Der Springbrunnen und der Bach

Der Springbrunn sah den Bach

in tiefen Ufern schleichen.

»So schnell?« rief er ihm spöttisch nach.

»Wohin inkognito?«

 

Bescheiden sprach der Bach:

»Ich such die Mühle zu erreichen.

Denn sonst gerät das Dorf in Not.

Die Bauern haben schon

acht Tage lang kein Brot.«

 

Der Springbrunn rief mit stolzen Mienen:

»Du hast ein Herz, den Pöbel zu bedienen.

Recht patriotisch ist dein Lauf.

Du nützest deinem Vaterlande.

Allein wer gibt wohl acht darauf?

 

Betrachte mich in meinem Stande;

Mich, reist der Fremde, zu besehn;

Stets sieht man mich göttlich schön.

Ich bin die Lust der Stadt,

des Fremden Augenweide.«

 

»Freund«, sprach der Bach,

entfernt vom Neide:

»Nie wählt ich deinen Stand,

so blendend er auch ist.

So sehr er jetzt das Äug'

der Menge auf sich zieht.

So weiß man,

wenn man dich verwegen steigen sieht,

doch längst vorher,

wie tief du erst gefallen bist!«

 

(Joh. Heinrich Merck 1741 ,1791)

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