Mahnmal der Betroffenheit

Udo Köhler

Ein merkwürdiges Mahnmal besitzt Gerolstein. Es steht vor dem evangelischen Gemeindehaus in der Sarresdorfer Straße und gibt beredtes Zeugnis, von der Betroffenheit über menschliche Mitschuld, die aus Zwängen entsteht, welche eigentliches freies Handeln des Herzens nicht zulassen.

Der frühere Superintendent Wiebel in Gerolstein schreibt darüber: »Da gab es noch einen Besucher der Erlöserkirche, von dem wenige wußten. Nebenan wohnte die jüdische Familie Lewi Mansbach, zu der der kleine Siegfried gehörte. Schwester Edme'e (Athenais Adrianyi) gab der verstoßenen Familie ihre Lebensmittelkarten her, und als der Junge von der Schule ausgeschlossen war, nahm sie sich seiner an, ließ ihn auf dem Kirchplatz spielen, die Glocken (mit dem Handseil) läuten und die Kirche besorgen.«

So empfingen wir Dienste von dem Volke her, das uns Jesus, den Christus, geschenkt hat. Als dann die gesamte Familie in den Tod geführt wurde, an der Erlöserkirche vorbei, blieb eine Lücke, die uns sehr bedrückte. Wir ließen die Nachbarn ziehen und wurden schuldig. Vorher hatte uns Herr Mansbach seinen Wein geschenkt. Dieser reichte für die Abendmahlsfeiern unserer Gemeinde bis in die Zeit nach der Befreiung hinein.

Wir alle hungerten dann nach Vergebung, die uns nur Christus schenken konnte in Wort und Sakrament, weil die Menschen nicht mehr lebten, von denen wir sie gern erbeten hätten . . .

Damals, als wir noch in Armut und Zerstörung lebten, empfingen die Gemeinden die reichsten Geschenke, indem Menschen mit uns ihre Schuld bekannten und sich durch Gottes und der Gemeinden Vergebung neu in den Dienst stellen ließen. Das ist festgehalten durch die Errichtung des Gedenksteines neben der Erlöserkirche, der die Inschrift trägt: »1933 - 1945. Wohl dem, dem die Übertretungen vergeben sind«.

» .. . Bei meinem Abschied am Karfreitag des Jahres 1951 habe ich der Gemeinde diesen Stein als persönliches Vermächtnis hinterlassen. Dazu war die jüdische Kultusgemeinde aus Trier erschienen, ebenfalls der Freiherr von Mirbach, der seinerzeit als Kurator des Krongutes Villa Sarabodis bei meiner Berufung an die Erlöserkirche mitgewirkt hatte und hier auch das Haus Hohenzollern vertrat. . .«

Das Kreuz steht zwischen zwei Grabplatten. In einem Bombentrichter durften die bei einem Luftangriff auf Gerolstein am 2. 1. 1945 umgekommene, aus Ungarn stammende Schwester Edme'e und die am 1. 6.1945 mit 37 Jahren verstorbene Ehefrau des Pfarrers, Martha Wiebel, geb. Schmidt, an dieser Stelle beigesetzt werden. Gerolstein tat gut daran, diese Gräber dort zu belassen, als man die Kriegsgefallenen auf dem Ehrenfriedhof sammelte.

Das macht uns betroffen, daß nicht nur »errare humanum est« (Irren ist menschlich), sondern wir Siegfried Lenz nachsprechen müssen: »Alles Vergangene dauert, weil es nicht heilbar ist«.