Content-Type: text/html 1816

1816/17 — Hunger- und Notjahre

Erinnerung an den Wohltäter Johann Theodor Peuchen

Friedbert Wißkirchen

Die Bevölkerung der Eifel war von jeher nicht mit Reichtum gesegnet. Die geringen landwirtschaftlichen Erträge auf kargen Böden reichten gerade aus, um ein sehr bescheidenes Dasein zu führen. Um so schlimmer war es, wenn sonstige Ereignisse die ohnehin schwierigen Lebensverhältnisse noch verschlechterten.

Die Zeit der französischen Besatzung neigte sich dem Ende zu, als im Mai 1814, ein russisches Corps von 40 000 Mann, von Frankreich her kommend, zurück in die Heimat zog und dabei die Eifel passierte. Not und Verwüstung waren die Folge.

Kaum war die Eifel — 1815 — preußisch geworden, man hatte sich noch nicht an die neue Herrschaft gewöhnt, als das Schicksal in Form einer Hungersnot zuschlug und die Eifel an den Rand einer Katastrophe brachte. So berichtet Dr. Peter Blum im Buch »Entwicklung des Kreises Daun«: »1816 war ein nasser Sommer, der eine große Mißernte und viel Elend im Gefolge hatte. In dem letztvergangenen Jahr 1815 verursachte eine außerordentliche Menge Regen nicht nur große Überschwemmungen, sondern sie verhinderte auch die Fruchtbarkeit der Erde und verminderte die Erzeugnisse derselben«. In einer Gedenkmünze, die kurz nach 1815 erschien, wurde ebenfalls der Hungersnot gedacht. Sie trug die Umschrift »Oh gib mir Brot, mich hungert«!, wie in der »Eifelzeitung« 1906 zu lesen ist.

Bedingt durch die Mißernte des Jahres 1815, trat im Jahre 1816 eine große Teuerung der Nahrungsmittel ein. Insbesondere die Getreidepreise stiegen in einem Maße, daß große Teile der Bevölkerung nicht mehr im Stande waren, Getreide zum Brotbacken anzukaufen. Dr. P. Blum berichtet: »In der Eifel lebten die armen Leute von Wiesenkräutern, die sie mit Hafermehl zu Mus verrührten«. Rezepte wurden veröffentlicht, wie der Brotteig aus Kornmehl durch Zusetzen von verschiedenen zu Brei verkochten Rüben vermischt und ergänzt werden könnte. Im November 1816 verteuerte sich der Weizen innerhalb eines halben Monats um 9 Groschen pro Scheffel; auf dem Markt in Prüm wurde aufgrund der Knappheit überhaupt kein Weizen gehandelt. Die Preise waren gegenüber dem Vorjahre um 100 % gestiegen, die Not wurde immer größer. Daß gerade die Bevölkerung des Kreises Daun sehr stark betroffen war zeigt, daß Kinder betteln gehen mußten, weil ihre Eltern sie nicht mehr ernähren konnten. So erschien im Amtsblatt der Regierung zu Trier vom 11. 3.1817 die Nachricht: »Zwei Kinder des Lorenz Hoffmann zu Brück in der Bürgermeisterei Dockweiler, nämlich ein Mädchen von 9 Jahren mit Namen Elisabeth und ein Knabe von 7 Jahren namens Nikolas, sind nach Aussage des Vaters betteln gegangen und nun bereits zwei Monate vermißt«. Sie sind nicht mehr zu ihren Eltern zurückgekehrt; welches Schicksal sie erlitten haben, weiß niemand. Im Volksmund erzählt man, die Kinder seien von Zigeunern verschleppt worden.

Anstrengungen wurden unternommen, die große Not durch staatliche und private Hilfen zu lindern. Aber nicht nur finanzielle Hilfen und Sachleistungen wurden erbracht, man bemühte sich daneben auch, aus den gegebenen Umständen das Beste zu machen. So wurden im Amtsblatt der Regierung zu Trier Anleitungen gegeben, wie aus ausgewachsenem, nicht ausgetrocknetem Roggen, dennoch Brot gebacken werden konnte und wie man das nasse Getreide trocknen sollte.

Überall entstanden Armenvereine, bildeten sich Hilfsvereine und spendeten Privatpersonen Geld und Waren, um eine Linderung der größten Not zu erreichen. Der Preußische Staat kaufte sogar Weizen in Rußland. In Trier entstand unter dem Vorsitz des Regierungsdirektors von Gärtner ein »Männer-Hülfs-Verein«, der sich die Unterstützung der Notleidenden zum Ziel gesetzt hatte. Der »Verein der Menschenfreunde« veranstaltete am 20= 7. 1817 in Trier ein Preisschießen zugunsten der notleidenden Bevölkerung der Eitel. Aus der Ankündigung dieses Preisschießens geht folgendes hervor:

»Die Bewohner der Eifel, diese an besonderen Naturprodukten so reichhaltigen aber an Nahrungs-Erzeugnissen ebenso armen Bergkette, empfinden mehr als die übrigen Bewohner des Trierischen Regierungsbezirkes, die drückende Not als Folge der vorjährigen mißratenen Ernte. Die Not ist wirklich groß in der Eitel, wie sie groß ist am Rhein, im Württembergischen, Bad'chen und in der Schweiz; von dort wandern die Bedrängtesten teils nach heißen, teils nach kälteren Zonen aus; aber unsere Eifeler bleiben auf heimischem Boden und beweisen auch in diesem unfruchtbaren Gebirge, daß sie noch zu dem alten Stamm der Trierer gehören, welche die Liebe zum Vaterland bindet. . .« Überall, selbst in Berlin und Hamburg, fanden Sammlungen und Spendenaktionen für die notleidende Eifel statt. Einen wesentlichen Anteil daran, daß sehr große Unterstützung geleistet wurde, hatte der rheinische Publizist Josef von Görres, der durch seine Veröffentlichungen die Not der Eifel überall bekanntmachte und um Hilfe bat.

Eine nicht alltägliche soziale Tat eines Einzelnen aus dem Kreise Daun soll hier erwähnt werden. Der lobenswerte Einsatz wird im Amtsblatt folgendermaßen dargestellt: »Unter vielen achtungswürdigen Männern in unserem Regierungbezirk zeichnete sich der Hüttenherr Herr Peuchen (Johann Theodor Peuchen) zu Jünkerath im Kreis Daun, auf eine herzerhebende Weise aus. In der Zeit der höchsten Not, die besonders in den Waiddörfern jener Gegend wegen des durch auswärtige Verhältnisse geschmälerten Betriebes der Hütten, trostlos zu werden drohte, trat dieser edelmütige Mann, nicht etwa mit einer einzelnen reichen Gabe unter die Unglücklichen, sondern er eröffnete eine ganze Reihe von Hülfsquellen, mit ebensoviel Umsicht als Uneigennützigkeit. So gelang es demselben — durch Ankäufe von Roggen in Köln, der unter seinen Augen vermählen, verbacken und teils unentgeltlich, teils zum kostenden Preise oder auf Kredit verkauft wurde; durch sehr beträchtliche Zufuhren, wofür er den dreifachen Fuhrlohn bezahlen ließ, durch Vorschüsse an seine Arbeiter und indem er selbst jenen ihren Lohn fortzahlen ließ, die früher bei ihm arbeiteten, oder die er nun nicht mehr beschäftigen konnte; — in seiner ganzen Umgebung eine Menge armer Menschen bei Kraft, Hoffnung und in Tätigkeit zu halten, denen sonst die ersehnte königliche Hülfe leicht zu spät gekommen wäre«.

Eine bemerkenswerte und großherzige Tat, die wohl einmalig gewesen sein dürfte. An gesamten Hilfeleistungen spendete man im Regierungsbezirk Trier 96 626 Reichstaler, 6 Groschen und 8 Pfennige. Durch freiwillige Spenden konnten innerhalb des Kreises Daun in der Zeit von Januar bis August 1817,19 069 Pfund Brot, 21 822 Kost-Tage, 448 Reichstaler, 1 366 Pfund Roggen und außerdem Erbsen, Kartoffeln, Hafer, insgesamt Spenden im Werte von 7 274 Reichstalern, aufgebracht werden. Die größte Not scheint im Herbst des Jahres 1817 beendet gewesen zu sein, denn im November wird im Amtsblatt der Regierung berichtet: »Nun, nach überstandener Gefahr, wollen wir allen, die so freudig die Hand zur Hülfe gereicht, die Übersicht über die freiwilligen Beiträge vorlegen, damit sie erkennen, was gemeinsame Tätigkeit selbst unter den ungünstigen Umständen vermag.«

Zwei Jahre des Hungers und der Not waren überstanden. Daß dies jedoch nicht die letzten Notjahre in der Eifel waren, sondern in fast jedem Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts Mißernten und Seuchen auftraten, ist bekannt. Dies wird auch durch einen Bericht des Dauner Landrats an die Regierung in Trier belegt, in dem es heißt: »Ich hätte es lieber gesehen, wenn die Herren Notarien nicht das Jahr 1817 zum Vergleich herangezogen hätten, weil es wie 1831 ein Notjahr war«.