Die Sage vom Speerwurf

Blick zur Burg Gerhardstein (Löwenburg)

Peter Horsch

Einer der nächsten Nachkommen des Gründers der Burg Gerhardstein, der Graf Ulrich von Blankenheim- Gerolstein, war noch unbeweibt, als er das schöne Erbe der Väter antrat. Sein heißester Wunsch war eine Verbindung mit Katharina, der Tochter des Grafen Diedrich von Pyrmont bei Kaisersesch in der Eifel. Jedoch dieser wollte nichts davon wissen. Als er aber sah, daß das Mädchen sich grämte, ging er scheinbar auf beider Wille ein, indem er die Zustimmung von der Bedingung abhängig machte, daß Ulrich seine vielgerühmte körperliche Gewandtheit durch eine besonders schwierige Tat zeigen sollte. Vom Altar seines Schlosses aus sollte Ulrich seinen Speer bis zur gegenüberliegenden Monterley schleudern, so wuchtig, daß er beim Anprall zerschmettere.

Katharina ahnte nicht den bösen Zweck dieser Aufgabe ihres Vaters, ahnte nicht die Unmöglichkeit ihrer Erfüllung; denn sie hatte das schöne Tal der Kyll beim Schlosse ihres Geliebten noch nicht gesehen. Doch Ulrich machte sich unverdrossen ans Werk, hoffend auf irgend einen glücklichen Zufall. Dieser stellte sich aber nicht ein, und der Graf gab gebeugten Hauptes seine Bemühungen auf. Als er nun eines Abends kummervoll in der Fensternische saß, wurde ihm ein fremder Junker gemeldet. Er ließ ihn herein und bald lauschte er den Schilderungen von des Junkers Fahrt, die ihn auch nach Pyrmont geführt hatte. Dabei kam es letzterem zum Bewußtsein, wer der Junker in Wirklichkeit war; der leibhaftige Gott sei bei uns. Drum auch ließ er sein Barett zur Verdeckung der Hörnchen auf dem Kopfe, daher kam der eine Fuß, der Pferdefuß, nicht unterm Tische hervor.

Den Grafen schauderte, doch des Satans Überredungskunst verscheuchte allen Schrecken und alle Bedenken. Ein Vertrag wurde geschlossen: Der Teufel führt den Arm des Grafen so, daß der Speerwurf gelingt, dagegen verschreibt Ulrich seine Seele. Mit seinem Blute unterschreibt er das fürchterliche Schriftstück. Am folgenden Tage wird ein Bote nach Pyrmont gesandt, der dem überraschten Diedrich das Vollbringen des Kunststückes mitteilt und bittet, einen Zeugen zu schicken oder selbst zu kommen. Katharinens Bruder Richwin erscheint auf Gerhardstein am festgesetzten Tage. Vom Altar seines Schlosses entfliegt der Hand Ulrichs der Speer, prallt gegen die Felswand der Monterley an und seine Splitter fallen in die Buchen, die an ihrem Grunde die Wache halten. Da hebt aus einem Felsenbrocken heraus (dem heute genannten Giesspöttche) ein unheimliches, gellendes Lachen an, das Lachen des Teufels, der dort saß.

Bald zog die neue Gräfin unter Gepränge und Jubel auf der Veste an der Kyll ein. Doch des Grafen Freude war nicht echt, nur mit Mühe verbarg er seine Unruhe und Seelenqual. Dem scharfen, liebenden Auge Katharinens entging das nicht, aber ihr Vorsehen war ohne Erfolg. Da zogen auch in ihr Herz Kummer und Sorgen ein. Das brachte den Grafen zu einem Entschluß, den er unter einem Vorwand ausführte. Er zog nach Rom zu Papst Klemens III, um von ihm Lossprechung zu erhalten. Klemens, der sich um das Zustandekommen des dritten Kreuzzuges sehr verdient gemacht hat, verhieß dem deutschen Grafen das Heil seiner Seele, wenn er sich am Kreuzzuge beteilige und kein Opfer scheue, selbst das Opfer seines Lebens nicht, nur an der Wiederaufrichtung des gestürzten christlichen Reiches in Palästina mitzuhelfen.

Ruinen des Schlosses Gerhardstein von Süden um 1930.

Graf Ulrich machte mit noch vielen ändern Eitler Dynasten den Kreuzzug unter Friedrich Barbarossas Führung mit, als einer der Frömmsten und Tapfersten der Ritterschaft. Bei der Belagerung der Seefestung Akkon im Jahre 1191 ereilte ihn das Geschick: gleich Barbarossas Sohn, Herzog Friedrich von Schwaben, ward er hier ein Opfer der Pest. Die Kunde von seinem Tode versetzte die Heimat in tiefe Trauer. Sie ward der harrenden und betenden Gräfin im gleichen Augenblick zuteil, da er die Augen schloß, durch einen Traum, in dem sie ihren Gemahl an der Seite des hl. Ritters Georg in übernatürlicher Glänze vor dem Throne Gottes sah. Er kehrte sich ihr zu und sprach: »Bete, Katharina, ich bin gerettet.«

Gleichzeitig schrak das Tal zwischen den Kyllfeslen auf von einem furchtbaren Dröhnen am Fuße der Monterley, so, daß die Burgleute an die Sturmglocke eilten. Flammen, die dort eine Weile zündeten, übergössen das Tal mit einem unerträglichen Lichtschein. Die Hinzueilenden vermochten sich infolge durchdringenden Schwefelgeruchs kaum der Stätte des Spuks zu nähern, erkannten jedoch eine im Grase liegende Leiche mit schwarzem Gesicht und abenteuerlichem Aufputze. Es war der Teufel. Als am Morgen beherzte Männer die Leiche verscharren wollten, war sie verschwunden. An ihrer Stelle lag der Speer des Grafen Ulrich ganz und unversehrt. Oben über der eisernen Spitze prangte ein goldenes Kreuz. Man brachte ihn der Gräfin, die ihn als kostbares Kleinod in der Schloßkapelle aufstellen ließ, wo er Jahrhunderte hindurch Gegenstand größter Verehrung war. In den Kriegswirren des 17. Jahrhunderts ist er verlorengegangen. Den Fels, der das verhängnisvolle Ziel des Speerwurfs gewesen, nannte die Gräfin Katherina die Pyrmonterley (nach Jos. Pesch).

Nach dem Zweiten Weltkrieg beratschlagten einige heimatverbundene Gerolsteiner, rückblikkend auf die früheren Felsenspiele, ein mit der Geschichte der Burg verbundenes Heimatspiel ins Leben zu rufen. Dafür bot sich die Sage vom Speerwurf, die sich hier abgespielt haben soll, mit dem Burggelände als Kulisse an. In dem Heimatschriftsteller Klaus Mark aus Brockscheid wurde der Autor für das Spiel »Der Speerwurf« gefunden. Dieses wurde dann im Jahre der Wiederverleihung der Stadtrechte —1953 — von etwa 70 Laienspielern in neun gut besuchten Vorstellungen auf der dafür errichteten Freilichtbühne im Burghof aufgeführt.

 

Die wahre Beredsamkeit besteht darin, zu

sagen, was zur Sache gehört, und eben nu

das.

 

Francois La Rochefoucauld

1613- 1680