Verstärkung der Jugendarbeit Modelle im ländlichen Raum

Peter Juli

»Nun haben auch wir ein Modell.« Wer wird nicht, wenn er dies liest, diesen Stoßseufzer von sich geben. Modellversuche sind Projekte mit all den schillernden Bedeutungen der Begriffe, die seit mehr als 12 Jahren in den unterschiedlichsten Bereichen durchgeführt werden. Modellvorhaben sollen an einigen Orten erproben was evtl. für größere Bereiche unseres Lebens anschließend wirksam werden soll. Da es sich jedoch um Modelle, also nichtfertige Rezepte handelt, ist auch ein evtl. Scheitern im Ausdruck »Modell« bereits enthalten.

In seiner Regierungserklärung hat Ministerpräsident Dr. Bernhard Vogel angeregt, die Jugendarbeit in den ländlich strukturschwachen Gebieten des Landes zu verstärken. Mit dieser Anregung wurde auch in Rheinland-Pfalz etwas in Gang gesetzt, was mancherorts in anderen Bundesländern bereits zu Modellversuchen geführt hat. Vor allem auch verschiedene Jugendverbände nahmen sich dieser Aufgabe im Rahmen ihrer offenen Jugendarbeit an.

Tatsache ist, daß bei vielen, die in irgendeiner Weise mit Jugend zu tun haben, tiefe Unsicherheit und zuweilen auch Resignation sichtbar wird. Die Jugend hat sich verändert: »Jugend hat keine Tugend — warum können die nicht erst arbeiten wie wir früher.« Das sind Gedanken, die vorab zu einer Beurteilung wenn nicht gar zu Vorurteilen führen. Neuere Untersuchungen haben aufgezeigt, daß menschliches Verhalten im Hinblick auf Zufriedenheit, Geborgenheit, Erholungsfähigkeit im hohen Maße mit der Struktur und Gestaltung des unmittelbaren Lebensraumes der Familie, des Berufes, der Nachbarschaft und der Freunde zusammenhängen. Der Mensch kann sich nur in den Zeichen mitteilen, die er kennt und er kann diesen Zeichen nur die Bedeutung zuordnen, die er für sie gelernt hat. Das bedeutet, daß er nur innerhalb eines bestimmten Bezugssystems eine Bedürfnisbefriedigung findet, sofern ihm nicht die Möglichkeit erschlossen wird, Zeichen und Handlungen anderer auch außerhalb seines gewohnten Denkschemas zu verstehen.

Um diese Dinge zu ergründen, um neue Wege aufzuzeigen, wie gerade den Jugendlichen in ihrer Situation geholfen werden kann, wurden in den vier Kreisen Kusel, Pirmasens, Altenkirchen und Daun Modellprojekte zur Verstärkung der Jugendarbeit im ländlichen Raum begründet. Neben der örtlichen Jugendpflege sollten in diesen Kreisen vier hauptamtliche Mitarbeiter die Situation der Jugend erforschen, analysieren und schließlich neue Wege aufzeigen.

Schon ein Blick in die Geschichte läßt ersehen, daß entgegen der weitverbreiteten Meinung, daß Leben im Dorfe sich nicht erst seit Beginn der Industriealisierung verändert hat. Schon früher waren tiefgreifende Veränderungen als Folge bestimmter Erbfolge-Systeme geeignet, Dorfgemeinschaften zu zerschlagen. Die Teilnahme des einzelnen am gesellschaftlichen Leben war früher jedoch qualitativ und quantitativ identisch mit der Teilhabe am dörflichen Leben. Diese Teilnahme war durch nachbarschaftliche Beziehungen sowie durch die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Besitzstand geprägt. Diese Momente dörflichen Lebens sind weitgehend auch in unseren Dörfern in der Eifel verschwunden. Mit der Orientierung nach außen hin, mit der Ausgliederung von Schulen und Arbeitsplätzen ist gleichzeitig auch die soziale Kontrolle entfallen. Im Zuge des Entziehens der Person aus der Öffentlichkeit ist eine stärkere Privatisierung bemerkbar .Nur in diesem Intimraum Familie und Freundeskreis ist der Einzelne bereit, sich selbst einzubringen, während er bei Institutionen, Verbänden, ja zum Teil sogar im kirchlichen Bereich seine Wertstellung über bestimmte Fähigkeiten, also in einem bestimmten Fachgebiet erringt.

 

Jugendliche des Kreises Daun im Gespräch mit Ministerpräsident Dr. Vogel.

Diese Veränderungen der Lebensbedingungen machen Jugendarbeit so kompliziert und sind mit ein Grund dafür, daß die Jugendverbände in den letzten Jahren zunehmend Schwierigkeiten haben im Rahmen ihrer Arbeit den größten Teil der Jugendlichen zu erreichen. Die Suche nach Anonymität und gleichzeitigen optimalen Gesellungsformen, von Programmangeboten ohne Übernahme von Verantwortung muß in den Zielen eines Verbandes zu Konflikten führen. Aufgaben des Modells sollte es jetzt sein, in Verbindung mit den Verbänden diesen »Gordischen Knoten« zu zerschlagen.

Um die Arbeit der Mitarbeiter nicht von vornherein in eine bestimmte Richtung zu lenken ist die Konzeption der Modellarbeit ziemlich wage formuliert. Auf drei Schwerpunkte hat man sich dabei festgelegt.

1. Bemühung um Entwicklung und Intensivierung der Jugendarbeit für Verbands- und Vereinsungebundene Jugendliche in Kooperation mit Verbänden und Vereinen.

2. Eine Verstärkung der Verbands- und Vereinsgebundenen Jugendarbeit, indem die bisherige Jugendarbeit verstärkt und erweitert werden soll und

3. die Erstellung von Kreisjugendplänen.

Von vornherein wurde darauf abgestellt, daß die Mitarbeiter des Modellversuches mit allen sonst in der Jugendarbeit haupt- und nebenberuflich sowie ehrenamtlich Tätigen zusammenarbeiten sollten, um diese Ziele zu erreichen. Um eine sinnvolle pädagogische Planung bei der Aktivierung der Jugendarbeit durchzuführen, wurden die Modelle von Beginn ihres Wirkens an einer wissenschaftlichen Begleitung unterstellt.

Zu den Programmangeboten gehörten Erweiterung und Intensivierung der Freizeit- und Ferienangebote für alle Jugendlichen, besonders für jene, die über Vereine und Verbände nicht organisiert wurden. Ferner Erweiterung und Intensivierung oder Neueinrichtung von Bildungsangeboten für Jugendliche in den Bereichen, die weder vom Elternhaus noch von Bildungs- oder Ausbildungsintitutionen wie Kirche oder anderen gesellschaftlichen Einrichtungen angemessen oder ausreichend beachtet werden z.B. Selbständigkeitsprobleme, Ausbildung, Loslösungsprobleme usw.

Schließlich geht es darum, dem Jugendlichen Treffs zu schaffen, in denen er ohne Übernahme einer bestimmten Bindung sich treffen kann, um im Gespräch Initiativen für seine eigene Freizeitgestaltung zu finden. Dies mündet in einer starken Schulung und Gewinnung von ehrenamtlichen Mitarbeitern, (Jugendliche und Erwachsene) die vor Ort Ansprechpartner für den Jugendlichen sein können. Von vornherein wurde klargestellt, daß der einzelne Modellmitarbeiter in einer von ihm initiierten Gruppe nicht als Gruppenleiter tätig werden kann.

Bei einer solchen Konzeption mußte es zwangsläufig in den vier Landkreisen, in denen ein buntes Vereins- und Verbandswesen bestand, zunächst zu Schwierigkeiten kommen. Diese könnte man in vier Punkten zusammenfassen:

1. Der Modellversuch hat begonnen ohne rechtzeitige Information der Verbände.

2. Durch den Einsatz von 4 hauptamtlichen Mitarbeitern wird den Verbänden eine Konkurrenzsituation aufgezwungen, da beide den gleichen Adressaten-Kreis hätten und die Zahl der engagierten Jugendlichen zahlenmäßig begrenzt sei.

3. Auch das Modell könnte nichts über das hinaus tun, was die Verbände bisher getan hätten.

4. Man sollte die dem Modellversuch zugewiesenen Mittel dem Verband geben, da dieser für die Jugendarbeit die eigentliche Fachkenntnis besitzt.

Diese Positionen führten auch zu einer Verunsicherung der Mitarbeiter im Modellprojekt. Auf der einen Seite sollte Zusammenarbeit durchgeführt werden, auf der anderen Seite wurde diese jedoch nicht akzeptiert. In den ersten Jahren gab es vielerlei Gespräche mit den zuständigen Stellen, bis seit Ende 1981 eine Basis gefunden wurde, auf der zum Wohle unserer Jugend eine gegenseitige Zusammenarbeit möglich geworden ist. Vier Mitarbeiter im Bereich des Modells sind eingegliedert im Referat, Jugendpflege des Kreisjugendamtes in Daun. Anfang 1982 wurde eine regionale Untergliederung vorgenommen, sodaß jeweils ein Mitarbeiter schwerpunktmäßig eine oder zwei Verbandsgemeinden betreut; daneben erfolgte eine Spezialisierung auf bestimmten Fachgebieten, so für den Bereich Sport, Medien, politische und musische Bildung.

Nicht zuletzt durch die jetzt gute Zusammenarbeit mit den Jugendverbänden konnten im letzten Jahr einige Erfolge erzielt werden. So gibt es jetzt offene Jugendeinrichtungen (Teestube) in Daun, Jünkerath, Hillesheim, Walsdorf sowie in Gerolstein und Kelberg. Weitere sind in Planung.

Jugendgruppenleiter-Lehrgänge konnten in Verbindung mit der katholischen Jugend, der Sportjugend, dem DRK und den Musikvereinen durchgeführt werden. Es fanden kreative Wochenenden, Filmvorführkurse und musische Freizeiten statt. Daneben waren die Mitarbeiter des Modells wie in den letzten Jahren wieder aktiv bei einer bunten Palette von Freizeitangeboten, Zeltlager, Tagesfahrten, Sporttagen während der Sommerferien für alle Jugendlichen aus dem Landkreis von 6-18 Jahren.

Ausblick: Die Arbeit der Modellmitarbeiter steht im kritischen Licht der Öffentlichkeit. Der Jugendwohlfahrtsausschuß befaßt sich turnusmäßig milden einzelnen Projekten. Die Fraktionen der Parteien haben sich mit diesem Modell auseinandergesetzt und im Kreistag wurden die Aktivitäten vorgestellt. Beim Besuch des Ministerpräsidenten Dr. Vogel am 28. Juni 1982 stellte sich das Modell gemeinsam mit der katholischen Jugendzentrale in der Bildungsstätte Don Bosco in Jünkerath vor. Der Ministerpräsident begrüßte die gute Zusammenarbeit und wünschte der Jugendarbeit auf dem Lande weiterhin viel Glück.

Für viele wird trotzdem der Begriff des Jugendmodells immer noch Neuland sein. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Feststellung, daß es nicht alleine darauf ankommen kann, bestimmte Aktivitäten aufzuzeigen, sondern daß es notwendig ist, die Bedürfnisse unserer jungen Menschen in unserem Lande zu erkennen um auf dieser Grundlage Angebote machen zu können, die den jungen Leuten selber helfen, ihren eigenen Bereich zu ordnen. Unsere Vorstellung vom Menschen ist positiv. Wir glauben daran, daß jeder Mensch bei entsprechender Hilfe in der Lage ist, sein Leben nicht nur selbständig, sondern auch sinnvoll für ihn und für die Gesellschaft zu gestalten. Auf diesem Wege ist das Modellprojekt eine Hilfe und soll im letzten als Hilfe zur Selbsthilfe verstanden werden.