Das Ende des alten Dorfes

Ortsbildveränderung am Beispiel der Struthdörfer

Roland Thelen

»In der Bürgermeisterei Sarmersbach zieht sich längs der Grenze des Regierungsbezirks Koblenz die Strut, ein großes, muldenförmiges und sehr unfruchtbares Plateau. . . Die Bewohner der Umgegend davon werden die Struter oder Ströter genannt. . . Heidekraut bedeckt den größten Teil des Bodens der Strut, und nur stellenweise liegen Ackerfelder um die Dörfer herum oder Wildland in der Haide. Nur mit Mühe werden magerer Roggen, Hafer und Kartoffeln gewonnen. Der Holzwuchs ist verkrüppelt; überall kommt neben der flachen steinigen Akkerkrume Grauwacke oder Tonschiefer zu Tage« (Barsch 1854).

Seit Fertigstellung der neuen Straße von Daun nach Kelberg unter Umgehung der anliegenden Dörfer bedarf es nur weniger Auto-Minuten, um die Struth zu durchqueren. Kaum jemandem wird dabei noch die einstige Abgeschiedenheit und Armut dieser Eifelgegend bewußt.

Kradenbach Haus Nr. 2 (abgebrochen) Je länger die Struthdörfer nach dem 2. Weltkrieg ihr Ortsbild wahrten, um so heftiger erscheint der dann erfolgte Umbruch. So weist z. B. das Dorf Kradenbach, außer der Matemuskapelle von 1785 keine nennenswerte historische Bausubstanz mehr auf.

Sarmersbach / Ortsmitte, Haus Nr. 21 / Trierer Haus, erbaut 1853, mit neueren Nebengebäuden. Der mächtige Hausbaum, einst wesentlicher Bestandteil im Ortsbild Eifeler Dörfer, wird mehr und mehr durch »pflegeleichte« Ziergärten mit landschaftsfremden Pflanzen und Sträuchern verdrängt.

Die früher das Landschaftsbild prägenden Heideflächen sind längst intensiver land- und forstwirtschaftlicher Nutzung gewichen und auch der Wohlstand der Nachkriegsjahre hat die Struthdörfer nicht ausgespart. Wer glaubt, daß sich in der Struth, bedingt durch die einstige Abgeschiedenheit, romantische Dörfchen unversehrt bis in unsere Tage hinübergerettet hätten, wird schnell zu der Einsicht kommen, daß sich mit der Landschaft auch das Gesicht der Dörfer gewandelt hat.

Die einst für die Struth charakteristischen Fachwerkbauten, sind fast ausnahmslos verschwunden. Waren doch viele der alten Häuser weniger Zeugen stolzer Vergangenheit als viel mehr jahrhundertelanger bitterer Armut und notwendiger Beschränkung — verständlich, daß die heutige Bauform zeitgemäßen Wohlstand dokumentieren soll.

Waren die Dorfbewohner früher bei Errichtung ihrer Häuser auf wenige verfügbare Baumaterialien angewiesen, die dann letztlich aber jene unverwechselbaren landschaftstypischen Ortsbilder entstehen ließen, so präsentiert sich heute — auch in der Struth — die aufdringlich weitgefächerte Baustoffpalette mit den schier unerschöpflichen aber alles gleichmachenden Gestaltungsmöglichkeiten und die dörfliche Atmosphäre weicht mehr und mehr monotoner Ausdruckslosigkeit.

Doch nicht nur der Zeitgeschmack, sondern auch der strukturelle Wandel des einstigen reinen Bauerndorfes zum Wohndorf, in dem die Landwirtschaft eine zunehmend untergeordnete Stelle einnimmt, hatte entscheidenden Einfluß auf die Umgestaltung. Nur zu oft mußten in den vergangenen Jahren funktionslos oder unzweckmäßig gewordene Gebäude zeitgemäßen Neubauten weichen.

Bei der diesem Landstrich eigenen Beharrlichkeit setzte dieser Umwandlungsprozeß jedoch merklich spät ein. Nun ist diese Entwicklung nicht alleine für die Struth charakteristisch, sondern oft viel früher in fast allen ländlichen Bereichen feststellbar. Bedauerlich ist jedoch, daß sich dieser Umbruch in der Struth noch zu einem Zeitpunkt ungesteuert vollziehen konnte, als man sich durchaus schon des kulturellen Wertes der noch vorhandenen historischen Bausubstanz bewußt war. So zeigt zum Beispiel der Übersichtsplan der Dorfinventarisation von Sarmersbach aus dem Jahre 1966 noch keine schwerwiegenden Eingriffe im über Jahrhunderte kontinuierlich gewachsenen Gefüge des Ortes. Doch bereits fünf Jahre später (1970/71) macht das Luftbild eben dieses Dorfes den Beginn grundlegender Änderungen deutlich.

Sarmersbach /Haus Nr. 28 (Inneres). Fachwerkhaus mit Schiefe/Verkleidung — in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts erbaut. Das Haus war bis 1971 bewohnt. 1972 wurde es abgebaut und in das Rheinische Freilichtmuseum Kommern übertragen. Der Wiederaufbau ist in der abschließenden Aufbauphase der Dorfgruppe Eitel vorgesehen (vermutl. ab 1982). Die verfügbare Wohnfläche dieses Hauses betrug ca. 70 qm. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Größe einer neuen, abgeschlossenen Wohnung war im Jahr 1970: in Rheinland-Pfalz 93,3 qm, im Kreis Daun 108,2 qm! Für den Kreis Daun bedeutete dies 36,1 qm anteilige Wohnfläche je Bewohner einer neuen Wohnung (Durchschnitt Rheinland-Pfalz 28,3 qm).

Die Einwohnerzahl der Struthdörfer hat sich nach dem Krieg nicht wesentlich erhöht — die Zahl der Haushaltungen aber verdoppelt. Zum Beispiel stieg die Zahl der Einwohner Kradenbachs von 1950 bis 1980 von 99 auf 129, die Zahl der Haushaltungen von 20 auf 49. Das aus den genannten Zahlen erkennbare Endstadium des Übergangs von der einstigen Großfamilie zur heutigen Kleinstfamilie verdeutlicht, daß dieser Umstand neben den strukturellen Änderungen auf die Fortentwicklung eines Dorfes und damit auch auf das Ortsbild und Gefüge sichtbaren Einfluß nehmen mußte. So steht Kradenbach stellvertretend für alle Dörfer der Struth: die Einwohnerzahl hat sich kaum erhöht, die Zahl der Haushaltungen aber verdoppelt — der gestiegene Bedarf an Wohnungen, die gestiegene Anforderung an Komfort und Wohnungsgröße, hat die Dörfer aus den Nähten platzen lassen.

Meist war es der leichtere Weg ein neues Wohnhaus, wenn nicht im Dorf, dann am Ortsrand oder im neu aufgewiesenen Baugebiet zu erstellen, anstatt das alte Haus im Dorf durch Umbau zeitgemäß auszustatten und gar zu restaurieren. Bei dem der alteingesessenen Landbevölkerung eigenen Sinn für das Praktische und Zweckmäßige ist es im Einzelfall nicht zu verdenken, wenn man bei aller Verbundenheit zum Althergebrachten der Enge und Bescheidenheit eines alten Fachwerkhauses in den komfortabelen Neubau entfliehen wollte — doch hätte durch rechtzeitige, richtige Hilfestellung die Umgestaltung der Struthdörfer nicht behutsamer vorgenommen werden können um das hier überkommene kulturelle Erbe der Nachwelt zu erhalten ohne dabei Museumsdörfer schaffen zu wollen?

Sarmersbach 1981 (von Süden)

Quellennachweis: Bendermacher, Justinus, Dorfformen im Rheinland; Neuss 1971.

Wehling, Hans-Georg u. a., Das Ende des alten Dorfes? Stuttgart 1980

Thelen, Roland, Fachwerkhäuser in der Struth; Studienarbeiten Trier 1971/72 Zahlen + Daten:

Verbandsgemeindeverwaltung Daun Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz, Bad Erris