Die Glocken der Erlöserkirche

Geschichtliches aus der Evangelischen Gemeinde Gerolstein

Udo Köhler

Am 8./9. August 1981 meldete der »Trierische Volksfreund«: »Schäden an der Bausubstanz. Glocken der Erlöserkirche verstummt«. Dieses »Schweigen« dauerte vom 8. 9. bis zum 24.11. 1981. Dann durften wenigstens wieder zwei der drei Glocken erklingen. Der erste Abschnitt der Reparatur am Glockenstuhl, der sich aus der Verankerung gelöst hatte und dadurch den 40 m hohen Turm zum »schwingenden Turm« gemacht hatte, ist damit beendet. Die dritte, größte Glocke, wird erklingen, sobald die Schäden in einem zweiten Abschnitt beseitigt sind.

 Die Landeskirche im Rheinland (Sitz in Düsseldorf) ist sich wohl ihrer Verpflichtung, »die Erlöserkirche wieder aufzubauen und zu erhalten«, bewußt, die sie bei den Verhandlungen zur Übernahme dieser Kirche am 23. 8. 1951 zu Köln zwischen Herrn Dr. Freiherr von Mirbach, als Vertreter des Herrn Karl Hans Graf von Hardenberg, dem Generalbevollmächtigten seiner kais. Hoheit Dr. Louis Ferdinand, Prinz von Preußen, und dem damaligen Oberkirchenrat Prof. D. Dr. Joachim Beckmann als dem Vertreter der Rheinischen Landeskirche eingegangen ist. (Urkd. 1646:1951).

Das Ereignis des Schweigens der Glocken gibt jedoch Anlaß zu einem Rückblick. Es sind ja fast 70 Jahre her, seit auch die Glocken der Erlöserkirche durch das Kylltal bei Gerolstein erschallen. Sie haben in diesen Jahrzehnten wechselvolle Zeiten durchgestanden. In diesem Zeitraum kann schon einmal eine Reparatur notwendig werden, auch wenn die Glocken stets sorgsam gepflegt wurden.

 Das Glockengeläut hat, wie uns einst Professor Biehle (aus Bautzen) an der Berliner Universität lehrte, den einzigen Zweck, die Gemeinde unter Gottes Wort und zum Gebet zu rufen, sei es zu Gottesdiensten oder zu Amtshandlungen. Diese Regel bestätigt auch die Ausnahme, wenn in sirenenloser Zeit die Dorfkirchenglocke als »Feueralarmglocke« herhalten mußte.

In Gerolstein erklang übrigens schon von 1893 -1912 eine Glocke für die evangelische Gemeinde. Sie war im Glockentürmchen (ähnlich dem auf der alten Burgkirche in Daun) auf dem Dach des kombinierten alten Gottes- und Pfarrhauses (heute »Gemeindehaus«) angebracht. Dieses Türmchen wurde dann mit der Errichtung der Erlöserkirche abgebaut.

Die Glocken der 1913 eingeweihten Erlöserkirche wurden bereits Weihnachten 1912 von den Diakonissen, welche in Gerolstein eine Station hatten, zum ersten Mal »eingeläutet«. Damit verbunden war ein »Glockenweihegottesdienst«. Die Glocken sind Stahlglocken des Bochumer Vereins und tragen, mit der größten beginnend, die Namen: »Karl d. Große«, »Wilhelm II.«, »Auguste Victoria«. Letztere hatte als Kaiserin (und Königin von Preußen) das Protektorat für den Bau der Erlöserkirche übernommen. »Wilhelm II.« wurde die mittlere Glocke benannt, weil des Kaisers 25jähriges Regierungsjubiläum 1913 anstand, während die große Glocke »Karl d. Große« an die geschichtliche Vergangenheit erinnert.

Gerolstein hat nicht nur römische Vergangenheit, wie es die beim Kirchbau ausgegrabene »Villa Sarabodis« zeigt, das Grundstück, auf dem die Kirche steht, ist altes Krongut aus der Merowinger- und Karolingerzeit, woran ein Inschriftband am Glockenrand erinnert. »DCCLXII PIPIN BERTRADA«, also die Eltern Karls d. Großen sind genannt. Eine Urkunde überliefert, 762 haben die Eltern Karls das Gelände dem Benediktinerkloster Prüm geschenkt. Prüm hat es verwaltet, bis es 1794 »säkularisiert« (sprich: enteignet) wurde. Es wurde Bauernland. Seit 1903 hat es der Berliner Kirchenbauverein dann, z. T. von der katholischen Gemeinde, aufgekauft.

Die Erlöserkirche in Gerolstein mit ihrem 40 m hohen Glockenturm.

Während eine Bronzeglocke der Evang. Kirche in Jünkerath 1917, im ersten Weltkrieg, beschlagnahmt wurde (vermutlich und absurderweise zur Munitionsherstellung), blieben die Stahlglocken auf dem hohen Turm der Erlöserkirche in Gerolstein in beiden Weltkriegen erhalten. Die Kirche selbst wurde zwar 1944 von Bomben schwer beschädigt, doch der Turm blieb stehen.

Die Glocken läuten in der Neujahrsnacht das »Neue Jahr des Herrn« ein. In dieses Geläut fallen auch die Glocken von St. Anna, der Kirche der katholischen Gemeinde, mit ein. Seit 1951 wurde auch am Karfreitag um 15.00 Uhr, der Sterbestunde unseres Herrn Jesus Christus, geläutet.

Als 1956 die Neubeschaffung der Glocken von St. Anna anstand, sprach mich der in dem Artikel »Erinnerung« (Heimatjahrbuch 1981, Seite 108/109) erwähnte Studienrat Hans Bartmann als Mitglied des Kirchgemeinderates an, die Glocken wollten künftig noch besser harmonieren. Diese ökumenische Geste wurde freundlich beantwortet. Ich gab ihm die Unterlagen, so daß heute in Gerolstein auf einander abgestimmte Glocken beider christlichen Kirchen in der Neujahrsnacht uns alle mahnen, noch immer besser aufeinander zu hören.

 Übrigens haben die Glocken der Erlöserkirche 1981 nicht das erste Mal »geschwiegen«. Sie taten das auch am 7. 4. 1935, als fünf nassauische Pfarrer im Konzentrationslager Dachau gefangengesetzt wurden.

Und außer der Regel läuteten die Glocken einmal um 1950. Da ließ mein Vorgänger, Herr Superintendent Bernhard Wiebel, die Glocken erschallen, als ein (später öfter gekommener) Baurat vom Landeskirchenamt in Düsseldorf erschien. Auf die Frage, weshalb denn die Glokken läuten, erhielt er zur Antwort: »Allein für Sie, aus Freude darüber, daß Gerolstein erstmalig in das Blickfeld dieser kirchlichen Behörde geraten ist! Nun, die Behörde hat sich seitdem getreulich ihrer »landeseigenen« Erlöserkirche angenommen, die zwar nicht unter Denkmalschutz steht, aber als ein sehenswertes Beispiel der wilhelminischen Bauepoche gilt und mit ihrem Wiederaufbau nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg ein besonderes Baudenkmal Gerolsteins ist.

Die größte Glocke trägt die Inschrift »Karl der Große«; hier das Glockenband der zweiten Glocke: DCCLXII Pipin Bertrada Gloria in excelsis.

Bei der Montage auf dem Glockenstuhl; Monteur Schwarz, Herforder Elektrizitätswerke; Bessere Aufhängung: Vom Zahnradlager zum Pendelkugellager.

Als im Zweiten Weltkrieg neben der Kirche auch die Schwesternstation zerstört war, die letzte Diakonisse Schwester Edmee Adrianyi (Aus Ungarn stammend, durch den Krieg an der Rückkehr nach Jerusalum gehindert) selbst ein Opfer des Bombenterrors geworden war, übernahm nach 1945 die Presbyterin (Kirchenälteste) Fr. Helene Piepenbrink das Geläut im erhalten gebliebenen Turm. Sie holte sich dazu aus der Nachbarschaft einen Jungen, Achim Breest, zu Hilfe. Es war ein anstrengender Dienst, wenn die Glöckner an den Seilen »gen Himmel schwebten« oder »sich zur Erde senkten«, fast spaßig anzusehen, wenn die beiden Glöckner wechselten, um gleichzeitig drei Glocken zum Schwingen zu bringen.

1958 konnte die Gemeinde diesen schweren Dienst dadurch beenden, daß sie die Läuteanlage elektrifizieren und automatisieren ließ. Nur noch bei außerplanmäßigem Läuten mußte nun der Küster die Automatik ausstellen, die ihm sonst das »Schalten« abnahm. 1960 faßte die Kreisverwaltung den G locken bestand der im Kreise vorhandenen Kirchen in einem Glockenatlas zusammen.

Am 7.12.1962, es war ein frostig-feuchter Tag, sollten nach dem Terminplan der Glockenfirma, mit welcher ein Glockenpflegevertrag besteht, die Glocken von den groben Zahnradwälzlagern auf Pendelkugellager umgestellt werden. Dabei geschah ein bedauerlicher Unglücksfall. Dem von der Jünkerather Maschinenfabrik dem Monteur als Hilfskraft zugeteilten Arbeiter geriet die linke Hand unter den Glockenbolzen, so daß das Gewicht der größten Glocke seine Hand quetschte. Im Krankenhaus wurden mehrere Knochenbrüche festgestellt. Glücklicherweise heilte die Hand wieder einigermaßen aus.

Bei einer Trauung läuteten eines Tages die Glocken etwas länger, weil sich das Brautpaar verzögerte. Da gab es einen empörten Anruf, was denn das Läuten zu bedeuten habe. Meine Tochter, die das Gespräch angenommen hatte, fragte zurück: »Sind Sie allergisch gegen Glokken?« Als das verneint wurde, meinte sie, sie könne das Brautpaar schon sehen, jetzt hört das Geläut auf!» Der Anruf gab Anlaß, die Lautstärke des Geläutes überprüfen zu lassen. Mit modernem technischen Gerät ließ das landeskirchliche Orgel- und Glockenamt die Phon-Stärke des Schalles überprüfen. Sie galt als »zumutbar«.

Eine Kirche ohne Glocken scheint »mundtot« zu sein. Gewiß sind Glocken nicht der einzige Weg, unter Gottes Wort zu rufen. Möge aber bald auch die dritte Glocke wieder einstimmen, und so wieder das ganze Geläute für viele Zeiten durch das Kylltal erklingen, um Menschen zu rufen, das alte Evangelium mit neuen Zungen für ihre Zeit zu hören.

Möge beiden Kirchen in Gerolstein der Ruf Emmanuel Geibels gelten: »Nun laßt die Glocken von Turm zu Turm durchs Land frohlocken im Jubelsturm!«