Unbekanntes Weistum

von Retterath aus dem Jahre 1553 in der Grafschaft Virneburg

Erich Mertes

Weistümer sind für uns heute eine wichtige Auskunftsquelle über das im späten Mittelalter geltende Gewohnheitsrecht. Es sind Aufzeichnungen von Gerichtsversammlungen, die an bestimmten Dingtagen abgehalten wurden. Auf amtliche Befragung geben meist die Schöffen als rechtskundige Personen Auskunft, was nach der Überlieferung rechtens ist.

In Retterath befand sich ein Hochgericht der Virneburger Grafen, welches mit drei Heimbürgen (= vom Grafen ernannte Vorsteher) und sieben Schöffen besetzt war. Die Heimbürgen waren meist in den Orten Lirstal, Retterath und Mannebach ansässig. Der Heimbürge von Mannebach war für die drei Orte Mannebach, Bereborn und Kolverath zuständig (vgl. Fabricius II, 379 und Grimm 2, 480 und 609).

Nachstehend wird ein bisher unbekanntes Weistum, Retterath von 1553, erstmals veröffentlicht. Es enthält wissenswerte Angaben, die bei Grimm nicht vorkommen. So finden wir darin z. B. den urkundlichen Beweis, daß die Bergkuppe »Galgen« (Höhe 553,1 m) im »Grünen Weiher« zwischen Kolverath-Ürsfeld, eine mittelalterliche Richtstätte war und in welcher Weise die einzelnen Dörfer dort bei verschiedener Hinrichtungsform mitwirken mußten. Interessant ist auch zu erfahren, der Graf von Virnebürg wird noch als Pellenz-Graf bezeichnet, obwohl mit dem Aussterben der Virneburger, im Mannesstamm 1545, Kurtrier die Pellenz an sich gezogen hatte. Der letzte Absatz informiert uns noch darüber, daß auf dem Trierischen Hof in Retterath jährlich ein Hofgeding (Gericht) zu Pauly Bekehrung (= 25. Januar) gehalten wurde.

 

Bei der Wiedergabe des Textes wurde die Zeichensetzung wegen des besseren Verständnisses weitgehend der heutigen angepaßt. Das gleiche gilt für die Groß- und Kleinschreibung. Abkürzungen im Original wurden aufgelöst, im Zweifelsfall erscheint die Auflösung in Klammern.

Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Staatsarchivs Wertheim (STAW).

ANNO 1553, am 11. Januarii, deren Schöfffen Weißthumb im Kirchspill Retterath.

Uff die ersten Fragh des Vogtts, haben die Schöfffen geandtwortt, nemblich also: Wir weißen unßern gnedigen Herrn von Virnenburgh vor einen Pellentz Graffen undtt Hoch Herrn des Kirchspill Retteradtt über Haltz undtt Bauch zu richtten, in deme sollen von wegen des Graffen zu Virnenburgh sitzen ein Vogtt, ein geschwor-ner Bott, undtt sieben Schöfffen, darzu noch ein Schulteis von wegen unßers gnedigsten Chur-fürsten undtt Herrn zu Trier, der doch schweigen soll, undtt wo er ettwas von nöthen zu reden undtt zu verurkunden halt, solle er Solches mit unßeres gnedigen Herrn Vogtt thun ausrichtten.

Uff die zweitte Mahnungh haben die Schöfffen geandttwortt, das dem Herrn uff alle Dinghtagh erscheinen sollen 12 Pfenningh zu Fleisch undtt Brodtt, ein Aymer Weins wie der am Zapffen geholt wirdtt, welcher doch dem Herrn nit zu Mahlen, sondern den Schöfffen zum halben Theill zum gutten bekommen soll. Item noch zwey Malter Habern, zwey Hühner, welches alles aus dem Trierischen Hoff gehandtreichtt soll werden.

Uff die dritte Mahnungh des Vogtts haben die Schöffen geandttwortt: Alle Gewaltsachen, Ge-bott undtt Verbott, weißen wir zu unßerm gnedigen Herrn zu Virnenburgh der ist ein Pellentz Graff undt niemandt mehr.

Uff die viertte Mahnungh des Vogtts haben die Schöffen geandttwortt, wo jemandt wehre, deme ein Verbott, von wegen unßers gnedigen Herrn von Virnenburgh, auch (ihrer Gnaden) befhelichhaber geschehe, undtt daßelbigh ver-achtt undtt nit gehalten wurde, undtt der Herr, auch seine Diener, das gewahr wurden, sollen sie den Ubertretter Machtt zu straffen haben.

Uff die funffte Mahnungh des Vogtts haben die Schöffen geandttwortt, wir weisen zu unßerm gnedigen Herrn zu Virnenburgh der ist ein Pellentz Graff, Rauch, Brandt, Klockgen Klanckg, die Vögell in der Luff, die Fisch in der Boche, das Will im Waltt, Waßer und Weidtt. Doch den Uderthanen vorbehalten Wasser- und Waydt zu genießen, da sie auch gebührliche Ergezungh darvor geben.

Uff die sechste Mahnungh des Vogtts haben die Schöffen geandttwortt, wan ein Hantttaßtungh geschehen solt im Kirchspill Retteratt, eines Misthädigers, das soll unßer gnediger Herr von Virnenburgh welcher ein Pellens Graff ist thun. Wan die Handtaßtungh geschehn ist, alsdan sall man denselben Misthattigen in der Herren Handt zu Virnenburgh lieffern undtt daselbst sall er sechs Wochen undtt 3 Tagh gehalten werden, undtt binnen vorgedachtt 6 Wochen undtt 3 Tagen soll von ihm ersuchtt werden, ob er des Todts schultig seye oder nichtt. Wan aber sich befundt, das er des Todts schultig wehre, alsdan soll er nach den 6 Wochen undtt 3 Tagen wiederumb in das Kirchspill Retteradtt, samptt dem Scharpffrichtter, bis an den Grünen Weiher gelieffertt werden, undtt daselbst sall er nach seinem Verdienst undtt Schöffen Weißthumb, sonder ainige Verhinderungh, auch Entgeltnus unßers gnedigsten Herrn von Trieer, gerichtt werden. Wan er dan gericht ist, undtt wo sich als dan ettwas an ihme erfinden wurde, sollen beeden, unßer gnedigster Churfürst undtt Herren von Trier, undtt unßer gnediger Herr von Virnenburgh, gleich einem Schweinsfuß theilen, undtt nach der Gelegenheit der Missethatten.

Die so mitt dem Strangh sollen gerichtt werden, soll der Heimburger von Mannenbach mitt sambtt seinen Nachpauren den Galgen undtt sonsten was darzu gehörigh Versehungh thun. Was aber zum Rath gehörtt, soll der Heimburger zu Retteradtt mit samptt seinen Nachpaurn der massen bestellen, das kein Geprech daran seye.

Wehr aber Sach, das jemandtt mit dem Feuwer soll gerichtt werden, daßelbigh soll der Heimburgh von Eltz undtt Lirstall mitsamptt ihren Nachpauren darstellen, doch soll unßs gnedigen Herren Landttpott das Feuwer dahin stellen.

Erklärüngh über den ersten Puncten:

Item. Es hatt mein gnädiger Herr mir bei den Schöffen zu erfharen befholen, die weillenn seine Gnaden samptt dero gnedigen Mitterben das Weisthumb wie vorgeschrieben stehe«, thutt, uff den Articul belangent den Trierischen schweigenten Schulteißen, wie das ein Gestalt habe. Darauff werdtt ich berichtt wie Vogtt. Item. Erstlich ist mein gnedigster Herr von Trier mehrthetheils über alle Gutter im Kirchspill Retteradtt ein Lehenher.

Item. Wan ein Einwohner im Kirchspill stirbtt, welcher ein Eheman ist, undtt hatt so viell das man einen drey stempichtten Stuhl darauf setzen kan, der ist den Trierischen ein Kurmuth verfallen, undtt heben alle Zeitt das negst nach dem Besten, von den Pferdtten an. Ist kein Pferdtt, so seindtt es Kühe, Ochssen.

NB: Der Hochgedinger oder das Landt Weisthumb im Kirchspill Retteradt wirdtt jhärlichs dreymahll wie vorgeschrieben gehalten. Das erste den Dienstagh nach Schorn Montagh, darauff der Trierisch Hoffman die obgedachtte 2 Malter lieffern mus. (Anm.: Schorn Montag = Schwörtag = Montag nach dem 6. Januar). Das ander geschieht! uff Dienstagh nach Wal-burgis. Darauff mus der Trierisch Hoffman an statt der 2 Malter Habern lieffern 2 Malter Speltzen. (Anm.: Walpurgis = 1. Mai). Das dritte geschiehtt uff Dienstagh nach St. Johannes des Tauffers Tagh. Darauff wirdt geweist, wan ein Graff von Virnenburgh mitt dreyßigh Pferdtten uff des Gedingh kemme, so sollten die Pferdt in dem understen Bruhell die Weidt haben, undtt wan er ein Vogell uff der Handtt undtt der Jäger 2 Windt am Strick habe, so soll der Vogell 1 Huhn undtt die Hundt Pfund

Brott der Weidttman and Jager. (Anm.: St. Joh. d. Täufer = 24. Juni).

Uff dem Trierischen Hoff wirdtt Hoffgedingh gehalten jharlichs uff Pauly Bekherungh.

Quelle: STAW, Best. Virneburg, Nr. C 59.

Zu Grenzumschreibung 1553 und Weistum 1631, siehe Landeskundliche Vierteljahrsblätter, Heft 2, 1981, herausgegeben von der Gesellschaft für nützliche Forschungen, Trier.