Bewegtes Leben des Nikolaus Blum

Ein Ordensmann und Priester aus Lammersdorf (1857 -1919)

Hermann-Josef Lamberty und Paul B. Steffen

Manche herausragenden Männer und Frauen aus den verschiedensten Berufen und Lebensbereichen sind in ihrer Heimat so gut wie gar nicht bekannt geworden. Auch mit dem 1857 in Lammersdorf geborenen Nikolaus Blum dürfte es nicht viel anders sein.

Die Eltern waren schlichte und geachtete Bauersleute, von ihren fünf Kindern überlebten vier: Nikolaus, Jakob, Johann und Peter. Das Familienleben war von einem lebendigen christlichen Glauben durchdrungen. Und wie viele Kinder es damals gerne taten, so spielte auch schon Nikolaus »Heilige Messe«. Mit fünf Jahren kam er in die Schule zum Lehrer Eifel in Dohm. Zwei Jahre später wurde er zu seinem Onkel dem Lehrer Zender, nach Bolsdorf geschickt, wo er bis zum 12. Lebensjahr blieb.

Hier war er ein fleißiger und stiller Schüler, der gerne viel las, was beim Onkel zu finden war. Sein Erinnerungsvermögen soll so frisch gewesen sein, daß er die Sonntagspredigt daheim fast wörtlich wiederholen konnte. Nikolaus war erst 11 Jahre alt, als sein Vater früh und unerwartet starb. Für seine Mutter bedeutete dies eine schwere Lebensaufgabe, die sie noch 33 Jahre mit viel Mühe und Treue erfüllte.

Schon als Junge hatte Nikolaus den Wunsch, Priester zu werden; dieser schien nun unerfüllbar zu sein, da jegliche Mittel zum Studium fehlten. Ein befreundeter Kaplan aus Hillesheim sah bei den armen Bauersleuten auch keine Möglichkeit, das Studiengeld zusammenzubringen. Da Lehrer zu werden billiger sei, sollte er eben Lehrer werden, und sein Onkel bereitete ihn darauf über zwei Jahre privat vor. Es war aber unsicher, ob er eine Stelle erhalten würde. Eine Anstellung bei der Eisenbahn blieb für ihn, wie für viele seiner Landsleute, der letzte Ausweg. Nikolaus Blum nahm eine Arbeit als Schreiber auf der Güterexpedition bei Osnabrück an. Bei 2 Mark Lohn täglich konnte er nur wenig Geld für ein eventuelles späteres Studium zurücklegen. Doch der Wunsch, Priester zu werden, beschäftigte ihn weiter, und so sah er, als er in einer Schrift von dem vor einem halben Jahr im holländischen Steyl gegründeten deutschen Missionshaus erfuhr, darin eine Möglichkeit, sein Ziel dennoch zu erreichen. Und tatsächlich, er wurde am 1. Juli 1876 in die Lateinschule des Steyler Missionshauses aufgenommen.

Die dortige Hausgemeinschaft setzte sich nur aus dem Rektor Arnold Janssen, einem Münsteraner Weltpriester, zwei Diakonen, einem Subdiakon, einem Bruder und fünf weiteren Zöglingen (= internen Schülern) zusammen; hinzu kamen einige Arbeiter. Das junge Missionshaus, das wegen des preußischen Kulturkampfes in Holland gegründet werden mußte, machte einen sehr ärmlichen Eindruck; war es doch vorher nur eine einfache Schifferkneipe am Maasufer gewesen.

In den ersten zwei Wochen gefiel es dem 19jäh-rigen Nikolaus Blum gar nicht im fremden Haus mit seinen fremden Gewohnheiten. Er hatte schon Pläne gefaßt, an seine alte Arbeitsstelle zurückzukehren; ein glücklicher Zufall wollte es aber anders. Seinen Fleiß legte er nun in die folgenden gymnasialen Studienjahre, die er wegen seines vorgerückten Alters schon 1880 abschloß. Nur drei Jahre dauerte das Studium der Philosophie und Theologie; Unterrichtssprache war damals noch Latein.

Mit 28 Jahren hatte Nikolaus Blum, der unbemittelte Bauernsohn aus der Eifel, endlich sein angestrebtes Ziel, den Priesterberuf, erreicht. Im Mai 1883 fand seine Priesterweihe durch den Roermonder Bischof in der dortigen Seminarkirche statt. Bald darauf konnte der Neupriester seine erste heilige Messe in der neuerbauten Unterkirche des Steyler Missionshauses feiern. »Zu meiner Primiz hatte ich nur meine Mutter und den Bruder Jakob eingeladen; ich fürchtete, lästig zu werden. Doch der Rektor lud selbst noch vier weitere Verwandte ein, so daß es ein rechtes Familienfest wurde,« schrieb Pater Blum später in sein Tagebuch.

Im Herbst schon wurde P. Blum Prokurator des Missionshauses, d. h. der Verantwortliche für die Verwaltung der Finanzgeschäfte, in deren Mittelpunkt die ständig wachsende Missionsdruckerei stand. Diese Verwaltungsarbeit sollte zeitlebens seine Hauptaufgabe bleiben. Als Generalökonom war er dann von 1891 - 1919 hautpverantwortlich für die Finanzen der mittlerweile in fünf Erdteilen arbeitenden Steyler Missionare. Nur mit einem genau geordneten System und viel Disziplin konnte er diese wachsende Arbeit bewältigen; so belief sich z. B. der Posteingang im Jahre 1908 allein auf 108 000 Stück.

Neben dieser Arbeit für das Missionswerk war er immer auf Seelsorgsaushilfen in den benachbarten deutschen Diözesen Köln, Münster und Trier unterwegs, um Beichte zu hören, zu predigen und die hl. Messe zu feiern. Als Exerzitienmeister war er für die verschiedensten Gruppen sehr gefragt. Dazu kamen seit 1890 ständig religiöse Vorträge für Ordensschwestern und Brüder. Die Generaloberin der Steyler Klausurschwestern erinnerte sich: »Seine Vorträge waren überaus praktisch und sehr gediegen, einer gesunden Hausmannskost vergleichbar. Er kannte das Menschenherz und hatte durch lange Erfahrung Einblick in die Verhältnisse des Klosterlebens«.

Von 1902 bis 1908 übertrug ihm der Gründer Arnold Janssen zu seinem Prokuratorenamt auch noch das des Hausrektors von Steyl. Dies bedeutete eine nicht leichte personale Verantwortung für alle Nöte der mittlerweile 600 Hausbewohner. Bei allen Sorgen seines Amtes zeigte er aber auch als Rektor in der Gemeinschaft ein heiteres Wesen; wo er war, »löste eine Lachsalve die andere ab«, wird über ihn berichtet.

Dem Generaloberer der Missionsgesellschaft stand ein Generalrat beratend und mitarbeitend zur Seite. Seit 1891 war P. Blum Mitglied dieses Gremiums, seit 1906 sogar als stellvertretender Generalober. Als der Gründer des Steyler Missionsordens 1909 nach 33jähriger Leitung starb, war es nur natürlich, daß das Generalkapitel an Pater Blum als Nachfolger dachte; war er doch seit den ersten Stunden am Aufbau dieses Werkes beteiligt und mitverantwortlich tätig gewesen.

Inzwischen zählte die Gemeinschaft 430 Priester und 588 Missionsbrüder; dazu kamen noch über 600 Missionsschwestern. »Nachfolgerdes Generalsuperiors Arnold Janssen zu werden, kann nur einer wünschen, der entweder heilig oder sehr eitel ist. Heilig bin ich nicht, und eitel will ich nicht sein,« schrieb er vor der Wahl nieder. Dennoch wählten ihn die Kapitulare am 5. November 1909 mit großer Mehrheit zum »Superior generalis«. Zehn Jahre sollte er die Missionsgesellschaft durch eine sehr schwere Zeit leiten.

Bald schon mußte P. Blum nach Rom, um für die erneuerte Regel die päpstliche Bestätigung zu erhalten. Am 10. März 1910 hatte er seine erste Audienz bei Papst Pius X., der ihm sehr wohlwollend entgegenkam. Erfolgreich konnte er zurückreisen. Um die Arbeit und Situation der Missionare und Mission genau kennenzulernen, mußte er schon bald seine ersten Überseereisen antreten. Nach den ostasiatischen Missionen in China, Japan, Neuguinea und auf die Philippinen sandte er einen Vertreter.

Er selbst fuhr am 8. Oktober 1911 nach Togo. Die Schiffsfahrt von Hamburg aus dauerte einige Wochen. »Das Leben auf dem Dampfer war mir neu,« schrieb er nieder, und am folgenden Tag schrieb er; »Es ist mir schon ziemlich gleichgültig geworden. Man sieht nur Wasser und Himmel und Himmel und Wasser«. Am 27. Oktober kamen die Reisenden in Lome, der Hafenstadt der deutschen Afrikakolonie an. Das Land und die Nöte und Sorgen der Missionare gaben dem Generalsuperior guten Einblick in die praktische Missionsarbeit. Nach Weihnachten gings dann wieder zurück. Auf dem Schiff stößt ihn die oberflächliche Art vieler »höherer« Passagiere stark ab.

»Viele Europäer suchen in den Kolonien Geld und Freiheit, ungezügelte Freiheit. Das sind die Kulturträger der Neuzeit,« lautete sein Urteil. Seit 1895 kamen die ersten Steyler Brüder und Patres in die Vereinigten Staaten. Besonders den diskriminierten Negern galt ihr seelsorglicher und menschlicher Einsatz. 1909 entstand dort die erste feste Niederlassung mit einer Druckerei in der Nähe Chikagos. Seine zweite Übersee-Visitation unternahm P. Blum in diese junge Mission.

In der Amtszeit von P. Blum als Generalsuperior kam es unter seiner Leitung und Initiative zu zahlreichen Neugründungen: in Holland und Argentinien zum Beispiel, aber auch in Deutschland wurden mehrere Missionshäuser gegründet, u. a. das Missionsseminar St. Augustin bei Bonn (mittlerweile hat sich dort eine 50 000 Einwohner zählende Stadt gebildet, die sich nach diesem Seminar benennt). Auch Steinfeld/Eifel wurde als möglicher Standpunkt einer Niederlassung in Erwägung gezogen, wegen ungünstiger Verkehrsverhältnisse aber wieder fallengelassen.

Der Erste Weltkrieg erschwerte den Ausbau und das Wirken der jungen internationalen Missionsgesellschaft erheblich, so daß P. Blums Sorgen immer mehr wuchsen. Dennoch wurden in Indonesien (Holländisch-lndien) und Mosambique neue Missionsgebiete übernommen. Wiederholt reiste P. Blum nach Berlin zur Reichsregierung. Dort fand er in Matthias Erzberger, dem Zentrumsabgeordneten, immer einen guten Vermittler. Der Reichkanzler von Bethmann-Hollweg genehmigte der bedrängten Missionsdruckerei in Holland, Papier und Kohlen aus Deutschland zu beziehen. Nicht nur derdrohende finanzielle Bankrott durch die Geldentwertung, sondern vielmehr die Ausweisung der deutschen Missionare aus Togo und den Philippinen belasteten den Generalsuperior schwer. Einen bitteren Verlust erlitt die Missionsgesellschaft dadurch, daß über 200 Mitglieder nicht mehr aus dem Weltkrieg zurückkehrten.

In seinem schon für Weihnachten 1919 geschriebenen Brief heißt es: »Alle Bemühungen, Mittel und Wege zu finden, den Missionen zu helfen, waren bisher fast umsonst«; dann bemerkt er noch: »Ich sage das nicht, um zu klagen; denn was der Herr tut, das ist wohlgetan. Daher ziemt es sich nicht zu murren. Wir müssen vielmehr beten und opfern und in Geduld warten, bis die Zeit der Heimsuchung zu Ende ist.« Für ihn sollte diese Zeit schon vor Weihnachten 1919 gekommen sein. Am 29. Oktober 1919 holte Gott diesen »Arbeiter in seinem Weinberge« zu sich heim. Der 62jährige hatte sich 36 Jahre als Priester für das Werk der Verkündigung der Frohen Botschaft an alle Völker verausgabt. Unter welchen Opfern und Schwierigkeiten, aber auch in welcher Freude er diesen Dienst tat, vermögen wir heute nur noch schwer zu verstehen und zu würdigen. Doch eines darf sicher gesagt werden: Nikolaus Blum gehört zu den größten Priestergestalten und Männern seiner Eifeler Heimat um die Jahrhundertwende.

Diesem Lebensbild von Nikolaus Blum diente als Grundlage die Biographie:

Hermann Fischer, Vater Arnolds Getreuen. Die Mitgründer beim Steyler Missionswerk, Nikolaus Blum S. 3 - 164,Kalden-kirchen 1925