Mischform »am Kanthaken«

Lotte Schabacker

Je entlegener eine bäuerliche Siedlung ist, desto langsamer vollzieht sich der Prozeß ihres Dorfcharakterverlustes, desto länger hält sich eine höchst amüsante Mischform.

Auch in der Hocheifel gibt es schon die modernen Anwesen, die die Stammväter der Bauernhausgenerationen von morgen vorstellen. Andererseits aber sind da auch noch die Höfe mit Namen »Nun-guck-doch-mal-die-armen-Eifelbauern!«. Sie werden von ihren Bewohnern quasi bis zum letzten Faden aufgebraucht, und eines nahen Tages wird hinter dem morschen Haus ein neues emporschießen, ganz groß!

Die größte Gruppe stellen jedoch die eher Vorsichtigen. Sie bauen an und um, sie stocken auf, oder sie verkleiden doch wenigstens alle Außenwände mit weißen Eternitplatten. Und als Ersatz für den wilden Hypothekenmut der Nachbarn haben sie sich mit einer schon dramatischen Verschönerungssucht eingelassen, die epidemisch auftritt.

Natürlich dient hier nicht alles nur dem Glanz. Da sind z. B. die modernen Riesenfenster, rabiat herausgehauen aus ehrwürdigem Gemäuer, weil mehr Licht eben auch nützlich ist. Ihre blitzenden Stahlrahmen bilden einen interessanten Gegensatz zu den rostenden Blechplatten, mit denen man, statt mit Ziegeln wie einst, die Dächer deckt. Praktischer als die fossilen Holzblenden sind auch die Kunststoff-Rollos vor den Fenstern, aber hier kommt doch schon der nackte Schönheitskult zum Tragen. Auch am Tage fast herabgelassen, damit die neue Polstergarnitur nicht ausbleicht, sieht man sie neuerdings in einer hellen, müden Fliederfarbe vor sich hindösen, so lila wie die Gemütsverfassung derer, die ihre Zuwachsrate beobachten.

Ein hervorstechendes Epidemiesymptom sind ferner die Glasbausteine. Eine Mauer hochziehen, ohne einige von ihnen unterzubringen, scheint nicht mehr möglich. Mit Helligkeit haben sie genausowenig zu tun wie jenes gelbe Kunststoffwellblech, mit dem man Eingänge umkleidet und überdacht, mit Wetterschutz. Es putzt eben ganz ungemein, beides!

Schmückende Höhepunkte aber sind die Zement- oder Eternit-Blumenbehälter von der Art, wie sie die Asphaltstraßen der Großstädte zieren! Hier versuchen jedoch nur Kübelneulinge, ihr aufgestocktes Beet mit Exotisch-Apartem zu bestücken; clevere Veteranen, so heißt es, seien des Klimas wegen auf Edelweiß umgestiegen. Der Durchschnitt pflanzt die treuen Geranien an, die ein paar Handbreit tiefer genauso gut gedeihen — und ohne dauernd nach der Gießkanne zu jammern.

Auf jeden Fall rufen diese Humusfestungen bei nachdenklichen Eifelbesuchern permanentes Staunen hervor, denn, so finden sie, hier sei doch ohnehin die Welt voller Erde . . .