Das brüllende Maar

Liselotte Dohm

Die Älteren unter uns werden sich gewiß noch an den strengen Winter des Jahres 1929 erinnern. Ganz Deutschland, nicht nur der Osten, litt unter ungewöhnlicher Kälte. Auch bei uns in der Eitel war es grimmiger denn je. Die Kyll war zugefroren, zur Freude der Kinder, die sich eislaufend und schlitternd auf ihr tummeln konnten.

Es muß um die Fastnachtszeit gewesen sein, als wir, wie so oft, am Sonntagnachmittag bei guten Freunden zu Gast auf Burg Lissingen waren. Am frühen Abend drängten wir bereits zum Aufbruch, denn wir wollten anschließend im Gerolsteiner Hotel Dolomit (aufgelöstes Albertinum) noch groß ausgehen. Wir waren damals sehr jung und nahmen gern jede Gelegenheit zur Freude und Ausgelassenheit wahr.

So schritten wir bei Dunkelheit und 20 Grad Kälte die Lissinger Chaussee entlang nach Gerol-stein. Der Bogen, den die Kyll dort machte, schien endlos. Ein eisiger Wind fegte durch die Landschaft grade uns entgegen. Keiner sprach ein Wort. Mit uns schritt ein junger Wandervogel, der wenige Wochen zuvor noch das große Sylvestertreffen in der Nerother Höhle miterlebt hatte, und wie die Jugend dieser Zeit sehr abgehärtet war. Ertrug kurze Hosen und hatte nackte Knie. Auch er sprach kein Wort.

Doch schließlich hatten wir es geschafft. Wir waren zuhaus. Die Wärme unserer Wohnstube umfing uns. Ich warf mich erschöpft aufs Sofa, die anderen fielen in die Sessel. Noch immer sprach keiner. Aber dann waren wir uns alle einig: An Ausgehen war nicht mehr zu denken. Die Knie unseres jungen Wanderers schmerzten, und unsere Gesichter brannten wie Feuer. Inzwischen hatte ich mich gefangen, ging zur Küche, um Teewasser aufzustellen, zumal von Weihnachten noch eine Flasche Rum bereitstand. Erst dann erwachten langsam die Lebensgeister. Diesen verlorenen Abend im Hotel Dolomit wollten wir zwei Tage später mit unseren Lissinger Freunden auf andere Weise nachholen.

Bei klirrender Kälte und hellem Sonnenschein unternahmen wir eine Autofahrt nach Daun, an die Maare. Die große Attraktion: Sie waren zugefroren! Ich glaube, es war am Gemündener Maar, daß wir ausstiegen und uns froh wie Kinder in der Eis- und Schneelandschaft tummelten. Plötzlich tanzten wir alle auf der Eisdecke des Maares! Einer rief: »Kommt, steigt ein, wir fahren mal mit dem Auto übers Maar! Das hat's noch nicht gegeben!«. Ich zögerte, war ängstlich, zumal mein Mann nicht mit dabei war, wollte aber wiederum keine Spielverderberin sein. Wir fuhren sehr langsam und näherten uns der Mitte. Ich wußte genau, daß nun mindestens eine Tiefe von etwa 40 m unter mir lag. Da, was war das? Wir hörten auf einmal grausig dumpfe Töne. Woher mochte dies Grollen kommen? War das vielleicht eine Warnung? Nun wurde es uns allen sehr beklommen zumute. Wir wollten nur noch zurück und erreichten auch unversehrt das Ufer. Doch wir waren blaß vor Entsetzen. Auf einmal waren wir uns unseres grenzenlosen Leichtsinns bewußt.

Später erfuhren wir, daß das Grollen beim zugefrorenen Maar dadurch entsteht, daß zwischen der Eisdecke und dem darunterliegenden Maar eine Luftschicht liegt, die herausdrängt und damit das Grollen verursacht. Die Leute aus den umliegenden Dörfern rufen dann: »Hört, das Maar brüllt!«

Ich habe seit dem Winter 1929 das Maar nicht mehr brüllen gehört. Zu selten gab's so kalte Winter, um die Maare zufrieren zu lassen, zudem galten meine Besuche dort an den Kraterseen mehr der Ginsterblüte, wenn ihre Hänge in Goldgeld getaucht sind. Doch unvergessen bleibt mir der Eindruck des brüllenden Maars!

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