Franziska Bram

Vor fünfzig Jahren starb die Schriftstellerin

Herbert Wagner

»Wenn ich an die Tage meiner Kindheit in der Eifel zurückdenke, wo mein großelterliches Haus stand«, schrieb — mit einer gewissen Wehmut zurückblickend — die fünfundsechzig-jährige Franziska Bram und dachte dabei an Hillesheim, das von ihr so geliebte Eifelstädtchen. Dort wirkte ihr Vater, Franz Gottfried Bram1 aus Trier, von Januar 1852 bis Oktober 1861 als Friedensrichter; dort hatte er ihre Mutter, die Apothekerstochter Josephina Anna Veling, kennengelernt und am 20. August 1858 geheiratet; und dort, in eben dem großelterlichen Haus, kam sie, Franziska Barbara Josephina, am 26. Oktober 18602 zur Welt. Von einer Tante erzogen verbrachte sie den größten Teil ihrer Kindheit mit ihrer älteren Schwester Luise3 im Haus der Großeltern in der Augustinerstraße (heute Bäckerei Frings) in Hillesheim, »dem kleinen Städtlein, das damals wie ein baumumwalltes Eiland in einziger Pracht vor den entzückten Augen« lag — ein »Jugendparadies, das es nur einmal gibt«. Ihr ganzes Leben lang hing sie mehr an Hillesheim und der Eitel als an Koblenz, »der engumgürteten Festungsstadt«, wo die Eltern nach einer Zwischenstation in Mayen seit 1867 wohnten.

1 Franz Gottfried Bram (1825 -1903) war 1888 einer der Mitbegründer des Eifelvereins und ein verdienstvoller Förderer Eifeler Interessen und der Heimatliteratur. Von ihrem ersten Erscheinen 1900 bis zu seinem Tod war er ein geschätzter Mitarbeiter der Eifelvereinszeitschrift.

2 Die Lebensdaten von Franziska Bram — und auch ihrer Schwester Luise — sind in namhaften Werken, u.a. im Deutschen Literatur-Lexikon, Bern 1949 - 56 und3 Bern-München 1968, leider falsch angegeben. Hier sind sie nach den Standesamtsregistern in Hillesheim und Münstermaifeld (Lehmen) berichtigt.

3 Luise Bram, verehel. Schulze-Brück (1859 - 1918) war ebenfalls schriftstellerisch tätig. Werke: Steuermann Worringer, Roman, 1906; Maria Hendrina von Goch, Novellen, 1907; Das Moselhaus, Roman, 1910; Die Himmelsschule, Novellen, 1912; Rheinische Leut, Novellen, 1922 hrsg. von Franziska Bram.

Von der Eitel, »groß und herb, nicht nur von der Landschaft und Natur, sondern auch von den Menschen, von denen die Tante aus alter und neuer Zeit immer und immer wieder mit viel Phantasie und großer Erzählungskunst zu berichten wußte«, hatte Franziska Bram tiefe und bleibende Eindrücke empfangen. Sie waren für ihr literarisches Schaffen von großer Bedeutung, auch, als sie in der Weltstadt Berlin bei ihrer dort verheirateten Schwester Luise, später wieder in Koblenz und zuletzt in Lehmen an der Mosel lebte und arbeitete. Viele ihrer Werke handeln von den Menschen und dem Leben in der Eitel, von ihr scharf beobachtet und plastisch geschildert: »Auf diesem Boden wachsen sonderbare Menschen, bei arm und reich, zäh und tüchtig, verschlagen und heimlich, Bauern und Diplomaten, die wissen, wie man Flöhe husten hört und Mücken zur Ader läßt. Sie kommen zueinander und kennen sich nicht, sie leben nebeneinander und lieben sich nicht, sie sterben voneinander und betrüben sich nicht«. »So können sie leben, so leben sie wirklich. Was sie schildert, steht greifbar fest und von den Geistern der Landschaft behütet«. Sie läßt das Gute gut und das Böse böse sein, zeichnet mit offenem Blick und viel Liebe zu Menschen, Familie und Tradition das Leben nach und »durchleuchtet die Menschen nicht tiefer als es der Verständige aus einer einfach gebliebenen Welt zu begreifen vermag«, sie verstreut Lebensweisheiten zwischen den Zeilen und rundet alles mit Humor ab. Dadurch wurde sie zu ihrer Zeit eine gern und viel gelesene Schriftstellerin, die sich neben »literarischen Größen« wie Clara Viebig — der sie in ihrer naturalistischen Art ähnelt — und Nanny Lambrecht gut und gerne behauptete, wie ihre oft schon nach wenigen Jahren in neuen Auflagen (bis 6 000) erschienenen Bücher beweisen.

Ihre Bücher, in denen sie »literarischen Tagesmoden« nicht nachgeht, reichen aber über ihre Stellung in der Zeit hinaus; denn »die Welt, aus der sie schöpften und die sie schilderten, ist großenteils untergegangen. Unter dieser Sicht erscheinen ihre Werke als Zeugnisse der Vergangenheit, als Dokumentationen«. Als Beispiel soll die Schilderung des Lebens und Treibens auf einem Sommermarkt stehen, wie es sich um die Jahrhundertwende im Marktort Hillesheim abgespielt hat:

»Zeitig am Morgen kamen die ersten Landleute herein, oft nach stundenweiten Wegen. Der Mann im blauen Kittel, die Frau mit hochgeschürzten Röcken, den Henkelkorb mit dem nötigen Mundvorrat in dem einen Arm, in der ändern Hand den Stock, womit die Blaß oder das widerspenstige Rind angetrieben wurde. Und wie aus der Erde gewachsen, umschwirrten auch schon die Handelsleute die Ankömmlinge, lange bevor sie an ihrem Ziel, dem lindenbewachsenen Marktplatz vor dem Ort angelangt waren. Meistens aber ohne Erfolg, denn natürlich begann die Sache mit einem sehr kleinen Preisangebot, aber um so größerer Zungenfertigkeit. Es war ein Vergnügen, diesem Wettkampf zuzuhören, zu sehen, mit welch gelassener Zähigkeit der Eifeler Bauer all den Gründen gegenüberstand.

Im Mittelpunkt des Ortes, zwischen den stattlichen Häusern der Wohlhabenden, tat sich der Krammarkt auf. Die schnell aufgeschlagenen Buden für allerhand ländliches Gerät, für irdenes Geschirr und Haushaltungsgegenstände und die Spiel- und Zuckerwarenbuden, die für die Kinder besondere Anziehungskraft hatten. Auf den Straßen wogte es von Wagenverkehr. Neben den hochbepackten Wagen der Händler, Bauern und Schausteller belebten die Wagen der Kaufleute, Geldleute und Honoratioren das malerische Bild. Man sah den Landauer, die schwere Break, den Bankwagen und den leichten, zweirädrigen Tilbury, manchmal mit angeleinten Pferden, die zum Verkauf gebracht wurden. Rotwelsch, Jiddisch, Brocken aus der Zigeunersprache mischten sich auf dem Markt mit den Südeifeler, Nordeifeler und rheinischen Mundarten.

In den zahlreichen Gasthäusern war es um die Mittagszeit beinahe so voll wie auf dem Markt droben. Die Männer mußten sich alle wenigstens einmal dort gezeigt haben, wo man Erholung vor Hitze, Staub, und Viehbremsen fand, wo es für die kleine Kasse das Dreipfennigsschnäpschen und die Fünfpfennigzigarre, für die große Mosel-, Ahr- und Rheinwein gab, wo man protzig auftrumpfen und sein Selbstgefühl stärken konnte, indem man die ändern überschrie und mit geballten Fäusten auf den Tisch schlug, daß die Gläser wackelten. In den besseren Zimmern wurden lange Tafeln gedeckt für die Mittagsgäste, die Honoratioren von weither. Und abends gings bei Musik und Tanz hoch her, mit verstimmten Instrumenten, mit Hörn und Klarinette«, gespielt von den sieben »Schlömisch-Männ« in der »Krone«.

So war es einmal, so wird es nicht mehr wiederkehren, »diese Zeiten sind längst vorbei«, schrieb Franziska Bram; denn: »Eines Tages, gar nicht lange nachher, begann die Umwälzung in unserm Jugendparadies. Als ich damals noch einmal hinkam, kannte ich es kaum wieder:' Nur noch das Wasser fließet, wie es floß'«, — aber das ist mittlerweile auch milchigtrüb geworden.

Franziska Bram, die auch unter dem Pseudonym L. van Endeers (o) geschrieben hat, war ein »kleines, zierliches Frauchen«, wie ein Hillesheimer sich zu erinnern weiß, physisch nicht robust und für Erkältungskrankheiten anfällig; deshalb bedurfte sie nach dem Weltkrieg eines längeren Erholungsaufenthalts in der Südschweiz. Zu der folgenden langen Krankheit, die sie an größeren Arbeiten hinderte, kam durch die Inflation auch materielle Not; aber nie war sie wehleidig oder verbittert, sie trug »das Leiden wie eine Krone«, und »das Wohl anderer machte ihr stets mehr Sorge als das eigene«. Auch darin zeigte sich ihre christliche Lebensauffassung und Lebensbejahung. Am 13. Juni 1932 starb sie in Lehmen, wo sie zuletzt mit ihrer jüngeren Schwester Maria in der Pension Weckbecker auf der Lehmener Burg gewohnt hatte, und wurde auf dem Bergfriedhof beigesetzt. Jakob Kneip schrieb ihr den Nachruf.

Ihre Werke (in Klammern Neu- bzw. Letztauflage): Die Compagnie, Roman, 1906; (o) Bürgermeister Jörensens Töchter, Roman, 1907; (o) Vohwinkels Drei, Roman, 1909 (1923); Am Ende der Welt, Roman, 1910(1921); Die Zelle der Gerechtigkeit, 3 Novellen, 1912 (1922); Der Zorn Gottes, Roman, 1913 (1921); Der Ruf des Lebens, Roman, 1917 (1922); Der Meister, Roman, 1918 (1921); Auf der Straße der Suchenden, 3 Novellen, 1920; außerdem Erzählungen, Aufsätze und Skizzen in Zeitungen (Kölnische Volkszeitung), Zeitschriften (Eifelvereinsblatt) und Heimatkalendern, z. B. Der fressende Pfennig, Skizzen von der Mosel, Der Eulenspiegel von Rauhenstein (auszugsweise in »Die Eifel« 3/1971), Der Hummen.