Die Separatistenherrschaft

Dr. Klaus Reimer M.A.

Aufgrund der Zugehörigkeit des Kreises Daun zur amerikanischen Besatzungszone während der Rheinlandbesetzung nach dem Ersten Weltkrieg spielten separatistische Organisationen bis Januar 1923 keine besondere Rolle1. Bemühungen des französischen Kreisdelegierten Remy, Gruppen zu fördern, die für eine Unabhängigkeit der Rheinlande eintraten, blieben bis zum Herbst 1923 erfolglos. Lediglich in Gerolstein und Hillesheim bildeten sich Ortsgruppen der Rheinisch-Republikanischen Volkspartei, deren Zentrum im nördlichen Rheinland lag und die von Joseph Smeets geführt wurde. Die von Hans Adam Dorten geführte Rheinische Volksvereinigung erlangte in der Eifel keine Bedeutung. Zurückzuführen war dies u. a. darauf daß die RhRVP mit ihrem radikalen Programm für die konservative Eifelbevölkerung zu wenig attraktiv war bzw. die RhVV aufgrund der negativen Erfahrungen Dortens mit amerikanischen Besatzungsbehörden in der Vorbereitung der Wiesbadener Rheinstaatproklamation am 1. 6. 1919 von Aktivitäten in der Eifel absah.

Nach dem Zusammenschluß der verschiedenen separatistischen Organisationen Mitte August 1923 und aufgrund der wirtschaftlichen Schwierigkeiten bzw. der Inflation im September 1923 als Folge des Ruhrkampfes überlegten zahlreiche Einwohner des linksrheinischen Gebiets, ob nicht ein rheinischer Staat helfen könne, die Spannungen zwischen Deutschland und Frankreich beizulegen und damit eine Chance für die Wiederbelebung der Wirtschaft biete. Diese Gedanken gewannen an Bedeutung, daß die Reichsregierung Überlegungen traf, die besetzten Rheinlande Frankreich für eine Übergangsphase zu überlassen und während dieser Zeit die Reichsmark zu sanieren. Man hoffte außerdem, Frankreich würde sich an den Rheinlanden übernehmen und diese dann freiwillig wieder zurückgeben. Diese sogenannte »Versackung« des Rheinlandes wurde insbesondere in Zentrumskreisen zum Anlaß genommen, einen Rheinstaat für eine Übergangsphase zu schaffen und so einer direkten Angliederung an Frankreich zu entgehen. Angehörige der Zentrumspartei im Kreis Daun und Vertreter der separatistischen Gruppen in Hillesheim und Gerolstein trafen zu entsprechenden Gesprächen, am 11. 10. 1923 in Daun im Hotel Schramm, zusammen und überreichten wenig später dem Kreisdelegierten Remy eine Erklärung mit folgendem Wortlaut2: »Die Unterzeichneten, als Vertreter aus allen Schichten der Bevölkerung des Kreises Daun, gestatten sich ergebenst, durch Überreichung dieses Schriftstückes den überwiegenden Wunsch der Einwohnerschaft dieses Kreises zum Ausdruck zu bringen, einen Rheinischen Freistaat zu gründen. Der Wille des Volkes geht dahin, frei zu sein, seine eigene Verfassung und Verwaltung zu naben. Wir bitten den Herrn Kreis-Delegierten höflichst, diesen Volkswillen dem Vorsitzenden der Hohen Interalliierten Rheinlandkommission, Herrn Tirard, zu übermitteln.« Die 17 Unterzeichner betonten für die jeweils von ihnen vertretene Berufsgruppe zu sprechen und wiesen darauf hin, daß diese überwiegend eine Rheinische Republik befürworteten und diese auch unterstützen würden. Da es einerseits keine Sozialisten und Kommunisten im Kreis gebe und andererseits der katholische Klerus angewiesen worden sei, sich nicht politisch zu engagieren, könne eine Rheinische Republik Ende Oktober ohne Schwierigkeiten errichtet werden. Ihr eigenes Engagement begründeten sie mit dem »Verrat des Zentrums an der rheinischen Sache« und der Notwendigkeit, die traditionelle Rolle der Zentrumspartei als »Todfeind Preußens« wiederzubeleben3. Währenddessen proklamierte der Aachener Separatistenführer Leo Deckers mit belgischer Unterstützung, am 21. 10. 1923, in Aachen, die Rheinische Republik, was die beiden anderen Separatistenführer Matthes und Dorten zu ähnlichen Aktionen im übrigen Rheinland veranlaßte. Auch die Separatisten im Kreise Daun wurden nun aktiv.

Unter Führung des späteren »Landwirtschaftsministers« der Rheinischen Republik Koch-Pfeifer (Gemünd) wurde am 22. 10. 1923 die Bürgermeisterei in Gerolstein besetzt und am folgenden Tag von Rechtsanwalt Dr. Pinten die Republik proklamiert. Der frühere Bürgermeistersekretär Hopmann, der auch in den eigenen Reihen kein besonderes Ansehen genoß, wurde zum Bürgermeister bestellt und der Beigeordnete Moor abgesetzt. Da vom Personal kein Eid auf die Rheinische Republik verlangt wurde, setzten diese ihre Arbeit in gewohnter Weise fort, bis sie schließlich durch den Druck der Bevölkerung veranlaßt, nicht mehr zum Dienst erschienen4.

Am gleichen Abend wurden dann zunächst das Landratsamt, dann die Bürgermeisterei in Daun besetzt. Da die Beamten des Landratsamtes den neuen Amtseid ablehnten, wurden sie zunächstvertrieben. Erst nach längeren Verhandlungen zwischen den Kreisdelegierten und einer Delegation unter Leitung des Kreisdeputierten Blum bzw. dem Kreisdelegierten und des Separatisten nahmen die Beamten ihre Arbeit wieder auf und blieben fortan unbehelligt. Zwar wurde der Dauner Bürgermeister Kirch zum neuen Landrat ernannt, doch griff dieser nicht in die Amtsgeschäfte ein, verfügte allerdings auch über entsprechende Erfahrungen. Die ihm unterstellte Besatzung des Landratsamtes wurde von 15 auf 6 - 8 Personen reduziert. Diese Abteilung des »Rheinlandschutzes« bestand überwiegend aus Jugendlichen aus Ober- und Niederehe, Stroheich und Üdersdorf. Sie verhielt sich recht ruhig, so daß es nicht zu den sonst üblichen Zusammenstößen mit der Bevölkerung kam. Auseinandersetzungen gab es lediglich über die Kontrolle der Post, insbesondere die Beschlagnahme von Zeitungen aus dem unbesetzten Gebiet5.

Als Nachfolger Kirchs wurde Bürgermeistersekretär Jakobs als Verwalter eingesetzt. Jakobs wurde zwar nicht von der Bürgermeisterversammlung gewählt, doch ließ er sich von sämtlichen Gemeindevorstehern erklären, daß sie gegen seine Amtsführung nichts einzuwenden hätten. Diese erfolgte im gleichen Modus wie vor der Machtübernahme der Separatisten6. Wenige Tage darauf gelang es acht Dauner Jugendlichen die grün-weiß-rote Flagge der Rheinischen Republik vom Landratsamt abzunehmen. Vier, nämlich Heinrich Kauth, Anschütz, Stark und Hunz, wurden tags darauf verhaftet, während vier weiteren die Flucht ins englisch besetzte Köln gelang. Auf Anordnung des Kreisdelegierten wurde die Flagge wieder gehißt und von der Gemeinde Daun die Errichtung einer Nachtwache verlangt. Diese bestand zunächst aus 12, später aus 8 Personen, die fünf Stunden lang Streife gehen mußten. Mit Ausnahme der Ärzte, des Apothekers, Jakobs und Kirchs, mußten alle Bürger dafür zur Verfügung stehen7.

Von den übrigen Gemeinden des Kreises wurden außerdem Hillesheim und Birgel noch im Oktober besetzt, aber keine separatistische Verwaltung eingesetzt. Der Gerolsteiner Separatist Schons hatte vergeblich versucht, die Bürgermeister zu einer Verpflichtungserklärung zu überreden, beließ sie dann aber doch in ihren Ämtern, nach dem diese zugesichert hatten, ihre Amtsführung nicht zu ändern.

Am 9.11.1923 wurde auch in Gillenfeld mit dem früheren Lehrer Bernhard Bange ein separatistischer Bürgermeister eingesetzt, der den Amtsbetrieb im wesentlichen unbehelligt ließ bzw. dessen Bemühungen um eine Besoldung seitens der übrigen Verwaltung ignoriert wurden. Der bisherige Beigeordnete Pfarrer Dr. Feller hatte nach der Amtsübernahme Banges auf sein Amt verzichtet8.

Nachdem die separatistische Bewegung Anfang November durch Veranlassung des belgischen Hochkommissars Baron Rolin-Jaquemyns aus Aachen vertrieben worden waren und sich in den Raum Koblenz zurückgezogen hatte, wo die »Regierung der Rheinischen Republik« residierte, stellte auch Frankreich, Mitte November, seine Unterstützung für die separatistischen Gruppen im Rheinland ein und unterstützte nur noch die »Autonome Pfälzische Republik« unter deren Präsidenten Heinz (Orbis). Der größte Teil des »Rheinlandschutzes« kehrte nach Hause zurück, kleinere Trupps zogen in die Pfalz.

Damit war der Weg für Aktionen gegen die noch amtierenden separatistischen Bürgermeister frei. In Gerolstein organisierte man am 1. 12. 1923 eine Arbeiterkundgebung, aufgrund derer sich Bürgermeister Hopmann zur Abdankung entschloß und am 16. 12. 1923 endgültig zurücktrat9. Der Gillenfelder Bürgermeister Bange verschwand am 7.12.1923 und trat in die Dienste der französischen Grenzpolizei ein10. In Daun befaßte sich der Gemeinderat am 13. 12. 1923 mit dem Verhalten von Bürgermeister Kirch. Die Gemeindevertreter Bitzegeio und Minninger erklärten dabei, sowohl Kirch wie Jakobs könnten nicht mehr weiter ihre Ämter verwalten, da sie durch ihr Verhalten der Gemeinde Schaden zugefügt hätten. Eine Entscheidung wurde nicht getroffen, zumal seitens des Kreissekretärs Breyer erklärt wurde, daß Kirch noch im Amt sei, da er weder selbst darauf verzichtet habe noch ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet worden sei11.

 In den folgenden Monaten wurde nach langen Verhandlungen zwischen Großbritannien, Belgien, Frankreich, den USA und Deutschland eine Einigung erreicht, die Separatistenherrschaft in der Pfalz beseitigt und im Londoner Protokoll vom August 1924 eine Amnestie für alle im Zusammenhang mit den Separatistenunruhen begangenen Straftaten verfügt. Weitere Amnestien erfolgten in späteren Jahren, die letzte nach dem Abzug der Besatzungsmächte 1930.