Dörfliche Kirmesvorbereitung

Besuch der Mückeiner Kirmes vor vielen Jahren

Alois Clemens

Damals war die Kirmes noch allein das höchste Fest im jährlichen Dorfgeschehen. Alt und jung freuten sich gemeinsam auf diesen Tag. Die ältere Generation wohl mehr auf das Wiedersehen mit Verwandten und Bekannten und den Erfahrungsaustausch mit ihnen über Beruf und Dorfpolitik, die jüngeren, unverheirateten Leute sehnten die Tanzmusik herbei. Nicht selten wurde dann um die Gunst einer »Schönen« handgreiflich gekämpft. Aber für uns Kinder, die wir die Kirmes der Alten und der tanzfreudigen Jugend als Zuhörer und Zuschauer erlebten, war es wohl der süße Kuchen, der das Fest so beliebt machte.

Die Woche vor dem Dorffest war angefüllt mit vielfältiger Arbeit. Die Häuser wurden innen und außen besonders auf Hochglanz gebracht. Freitags und samstags wurde gebacken. Mehr als 20 Kuchen entstanden im eigenen oder dem Gemeindebackhaus. Es duftete nach Streusel — und Zimtkuchen, nach Birnen- und Apfelfladen, nach Bund- und Kranzkuchen. Sie alle wurden auf dem mit der bunten Kaffeedecke gezierten Tisch aufgestellt. Ausnahmsweise zur Kirmes kamen auch die vielen alten Tassen mit Goldrand und dicker goldener Umschriftung in den Gebrauch. Es war darauf zu lesen: »Zum Namenstag«, »Zum Geburtstag«, »Dem lieben Vater«, »Der lieben Mutter«, »Zur ersten hl. Kommunion« usw.

Als Schuljunge der älteren Klassen besuchte ich mit meinem um vier Jahre jüngeren Bruder Philipp gemeinsam mit dem Onkel aus dem Nachbarhaus in Hontheim die Mückelner Kirmes. Es bestand eine Verwandtschaft von der Mutterseite her. Aus dieser Linie war auch die Goth für meinen Bruder ausgewählt worden, der wir ebenfalls einen Besuch machen sollten.

Spannend und sehr interessant war es, was der Nachbaronkel auf dem 1 1/2 stündigen Gang aus der Heimatgeschichte zu erzählen wußte. So hatte vor vielen Jahren ein Wolf dem »Schiewer Pitter« ein Schaf auf der Anhöhe von Fronert aus der Herde gerissen, um damit in die nahen Berghänge des Üßbaches zu flüchten. Das Heiligenhäuschen, rechts neben der Straße nach Strotzbüsch, hatte unser gemeinsame Vorfahre erbauen lassen, zum Dank für gesunde Heimkehr aus dem 70er Krieg. Auf einer anderen Höhe im Distrikt »Hof Höchst«, dort wo der Trigometrische Stein steht, wurden früher bei Manövern Signalfeuer abgebrannt, die weithin in den Kreis Daun leuchteten.

Die Wiesen am Alfbach waren uns Kindern schon vertraut durch die Mithilfe bei der Heu- und Grummeternte. Aber auch beim herbstlichen Viehhüten aus Anlaß der Kartoffelernte in dem angrenzenden Gemeindeland kamen »Sauernt« und »Süßwiese« erneut in unser Aufgabengebiet. Die zu einem damals noch deutlich erkennbaren Pfad zusammengetragenen Basaltwaken an den Sumpfstellen dieser Distrikte waren, nach Angabe des Onkels, früher ein Fußweg zwischen den Klöstern Springiersbach und Prüm. Die nahe Sprinkermühle mit der ruchlosen Mordtat des Eifelräubers Hans-Bast (Nikolay) aus Krinkhof, bei Bad Ber-trich und seinen Gehilfen aus den Dörfern rund um den Kondelwald zog uns besonders in ihren Bann.

Als die helle Stimme der Glocke aus der Filialkirche Mückeln zum »Ave-Maria-Gebet« ertönte, brachte ihr Klang für uns neue Gedanken. Alle düsteren Geister aus den Erzählungen verschwanden vollends beim Eintritt in das saubere Eifeldorf in der Nähe der Strohner Schweiz und des Wartgesberges bei Trautzberg. Straßen und Gehöfte waren heute besonders sorgfältig gekehrt. Bratenduft drang aus den Küchenfenstern hinaus ins Freie. Lebhafte Gespräche waren überall zu hören.

Am Ziel angekommen, wurden wir herzlich begrüßt. Wir wollten uns gut betragen so wie es uns von daheim aufgetragen worden war. — Jetzt folgte bald das Mittagessen. Es gab zu den Kartoffeln frisches Sauerkraut, reichlich Schweinebraten und saftiges Rindfleisch aus eigener Schlachtung, auch den beliebten Schinken roh und gekocht sowie frischen Viez und Pudding als Nachtisch. Das alles war gut und schön, aber für meinen Bruder und mich nicht die Hauptsache. Nur auf den Kuchen hatten wir uns gefreut. Erstand im Vordergrund von allem, was mit der Kirmes zu tun hatte.

Nach dem Mittagessen im Stammhaus der Verwandtschaft gingen mein Bruder und ich einige Häuser weiter zu der Goth, die hier eingeheiratet hatte. Auf der langen Stuhlreihe nahmen wir artig Platz und gaben schüchtern Antwort auf alle Fragen, die neugierig an uns gestellt wurden. Wir waren froh, als sich nach einer Weile das Interesse einem jungen Mädchen zuwendete, das in die Stube trat und sehr bald von seiner Dienststelle als Hausgehilfin in Köln erzählte. Es war eigens aus der großen Stadt zur Kirmes nach Hause gekommen. Kleid und Haarfrisur waren anders als gewohnt. Den Bubikopf kannte man im Dorf noch nicht. Wir hörten auch sonst viel Neues und Interessantes aus der fernen Stadt am Rhein.

Als nun der Kaffeetisch gedeckt und wir zum Platznehmen eingeladen wurden, dankten wir mit dem Hinweis, bei den Eltern, dort wo wir gegessen hatten, auch Kaffee zu bekommen. Das Wasser lief uns wohl im Mund zusammen als all die vielen Kuchen und Torten zu sehen waren. Bald verabschiedeten wir uns und gingen in das Elternhaus der Goth zurück.

Jetzt war etwas eingetreten, womit wir nicht gerechnet hatten in unserer kindlichein Einfalt. Hier war nämlich der Tisch gerade abgeräumt und damit die Kaffeezeit vorbei. Wir hatten auch nicht den Mut etwas zu sagen. Gerne wäre für uns noch einmal gedeckt worden. Aber es war zu spät. Wir waren beide sehr enttäuscht und schauten uns verlegen an und empfanden starkes Heimweh. Wir wären sofort nach Hause geeilt, wenn es nicht so weit gewesen wäre. Die Unterhaltung ging auch hier bald über uns hinweg. Wir fühlten uns einsam und von aller sonst gewohnten Betreuung verlassen.

Wir machten dann einen kleinen Spaziergang durch den Ort. In meinen Gedanken erinnerte ich mich eines Mannes, der Mückeln damals schon besonders bekannt gemacht hat. Es war der «Schinkenflicker«, wie man damals den heutigen medizinisch ausgebildeten Heilpraktiker nannte. Als noch nicht schulpflichtiges Kind hatte ich mir beim Spielen auf einem Obstbaum im Peech den Arm ausgekugelt. Weinend lief ich heim und nach kurzer Untersuchung meinte die Mutter zum Vater: »Da Jung mos bei da Schinkefleker no Meckele!« Bald darauf wurde ich in einem Handwägelchen gut verpackt vom Vater über »Rieht« nach Mückeln gebracht. An das zeitweilig sehr starke Schütteln des Handwagens über ausgefahrene Feldwege quer durch die freie Feldgemarkung kann ich mich jetzt im Alter noch gut erinnern. Es war der Großvater des heutigen fachlich ausgebildeten Heilpraktikers Sänger, der mir damals mit einigen geschickten Griffen den Arm wieder einrenkte.

Bald kam die Dämmerung und wir kehrten von unserem kleinen Rundgang wieder in unser Quartierhaus zurück. Für die Gäste aus Hontheim wurde das Abendessen früher gerichtet. Sie hatten von allen Kirmesgästen des Hauses den weitesten Weg.

Beim Abschied wurde uns ein großes Paket mit Kuchen mitgegeben für die Eltern und Brüder daheim als kleines Andenken an die Kirmes. Meist waren es große bunte Herrentaschentücher, in die der Kurchen eingepackt wurde.

Wir verabschiedeten uns höflich und gingen den Weg zurück, den wir morgens gekommen waren. Die letzten Häuser am Dorfrand in Richtung Alfbach waren gerade hinter uns, da rissen wir das Paket hastig auf, um an den Kuchen zu kommen. Restlos verzehrten wir, trotz des vorhergegangenen Abendessens alles, was uns eingepackt worden war.

Die Jüngeren mögen lachen beim Lesen dieser wahren Begebenheit. Die Älteren wissen aus eigener Erfahrung, daß Kuchen früher nur zu den Feiertagen und zu besonderen familiären Feierlichkeiten gebacken wurde und daher auch so beliebt und begehrt war.