Ein untergegangener Brauch

Alois Mayer

Seit Jahrtausenden brubbelt und sprudelt in der Eifel, besonders im Kreis Daun, aus Spalten und Klüften der Erdkruste kohlensäurehaltiges Wasser, Zeugnis einstiger vulkanischer Tätigkeit.

»Thriasan« nannten die Kelten diese Quellen, die späterhin die römischen Legionäre erquickten, welche dann dankbar ihren Wassergöttern manche Münze opferten; Drees nennen heute die Eifler diese Sauerbrunnen, loben das erfrischende Wasser, das man noch in Steinkrügen auffängt und als kühles Labsal genießt. Ganze Industrien nutzen diesen vulkanischen Segen und tragen so dazu bei, den Namen Vulkaneifel in der Welt bekannt zu machen. Vor Jahrzehnten schätzten Eifelbauern dieses sprudelnde Wasser noch viel mehr als heute. In blaue Steinkrüge abgefüllt, löschte es den Durst an heißen Arbeitstagen; sehr begehrt war es beim Brotbacken oder als kostenloser Natronersatz bei den beliebten Kuchenfladen oder dem Pfannekuchen aus Heddelischmehl (Buchweizen).

Wen wundert's also, wenn sich um diese Naturgabe ein sinnvolles Brauchtum entwickelte, welches aber nach der Jahrhundertwende in Vergessenheit geriet und nicht mehr gepflegt wurde: »Der Drees wurde geputzt«.

 Am Sonntag vor Pfingsten trafen sich die schulentlassenen Mädchen des Dorfes Pützborn, bei Daun, am beliebten Drees. Mit Ginsterbesen und Putzlappen wurde die Quelle gereinigt, die vom hohen Mineralgehalt des Sauerbrunnens rostig gefärbten Steinplatten geschrubbt, Unkraut gerupft, Rohre gescheuert, die Sitzbank blankgerieben.

Lustiger Gesang und munteres Geplapper erfüllte die Luft. Gegen Ende der Säuberung brach man einen Strauß vom grünen Maien, flocht bunte Blumen darunter und schmückte damit den Born, der so reichlich sich verschüttete und rostrot im nahen Bach einmündete. Mit feierlicher Handlung streute dann ein Mädchen eine Hand voll Salz ins Wasser, eine wertvolle Gabe, nicht wissend, daß sie damit einer alten Gepflogenheit folgte, den Quellgöttern zu opfern.

»Ihr seid das Salz der Erde« sagt die christliche Kirche, die das Salz seit jeher als Symbol der Weisheit und der sittlichen Unversehrtheit ansieht. Sie verwendet heute noch geweihtes Salz bei der Taufe und bei der Weihe des Weihwassers. Am Dreikönigs- und Blasiustag wird Salz gesegnet für Menschen und Haustiere.

 Nach dieser Handlung zog man singend durchs Dorf, hocherhoben am Besenstiel einen Strauß aus Buchengrün, geschmückt mit bunten Bändern, klopfte an die Holztüren der kleinen Häuser an und erbettelte sich Eier als Lohn für die getane Arbeit.

Die Woche verging und der Pfingstsonntag sah dann die jungen Burschen in den Wald eilen, dort Buchenäste, den Mai, hauen und sie vor die Häuser der Bauern stellen. Besonders schön prangte mancher Mai vor der Tür der Geliebten. Am Dorfbrunnen aber wurde dann ein extra großer Baum aufgestellt, an dem im warmen Frühlingswind bunte Streifen und Fähnchen lustig flatterten. Den Lohn, erheischte Eier, sammelte man schließlich von Haus zu Haus und legte ihn vorsichtig in mit Stroh gefüllte Weidenkörbe. Am Pfingstmontag trafen sich nun alle Burschen und Mädchen am Brunnen, rund um den großen Maibaum. Eine Ziehharmonika spielte zu Gesang und Tanz auf; die gesammelten Eier wurden in eisernen Pfannen über dem offenen Feuer gebacken und gemeinsam verzehrt. Die Stimmung war groß, das Leben schön. Die Branntweinflasche machte ihr? Runde, lockerte Stimme und Stimmung. Der scharfe Schnaps trug aber auch dazu bei, daß manches Fest durch Eifersüchteleien ein allzu rasches Ende fand und das friedvolle Miteinander in das Gegenteil verkehrte, was dann leider letztlich zum Ende des Brauchtums, dem Dreesputzen, führte.