Legenden- und Sagenschatz

Aus dem Reich der Legende

Märchenbilder von Michael Blum

Marianne Schönberg, Jünkerath

In einer Sonderausstellung der Kath. Akademie Trier zum Jahresende 1982 waren sie in Rheinland-Pfalz zum ersten Mal zu sehen, Stücke aus dem Zyklus »Märchenbilder« von Michael Blum. Um es vorweg zu sagen, sie waren nie als Illustrationen gedacht. Wer in ihnen Hilfen zum Verständnis alter Geschichten sucht, wird sie erst auf den zweiten Blick finden. Nichts ist vordergründig in diesen Arbeiten. Der Betrachter wird zum Schauen, zum Nachdenken herausgefordert. Seine Phantasie muß er schon ein wenig spielen lassen, wenn er sich mit diesen Themen beschäftigt. Der Gedanke, Märchenbilder zu malen, ist bei Michael Blum nicht neu. Bereits in der Studienzeit beeindruckte ihn die Mythologie des Märchens, die Schönheit literarischer Aussage, und schließlich gab die Märchensammlung der Gebrüder Grimm besonderen Anreiz, Volksgut bildhaft darzustellen. Erste Arbeiten datieren aus den siebziger Jahren.

Für intensive Studien charakteristischer Figuren der Märchen nahm sich Blum viel Zeit, und es entstand eine Fülle eindrucksvoller Zeichnungen. Ein Beispiel: die rote Hexe. Kein altes buckliges Weiblein aus dem Bilderbuch; schön und verführerisch, mit wirrem Haar und forderndem Blick. Gefahr signalisieren die Krähenköpfe, die das Porträt umrahmen und ein wildes Rot als Grundton der Studie.

Blum macht die Schlüsselfiguren der Märchen lebendig, er projiziert sie in unseren Alltag, und der Betrachter wird nachdenklich, korrigiert vielleicht eine festgefahrene Meinung, daß Märchen nur schöne Geschichten für Kinder sind. Sie hatten zu allen Zeiten ihren Stellenwert als Hilfen zur Bewältigung des Lebens; erzählen von Liebe und Treue, Bewährung, Reifung und Tod. Auch die Wiedergeburt, die Erneuerung spielt im Märchen eine wichtige Rolle. Da löscht der Tod das Gute nicht aus, ohne einer neuen Generation Raum zu geben. Auch das skizzierte Blum.

Ein Doppelbildnis der alten und jungen Frau gehört zu den wichtigen Studien zum Zyklus Märchenbilder. Das Antlitz der Alten strahlt Ruhe aus. Runzeln und brüchiges Haar stehen für die Summe der Jahre, der offene Blick zum Betrachtersagt »ja« zu hierund heute. Eine Norne, die alte weise Frau, die um Geheimnisse weiß und sie zu hüten versteht. Ihr Gesicht ist in Blums Märchenbildern immer wieder zu sehen. Als Frau Holle, als Alte bei Jorinde und Joringel, freundliche Hüterin des Erbes längst vergangener Jahre. Und über ihrem Antlitz steht das Gesicht der Jungen; Prinzessin, Schneewittchen, Dornröschen, die gute Fee, das verzauberte schöne Kind. Sie alle verkörpert dies Bildnis, ein frisches Gesicht mit straffem Haar, den Blick träumerisch nach oben gerichtet, erwartungsvoll und allem Schönen offen. In diesem Ausdruck liegt noch Glaube an das Gute im Menschen, eine bedingungslose Hingabebereitschaft und das Vertrauen aufs Wort. Hier zeichnete Blum nicht nur Gesichter, er machte die Seele sichtbar, das Empfinden; dieses Bild läßt den Betrachter so schnell nicht los.

Schlüsselfiguren zu fast allen Märchenbildern von Michael Blum sind sie, die Alte und die Junge; ein Doppelporträt von großer Ausstrahlung. Eine alte Frau, wie oft kommt sie im Märchen vor, als Norne, Hexe, böse oder gute Fee. Prinzessin oder verwunschenes Kind ist das junge Mädchen. Es verkörpert Bescheidenheit, die letztlich geadelt wird.

Märchen. Es ist nicht zeitgemäß, sich mit ihnen zu befassen. Sie sind aus der Mode gekommen wie ein altes Gewand, werden weder gelesen noch vorgelesen, und ihre Worte lösen Unverständnis bei Kindern aus. Zum Beispiel die Fabelnamen der Tiere, sie sind aus dem Vokabular der deutschen Sprache fast verschwunden. Dafür haben sich englische Vokabeln als Gemeingut bei allen Generationen so eingebürgert, daß man beinahe die englische Sprache erlernen müßte, um »gängiges Deutsch« zu verstehen.

Das ist weder lustig noch empfehlenswert. Gefühl für die eigene Kultur und die Schönheit der Sprache hat gar nichts mit Nationalismus zu tun, und Europa wird nicht dadurch geschaffen, daß Deutsche ihre überaus reiche Sprache verstümmeln. Michael Blum liest an der Schule in Euskirchen, an der er Rektor ist, deutsche Märchen. Seit Jahren wird das praktiziert. Märchen werden besprochen, gemalt und schon 1978 gab's in der Stadtbücherei Euskirchen aufgrund dieser Initiativen eine Sonderausstellung zum Thema deutsche Märchen. Die Resonanz war überaus positiv. Vor allem Erwachsene empfanden die Sondergalerie als nachdenkliche Studie. Die Kreissparkasse Euskirchen hat im Frühjahr 1983 Blums Märchenbilder wiederum gezeigt. Das Echo aus der Bevölkerung berechtigt zur Hoffnung, daß solche Ausstellungen Kreise ziehen.

Michael Blum ist in Prüm geboren und in Jünkerath aufgewachsen. Bleibt zu hoffen, daß eine Sondergalerie seiner Arbeiten im Raum der Verbandsgemeinde Obere Kyll nicht mehr allzulange auf sich warten läßt. Der Maler will dem Thema »Märchen« treu bleiben. Bis jetzt gibt's etwa 50 Bilder aus seiner Feder, in Oel, Acryl auf Holz und einer Mischtechnik, bei der Gold eine gravierende Rolle spielt. Sie heißen: Wunderblume löst Zauberbann, Zwerg mit Wunderlaterne, Jorinde und Joringel, Schneewittchen. Neue Bilder sind geplant, heißen: Erwartung, Erzählung, Hoffnung. Träume kann man schnell zerreden. Lassen wir ihnen Zeit, Gestalt anzunehmen, sich zu entfalten.

Die größten Ereignisse, das

sind nicht unsere lautesten,

sondern unsere stillsten Stunden.

Friedrich Nietzsche