Unter Dach und Fach gebracht

Friedrich Gehendges

In einer Zeit, da heimwerkerfreundliche Materialpackungen selbst dem ungeschicktesten Zeitgenossen handwerkliches Können weitgehend ersetzen, ist es sicher angebracht, einen respektvollen Blick in jene Zeit zurückzuwerfen, als heute in Vergessenheit geratene Gewerbe wahre Meisterleistungen handwerklichen Könnens hervorbrachten. So wird heute allgemein der Wiederentdeckung des Eifeldorfes das Wort geredet, womit glücklicherweise noch rechtzeitig vor dem endgültigen Untergang ein unwiederbringliches Kapital heimatlicher Kulturgeschichte erhalten bleibt.

 Daß dies nicht ohne gesetzliche Maßnahmen und Verwaltungsanordnungen von Denkmalschutzbehörden abgeht, hat wohl seinen Grund darin, daß für die relativ hohen Kosten derartiger Rettungsunternehmen in vielen Fällen ein »Haus von der Stange« schneller und zweckmäßiger errichtet werden kann. Und es stellt sich vor allem die Frage: Wo sind jene Leute zu finden, die nach dem Vorbild ihrer Ahnen die erforderlichen Fertigkeiten besitzen, um ein vergessenes, schon lange aufgegebenes und vom Zahn der Zeit ramponiertes Gebäude stilgerecht wieder herzurichten? Schnell erkennt auch der Laie, daß unsere Vorfahren in der Eifel es hervorragend verstanden, die Verfügbarkeit einfachster natürlicher Materialien mit höchster handwerklicher Fertigkeit zu paaren, um so bodenständige und landschafts-bezogene Hausformen zu entwickeln, die dem Eifeldorf sein unverwechselbares Gepräge verliehen.

Derartige Gedanken drängen sich dem Betrachter angesichts eines der vielen Fachwerkhäuser auf, die sich zwischen den Häuserreihen aus Leichtbeton und Hohlblock in unsere Zeit retten konnten. Sie wecken die Erinnerung an zwei Handwerke, die dafür sorgten, daß ein Haus »unter Dach und Fach« kam, wie sich die Redewendung in der Umgangssprache bis heute erhalten hat.

Rationellere Bauweisen verdrängten — wie hier in Demerath — nach den Zerstörungen des 2, Weltkrieges althergebrachte Eifeler Handwerkskunst. Strohdach und Fachwerk schienen ungeeignet, Zeugnisse wirtschaftlichen Aufstiegs sein zu können.

Zum einen war da der »Strohdecker«, der neben seiner praktischen Erfahrung auf drei Werkzeuge nicht verzichten konnte: ein großes, scharfes Messer, das Deckbrett und eine kräftige Hand. Sein Werkmaterial war nur bestes Roggenstroh, das, um die schlanken Halme nicht zu brechen, nur mit der Sichel geschnitten werden durfte. Man gewann es von dem Roggen, der auf dem Schiffelland wuchs und wegen seiner Härte am geeignetesten war. Als »Dachlatten« — heute in Länge, Breite und Dicke normgerecht zugeschnitten und bündelweise abgepackt — fanden entastete Fichtenstangen Verwendung, die wegen fehlender Kanten ein Knicken der darübergelegten Halme verhinderten.

Besondere Aufmerksamkeit verlangten die abschließenden Arbeiten am Dachfirst. Sobald die Dachflächen selbst eingedeckt waren, bog der Strohdecker das Stroh auf dem Dachfirst um und setzte sodann den »Firstwasen.« Tatsächlich trug die Abdeckung diese Bezeichnung zurecht, da sie aus rechteckig gestochenen Rasenstücken zusammengesetzt wurde. Da nicht jeder Rasen sich hierzu gleichermaßen eignet, suchte der Strohdecker vor allem nach »Ochsekepp«, »Bocksboart« und Hartbinsen. Diese zeigten ihm die idealen Stellen an, wo er die etwa ein Fuß breiten, drei Fuß langen und bis zu drei Finger dicken Soden für den Abschluß seiner Arbeiten ausstechen konnte.

 Damit war das Haus »unter Dach«. Einem anderen war es überlassen, es nun auch »unter Fach« zu bringen. Es war dies der »Pliesterer« oder »Klätscher«, der die aus Eichenknüppeln geflochtenen und gewundenen »Wände« in den Gefächern der Holzkonstruktion mit Lehm zu füllen und zu glätten hatte.

Auch sein Werkmaterial war besonders ausgewählt und für die Verarbeitung vorbereitet. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß die geeigneteste Lehmsorte sich in feuchten Talsenken unter der »Rasenschwarte« verbarg, die über dem Hartgras wächst. Diese Lehmsorte wurde später beim Eintrocknen nicht rissig und fiel nicht auseinander. Mit Erlaubnis des Ortsvorstehers wurde das Material — für ein Eifeler Bauernhaus etwa 10 bis 15 Karren — bereits vor dem Winter auf Gemeindeland gewonnen und konnte so bis zum Frühjahr »auseinanderfrieren«.

Nach dem Abklingen der letzten starken Fröste wurde der gereifte Lehm mit Häcksel, Heu oder Stroh vermischt. Dann erschien der Pliesterer, packte seinen Lehmklätscher aus und machte sich zunächst an die Bearbeitung der Außenwand. Diese mußte sodann völlig austrocknen, bevor das Hausinnere sein wohnliches Aussehen erhielt. So kam es nicht selten vor, daß eine Bauernfamilie einen ganzen Winter in einem nur von außen zugepliesterten Neubau zubrachte. Seine Ehre und sein Können setzte ein richtiger Klätscher jedesmal ein, wenn ein Tennenboden herzustellen war. Je nach Größe waren hierzu sieben oder acht schwere Karren Lehm erforderlich, und zwar Lehm der allerbesten Sorte, den die Natur zu bieten hatte. Hier war der zäheste Gelblehm gerade gut genug, der weder Steine noch Sand aufwies. Nachdem auch dieses Material einen Winter lang auseinandergefroren war, wurde es im Frühjahr kräftig durchgewalkt, bis es in etwa die Konsistenz von Schwarzbrotteig besaß. Nun wurde der Lehm gleichmäßig auf dem Tennenboden verteilt, und der Klätscher hatte einen ganzen lieben langen Tag damit zu tun, die plastische Masse mit nackten Füßen ununterbrochen zu durchwaten. So wurde sie nochmals durchgeknetet und jedes von den empfindlichen Fußsohlen erfühlte Steinchen gewissenhaft entfernt. Denn Gewissenhaftigkeit war bei dieser Arbeit von Anfang an oberstes Gebot. Nachträglich einen früher gemachten Fehler noch auszubessern, war nicht mehr möglich, da bearbeiteter Lehm keine Verbindung mehr mit frischem einging. Und so konnte der ehrbare Fachmann am Abend dieses langen Tages, wenn der unermüdlich getretene Lehm nun nicht mehr unter seinen Fußsohlen kleben blieb, das Werkzeug für die nächste Bearbeitungsphase bereitstellen: einen schweren Rammbock.

Eine ganze Woche lang stampfte der Klätscher daraufhin mit seinem schweren Gerät über die künftige Tennenfläche. Wer aber heute glaubt, damit habe die Arbeit ihr Ende gefunden, weiß nichts von der oft erbarmungslosen Gründlichkeit, die einen Eifeler Handwerker von jeher auszeichnete. Denn tagelang wuchtete anschließend der brave Mann einen schweren Zuschlaghammer und setzte einen Schlag immer nahtlos neben den anderen. Währenddessen war die Scheune natürlich geöffnet, um das Trocknen des Belages zu ermöglichen. Geöffnet blieb sie auch, wenn sie nun zur Belustigungsstätte für die Kinder des kleinen Dorfes wurde. Tagelang war die Kettenschaukel, die am Gebälk der Tenne befestigt wurde, von klein und groß belagert. Daß es hierbei oft sehr heiter zuging, spricht aus den zahlreichen »Fuppel - Liedern«, die die auf dem Heukissen Schwingenden vergessen ließen, welch guten Dienst sie dem künftigen Besitzer der Tenne leisteten. Jeder Schritt und jeder Sprung auf den Tennenboden sorgte für höhere Festigkeit, die schließlich ausreichen mußte, einem niedersausenden Dreschflegel auch dann noch Widerstand leisten zu können, wenn er ein einzelnes Roggenkorn in die Lehmschicht hineinzwängen wollte. Wenn nun von weiterer »Fuppelei« nichts mehr zu erwarten stand, wurden einige Eimer voll Rinderblut beschafft, die über den Boden geschüttet und mit einem Besen gleichmäßig verteilt wurden. War auch dieser naturgegebene Werkstoff schließlich eingetrocknet, dann drang nochmals tagelang das dumpfe Dröhnen des Zuschlaghammers aus der geöffneten Scheune, die jedem anzeigte, daß hier ein tüchtiger Handwerksmann erneut eine Probe seines meisterlichen Könnens ihrem Abschluß zuführte.

 Den Strohdecker mag es mit zeitgemäß abgewandeltem Berufsbild heute mancherorts nochgeben. Den Klätscher aber dürfte man rings im Land hingegen vollkommen vergessen haben.

Wir sollten es aber den Mühen und dem Fleiß unserer Vorfahren wohl schuldig sein, Zeugnisse ihres hervorragenden Könnens zumindest beispielhaft zu bewahren. Vielleicht macht es das Wissen um die Geschichte unserer engsten Heimat uns allen etwas leichter, von Fortschritt und Modernisierung um jeden Preis Abstand zu nehmen. Statt dessen könnte Stolz jeden Eifeler erfüllen, der sich mit seinem »alten« Haus als Hüter eines Kleinods heimatlicher Tradition versteht.