Geschichten vom Schämpi

Herbert Wagner, Hillesheim

Schämpi — das hat nichts mit Schampus zu tun, so nennt man auf »Eefler Huhdöütsch«* einen, der als Johannes Petrus im Taufbuch steht. Schämpi also, Knecht bei einem Bauern in einem Eifeldörfchen, war nicht gerade eine Geistesgröße, dafür aber mit Bauernschläue gesegnet. Und so wußte man dann auch bei allem, was er sagte und tat, nie ganz genau: kam's vom einen oder vom ändern? Obwohl er schon ziemlich in den Dreißigern stand, aber groß und kräftig und stark wie ein Ochse, auch von Statur recht ansehnlich war, sahen es die Mädchen gar nicht ungern, wenn er sie »karessierte«.

Daher konnte er im Wirtshaus, wo er sich — leider! meinte manches Mädchen — oft und gern aufhielt, groß damit angeben, daß er mehrere Mädchen »an der Hand« hätte.

Davon erfuhr—natürlich — auch Hochwürden, nämlich, daß Schämpi in drei Nachbardörfern gleichzeitig »Bräute« sitzen habe. Bei der Gelegenheit stellte er ihn deswegen zur Rede und fragte ihn vorwurfsvoll: »Schämpi, wie kannst Du das nur machen!?«

Schämpi antwortete: »Och, Herr Pastur, dat jeht janz jot, ech han doch ö Fahrrad!« und machte weiter mit seinem »Jeklöngel«. Das veranlaßte eine Zeit später den Pastor, Schämpi also anzufahren: »Nun laß doch mal die Mädchen in Ruhe, Schämpi! Versuche es doch endlich einmal mit einer Frau!«

»Tja, Herr Pastur«, meinte Schämpi, »daht han ech ald eß jedon; äwer do öß hirre Man derhönner kunn!«

Als Schämpi mal wieder in der Wirtschaft saß und beim Klaren so still für sich in der Zeitung herumbuchstabierte, rief er plötzlich laut: »Dat war doch ön Koh für menge Bouer!«

»Wat meinst Dou?« fragte Hanni, der Wirt.

»He-i«, sagte Schämpi und hielt Hanni die Zeitung hin, »he-i kannstö't selwer lessö, he-i steht öt: Ver-kau-fe Kuh, die jee-den Tag kal-ben kann!«

Als der Doktor, der ab und zu ins Dorf kam und Schämpis Durst auf Schnaps kannte, ihn einmal aus der Wirtschaft kommen sah, hielt er ihn an: »Schämpi, allen Ernstes: Wenn Du ein alter Mann werden willst, darfst Du nicht so viel trinken! Wenn Du Lust auf einen Schnaps hast, dann iß doch einfach einen Apfel, das ist gesünder!«

Darauf Schämpi: »Nee, Herr Doktor, su vill Äppel kan ech net vertron.«

Schämpis Bauer hatte nur ein Tochter, su um die sechszehn, siebzehn. An einem Samstag abend wollte Trina sich gründlich waschen, in der Küche, weil man noch kein Badezimmer hatte. Die Eltern und die Magd saßen in der Stube, nur Schämpi hielt sich noch mit Knusseleien in der Küche auf. Deshalb drängte Trina: »Jö, Schämpi! Willö mach Dech üß d'r Koch, ech well mech weischö.«

Schämpi: »Da weisch dech doch!«

Trina: »Ech moß mech avver üßdon. Ech well mech vom Kopp beß zo de Föß weische.« »De Föß weische?« erstaunte sich Schämpi. »Suvill ech weß, han ech mir noch nie dö Föß jöweisch; die se-it doch keinö!«

Im Herbst, als alles »drin war«, wurde Schämpi vom Bauern mit einer ganz besonderen Mission betraut. Und das kam so: In dem kleinen Dorf war aus jeder Familie mindestens eine Person »von Stand« hervorgegangen: ein Pastor oder Richter oder Förster oder Doktor oder Schulmeister, wenigstens ein Abgeordneter. Nur die Familie von Schämpis Bauer hatte nichts dergleichen aufzuweisen, und darob grämte sich der Bauer gar sehr. Nun hatte man ihm auf dem Markt in Hillesheim erzählt, daß in Paris ein Pro-fessor sei, der Hunden das Sprechen beibringe. Er hatte daraufhin beschlossen, seinen Hofhund Karo dort ausbilden zu lassen; denn: »Wenn mir ald keine Kalfakter (Advokat) ön d'r Famillech han, sü öß ön Hond, da schwätze kan, doch och jet«, dachte er.

Also schickte er, da er das nicht gerne selbst machen wollte, seinen Knecht Schämpi auf die Reise in das ferne Paris, wohl versehen mit Instruktionen, Geld und Hund. Die Fahrt überstanden Schämpi und Karo wohlbehalten: aber in Paris, kaum daß sie den Bahnhof verlassen hatten, überfiel sie das Unglück: Karo riß sich von der Leine, geriet unter ein Auto, und aus war es. Da stand nun Schämpi allein und mit Angst in der Hose. Wie sollte er seinem Bauern, der doch so große Hoffnungen auf Karo gesetzt hatte, das Malheur nur beichten? Er suchte erst einmal Trost im nächsten Bistro, und als er sich eine Menge Trost eingeflößt hatte, dachte er: »Wat soll öt? Karo öß öm Honshimmel, un ech sen ön Paris. Paris, dat soll ön schün Stadt sen, un ech han Jeld en d'r Teisch, also kiken ech mech eß öm.«

Und das tat er so gründlich, daß er nach einer Woche sein Zehrgeld samt dem Honorar für den Professor bis auf den letzten Sou auf den Kopf gehauen hatte, obwohl er Kirchen, Museen und »so Sachen« überschlagen hatte. Dann setzte er sich mit seiner Rückfahrkarte in den Zug und fuhr, zwar ohne Hund und Geld, aber doch um manches bereichert und vor allem mit einer Idee, zurück in die Eifel.

Vom Scheunentor sah ihn der Bauer, ging ihm schnell entgegen und fragte ganz aufgeregt: »Wo häs Dou dann da Karo, Schämpi?«

»Bong schur, Bauer! Dat well ech Och jörad son«, erklärte der Schämpi. »Da Karo hat be-i dam Professer en der e-in Woch su jot schwätze jeliert wie osere-inö, udder sujar noch besser. Un wie ech möt him üß dem Instidutt op dö Stroß kom, du frocht ha mech öm feinstö Huh-döütsch: Na, Jean-Pierre, wiegehttessdir? Wie stehtt ess daheim? Alless wohl untt muntter? Wass machtt die Bäuerin? Untt der Bauer? Gehtt er noch immer heimlich zu der Magtt in die Kammer? Un üwerdie letzt Froch han ech mech doch ösu jöarjert, Bauer, dat ech han op der Stell erschlon han!«

Der Bauer rieb nachdenklich seinen Stoppelbart, zog dann seinen Geldbeutel und gab Schämpi einen Fünfziger und sagte, ihm auf die Schulter klopfend: »Dat hos Dö richdech jömächt, Schämpi, janz richdech! Wat bruche mir ön Batschöler (Schwä{zer) ön der Famillech!« Seither grüßte Schämpi nur noch mit »Bong schür«!, und das machte Eindruck im Dorf, besonders bei den Mädchen.

Und eines Tages, Schämpi ging schon auf die Fünfzig zu, war es dann soweit: er heiratete endlich. Oder besser gesagt: er wurde geheiratet, von Eis, einer alleinstehenden, ältlichen Bauerstochter, weil er so »stamper« war. Die Hochzeit war ganz schön, auch die erste Zeit der Ehe gefiel dem Bauern Schämpi. Dann aber ließ Eis ihn von Tag zu Tag mehr merken, daß sie es war, die »etwas unter den Füßen« und also auch das Sagen hatte und er nur quasi ein armer »Eidam«. Das gefiel dem Schämpi nun ganz und gar nicht; aber was wollte er machen? Er hatte schließlich auch »ja« gesagt. Und so ging es mit den beiden mehr schlecht als recht jahraus, jahrein weiter.

Nach fünf Ehejahren aber hatte Schämpi es satt, immer nur den Knecht für seine Eis zu spielen, und so verkündete er eines abends im Wirtshaus — wohin er auch nur mehr ganz, ganz selten kam — nachdem er sich genügend Mut angetrunken hatte: »Willö sen ech öt leed! Ech loßö mech scheidö!«

Am anderen Tag schon wußte der Pastor von Schämpis unerhörter und schändlicher Absicht. Er knöpfte ihn sich vor und erzählte ihm einiges über das Sakrament und die Unauflöslichkeit der Ehe, von Treue in guten und schlechten Tagen, von Sünde und schlechtem Beispiel und solcherlei Dingen mehr.

Schämpi hörte sich das Privatissimum geduldig an, wackelte paarmal mit dem Kopf, nahm schließlich die Pfeife aus dem Mund, spuckte kräftig aus und: »Herr Pastur«, sagte er dann, »Herr Pastur ech hat öt Eis wille fönf Johr. Wößt ihr wat? Holt ihr öt ees fönf!« Um es kurz zu machen:

Die Scheidung blieb aus, ebenso der Nachwuchs, und bei Schämpi und Eis läpperten sich die Jährchen. Dann, eines Morgens im frühen Jahr, blieb Schämpi im Bett liegen; er sei krank und könne nicht aufstehen, sagte er der über seine »Faulheit« murrenden und maulenden Eis. Als die aber merkte, daß ihm Essen und Trinken nicht mehr schmeckten und er auch einen doppelten »Quetsch« verschmähte, da rief sie den Pastor, den neuen. Der redete Schämpi gut und freundlich zu und meinte schließlich: »Ich meine, ich gebe Ihnen die letzte Ölung?«

Schämpi, mit schwacher Stimme abwehrend: »Nee, nee, Herr Pastur, nöust Fäddejes!« Zwei Tage später dann hat Schämpi, doch noch »rite munitus« und ganz friedlich, seine Eis und die Welt für immer verlassen, ausgerechnet am »Feddö Donnechdech«.

Anmerkung:

*Hillesheimer Dialekt: Karl Meier.