Stippvisite zu Quellen

völkerverbindender Freundschaft

Walter Krings

Ein Reich am Mittelrhein

Die ostgermanischen Burgunder gründeten 413 ein Reich am Mittelrhein mit der Hauptstadt Worms, die sich bereits 437 nach dessen Zerstörung durch die Hunnen im Rhönegebiet ansiedelten.

Das Nibelungenlied erinnert noch heute vom Untergang der Burgunden am Hof des Hunnenkönigs Etzel. Nach der Karolingerzeit wurde das Reich in Nieder- Hochburgund gespalten, 930 jedoch wieder vereinigt. Das heutige Burgund war dann ein französisches Herzogtum für eine königliche Nebenlinie. Johann der Gute verlieh es 1363 seinem jüngsten Sohn Philipp d. Kühnen. Mit Flandern, Namur, Limburg, Holland und Luxemburg verschmolzen wurde Burgund zu einer unabhängigen europäischen Großmacht, die unter Karl d. Kühnen ihre wirtschaftliche und kulturelle Blüte erreichte.

Rast an der Trierer Uni

Unsere Reise sollte nicht dazu dienen die kulturellen Schätze Burgunds alle aufzusuchen. Wir wollten von den guten Weinen kosten und die berühmte Küche schätzen lernen. Der Bus, der gläserne, klimasierte und weichgefederte fahrbare Untersatz war mit den wenigen Teilnehmern und dem Lenker nur mäßig besetzt, ein bequemes Gefährt also. Rasch erreichen wir Trier.

Die Moselhauptstadt lädt ein zu einem Abstecher. Auf der Tarforster Höhe richtet sich monumental die neue Universität vor uns auf. Der massive Gebäudekomplex, in sich aber gegliedert und in den Proportionen durchdachte Baukörper, wirkt wie eine zeitnahe Maschine. Das kräftige Blau der Fassaden unterstreicht diesen Eindruck. Vielleicht ist der Gedanke an eine Maschine nicht falsch, wenn man sich vergegenwärtigt, daß diese automatisierten Bildungsstätten täglich eine Überzahl an Akademikern produzieren. Das Urteil über die äußere Gestaltung des modernen Bauwerkes reicht von Zustimmung bis hin zur Ablehnung.

 

»Cattenom nein!«

Wir verlassen Trier in Richtung Luxemburg, vorbei an dem ehrwürdigen Amphitheater und den berühmten Kaiserthermen. Von Wasserbillig bis zum französischen Grenzübergang dient die Mosel als Grenzfluß. In Richtung Thionville fällt eine Protestschrift Cattenom nein ins Auge. Trotz Unverständnis für die Farbenschmiererei an einer Hausfassade werden doch gerade heute bei dem Gedanken an die Errichtung von Kernkraftwerken Emotionen geweckt. Existenzbedrohung mit oder ohne Kernkraft, Ablehnung und Zustimmung liegen bei diesem Thema sehr nahe zusammen.

Wir fahren über Thionville, dem früheren Diedenhofen nach Metz, der alten Bischofs- und viel umkämpften Festungsstadt. Ihr bedeutendstes Bauwerk ist die Kathedrale Saint Etienne aus dem 13. Jahrhundert, die zu den schönsten gotischen Kirchen Frankreichs zählt. Die Schwerindustrie von Lothringen läßt sich nicht verschweigen. In der Peripherie jeder durchfahrenden Stadt stehen unförmige Fabrikgebäude deplaziert in der flachen Landschaft.

Wir erreichen Nancy, dessen weithin bekannter Place Stanislaus den ganzen Zauber französischen Rokokos spiegelt. Wir verlassen die Autobahn und begeben uns auf die allseitig bekannten französischen Landstraßen. Die mannigfachen Buckel und Senken, dieses Auf und Nieder der Wegstrecke können uns nicht stören. In Autre-Ville, einem kleinen Dorf an der Straße, halten wir an, um zu rasten. In einer kleinen Gaststube, eingerichtet mit schönem, antikem Mobiler, stellen wir bei Kaffe und Wein fest, daß wir noch nicht die Hälfte unseres Weges zurückgelegt haben.

Erste Eindrücke von Dijon

Weiter geht die Reise über Neufchäteau nach Langres, wo die Weite der Champagne sich nach Nordwesten ausbreitet. Hier endet die gewerbefleißige, eher eintönige Ebene von Elsaß und Lothringen, um an den Ufern der majestätischen Saöne der Anmut Burgundischer Hügellandschaft zu weichen.

Nach weiterer Busfahrt durch welliges Agrarland ist Dijon und damit Burgund erreicht. Was alles berührt dieser Name: Baukunst, Politik, Krieg. Doch die Vorstellung klebt nicht nur an Historie. So ist freilich zu schwärmen von den herrlichen Burgunder-Weinen, aristokratischen weißen, zarten und rubinroten. Zu preisen sind die Gerichte der berühmten Burgunder-Küche.

Es tut dem Begreifen dieser Stadt keineswegs Abbruch, durchfährt man sie bei Nacht. Dijon lebt, daß heißt es wächst, setzt sich mit Problemen des Expandierens auseinander. Die ZUP Fontaine-Douche ist eine nagelneue Stadt für 35 000 Menschen. Man muß erklären: ZUP bedeutet Zone d'urbanisme a` prioritaire und heißt zu deutsch: vorrangig zu erschließende Zone, ein Begriff des französischen Städtebaugesetzes. Frankreich löst Großaufgaben rigoros. Man spürt die anordnende Zentralgewalt. Wer diese neue Stadt am Tage durchwandert hat, kann die Frage beantworten, ob man hier in dieser starren Distanziertheit, in gestapelten Wohnungen freier, unbeschwerter und effizienter wohnt als anderswo.

Route ins »Gelobte Land«

Wer von Dijon südwärts fährt, kommt ins gelobte Land. Wenn auch die Weintrauben hier nicht jene Größe erlangen wie im Lande Kanaan, die Stöcke sind sehr niederwüchsig hier, so zieht doch jeden in ihren Bann die weltberühmte Cöte d'Or, das goldene Hügelland Burgunds. Man kann in der Dunkelheit nur ahnen, wo hier die zelebren Gewächse wie Clos-Vougeot, Nuit St.-Georges, Chambertin, Vosne-Romanee oder Meursault wachsen. Die Dorfnamen deuten es an.

Ein neugieriger Blick über die meilenlange, im Carree geführte Ummauerung (clos) des Chäte-au de Vougeot bleibt uns heute verwehrt. Denn hier ist die Gralsburg der Chevaliers de la Tastevin, der Ritter vom Probiernapf. Und was sie aus ihren silbernen Schälchen, purpurgewandet in beinahe suspektem Ritus jährlich nippen, ist der Grand vin, das Meisterwerk der Weinkultur. Die Raffinesse geht sehr ins Detail hier: die »Tasses-de Vin« sind fein geriffelt. So kann zusätzlicher Sauerstoff zur Zunge des kostenden Ritters dringen.

Wir erreichen Ma^con, unser Reiseziel zu später Stunde. Unser Hotel liegt direkt an der Sao^ne.

Am Ufer der Saone

Der Morgen in Mäcon ist sehr freundlich, die Sonne scheint, uns erwartet ein schöner Tag. Mäcon breitet sich über das rechte Ufer der Saöne, die sich weiter südlich', in Lyon, mit der Rhone vereinigt. In Mäcon beginnt der Süden. Die spitzen, von dunkeln Ziegeln oder Schiefer bedecktem Giebel Mittel- und Nordfrankreichs weichen hier flachen Dächern und den kleidsamen »tuiles romaines«, die schon die Nähe des Rhönetals ahnen lassen. Uralt und absonderlich behütet, überragen zwei ungleiche Glokkentürme das Dächermeer: sie künden von der einstigen Größe der Kathedrale St. Vincent, der während der Revolution fast gänzlich zerstörten Bischofskirche. An einem Kreuzweg des Kontinents gelegen, war die Stadt früh von kriegerischen Einfällen heimgesucht worden. Mäcon bildete schon einen wichtigen Handelsplatz der Äduer, ehe Cäsar hier das stark befestigte Castrum Matisconense errichtete. Während der Völkerwanderung wurde es wiederholt ein Opfer der Barbaren.

Seit dem Jahre 536 Episkopat, wurde Mäcon im feudalen Mittelalter Hauptort des Pagus Matisconensis. Die spätere Grafschaft teilte sich mit der Abtei von Cluny in das fruchtbare Hügelland. Unter Ludwig dem Heiligen der Krone un-tertan, überließ Karl VII. das Mäconnais Herzog Philipp dem Guten von Burgund; Ludwig XI. gliederte das Gebiet endgültig dem Königreich an.

Das Mäconnais ist eine berühmte Weingegend, die lebensfrohe Stadt an der Säone ein bedeutender Umschlagsplatz und Umschlagshafen für diese kunstvoll gekelterte Form Burgunderblutes. Es scheint auch in den Adern ihrer Bürger zu fließen, die dem Dasein seine besten Seiten abzugewinnen verstehen.

Das Ereignis des Tages ist die angekündigte Weinprobe im Weinhaus Piat Pere & Fils. Das Haus Piat ist eine bekannte Weinhandlung mitten in der Stadt. In einem großen gepflegten Innenhof werden wir freundlich empfangen. Wer hier einen Weinbaubetrieb vergleichbar mit den Verhältnissen an der Mosel oder etwa im Elsaß erwartet hatte, sieht sich getäuscht. Der Wein lagert in endlos langen mehrstöckigen Betonfässern.

Seit seiner Gründung 1849 arbeitet das Haus Piat mit den Winzern zusammen. Heute werde hier jährlich 3 % der Beaujolais-Ernte vermarktet. Die anschließende Weinprobe ist herzlich aber einfach und kurz.

 

Nachmittags besuchen wir Mäcon. Wenn die Stadt auch keine nennenswerten mittelalterlichen Bauten mehr besitzt, so empfängt die Altstadt den Besucher andererseits auch nicht mit dem Ernst und der Enge des mittleren und nördlichen Burgund. Der baumbestandene Quai am Gestade des mächtigen Stroms mit großbürgerlichen Häusern im Hintergrund zeugt von der Weite und Repräsentationsfreude des Südens. Wer über den schönen Pont St. Laurent vom bressanischen Ufer her in Mäcon einfährt, steht überrascht angesichts dieses stolzen und befreienden Anblicks. Obzwar im 19. Jahrh. erbaut besitzt der Flußübergang noch seine gotischen Brückenpfeiler.

Bei Lukullus zu Gast

Am Abend speisen wir im Restaurant 'La Hu-chette' etwas außerhalb der Stadt. Das kleine Fachwerkhaus, inmitten eines Parkes gelegen hält was die Reiseführer versprechen. Zu preisen ist das Boeuf bourginon, »Krönung aller Rindfleischsuppen, eingeleitet durch eine Schale Quenelle de Brochet, was mit Klößchen in Hechttunke zu übertragen wäre, und dann das Foulet de Bresse, jenes berühmte Huhn aus dem benachbarten Gebiet Bresse, nicht zu vergessen die Burgunder-Sauce. Dazu trinken wir einen'Fleurie', sicherlich eines der edelsten Gewachse des Beaujolais-Gebietes. Für die Mühen und Strapazen der Reise sind wir reichlich entlohnt worden.

»Notre-Dame-du Haute«

Wir verlassen Mäcon in Richtung Norden. Eigentlich wollten wir noch die erhabenen Reste von Cluny sehen, aber der lange Rückreiseweg läßt es nicht zu. Wir fahren über Tournus Richtung Besancon. St. Philibert, die berühmte romanische Kirche sehen wir so auch nur aus der Ferne. Unser erklärtes Reiseziel liegt in Ronchamp, der Kapelle Notre-Dame-du-Haute.

Wir fuhren dorthin, weil wir wußten, daß dort eine andere Stätte uns erwarten würde, über die nachzudenken lohnt, Krieg und Christentum — die Schicksalsmarken zweitausendjähriger, europäischer Historie. Sind sie einem gemeinsamen Stamm entwachsen? Der Denkanstoß ist Ronchamp, Symbol katholischen, christlichen Glaubens, Symbol neuen kirchlichen Bauens, Symbol einer Architektur, Symbol einer Geisteshaltung — so vieles in einem.

Ronchamp ist eines der seltenen Glücksfälle menschlicher Geschichte, vergleichbar den urzeitlichen Menhiren oder Pyramiden, wenn auch von geringerer Dauerhaftigkeit.

Im gläsernen Schrein in der weiß getünchten geschwungenen Wand der Kapelle steht lächelnd das hölzerne Abbild der heiligen Frau — Notre-Dame du Haute —. Was immer man in ihr sehen mag, Mutter des Christus, Abbild des Lebens, es ist einerlei, wichtig ist, daß sie ist. So auch ist es mit Ihrem Haus. Ob Wohnung Gottes, Oase der Einkehr, Kunst-Geistwerk, alles dies ist nicht mit verständigen Worten zu beschreiben. Die vielen, die täglich hinwandern sind zu diesem sprechenden Bau, von rätselhafter Anziehungskraft berührt. Nur am Rande stellt sich eigentlich die Frage architektonischer Bedeutung.

Erinnerungsfroher Ausklang in Colmar

Colmar, unsere nächste Station, bietet viel, wenn man wie wir an fachwerkenen Bürgerhäusern Gefallen hat. Als Beispiel bürgerlichen Kunsttums und handwerklichen Steinmetz — Könnens mußte uns in der Rue des Tetes das Kopfhaus mit seinen hundert Steinmasken fesseln.

1609, als in Florenz die Renaissance schon ein Jahrhundert verblüht war, fand die deutsche Kunstregion — das Land war damals habsburgischer Part — den Anschluß an diese Kunst, freilich in der typisch süddeutschen, verschnörkelt versponnenen Art. Das Museum Unter den Linden, ein ehemaliges Dominikanerkloster, wird von uns aufgesucht. In der berühmten Klosterkapelle sind die von Grünewald gemalten Tafeln des Isenheimer Altars zu bewundern.

Wir treten die Heimreise in Richtung Straßburg, Saarbrücken, Trier an. Unsere Fahrt geht zu Ende, in der Hoffnung, in einem anderen Jahr eine ähnliche Reise zu unternehmen, dann vielleicht mit größerer Beteiligung.