geblieben. Hannes arbeitete immer in der Landwirtschaft. Nebenbei war er viele Jahre hindurch (von 1924 bis in die ersten Jahre des Zweiten Weltkrieges hinein) ehrenamtlicher »Gemeindevorsteher« oder—wie es auch zeitweilig hieß — »Gemeindeschulze« Seines Heimatdorfes. Vor der Jahrhundertwende hat er in der sogenannten Winterschule die Kinder im Rechnen, Schreiben und Lesen unterwiesen. Lange Zeit war er Kirchenrechner in seiner Heimatpfarrei Uess. Seine Schreibgewandtheit, vor allem seine akkurate Handschrift, waren vortrefflich. Ein Einblick in das alte Gemeinderats-Beschlußbuch ist der beste Beweis hierfür. Eechs Ühm-Hannes war an Listigkeit nicht leicht zu übertreffen. Er war ein Schlitzohr wie es im Buche steht. Und so ist es weiter nicht verwunderlich, daß sich um diesen originellen Mann viele Anekdoten ranken; von einigen soll hier die Rede sein.

Lehrreiche Entlohnung

Eechs, verhältnismäßig wohlhabende Bauern, konnten auch eine stattliche Anzahl Apfelbäume ihr eigen nennen. Daß die Dorfjungen »ihren« Teil Äpfel hiervon bekamen, ist verständlich. Bloß hatten sie eine ganz andere Vorstellung von der Art und Weise der Aneignung wie der Ühm-Hannes. Dieser jedenfalls billigte den Burschen nicht zu, sich an den saftigen Winter-rambur kostenlos zu laben. Er machte die Rechnung auf seine Weise.

Im Winter fuhr die Dreschmaschine von Haus zu Haus, um das eingebrachte Getreide zu dreschen. Bei dieser Arbeit bedurfte es einer Vielzahl von Helfern. Selbstverständlich half man sich gegenseitig im Rahmen der Nachbarschaftshilfe. Es kam aber schon mal vor, daß es an Arbeitskräften mangelte. Ühm-Hannes brauchte in einer solchen Lage nicht lange nachzudenken; er fand schnell einen Ausweg. Er dingte einige kräftige Bauernjungen aus dem Dorfe und versprach ihnen gerechte Bezahlung. Diese waren froh darüber, daß sie sich etwas Geld verdienen konnten. Sie scheuten keine Mühe, sich ihres Lohnes würdig zu erweisen. Sie transportierten die Garben auf den Dreschkasten, stemmten die Bäuschen auf den Steier und schleppten die schweren Kornsäcke auf den Speicher.

Am Abend, nach getaner Arbeit, meldeten sie sich, verstaubt, schweißgebadet und ermattet, beim Ühm-Hannes, um ihren Lohn in Empfang zu nehmen. Doch welche Überraschung erwartete sie hier! Ühm-Hannes erklärte ihnen ohne Umschweife in aller Ruhe: »Suh, iha Junge, iha hott joot jeschafft. Doaführ hott iha joah och ömm Herrest die joot Äppel jääß!« — Und damit waren für ihn sämtliche Schulden beglichen.

Mit spitzer Feder

Während der Jahre des Zweiten Weltkrieges haben hier wie anderswo Frauen, deren Männer an der Kriegsfront standen, mit den »Dorfpolitikern« nicht immer die besten Erfahrungen machen müssen. Allenthalben fühlten sie sich (oder wurden?) unrecht behandelt. In einer solchen Lage befand sich auch die Frau Miese. Als man ihr einmal seitens des Ortsvorstehers einen Bezugsschein für dringend notwendige Kinderschuhe verweigerte, entsann sie sich des Sprichwortes »Geh' nicht zum Schmidtchen, sondern zum Schmidt!«

Und der Schmidt war in diesem Falle der Herr Reichskanzler persönlich und der hieß Adolf Hitler. Was tat die geplagte Frau also? Sie schrieb einen geharnischten Brief an den »Herrn Führer und Reichskanzler Adolf Hitler in Berlin«, worin sie nicht vergaß, dem hohen Herrn darzulegen, wie man es in der Eifel mit den alleinstehenden Frauen halte.

Es dauerte nicht lange, da kam der Brief auf den Schreibtisch des Herrn Landrats in Daun. Eilends befahl der Ühm-Hannes (in dessen Eigenschaft als Ortsvorsteher) zu sich und stellte ihn des lästigen Briefes wegen zur Rede. Dabei soll der Landrat — den Erzählungen nach — sehr ungehalten gewesen sein.

Wer nun glaubte, dem schlitzohrigen Bäuerchen seien die Kniee weich geworden, der sollte sich mächtig getäuscht haben. Hannes reagierte äußerst gelassen und tat ganz verwundert: »Suuh, Häa Landroath, hott daat oann däh Häa Hittla jeschriwwe . . .? Woa dämm sain Fädda daah suuh spötz jewähßt?«

Appell zur Arbeitsmoral

In den Zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts wurde in Uess die neue Kirche gebaut. Das Geld, das zu diesem Zweck angesammelt worden war, war durch die Inflation verlorengegangen. Zur Fortsetzung des bedeutenden Werkes war man mehr denn je auf Helfer angewiesen, die für einen Gotteslohn arbeiteten. Der Arbeiter waren es viele; es waren vor allen Dingen junge Burschen aus allen sieben Dörfern der Pfarrei. Damals war Ühm-Hannes Kirchenrechner. Zu seinen Aufgaben gehörte es, die Helfer auf der Baustelle einzuteilen und die Arbeiten zu überwachen. Natürlich mußte man an Ort und Stelle auch ein stilles Örtchen herrichten, das im Bedürfnisfalle von den Jungen aufgesucht werden konnte. Dem Hannes jedoch war dieser besinnliche Ort ein Dorn im Auge; er fürchtete hierdurch Arbeitsausfall. Deshalb ermahnte er die jugendlichen Arbeiter mit strenger Miene: »Dia Junge, nau bläift ümm Jottes Welle keen fünnef Minutte op dämm Lokus! Stallt och eeß führ, wann jeda fünnef Minutte braucht', wat daat führ önn Ußfall jääf!«

 

Johann Eich, genannt »Ühm-Hannes« (rechts) mit seinen Nachbarn, den Eheleuten Katharina und Josef Gerhards. Aufnahme 1937.

»Däh kütt janz secha net mieh . . .!<<

Im Jahre 1 923 wurde er geboren, der Franz Saxler. Und Anfang der 1940er Jahre sollte er für die Deutsche Wehrmacht gemustert werden. Beim Musterungstermin in Daun stellte man jedoch fest, daß er ferngeblieben war. Er konnte ja auch nicht gut den Termin wahrnehmen; denn er war schon im frühen Kindesalter gestorben. Aber er stand auf der Wehrerfassungsliste und hieran hatte der Beamte sich zu halten. Er rief verärgert den zuständigen Ortsbürgermeister — das war Eechs Ohm-Hannes — an und sagte ihm ziemlich unwirsch, daß Franz bisher nicht zur Musterung erschienen sei. Hannes hätte leicht zur Aufklärung des Falles beitragfest: »Wann däh Jung böß öh wäile net kunn öß, daah kütt önn janz secha och net mieh!«

». . . den Herodes angetroffen!«

Eechs hatten früher eine Magd, das Marri aus Dockweiler. Sie war ein prächtiges Bauernmädchen, das sich schon bald der Aufmerksamkeit der Dorfjungen erfreute. Und zudem, so sagte man, »ziehen fremde Schürzen gut«. Ihr, der Marri, wollten daher einige der Jungen »den Hof machen«. Eines Abends nahmen diese — nachdem sie sich etwas Mut angetrunken hatten — eine lange Leiter, stellten sie an das Schlafkammerfenster von Marri und kletterten hinauf. Doch welch' ein Irrtum! Sie hatten das Fenster verfehlt. Anstelle von Marri öffnete Ühm-Hannes. Diesmal sprach er nicht einmal bedächtig, nein, er sagte gar nichts. Stattdes-sen rückte er die Leiter von der Wand ab und warf sie kurzerhand um, Die Freier purzelten, die schwere Leiter an ihren Köpfen vorbeisausend, in den Garten. Anderntags erzählte Hannes im Dorf: »Die Mann wollten zoh dämm Jesus-Kinndje, unn honn awwa dääh Häarodes oannjetroff!«

Ühm-Hannes starb (laut Sterberegister an »Grippe, Lungenentzündung und Altersschwäche«) am 8. Februar 1 947. Er wurde auf dem alten Uesser Friedhof begraben. Mit seinem Tode ist unsere Heimat um ein unvergessenes Original ärmer geworden.