Unser Dorf-Friedhof

Ein sorgsam zu behütendes Kulturgut

Hans Mühlhaus

»Alles, was auf dem Friedhof geschieht, bewegt sich auf der Grenze zwischen Zeit und Ewigkeit.»

Geheimrat von Kameke Vors. d. Arbeitsgem. Friedhof u. Denkmal

Schon seit Jahrzehnten sind Stimmen, die den Rückgang unserer Friedhofskultur beklagen, nicht zu überhören. Von dem ältesten Friedhof, Kirchhof genannt, weiß man noch, daß er im Schatten der Pfarrkirche lag und von ihr sein Gepräge erhielt. Die Gräber erhoben sich leicht aus der blumigen Rasenfläche. Auf ihnen standen handgeformte Grabzeichen, die meisten aus Holz, etliche aus Eisen und einige aus heimischem Gestein. Die Bildner waren ansässige Handwerker. Sie gaben ihr Bestes, werkten nach alten Regeln der Zunft, paßten sich den Wünschen der Auftraggeber an und verliehen den religiösen Vorstellungen mit innerer Anteilnahme bildhaften Ausdruck. Relikte davon, eingemauert in der Friedhofsmauer und aufgestellt in der Totenkapelle, sind uns, Gott sei Dank, erhalten geblieben. Wir bewundern ihre Ausdruckskraft und die Kunstfertigkeit der alten Meister. Natürlich fehlten auf dem Kirchhof, den eine Mauer mit dem Gotteshaus verband, nicht hohe Laubbäume und niedrige Büsche, auch nicht immergrünes Geranke von Efeu- und Holunderzweigen, was dem Schmuckbild des Dorfes die Krönung verlieh.

Der Verfall der Grabmale, die ihre letzte große Zeit um 1800 erlebten, gehört zu dem kulturellen Umbruch des 19. und 20. Jahrhunderts. Steinkreuze verdrängten die Holz- und Eisenkreuze. Das phantasiereiche Schaffen der Grabsteinmacher erlahmte. Die Industrie lieferte Grabsteine in jeder gewünschten Größe, maschinell bearbeitet, modisch geformt, hochglanzpoliert, mit hervorstechenden Namen, goldbeschriftet und aufgeklebten Metallzeichen. In den langen Grabreihen erstarrten die Steinmale mit ihren steinernen Einfassungen zu »Steinwüsten«. Das lebendige Bodengrün fehlte, und kein Strauch milderte die steinerne Monotonie.

Nun, es soll und darf nicht verschwiegen werden, daß Dank der unermüdlichen, eindringlichen Bemühungen der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal der Verfall aufgehalten werden konnte. Jetzt kommt es darauf an, in christlicher Grundhaltung zu erkennen, was allen, die guten Willens sind, anvertraut ist: ein sorgsam zu hütendes Kulturgut.

Frage: was bleibt zu tun?

Der erste Schritt auf dem Wege zur Friedhofserneuerung ist eine sinnvolle Bepflanzung; denn nur eine gute Grüngestaltung verleiht menschenwürdiges Aussehen. Friedhof heißt eingefriedeter Hof. Eine Mauer behütet und riegelt ab, wird sie jedoch von heimischen Laubgehölzen begleitet, so bindet sie den Friedhof ein, als ein besonders liebenswert-umhegtes Stück der Gemeinde in die heimatliche Naturlandschaft.

Die schönste Voraussetzung für ein harmonisches Friedhofsbild ist der immergrüne, unzerteilte Rasenboden, der sich in freundwilliger Obhut ausbreitet bis zu den Wegen und Grabfeldern. Zu dem Rasenteppich gehören Bäume und Sträucher, etwa Birken, Vogelbeeren, Wacholder und Säuleneiben. Einzeln und in Gruppen gepflanzt, da, um eine Bank zu beschatten, dort, um einen Schöpfbrunnen zu beschirmen, der in werkgerechter Gestaltung auf keinem Friedhof fehlen darf. Ohne Busch und Baum ist der Friedhof kahl und liebeleer; mit Bäumen und Büschen wird er verzaubert zum lichten Hain, zu einer Oase der Schönheit das Jahr hindurch, vom Maiengrün im Frühjahr bis zum Rauhreif des Winters. Bei Baum- oder Waldfriedhöfen muß man sich abgewöhnen, Herbstblätter zu zählen. Sie sind stille Mahner, Sinnbilder der Vergänglichkeit.

Friedhöfe in Hanglagen können durch querlaufende Steilhang-Streifen — wo nicht vorhanden, selbst anlegen — Terrassen schaffen, die, den Höhenlinien folgend, Platz ebnen für Gräber-Anlagen. Werden die Hangstreifen mit niedrigen Blüten-Büschen bepflanzt, etwa Feuerdorn, Wildrose (Rosa rugosa) u. a. m., so entstehen Zierbänder, die wesentlich zur Verschönerung der Gesamtanlage beitragen.

Die einzelnen Gräber werden von den Hinterbliebenen bepflanzt und in Ordnung gehalten. Schön und ruhig wirkt ein Grab, wenn es von einem Bodendecker (Cotoneaster, Efeu, Kriechwacholder) überwachsen ist. Innerhalb der so entstandenen einheitlichen Grünfläche wird ein Bodenstück offen gehalten für jahreszeitlich wechselnde Blütenpflanzen. Ihr reicher Blütenflor belebt das Grabbeet. Breite Steineinfassungen wirken dabei störend, sie sollten durch pflanzliche ersetzt werden. Aber auch Natursteinplatten als Trittweg an den Seiten des Grabes können die Funktion der Grabeinfassung mit übernehmen. Schließlich gehören an und um das Grabmal einige Sträucher, die den Stein angemessen umwachsen. Eduard Mörike gibt dazu einen poetischen Rat:

Ein Tännlein grünet wo,

wer weiß im Walde,

ein Rosenstrauch, wer sagt,

in welchem Garten?

Sie sind erlesen schon,

denk es, o Seele,

auf deinem Grab

zu wurzeln und zu wachsen.

Ziersträucher vermögen das Grabmal würdig zu schmücken. Die Auswahl ist individuell verschieden, und gerade das kommt dem Bilde des Gesamtfriedhofs zugute.

Frage: Was bleibt zu tun?

Der zweite Schritt auf dem Wege zur Gesundung des Friedhofs führt zum Grabmal, das ein sprechendes Zeichen des Toten, ein Trost für Hinterbliebene und ein Memento mori für Friedhofsbesucher sein soll.

Grabkreuz an der Kapelle in Schönbach

Für die Gestaltung des Grabzeichens gibt es kein allgemein gültiges Rezept. Die Friedhofsordnung verlangt wetterbeständige Werkstoffe, einwandfreie Bearbeitung, maßgerechte Größen, würdige Texte und erlaubt stehende und liegende Grabmale. Am stärksten wirkt das aufgerichtete Mal, sei es Kreuz oder Stele, wenn es aus einem Stück besteht und sockellos aus der Erde emporwächst, bodenständig wie Blume und Baum. Leider haben viele freistehende Grabsteine kahle Rückenflächen. Das erinnert an Schaustellung und paßt nicht zum Friedhof. Eine allseitige, ausdrucksvolle Steinbehandlung, so sollte man meinen, wären wir der Weihestätte des Friedhofs schuldig.

Inschriften beseelen die Steinflächen. Der Name des Toten darf nicht fehlen, aber er tritt in ehrenwerter Bescheidenheit zurück hinter den Textworten aus heiligem Schriftgut. Der Bildhauer formt die Buchstaben vertieft oder erhaben und verteilt den Text harmonisch auf die vorhandene Fläche. Die Lesbarkeit von weitem wird nicht gewertet. Sie ist sogar unmöglich bei der erhaben-gesprengten Schrift, die als Kostbarkeit gilt. Zu diesen Schriftsätzen muß man schon näher treten, um sie verweilend zu entziffern. Das wiederum ist auf jedem Friedhof erwünscht und gut.

Symbole auf Grabsteinen, Bilder und Zeichen für Worte, künden von der Einstellung des Verstorbenen zu Gott und der Welt, zum Glaubensund Berufsleben. (Kreuz, Auferstehung — Ähren, Zange und Hammer). Jede deutbare Symbolik ist kostbares Erbgut.

Ornamentik ist schmückendes Beiwerk und gehört zur Ehrung des Toten. Auf dem Grabstein einer Mutter rankte um den Kreuzesschaft eingemeißelt ein Rosenzweig mit vielen Rosen. Das war eine aussagekräftige Ornamentik! Dank in Stein geformt.

Der Stein des Anstoßes ist immer noch der schwarze Grabstein mit der hochglanzpolierten Vorderseite. Er hat zwar viel Friedhofsboden gewonnen, aber er bleibt draußen in der freien Natur ein Fremdling, bekommt keine Patina und wird nie zur Ehre der Friedhofsmauer gelangen. Trotz allem, was beanstandet werden könnte, muß man anerkennen, daß sich im Laufe der Jahre vieles zum Besseren gewandelt hat, Perlenkränze sieht man nicht mehr und Goldschriften unter Glasplatten sind selten geworden. Das lebendige Grün hat lobenswerterweise zugenommen, leider fehlt es oft an den Abraumplätzen, um Hinfälliges und Verdorrtes gnädig zu verhüllen. Man hat erkannt, daß alles, was Unruhe stiftet, am Ort des Friedens keinen Platz finden darf. Dazu gehören der grellweiße Marmorkies, die betont trennenden Steineinfassungen und alle Monster, die mehr Prestige als christliche Hoffnung bekunden.

So bleibt uns doch noch einiges zu tun, bis die letzte Ruhestätte unserer Toten zum Gottesakker wird, einem würdigen Forum vor den Vorhängen der Ewigkeit.

Grabkreuz an der Innenwand des Friedhofes in Darscheid

Literaturangaben:

1. Veröffentlichungen der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal, Bonn: Jahrestagung in München, Hauptthema: Gestaltungsfragen, Rechtsfragen

2. Der Dorf-Friedhof, Wege zu seiner Gestaltung, Schriftreihe aus dem Bärenreiter-Verlag, Kassel

3. Handwerkliche Grabmale, Herausgeber: Landesinnungsverband Rheinland-Pfalz des Bildhauer- und Steinmetzhandwerks, Mainz

4. Gärtnerische Grabgestaltung — 364 — Herausgaber AID Bonn-Bad Godesberg

5. Friedhofsplanung und -gestaltung — 426 — Herausgeber AID Bonn-Bad Godesberg