Rückblick in die Steinzeit

Als Rentierherden durch die Eifel zogen

Erwin Schöning

Eiszeitliche Säugetierreste und Steinwerkzeuge, die im Buchenloch und in anderen Höhlen der Munterley bei Gerolstein gefunden wurden, geben Zeugnis von einer sehr frühen menschlichen Besiedlung unserer Heimat. Ein Steinwerkzeug, das der Heidemaler Eugen Bracht in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts beim Ausgraben des Buchenloches fand, war lange Zeit einzig in der deutschen Vorgeschichtsforschung. Es gehört der sogenannten Mousterien-Kultur1 an, eine Kulturstufe der Altsteinzeit. Das Alter anderer Fundstücke wurde auf Grund der Radiokarbonmethode 2 auf 25 000 Jahre festgesetzt.

Es war der Neandertaler, der vor mehr als 30 000 Jahren als Sammler und Wlldbeuter das Gebiet der Eifel durchstreifte. Er war der Eskimo der Steinzeit. In Mitteleuropa ging die dritte Zwischeneiszeit zu Ende. Das Eis schob sich wieder über Nordeuropa vor. Der eisige Wind, der ständig von den Gletschern herabstrich, schuf in Mitteleuropa ein Klima, wie wir es gegenwärtig in Lappland, Alaska, Nordsibirien und Nordkanada antreffen. Die Vegetation war ähnlich der heutigen Tundra und bestand aus Gräsern, Moosen, Flechten, Zwergsträuchern, Polarweiden und Birken. Tierknochenfunde aus dieser Zeit besagen, daß in unserer Region arktische Säugetiere lebten wie Mammut, Wisent, Höhlenbär, Wildpferd, Ren, Wolf, Polarfuchs, Schneehase und Schneehuhn.

Wer war der Neandertaler, der auf seinen Streif - und Jagdzügen auch das Buchenloch aufsuchte und vielleicht sogar bewohnte? Wenn wir uns diesen Steinzeitmenschen vorstellen, sehen wir ihn vor unserem geistigen Auge im Eingang einer Höhle stehen, ein Rentierfell um die Schultern, in der einen Hand einen Faustkeil und in der anderen eine schwere Holzkeule. Mit dieser Vorstellung liegen wir nicht ganz falsch. Der Neandertaler war ein in ganz Europa und im Mittelmeerraum verbreiteter primitiver Menschentyp (Homo primigenius Wilser), der noch während der Eiszeit ausgestorben ist. Seinen Namen erhielt er nach der ersten fossilen Fundstelle: Neandertal bei Düsseldorf. Da es in unserer Gegend sehr kalt war, muß er bereits Kleider aus Fellen getragen und in Höhlen, Hütten oder Zelten gewohnt haben. Er benutzte schon das Feuer. Hierzu grub er in seiner Behausung Herdlöcher, wo er das Fleisch der erbeuteten Tiere röstete.

Der Neandertaler war kaum größer als 1,50 m, hatte jedoch einen muskulösen, gedrungenen Körper. Was ihn von dem heutigen Menschen unterscheiden würde, wäre seine fliehende Stirn, seine sehr breite Nase und seine äußerst kräftigen Überaugenwülste. Seine Lebenserwartung lag bei etwa dreißig Jahren. Er lebte in Horden, und sein Leben war eng mit den riesigen Rentierherden verbunden, die durch das Land zogen. Wie aus fossilen Tierresten ersichtlich, war seine Jagdbeute sehr abwechslungsreich. Gejagt wurde alles, was an jagdbarem Wild erreichbar war. Hauptbeute aber waren das Ren und das Wildpferd. Dabei stellte der vorverdaute Mageninhalt der erlegten Tiere eine wichtige Vitaminquelle dar. Da ihm humanitäre, hegerische Grundsätze unbekannt waren, wurden auch trächtige Muttertiere und neugeworfene Stücke nicht geschont. Als Jagdwaffen benutzte er Wurflanzen, Wurfhölzer und Keulen. Für die Herstellung der Lanzen verwendete er auch angespitzte Mammutrippen. Weil keine ausgeprägten Pfeilspitzen gefunden wurden, nimmt man an, daß der Neandertaler noch keine Bogenwaffe kannte.

Prähistorische Höhle »Buchenloch« bei Gerolstein. Zur Zeit des Neandertalers bewohnt. Ausgegraben und vermessen von dem Maler Eugen Bracht.

Seine Werkzeuge fertigte der Neandertaler aus Stein. Bei der Herstellung wandte er die sogenannte »Abschlagmethode« an, das heißt, daß er einen Hammerstein und einen Werkzeugstein benutzte. So fertigte er Faustkeile zum Abziehen und Zerlegen der Jagdbeute, Schaber zum Zubereiten von Fellen und Bohrer, um Löcher in Tierfelle zu drücken. Auch Tierknochen, Geweih und Sehnen wurden als Werkmaterial verwendet.

Daß der Neandertaler bereits religiöse Vorstellungen hatte und an einem Leben nach dem Tode glaubte, kann man aus der Fürsorge schließen, mit der er seine Toten bestattete. In La Ferrassie in Frankreich fand man einen prähistorischen Friedhof einer Neandertaler-Familie. Hier entdeckten Anthropologen in einer 40 000 Jahre alten Familiengrabstätte die Skelette von zwei Erwachsenen und vier Kindern. Man hatte die Toten auf der Seite liegend mit angewinkelten Beinen gebettet, den Kopf auf einen Haufen Flintscherben gelegt, als ob sie schliefen. Nahrung und Werkzeuge hatte man ihnen mit ins Grab gelegt.

Aber auch Kanibalismus ist ihm nachgewiesen. Es ist anzunehmen, daß er hiermit egozentrische Ziele verfolgte. Wahrscheinlich wollte er hierdurch Macht und Fähigkeiten des Getöteten erlangen, bei primitiven Völkern auch heute noch ein verbreiteter Aberglaube. Völlig ungeklärt ist dagegen der Höhlenbärenkult, der in der Neandertalerzeit begann und sich auch noch in der nächsten Kulturstufe fortsetzte. Vielleicht handelte es sich hierbei um ein Jagdritual. Der Höhlenbär war für den Neandertaler ein gefährlicher Gegner. Wenn dieser sich aufrichtete, war er über 2,50 m groß. Außerdem lebte er an schwer zugänglichen Plätzen. Vielleicht wurde er gerade wegen seiner Gefährlichkeit gejagt und einer tiergestaltigen Gottheit als Opfer dargeboten.

Den Ausbruch der Vulkane in der Eifel hat der Neandertaler nicht mehr erlebt. Neuere Untersuchungen über das Alter der Eifel-Vulkane haben ergeben, daß diese, geologisch betrachtet, sehr jung sind. Ihre Ausbrüche fanden erst um 8 000 v. Chr. ihr Ende. Zu dieser Zeit war der Neandertaler bereits ausgestorben. Aus dem mittleren Osten war inzwischen eine neue Menschenrasse nach Europa eingewandert. Es war der Cro-Magnon-Mensch; in bezug auf seine Intelligenz und seine Kultur war er dem Neandertaler überlegen.

Quellenangabe:

Dr. B. Dohm: Gerolstein in der Eifel, 3. Auflage. Herausgeber: Stadtverwaltung Gerolstein.

F. Clark Howell: Der Mensch der Vorzeit, S. 123 -130. TIME-LIFE International (Nederland) N.V. Reihe LIFE — Wunder der Natur.

Alfred Rust: Der primitive Mensch. PROPYLQEN WELTGESCHICHTE, Bd. l, S. 184 ff. herausgegeben von Golo Mann und Alfred Heuss.

1 Nach der bei dem französischen Dorf Le Moustier, Dordo-gne, gelegenen Fundstelle.

2 Diese Methode erlaubt Altersbestimmungen, z. B. von Holzoder Knochenfunden, bis zu 50 000 Jahren.